Indonesien-Information Nr. 1/2004 (Umwelt)

 

Gewalt als Folge von Landrechtkonflikten

Der Fall Bulukumba

von Marianne Klute


Im Juli 2003 erreichte uns ein Hilferuf aus Sulawesi, den wir mit einigen Hintergrundinformationen versehen über E-mail weiterleiteten. Fünf Tote hatte ein Polizeieinsatz am 21. Juli 2003 gefordert, der sich gegen eine Protestaktion im Bezirk Bulukumba in Südsulawesi ereignete. Bauern hatten dort gegen die Enteignung ihrer Ländereien demonstriert. Auch Monate nach dem blutigen Vorfall schwelt der Konflikt noch weiter. Der Fall scheint sich für die Bauernbewegung seither zu einem zweiten „Kedung Ombo“ zu entwicklen: arme Kleinbauern und Landlose, mit starker Unterstützung von NGOs, gegen Großgrundbesitz und Staat.
 

Bauern aus dem Bezirk Bulukumba, gut 200 km von Makassar entfernt, forderten seit dem Frühjahr 2003 mit Eingaben und Sitzstreiks bei den Behörden die Rückgabe ihres angestammten Landes. Es handelt sich um etwa 500 Hektar, das die Plantagenfirma PT Perusahan Perkebunan London Sumatra Indonesia Tbk. (LonSum) in Gummiplantagen umgewandelt hat. Die Bauern behaupten, es handele sich um traditionelles, widerrechtlich enteignetes Land. Etwa1.000 bis 1.500 besetzten am 21. Juli um 8 Uhr morgens, ausgerüstet mit Motorsägen und Waffen, die Plantage und das Büro von LonSum. Mit der Demo wollten sie die Freilassung von drei Gefangenen erreichen, die im Vorfeld verhaftet worden waren. Als die Bauern begannen, Gummibäume zu fällen, griff die Polizei, darunter nach einem Untersuchungsbericht von Walhi auch Angehörige der Mobilen Brigaden (Brimob), ein und schoss in die Menge. Vier Menschen starben. Einer von ihnen erlag am folgenden Freitag den Folgen einer infizierten Schusswunde, die im Gefängnis nicht behandelt worden war.

Nach Aussagen der Polizei war sie gezwungen zu schießen, um die demonstrierenden Bauern auseinander zu treiben. Der diensthabende Polizist Situmorang behauptete, eine Gruppe von hundert Demonstranten hätte die anrückende Polizei mit Steinen angegriffen. Polizei riegelte tagelang das Gelände ab, so dass Angehörige ihre Verletzten und Toten nicht bergen konnten. Auch dem Roten Kreuz wurde der Zugang verwehrt. Verletzte im Gefängnis erhielten viel zu spät medizinische Hilfe. Besonders dieses menschenverachtende Verhalten und die folgende wochenlange Hetzjagd der Polizei auf Bauern und NGOs riefen nationalen und internationalen Protest hervor. Ein Monitoringteam der Nationalen Menschenrechtskommission Komnas HAM reiste im Juli nach Sulawesi. Sein Bericht, erstellt während des Beobachtungszeitraums Juli-Dezember 2003, liegt der Öffentlichkeit noch nicht vor. Der Forderung nach einem mit weitergehenden Kompetenzen versehenen Komnas HAM-Untersuchungsteam zur Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen wurde bisher nicht staatgegeben.

Die Polizei von Bulukumba und andere offizielle Stellen geben an, Aktivisten, insbesondere der NGO Yayasan Pendidikan Rakyat, würden ihren Vorteil aus dem Landrechtkonflikt ziehen und die Menschen für politische Zwecke missbrauchen. Sie hätten die Bauern aufgewiegelt und ihnen völlig unbegründet Land versprochen. Auf den LonSum-Plantagen gebe es kein Adat-Land (i.e. traditionelles Landbesitzrecht). Auch nach Darstellung des Plantagenbetreibers LonSum handelt es sich um unbegründete Ansprüche. Doch die Tatsache, dass Brimob-Polizisten zur Niederschlagung der protestierenden Bauern eingriffen, legt den Verdacht nahe, dass LonSum etwas zu verbergen hat.

Gegen die NGO-Aktivisten fuhr die Provinzpolizei von Südsulawesi hartes Geschütz auf. Sie drohte, sie sollten sich innerhalb von 24 Stunden ergeben, und erließ Haftbefehl wegen Aufwiegelung gegen 24 Personen. Nach zwei Wochen Jagd und Bedrohung von Bauern und NGOlern wurde ein Sündenbock gefunden. Iwan Salessa, Mitglied der Wahlbeobachtungskommission KPU Bulukumba, wurde als Provokateur in Haft genommen. Die Polizei opferte mehrere Kollegen, unter ihnen besagten Situmorang. Sie wurden verhaftet und wegen undisziplinierten Verhaltes bestraft. Doch die Festnahmen bedeuteten keineswegs die überraschende Wendung, sondern dämpften nur die starke Kritik an den Polizeimethoden. Die im Juli verhafteten Bauern sind noch immer im Gefängnis.

