taz: Herr Außenminister, Sie sind seit Jahrzehnten einer der bekanntesten Kämpfer für die Unabhängigkeit Osttimors. Seit einem halben Jahr ist Osttimor unabhängig. Stimmt die heutige Realität mit dem überein, was Sie sich gewünscht haben?
Ramos-Horta: Ich bin vor allem deshalb zufrieden, weil alles friedlich verlaufen ist. Ökonomisch gesehen leiden wir allerdings unter Stillstand. Es gibt zu wenig Direktinvestitionen aus dem Ausland, zu viel Arbeitslosigkeit. Aber in zwei bis drei Jahren werden wir von unseren Öl- und Gasvorkommen profitieren. Das wird unser Überleben sichern, wir können in Infrastruktur investieren und Arbeitsplätze sichern.
taz: Infrastruktur, so heißt es, wird derzeit vor allem in der Hauptstadt Dili geschaffen, wo sich die internationale Expat-Szene tummelt. Die Menschen in ländlichen Gegenden dagegen sind mehrheitlich unterernährt und können weder lesen noch schreiben.
Ramos-Horta: Es ist nicht fair, das so darzustellen. Natürlich bleibt in Osttimor, wie in jedem anderen Entwicklungsland, der größte Teil des Kapitals in der Hauptstadt. Aber wir versuchen, auch in den ländlichen Gebieten, die Dinge voranzutreiben. So etwas braucht jedoch Zeit. Wenn Sie ein Land aufbauen wollen, brauchen Sie einen Regierungssitz, Sie müssen eine Verwaltung aufbauen. Wie wollen Sie das organisieren ohne Hauptstadt? Aber, es ist schon richtig, unsere Regierung weiß, dass die ländlichen Gebiete noch stärkerer Beachtung bedürfen. Schon deswegen, damit wir das Problem von Landflucht vermeiden.
taz: Präsident Gusmão hat kürzlich in einer Rede das Parlament der Unfähigkeit bezichtigt, über Korruption geklagt und den Rücktritt des Innenministers gefordert. Stimmen Sie mit ihm überein?
Ramos-Horta: Nun – was den Innenminister betrifft, hätte ich einen leiseren Stil bevorzugt. Ich hätte ihm wohl unter vier Augen geraten, einen längeren Urlaub anzutreten. Was Korruption angeht, hat Gusmão in dieser Rede eher auf die allgemeinen Probleme von Entwicklungsländern abgezielt.
taz: Und das Entwicklungsland Osttimor hat diese Probleme nicht?
Ramos-Horta: Wir haben sicher ein Effektivitätsproblem. Aber der Korruption kann man uns nicht bezichtigen, das Parlament hat einen guten Ruf und agiert sehr transparent.
taz: Die internationale Gemeinschaft hat zum Unabhängigkeitstag am 20. Mai 2002 eine Menge versprochen. Bislang, so heißt es, ist nur ein Teil der Gelder eingetroffen. Sind Sie sehr enttäuscht?
Ramos-Horta: Nein, wir können uns eigentlich nicht beklagen. Versprochene Hilfe – ob nun in technischer oder finanzieller Form – ist meist pünktlich angekommen. Es fehlt also gar nicht so sehr an Entwicklungshilfe. Ein Problem sind die fehlenden Direktinvestitionen, die ja langfristig für Arbeitsplätze sorgen würden. EZ-Gelder sind natürlich wahnsinnig wichtig, aber damit können Sie doch keine lebensfähige Wirtschaft aufbauen. Ein weiteres großes Problem ist die Verwaltung. Es fehlt einfach an gut ausgebildeten Fachkräften, um Projekte umzusetzen. Wir können das nicht nur auf die internationale Gemeinschaft abwälzen. Die hat uns wirklich sehr großzügig behandelt.
taz: Welche Rolle spielt Deutschland als Partner für Osttimor?
