Indonesien-Information Nr. 1/2004 (Osttimor)

 

Anhörung zum politischen Konflikt 1974-76

von Monika Schlicher


Es ist das politisch sensibelste Thema in Osttimors jüngerer Geschichte schlechthin: die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien in der Phase der Dekolonisierung 1974-76, die in einem blutigen Bürgerkrieg zwischen Fretilin und UDT im August 1975, der ca. 1.500 Menschenleben forderte, ihren traurigen Höhepunkt fanden. Die portugiesische Administration zog sich damals auf die benachbarte Insel Atauro zurück und beendete mit diesem Schritt ihre jahrhundertlange Kolonialherrschaft über Osttimor. Indonesien nutzte das Machtvakuum und marschierte am 7. Dezember 1975 unter dem Vorwand, einen Bürgerkrieg zu beenden, ein. Wie später bekannt wurde, hatte Indonesiens Geheimdienst die Führung der UDT zum Putsch gegen die Fretilin-Regierung angehalten.

Die Angst vor gewaltsam ausgetragener Rivalität zwischen den Parteien wirkt in der Bevölkerung bis heute nach; die Erfahrung mit einem Mehrparteiensystem war bislang von kurzer Dauer und endete in dem sechswöchigen Bürgerkrieg. Hartnäckig halten sich auch heute immer wieder Gerüchte, die UDT könnte erneut versuchen, sich an die Macht zu putschen. Dabei war die alte Partei die große Verliererin bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung am 30. August 2001. Sie erzielte nur 2,4% der Stimmen und verfügt über zwei Sitze im Parlament.

Die Furcht vor Spaltung und politischer Gewalt sowie die anhaltenden Gerüchte hierzu sind Ausdruck dessen, wie sehr dieses Kapitel als eines der dunkelsten im Bewusstsein der Osttimoresen Eingang gefunden hat. Die von den Parteien damals begangenen Verbrechen sind bislang nur marginal thematisiert worden: die 24-jährige Besatzung durch Indonesien und die damit einhergehende Einigung des Widerstandes hat die Aufklärung und Aufarbeitung dieses Kapitels in den Hintergrund treten lassen. Die Timoresen haben nie die Möglichkeit gehabt, offen über die schrecklichen Ereignisse des August 1975 zu reden. Das nährt Gerüchte, Halbwahrheiten, Anschuldigungen und Lügen und birgt eben auch das Potential der Spaltung, erklärt Aniceto Guterres Lopes, Vorsitzender der osttimoresischen Wahrheitskommission (CAVR) /CAVR: Media Release, 9.12.2003/.

Vom 15.-17. Dezember 2003 lud die Wahrheitskommission in Dili Vertreter der alten Parteien zu einer Anhörung über den politischen Konflikt 1974-1976 ein. 13 Politiker, darunter Xanana Gusmão, José Ramos-Horta, Mari Alkatiri und Mario Carrascalão, folgten der Einladung. Aus Portugal sagte der letzte Gouverneur Portugiesisch-Timors, Generalmajor Lemos-Pires, per Videokonferenz aus.

Als Experte wurde der frühere Konsul Australiens, James Dunn, gehört. Auch Überlebende der Gewalt dieser Periode hatten Gelegenheit auszusagen. Bereits im November hatte die CAVR speziell für die Opfer der damaligen Verbrechen eine Anhörung durchgeführt. Im Mittelpunkt der jetzigen stand die Reflektion der Periode durch die Politiker, ihre Verantwortung für die Gewalttaten und die Bitte um Vergebung sowie ihre daraus gelernten Lektionen zum Wohle Osttimors heute und in Zukunft.

