Lange stand die Papiermühle von Indorayon am Fluss Asahan in
Porsea, Bezirk Toba Samosir, Nordsumatra, still. Jetzt sorgt sie wieder
für Aufregung. Nach vier Jahren Pause darf sie jetzt wieder Zellstoff
produzieren, so die Entscheidung der Regierung. Dabei war PT Inti Indorayon
Utama in Indonesien schon vor dem ersten Spatenstich zu einem Synonym für
die negativen Auswirkungen von Industrialisierung schlechthin geworden,
angefangen von betrügerischer Landnahme über Kahlschlag und Dezimierung
der Tropenwälder, Verseuchung von Boden, Luft und Wasser, Explosionen,
Erdrutschen, Gesundheitsschäden für die Bevölkerung, Verhaftungen,
Toten ... die Liste ist lang. So lang, dass der damalige Präsident
Habibie sich 1999 gezwungen sah, den Betrieb von PT Inti Indorayon Utama
vorübergehend zu schließen – wegen gravierender Umweltauswirkungen
Nach mehreren vergeblichen Anläufen, die Produktion wieder aufzunehmen, sollte die inzwischen in PT Toba Pulp Lestari (Unvergänglicher Toba-Zellstoffbrei) umbenannte Fabrik im Dezember 2002 wieder eröffnet werden. Die indonesische Regierung kündigte an, Arbeits- und Transmigrationsminister Jacob Nuawea persönlich in die Tobaregion zu entsenden, mit dem Auftrag, den Bewohnern die Wiederinbetriebnahme der Zellstoffproduktion schmackhaft zu machen. Doch die Anwohner protestierten heftig vor der Produktionsanlage. Die Regierung antwortete mit den aus der Suhartozeit bekannten Mitteln zur Sicherung der Industrie – der Entsendung von Soldaten und von Polizisten der mobilen Brigade (Brimob).
Der Protest von Tausenden von Leuten gegen PT Toba Pulp Lestari am 21. November 2002 endete mit Festnahmen und Verhaftungen /VEM, 3. Dez. 20/. Hunderte von Menschen flohen aus Angst vor der Polizei und dem Militär aus Porsea in die ca. 60 km entfernte Bezirkshauptstadt Tarutung; etliche suchten Schutz im Hauptbüro der Toba-Batak-Kirche HKBP. Sie beklagten sich darüber, von Brimob terrorisiert zu werden. Die Gewaltmethoden von Polizei und Militär „riechen nach Orde Baru (der ‚Neuen Ordnung’ unter Diktator Suharto, red.). Der Staatsterror ist zurück auf der Bühne“, sagte Rechtsanwalt Johnson Panjaitan von der Rechtshilfe- und Menschenrechtsorganisation PBHI in Jakarta. /AFP, 24.11.02/
Die Ereignisse vom November wecken alte Erinnerungen. Die Bewohner der Region denken zurück an zehn Jahre Schrecken und den Verlust ihrer Lebensgrundlagen (s. auch: Reiseziel Indorayon: Die Attraktion am Toba-See, in: Indonesien-Information Nr.2/95; sowie: Intrigen am Tobasee, in: Indonesien-Information Nr. 2/99). Gerade erst, vier Jahre nach Schließung von Indorayon, beginnen sie zu genießen, dass die Luft nicht mehr stechend nach schwefliger Säure riecht und das Wasser ihre Haut nicht mehr reizt. Die Regierung dürfte die Furore, die Indorayon auf nationalem und internationalem Parkett gemacht hat (sprich: Umweltzerstörung, Gesundheitsschäden, Menschenrechtsverletzungen), noch nicht vergessen haben. Zumindest mögen die Demonstrationen vor dem Hotel Indonesia in Jakarta (24. November 2002) und dem Präsidentenpalast (23. Dezember 2002) sowie internationale Protestnoten an Präsidentin Megawati die Erinnerungen daran geweckt haben.
Die nationalen und internationalen Proteste gegen die Zellstofffabrik
bewegten Präsidentin Megawati dazu, die Wiedereröffnung aufzuschieben.