Ramos-Horta: Gerade haben wir einen Vertrag mit dem BMZ unterschrieben. Er bezieht sich auf Hilfen für den Fährverkehr zwischen Osttimor und der Enklave Oecussi in Westtimor. Deutschlands Hilfen für Osttimor sind maßvoll, aber zielgenau. Deutschland hat uns bei der Wasserversorgung enorm geholfen. Viel wurde auch geleistet beim Referendum und bei den Wahlen. Auch der Aufbau unseres Justizsystems profitiert sehr von deutschen Beratern.
taz: Ihr Land hat noch immer unter dem Trauma der indonesischen Besatzung zu leiden. Vor wenigen Tagen wurde Eurico Guterres, der berüchtigte pro-indonesische Milizenführer, vom Ad-hoc-Tribunal in Jakarta zu zehn Jahren Haft verurteilt. Eine gerechte Strafe für den Aufruf zum Massenmord?
Ramos-Horta: Für das Ausmaß der von Guterres und vielen anderen begangenen Verbrechen, sind zehn Jahre wirklich glimpflich. Er hat sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Er hat niemals auch nur das geringste Anzeichen für Reue gezeigt. Statt dessen hat er mit einer ungeheuren Arroganz auch während der Verhandlungen behauptet, er habe aus patriotischer Schuld gegenüber des indonesischen Vaterlandes gehandelt. Aber wenn wir sehen, dass diese zehn Jahre schon das härteste Urteil waren, muss man es schon als einen Fortschritt sehen.
taz: Das heißt, man muss doch irgendwie zufrieden sein mit der Rechtsprechung in Jakarta?
Ramos-Horta: Nein, ich bin damit ganz und gar nicht zufrieden. Ein Verbrecher von Guterres´ Kaliber hätte mindestens 30 Jahre verdient. Aber wenn wir uns die Entwicklung dieses Tribunals ansehen, muss man es schon als Fortschritt ansehen. Wir müssen beobachten, was mit den indonesischen Militärs passiert, die ja direkt verantwortlich waren für die Gewalttaten zur Zeit des Referendums 1999. Bis jetzt gab es ja nur Haftstrafen für Osttimoresen, während die indonesischen Militärs, die die Befehle gaben, frei herumlaufen.
taz: Sie meinen den ehemaligen indonesischen Verteidigungsminister, General Wiranto?
Ramos-Horta: Ja, ich meine Wiranto und viele andere, deren Namen niemals in den Anklageschriften auftauchten.
taz: Trotz dieser offensichtlichen Versäumnisse in Jakarta haben Sie kürzlich gesagt, Osttimor werde sich nicht für ein UN-Tribunal einsetzen, wenn das indonesische Ad-hoc-Tribunal versagt. Ist das nicht eine Einladung zum Versagen?
Ramos-Horta: Es ist gerade das Gegenteil. Ich hoffe, dass es für die Indonesier ein Ansporn ist, sicherzustellen, dass das Tribunal in Jakarta eine vertrauenswürdige Rechtsprechung betreibt. Wir versuchen, Sympathie und Verständnis für Indonesien zu zeigen, damit es nicht gerade jetzt auch noch die Erniedrigung eines UN-Tribunals erfährt. Aber erst der Ausgang der noch offenen Verfahren in ein paar Wochen wird entscheiden, wie sich die UN entscheiden werden, ob sie ein Tribunal organisieren oder nicht. Wenn das Ad-hoc-Tribunal zur vollkommenen Farce wird, dann werden die UN entscheiden müssen, wie man Gerechtigkeit schafft.
taz: Werden Sie sich für ein internationales Tribunal einsetzen?