Das Interesse der Bevölkerung war sehr groß. Die Aussagen kamen den Politikern nicht leicht über die Lippen. „Ich weiß, es war falsch. Aber er hatte meinen Bruder getötet. Ich verlor die Kontrolle. Ich habe ihn nicht getötet, aber zweimal schwer verprügelt“, gestand Osttimors Innenminister Rogério Lobato ein und bat die Gesellschaft und die Familie des Opfers um Verzeihung. Als Falintil-Kommandant hatte er damals für die Gewalt eine moralische Verantwortung gehabt, aber er könne nicht die Verantwortung für Taten übernehmen, die Einzelne 1975 begangen hätten. Er habe niemals die Anordnung gegeben, Gegner der Falintil zu töten. Dies sei ohne sein Wissen geschehen und für undiszipliniertes Verhalten anderer könne man ihn nicht verantwortlich machen. /Timor-Leste International and Local Media Monitoring Dec 18, 2003, Suara Timor Leste: Rogerio Lobato not responsible for violence in 1975/

Als Premierminister Mari Alkatiri sein Zeugnis mit der Aussage, er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen und sei zum damaligen Zeitpunkt weder Präsident noch Sekretär der Fretilin gewesen, beendete, nahm in der Kommissionär José Estevão ungeduldig ins Kreuzverhör und warf ihm fehlende Courage vor: „Ich möchte von Ihnen hören, als ein Führer der Fretilin, ob die Partei Menschenrechte verletzt hat.“ Beim Einmarsch der indonesischen Armee hatte die Fretilin Gefangene entgegen des Protestes des Internationalen Roten Kreuzes mit sich in die Berge genommen. Ihre Leichen sowie die von anderen Gefangenen aus lokalen Gefängnissen, wurden Anfang 1976 in Aileu und Same in Massengräbern gefunden. Darunter waren Führer der UDT und der Gründer der Partei     Apodeti.

“Ich sage nicht, dass die Leute sich selbst getötet haben. Aber ich weiß nicht, wer es tat. Angesichts des Kontextes akzeptiert Fretilin die Verantwortung dafür“, so die Antwort von Mari Alkatiri. Als Alkatiri und mit ihm andere Exilleute seiner Partei nach dem Referendum 1999 nach Osttimor zurückkehrten, entschuldigte er sich für die vergangenen Menschenrechtsverletzungen, die von seiner Partei begangen worden sind. Aber es hat bislang keine unabhängige Untersuchung stattgefunden. Zwar hatte Alkatiri das Land vor den Tötungen verlassen, dennoch glauben viele, dass die jetzige Führerschaft sehr wohl über die Identität der Täter Kenntnis hat. Dagegen räumte der frühere Präsident der Fretilin, Xavier do Amaral, offen ein: „Wir waren mitten im Krieg, wir hatten keine Trans-portmöglichkeiten, weder Medizin noch ausreichend Essen. Einige der Gefangenen waren ernsthaft erkrankt. Wenn wir sie hätten leben lassen, so wären sie unserem Feind, der sie hätte gegen uns verwenden können, in die Hand gefallen. So trafen wir die Entscheidung, sie zu töten. Es war eine gemeinsame Entscheidung, die auf jeder Ebene der Führerschaft getroffen wurde.“ /Asia Times, 23.12.2003, Jill Jolliffe: East Timor faces historic wrongs/

Xavier do Amaral war 1977 vom Zentralkomitee der Fretilin des Hochverrates verurteilt und als Präsident abgesetzt worden. Um die Bevölkerung in seiner Region Turiscai vor den Gräueltaten der indonesischen Armee zu schützen, hatte er versucht auf lokaler Ebene Truppenreduzierung und Waffenstillstand zu verhandeln. In gleicher Weise handelte      Aquiles Soares, der traditionelle Führer in Quelicai. Zusammen mit drei Männern seiner Gruppe wurde er nahe dem Ort Vermasse von Fretilin-Befehlshabern exekutiert. Xavier do Amaral hingegen ließ man am Leben; er wurde 12 Monate lang von einer Einheit zur anderen  weitergereicht und letztlich von indonesischen Truppen bei einem Angriff gefangen genommen. Nach seiner Entmachtung kam es in den Reihen der Fretilin zu Säuberungen. Dazu sagten Augenzeugen bei der CAVR-Anhörung zu Massakern im November aus. Es hieß, Amaral sei ein Verräter und zahlreiche Leute wurden von Falintil gefangengenommen und verprügelt, so Domingos Maria Alves. „Am nächsten Tag wurden 6 Leute aufgefordert, ein Grab auszuheben, um die Gefangenen, die getötet werden sollten, zu beerdigen. Zur Mittagszeit ließen sie 20 der Gefangenen in einer Reihe Aufstellung nehmen und wählten dann 10 davon aus.“ Die Gefangenen wurden aufgefordert zu beten, ihre Augen zu schließen und wurden dann erschossen.