Die endgültige Entscheidung solle erst nach gründlichen Feldstudien
fallen. Dagegen ließ Informationsminister Syamsul Muarif verlauten,
die Schließung der Anlage 1999 sei nur vorläufig gewesen und
beträfe nur die Produktion von Viskosefasern. „Zellstoff kann noch
produziert werden“, sagte er. Tatsächlich liegt längst eine neue
Genehmigung für die Produktion von Zellstoff vor. Der hoffnungsfrohen
Meldung, erst solle das Ergebnis der Untersuchung abgewartet werden, folgte
am 14. Januar 2003 die Inbetriebnahme der Produktion zu Versuchszwecken
auf dem Fuß. Die Aufnahme der Zellstoffproduktion ist damit nur scheinbar
aufgeschoben und keinesfalls aufgehoben. /Tempo interaktif: Nasib Inti
Indorayon Tergantung Kajian Deperindag, 9.1.03; Tempo Magazine, War Bells
in Porsea, 11.-17. 2.03 /
Indorayon
PT Inti Indorayon Utama hat reichlich verwickelte Familienverhältnisse. 1983 von Sukanto Tanoto gegründet, war sie eine Tochter der Asia Pacific Resources International Holdings Ltd., APRIL (s. auch S. 44), und gehört seit 1999 zum Mutterunternehmen von APRIL, der Raja Garuda Mas Gruppe desselben Sukanto Tanoto. Indorayon errichtete am Asahan, dem einzigen natürlichen Abfluss des schönen Toba-Sees, einen Industriekomplex mit Produktionsstätten für Zellstoff und Viskose. Mit dem Projekt wollte das Suharto-Regime das hinterwäldlerische Batakland mit einem Schlag ins Industriezeitalter katapultieren. Der Versuch ist gelungen, wobei Chlorgasexplosionen Zusatzzündstoff lieferten.
Mit der Erschließung des Geländes galten die altmodischen
traditionellen Landrechte nicht mehr. Sie wurden ebenso plattgewalzt wie
die Hügel, die den Zufahrten im Wege standen, oder die Reisfelder,
deren Lage sich als Standort für Baumaterial anbot. Schon vor der
Inbetriebnahme mussten siebzehn Anwohner für die Modernisierung ihr
Leben opfern; sie starben bei einem Erdrutsch, verursacht durch unsachgemäße
und leichtfertig ausgeführte Eingriffe in die Bodenverhältnisse.
Ihnen sollten noch viele weitere Opfer folgen, z.B. 1989, als in Bulu Silape
und Sianaper II mehrere Häuser durch Erdrutsche zerstört wurden
und dreizehn Menschen getötet wurden.
Die Produktion von Zellstoff war 1988 kaum angelaufen, als sich der
erste Unfall ereignete. Ein Klärbecken mit hochgiftigen Abwässern
barst. Das Dorf Marjanji Aceh wurde überflutet und das Flusswasser
des Asahan vergiftet. Auch diese Katastrophe blieb nicht die einzige ihrer
Art. Das Wasser des Asahan war ein Jahr lang nicht brauchbar, nicht für
die Menschen und nicht für die Bewässerung der Reisfelder. 1993
explodierte dann ein Tank mit Chlorgas, eine Katastrophe, die wie Seveso
und Bhopal in die Geschichte der Industrieunfälle hätte eingehen
können.
Indorayon schaffte 1990 mit dem Gang an die Börse den Sprung ins Globalisierungszeitalter. Ab jetzt flossen vermehrt Gelder aus internationalen Quellen ins Batakland, mit denen die Zellstoffproduktion erhöht und 1992 eine Diversifizierung auf den Bereich Viskoseproduktion erreicht werden konnte. 1993 war Indorayon die erste indonesische Fabrik, die löslichen Zellstoff für Viskosefasern produzierte, mit denen der indonesische Markt seine Abhängigkeit von Importbaumwolle verringern wollte. Somit konnte Indorayon das bei der Gründung anvisierte Produktionsprogramm erreichen. Alles lief nach Plan.
Unplanmäßig boomte aber in den 80er und 90er Jahren nicht nur die Papier- und Textilindustrie, sondern auch die indonesische Umweltschutzszene, die die Kollateralschäden der Fabrikation zum Anlass nahm, sich gegen Indorayon aufzulehnen. Kenntnisse über die obsolete Papierbleiche mit elementarem Chlor, die Indorayon anwendete, drangen nach außen. Bilder von Kinder mit Hautkrankheiten, von korrodierten Dächern, von verwüsteten Regenwäldern und schäumenden Wassern gelangten in die Welt.