Ramos-Horta: Ich persönlich finde nicht, dass ein internationales Tribunal den Interessen Osttimors dienen würde. Das heißt aber nicht, dass es nicht andere Formen von Druck gäbe. Wir sprechen gerade mit den UN darüber, was man tun kann, um nach dieser Tragödie zu Wahrheit und Gerechtigkeit zu finden. Aber welche Möglichkeiten wir auch in Erwägung ziehen, wir müssen erst mal die Prozesse in Jakarta abwarten.
taz: Wie könnten diese anderen Formen der Gerechtigkeit denn aussehen?
Ramos-Horta: Ich will darüber gar nicht so viel spekulieren, weil das zum großen Teil in den Händen der UN liegt. Ich kann nur sagen, wenn das Ad-hoc-Tribunal versagt, werden wir nach anderen Möglichkeiten suchen. Wir müssen aber dabei auch in die Zukunft schauen. Manchmal ist es das Beste, die Vergangenheit dort zu lassen, wo sie ist – so schmerzlich das für die Opfer sein mag. Aber selbst wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, müssen wir die Kraft haben, nach vorn zu schauen.
taz: Für Gerechtigkeit bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit soll künftig auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) sorgen. Osttimor schloss sich im September dem Statut von Rom an. Welche Erfolgschancen räumen Sie dem IStGH ein?
Ramos-Horta: Ich glaube, die Einrichtung des IStGH ist ein Meilenstein in der Geschichte. Es hätte ihn gleich nach dem Zweiten Weltkrieg geben sollen, dann wäre uns vieles erspart geblieben. Nun müssen wir versuchen, ihn bestmöglich einzusetzen. Ich glaube, dass eine strenge internationale Gerichtsbarkeit hilft, Kriegsverbrechen zu verhindern. Ich gebe zu, es gibt da noch viele Diskussionen, vor allem mit den USA. Ich kann nur hoffen, dass auch die Vereinigten Staaten sich langfristig anschließen werden. Ohne sie wird dieses Gericht nicht wirklich zu mehr Gerechtigkeit führen.
taz: Warum hat dann ausgerechnet Osttimor als dritter Staat auf der Welt ein bilaterales Abkommen mit den USA geschlossen, das US-Bürger vor der Auslieferung an den IStGH schützt?
Ramos-Horta: Viele sagen ja, das liegt an den engen bilateralen Verbindungen mit den USA. Aber das spielt einen entscheidenden Punkt herunter. Vor dem IStGH kommen die nationalen Gerichte als erste Instanz. Erst wenn die versagen, kommt der IStGH ins Spiel. Die Frage ist: Vertrauen wir der amerikanischen Justiz, dass diese Kriegsverbrechen ihrer Bürger angemessen ahndet, oder tun wir das nicht? Wir vertrauen darauf, genau so wie wir der deutschen Justiz vertrauen.
taz: Es stimmt also nicht, dass die USA gedroht haben, die Entwicklungshilfe zu dezimieren, wenn Sie nicht unterschreiben?
Ramos-Horta: (lacht) Nein. Es ist ja auch in den USA nicht so einfach. Selbst wenn die Regierung nicht wollte, haben wir doch noch genügend Freunde im Kongress. Das Problem liegt doch viel tiefer. Die UN und die USA müssen einen Kompromiss finden, so dass sie beim IStGH zusammen arbeiten können.
taz: Und es stimmt auch nicht, dass es Pläne gibt, auf Osttimor einen Truppenstützpunkt für das US-Militär zu errichten?
Ramos-Horta: Nein. Die vorhandenen amerikanischen Einheiten treten am Ende diesen Jahres den Heimweg an. Bislang gibt es keine derartigen Pläne.
taz: Auch zukünftig ist nichts dergleichen in Sicht?
Ramos-Horta: Ich denke, ich müsste es wissen, wenn es darüber
Gespräche gäbe. Warum sollten die Amerikaner auch ausgerechnet
bei uns einen Stützpunkt errichten wollen, wo sie nebenan Australien
haben, das viel größer und sicherer für sie ist? <>
* Das Interview führte Annett Keller am 29.
November 2002 in Berlin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der taz
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