Beide Parteien töteten nicht nur gefangene Mitglieder anderer Parteien, oder wie im Falle der Fretilin auch aus den eigenen Reihen, sie machten auch vor kollektiver Bestrafung der Bevölkerung nicht halt. Angelo Araujo Fernandes sagte aus, wie Fretilin-Mitglieder ins Dorf kamen und ihn zusammen mit seinem Vater, zwei seiner Brüder und 5 weiteren Freunden gefangen nahmen. Die Gefangenen wurden zum Rande einer Schlucht gejagt, wo auf sie geschossen wurde, bis sie tot hinab stürzten. Angelo überlebte als einziger und es gelang ihm zu fliehen. „Aber sie kamen zurück und sie erschossen meine ganze Familie und Verwandten, insgesamt 37 Menschen (...) einschließlich Kinder und schwangerer Frauen. Ich möchte wissen, wer hat diese Leute geschickt meine Familie zu töten? Warum haben sie sie geschickt? Ich kann meinen Kindern nicht sagen, wer ihre Großeltern getötet hat.“

Mateus Soares ein weiterer Augenzeuge der Gewalt von 1975, sagte bei der Anhörung der CAVR im November aus, wie er ein Massaker an Fretilin-Mitgliedern durch die UDT, die die Annexion Indonesiens befürwortete, überlebte. Die 11 Mitglieder der Fretilin wurden gefoltert und dann mit Speeren gezwungen in eine Schlucht zu springen. Zusammen mit drei anderen überlebte er. Florentino de Jesus Martins berichtete von einer Exekution von Fretilin-Mitgliedern durch die UDT im Ermera Distrikt im August 1975. In Vierer-Gruppen wurden sie weggebracht und erschossen. Nachdem von 75 Gefangenen nur noch etwa 30 Gefangene übrig waren, hörte das Töten auf. Möglicherweise, so Florentino, weil die UDT-Leute  Nachricht erhielten, dass Falintil Truppen auf dem Weg waren. Als diese ankamen und von den Tötungen hörten, haben sie „darauf hin UDT Mitglieder gefangen genommen und sie gefesselt...schlussendlich wurden viele von ihnen auch getötet.“ /CAVR UPDATE, October-November 2003; Appendix: Massacres – CAVR National Public Hearing, 19-21 November 2003/

João Carrascalão war zum damaligen Zeitpunkt einer von drei Führern der UDT. Er hält den Zeitpunkt für eine Anhörung nicht für richtig. „Es wurden zu dieser Zeit schreckliche Verbrechen begangen und einige der Menschen erinnern sich noch daran, haben gesehen, wie ihre Mütter getötet wurden. Es ist sehr schmerzhaft für sie, daran erinnert zu werden“ /Radio Australia, 16.12.2003: East Timor: Reconciliation hearing seeks to resolve bitter past/. Schon Monate zuvor hatte Carrascalão sich gegen Anschuldigungen, seine Partei hätte damals geputscht oder hätte einen Putsch zum jetzigen Zeitpunkt vor, verwehrt. In einer Pressekonferenz erklärte er, der Putsch hätte damals stattgefunden, weil nicht etwa die UDT um die Integration in die Republik Indonesiens nachgefragt hätte, sondern Portugal. Die UDT habe eine anti-kommunistische Demonstration gegen die kommunistische Doktrin der Fretilin durchgeführt, aber keinen Putsch. /UNMISET, Local Media Monitoring, 12.08.2003/