Nach dem Sturz Suhartos kam das vorläufige Aus für Indorayon.
Anwohner machten der Wut über ihr jahrelanges Leiden Luft. Sie blockierten
die Zufahrten der Anlage, so dass vier Monate lang kein Holz angeliefert
werden konnte. Nach einem Jahr gewalttätiger Aus-einandersetzungen
zwischen der Bevölkerung und Sicherheitskräften schloss der damalige
Präsident Habibie im März 1999 das Werk. Die Wiedereröffnung
machte er von einer Prüfung (Audit) der sozialen und umweltrelevanten
Auswirkungen abhängig. Das Audit steht immer noch aus. /Frances Carr:
Indorayon’s Last Gasp? Down to Earth, Januar 2001/
Toba Pulp Lestari
Mit oder ohne Audit: was das krisengeschüttelte Indonesien derzeit am wenigsten gebrauchen kann, ist die Schließung eines Unternehmens, das schon mal an der New Yorker Börse geführt wurde. Dies ist genau das falsche Signal, das der Schaffung des erstrebten investitionsfreundlichen Klimas schadet. Es entspricht auch nicht den Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF), für mehr Devisen zu sorgen. Andere Papierfabriken zeigen, dass dies möglich ist, trotz hoher Verschuldung und trotz sinkenden Nachschubs an Tropenholz. Die Zellstoffpreise sind nämlich gestiegen, sodass Indonesiens Papierindustrie bisher sämtliche Krisen überlebt hat und sogar expandieren konnte.
So ist es nicht verwunderlich, dass die indonesischen Regierungen unter Gus Dur und Megawati mehrere Anläufe starteten, Indorayon wieder anlaufen zu lassen. Im Mai 2000 entschied die Regierung, nach einem Jahr Stillstand und enormen finanziellen Verlusten, dass Indorayon die Zellstoffproduktion wieder aufnehmen solle. Aus Umweltschutzgründen durfte aber die Viskoseproduktion nicht wieder angefahren werden. Daraufhin änderte Indorayon seinen Namen in PT Toba Pulp Lestari, der anzeigt, dass das Unternehmen nur noch Zellstoff herstellen will. PT Toba Pulp Lestari erhielt zur Wiedereröffnung von einem internationalen Bankensyndikat eine neue Finanzspritze. Doch den Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen und umweltfreundlicher zu produzieren, wollte die Bevölkerung nicht glauben. Ihre Proteste verhinderten die Wiedereröffnung.
Die neue Regionalautonomie bot der Provinzregierung die Chance, beim Poker um die Wiedereröffnung von Toba Pulp Lestari mitzumischen. Sie hatte kein Glück. Zu vehement lehnen die von Indorayon Geschädigten und Umweltschützer jegliche Vorstellung davon ab, in alte Zeiten zurückversetzt zu werden. Da blieb nur noch die Macht der Zentralregierung, um mit Unterstützung investorenfreundlicher ausländischer Lobbyisten die Produktion von Zellstoff endlich wieder durchzudrücken. Das versprochene Audit hin oder her: auch das kann ausgesessen werden, wenn Jakarta den längeren Atem (oder die schlagkräftigere) Hand hat.
Wenn die Papiermühle am Asahan wieder rappelt und qualmt, wird
die Landwirtschaft notwendigerweise an Bedeutung verlieren. An Smog haben
sich auch schon andere Völker gewöhnt, ebenso an Ekzeme und an
Wasser aus Dosen. Toba Pulp Lestari ist schließlich nicht die einzige
Papierfabrik, die das Umweltschutzgesetz übertritt, es gibt größere,
es gibt dreckigere... Nicht zu reden von der in unmittelbarer Nähe
gelegenen Aluminiumfabrik, die mit ihren Fluoremissionen die Umgebung verätzt.
Was wäre, wenn diese Industrien alle dem Empfehlungskatalog folgten,
den Nichtregierungsorganisationen an die nationale Menschenrechtskommission
Komnas HAM gerichtet haben? Sie müssten alle schließen, nicht
nur Indorayon bzw. Toba Pulp Lestari. <>
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