Indonesien-Information Nr. 1/2003 (Osttimor)

 

„Die Gewalt wurde von Ost- nach Westtimor gebracht“

Interview mit Lery Mboeik von der Organisation PIAR in Kupang


Lery Mboeik von der in Kupang, Westtimor, ansässigen Nichtregierungsorganisation PIAR engagiert sich seit 1999 für das Schicksal sowohl der Flüchtlinge als auch der unter den Folgen des Flüchtlingsstromes leidenden lokalen Bevölkerung. Für ihren Einsatz erhielt sie den indonesischen Menschenrechtspreis Yap Thiam Hien. Auf Einladung von Watch Indonesia! besuchte Lery Mboeik im Februar 2003 Berlin und berichtete auf einer Veranstaltung über die vergessenen Flüchtlinge aus Osttimor.

Watch Indonesia!:  Obgleich einige erfolgreiche Rückkehrprogramme durchgeführt wurden, verharren bis heute noch ca. 30.000 Flüchtlinge in Lagern in Westtimor. Was ist der Grund dafür?

Lery Mboeik:  Zunächst zur Anzahl der Flüchtlinge. Es gibt völlig unterschiedliche Zahlen, je nachdem, wer die Erhebung durchführt und welche politischen Ziele damit erreicht werden sollen. Die Flüchtlinge sind auch Mittel zum Zweck, an denen man sich bereichert. Unter ihnen sind viele, die einfach Angst haben, zurückzugehen. Sie waren Augenzeugen von Gewalttaten und fürchten sich. Sie sehen auch an Hand der Ad-hoc-Tribunale in Jakarta, dass es keine Gerechtigkeit gibt und die Täter straffrei herumlaufen. Auch in den Lagern in Westtimor. Noch immer kursieren viele negative Gerüchte über die Lage in Osttimor, vor allem über das Verhalten von Falintil und CNRT. Die Gerüchte sind gezielt eingesetzt von „Agenten der Neuen Ordnung“. Für sie ist der Kampf noch nicht vorbei. Sie wollen keine Rückkehr nach Osttimor ohne die indonesische Flagge und kämpfen bis zum letzten Blutstropfen. Ihre Kämpfer sind die Milizen, die noch immer bewaffnet sind und die Lager kontrollieren.

Watch Indonesia!: Wie sieht das Treiben der Milizen aus?

Lery Mboeik:  Mit den Milizen wurde die Gewalt von Ost- nach Westtimor gebracht. Sie sind auf Gewalt trainiert, werden mit Blutschwüren und Drogen angeheizt. Zum Teil sind sie unpolitisch, haben aber ihre Vergangenheit und Zukunft verloren und sind zu allem bereit. Sie huldigen einem Krieger- und Heldentum, bei dem Männlichkeitswahn durch Waffen repräsentiert wird. Sie vertreiben sich die Zeit mit Glücksspiel, harten Drinks und Kämpfen. Die Situation in den Lagern ist für die Menschen katastrophal: Neben den schlechten Bedingungen, unter denen sie leben müssen, sind sie hilflos den Milizen ausgeliefert. Das Treiben der Milizen beschränkt sich nicht allein auf die Lager, sie greifen auch die lokale Bevölkerung an und sind sehr leicht erregbar. Es wurden Häuser abgebrannt, die Kriminalität nahm sehr zu. Inzwischen setzt die lokale Bevölkerung den Begriff Flüchtling mit bewaffnetem Gewalttäter gleich.

Watch Indonesia!: Es gab Bemühungen, dem Treiben der Milizen Einhalt zu gebieten. War dies alles nur Theater?

Lery Mboeik: Die Entwaffnungszeremonie, zu der auch Präsidentin Megawati angereist kam, war ein Schauspiel. Alte Waffen von umliegenden Inseln wurden vernichtet. Eine Entwaffnung der Milizen hat nie stattgefunden. Es ist offensichtlich, dass sie noch immer gute Verbindungen nach Jakarta haben. Auffällig ist auch, dass sehr viele Kopassus-Leute in Westtimor sind. Das Militär schüchtert auch direkt Flüchtlinge ein, die zurückkehren möchten. Was hier stattfindet, ist eine regelrechte Militarisierung der Region.

Watch Indonesia!: Es gab jüngst Übergriffe der Milizen auf Dörfer in Osttimor mit Toten und Verletzten. Wird dies das Szenario der Zukunft sein?

Lery Mboeik: Eine Rückeroberung Osttimors halte ich für ausgeschlossen. Jedoch werden solche Übergriffe benötigt, um Osttimor zu destabilisieren, und sie werden ohne die Lösung des Milizenproblems in Westtimor sicherlich andauern.

Watch Indonesia!:  Mit dem Jahreswechsel haben das UNHCR und die indonesische Regierung die Flüchtlingshilfe eingestellt. Die Flüchtlinge sollen nun umgesiedelt oder repatriiert werden. Wird dies das Problem lösen?

Lery Mboeik: Von Anbeginn haben viele an den Flüchtlingen und der Flüchtlingshilfe verdient. Es gibt hier regelrechte Briefkasten-NGOs. Die Hilfsprogramme geben Anlass zur Korruption und so ist es auch mit dem Umsiedlungsprogramm. Die Häuser sind zum Teil unbewohnbar, ohne Zugang zu Wasser. Die lokale Bevölkerung der umliegenden Inseln lehnt die Ansiedlung ab, und auch hier in Westtimor ist nicht ausreichend Land für eine dauerhafte Ansiedlung. Viele wollen sich auch mit der Situation nicht abfinden. Schließlich haben sie für Indonesien gekämpft und fühlen sich nun nicht ausreichend gewürdigt. Das Flüchtlingsproblem lässt sich durch Anordnung von „oben“ nicht lösen. Was gebraucht wird, ist eine Partizipation sowohl der lokalen Bevölkerung wie auch der potentiellen Umsiedler. Es muss sehr viel stärker auf die Ängste und die Mentalität der Menschen eingegangen werden, um für alle Beteiligten angemessene Lösungen zu finden.  <>
 
 
 

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