Der Bürgerkrieg sei ausgelöst worden durch die Supermächte und den Kalten Krieg, und das hätte den Weg für die indonesische Invasion bereitet, so Außenminister José Ramos-Horta. Er sei nicht hier, um Fretilin oder UDT zu beschuldigen, in jedem Prozess gäbe es weder Schwarz noch Weiß, die Wahrheit läge dazwischen. Gleichwohl entlastet Mari Alkatiri die Vereinigten Staaten: Der Bürgerkrieg sei durch interne und externe Faktoren, wie die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Lissabon und Jakarta provoziert worden. Das Eintreten Canberras hätte die Dinge dann noch verkompliziert. Washington hätte zur damaligen Zeit nicht mal gewusst, wo Osttimor überhaupt liegt. Aus diesem Grund hätte Washington Jakarta grünes Licht zur Invasion gegeben. /Timor-Leste International and Local Media Monitoring, 17.12.2003/

Amerikas Botschafter in Osttimor, Joseph Rees, muss dies dankbar zur Kenntnis genommen haben und betonte, dass sein Land nicht bei der Invasion Indonesiens in Osttimor beteiligt gewesen sei. Im Gegenteil, man hätte mit den Osttimoresen sympathisiert. Er sei zu der Zeit noch ein junger Mann gewesen und erinnere sich nur, dass es in den USA viele Diskussionen über die kommunistische Bewegung in Osttimor gab. / Timor-Leste International and Local Media Monitoring, 23.12.2003/

Der ehemalige portugiesische Gouverneur Mario Lemes Pires räumte ein, dass es seiner Regierung am politischen Willen zu einer verantwortlichen Dekolonisierung Osttimors gefehlt habe. Sein Problem sei gewesen, dass er zum fraglichen Zeitpunkt alleine stand und Portugal Osttimor über die Probleme im eigenen Land, die Revolution und die Dekolonisierung in Afrika nahezu vergessen hatte. Er rechtfertigte den Rückzug nach Atauro damit, er hätte einen Guerillakrieg gegen die portugiesische Regierung in Osttimor zu verhindern gehabt. José Ramos-Horta strich Lemes Pires Rolle lobend hervor: Er sei zum Sündenbock gemacht worden, „ein Opfer des Prozesses“, und fügte hinzu, dass Portugal am Ergebnis keine Schuld träfe. Lobato, zu dem Zeitpunkt ein junger Offizier in der Kolonialarmee, hält dagegen, dass die Portugiesen, statt sich zurückzuziehen, die Ordnung hätten wieder herstellen können. „Wir sagten dem Gouverneur, wenn er dies täte, würden die timoresischen Soldaten ihn dabei unterstützen.“ /Asia Times, 23.12.2003, Jill Jolliffe: East Timor faces historic wrongs/

Überhaupt, so waren sich alle Experten einig, sei das Verhalten der unerfahrenen osttimoresischen Politiker unerheblich gewesen, angesichts Indonesiens längst geplanter Annexion.

Die meisten der Zeugen, resümiert die anwesende Journalistin Jill Jolliffe, verteidigten die Version ihrer Partei zum Bürgerkrieg, sie alle baten formal um Vergebung. Doch von Ausnahmen abgesehen waren die Fehler, die sie einräumten – wie das Schüren von Intoleranz und der Verlust der Selbstkontrolle –, so generell, dass sie bedeutungslos blieben. Sie vermieden es, tatsächlich Verantwortung zu übernehmen und nutzten statt dessen die Gelegenheit für eine symbolische Schau der Versöhnung. Am Ende umarmten sich alle, klopften sich die Schultern in der Hoffnung, damit die Erinnerung an die brudermörderische Gewalt wegwischen zu können. /Asia Times, 23.12.2003, Jill Jolliffe: East Timor faces historic wrongs/

Insgesamt gesehen scheint die Anhörung wenig zur Aufklärung der Hintergründe und Ursachen des Bürgerkrieges beigetragen zu haben. Man suchte den Konsens und fand ihn: Schuld an alledem waren die Umstände. <>
 
 
 

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