Die Brutalität der Polizeiaktion hatte zur Folge, dass sich landesweit viele NGOs mit den Bauern solidarisierten, u.a. Walhi, Elsam, LBH und Yappika, zusammengeschlossen in Solidaritas Nasional Untuk Bulukumba (SNUB). Durch diese Unterstützung wurden die Bauern gestärkt. Sie schlossen sich zu Vereinigungen zusammen, deren Ziel die Wiederbelebung des Adat ist, zum Beispiel der Allianz der Adat-Bevölkerung von Kajang, Aliansi Masyarakat Adat Kajang (AMAT), und der Bauernvereinigung von Kajang, Serikat Petani Kajang (SPK). Mehrmals besetzten sie tagelang in traditioneller schwarzer Kleidung staatliche Ämter, zuletzt Anfang Februar das Provinzparlament. Sie verlangten die Bildung einer Kommission zur Überprüfung von Nutzungsrechten und die Schließung von LonSum.
 
 

PT Perusahan Perkebunan London Sumatra Indonesia Tbk. (LonSum)

ist einer der wichtigsten und ältesten Plantagenbetreiber und ein bedeutender Exporteur von Palmöl. Hauptprodukte sind Palmölfrüchte (75% vom Gesamtumsatz), dazu kommen Gummi, Tee, Kakao und Kaffee. Über ganz Indonesien verstreut besitzt LonSum 22 Plantagen. Früher in britischem Besitz, gehört LonSum seit 1994 Andry Pribadi von der Napan Group, Ibrahim Risjad von der Risjadson Group und Henry Liem. (Die Napan Group, mit Verbindungen zum Suhartosohn Bambang Trihatmodjo und zur Barito-Gruppe, kam 1999 unter die Kontrolle der indonesischen Treuhand, IBRA.) Zweitgrößter Shareholder von LonSum ist die Commerzbank (5,83%, Mai 2003). 1996 erlangte LonSum von einem Bankenkonsortium neue Kredite in Höhe von 197 Mio. US$. Zu den Kreditgebern gehören außer der Commerzbank auch die HypoVereinsbank und die Dresdner Bank. 1998 geriet LonSum in große Schwierigkeiten, konnte wegen der Krise die hohen Schulden nicht zurückbezahlen und erlitt wegen des zeitweiligen Verbots (1998), Rohpalmöl zu exportieren, Verluste. Die Gesamtschulden sollen sich immer noch auf fast 300 Mio. US$ belaufen. /Description of the Napan and Risjadson Groups, 2003/

Der Fall Bulukumba zeigt, wie kompliziert Landrechtsprobleme sind, wenn traditionelles Gewohnheitsrechts auf Staatsrecht prallt. Es geht um die Frage, ob LonSum, der Betreiber der Gummiplantage, widerrechtlich Land nutzt, auf das die Bauern Anspruch erheben. Die Wurzeln des Disputes liegen tief, in alten Feudalstrukturen und in der Beschaffungspraxis der Suharto-Dynastie. Die Frage „Adatland oder nicht“ ist schwierig zu beantworten, wenn keine Dokumente vorliegen und die Behörden nur über unzuverlässige Daten verfügen. Fest steht, dass LonSum zum Teil die Plantagen auf altem „Fürstenland“ („Junkerland“?, d. säzzer) errichtet hat, das ist ungenutztes Land, das nach 1945 in Staatsland umgewandelt wurde oder von den adeligen Familien an LonSum verpachtet wurde. Zum Teil handelt sich sich um Land, das in den 80er Jahren mit Hilfe des Militärs enteignet wurde, oder um Bauernland, auf dem die Bauer selbst Gummi angepflanzt haben. Notarielle Dokumente belegen außerdem, dass LonSums Nutzungsrecht für einige Grundstücke 1998 abgelaufen oder in Zukunft nicht verlängerbar ist.

Die Bauern von Bulukumba erscheinen wie Helden einer wiedererwachten Bauernbewegung, die sich mit der Agrarreformbewegung der 50er und 60er verbunden fühlt. Walhi kann der neuen Bewegung eine gewisse Radikalität nicht absprechen. Einige NGOs sind auf diesen Zug aufgesprungen. Die Politisierung dieses Konfliktes, auf den die Sicherheitskräfte nur mit Drohungen und Verhören antworten, sorgt für Dauerzündstoff. Wie in vielen Gebieten Indonesiens als Reaktion auf die Uniformität der Suhartozeit zu beobachten ist, betonen die Bauern von Bulukumba ihre Adatwurzeln, eine bewusste Hinneigung zu Traditionen.

LonSum arbeitet, wie in Indonesien üblich, seit langem eng mit staatlichen Sicherheitskräften zusammen. Betroffene berichten von Vertreibungen und Bedrohungen, seit LonSum in den 80er Jahren die ersten Plantagen angelegt hat bis in die Gegenwart. Es ist augenscheinlich, dass die Bevölkerung der Dörfer um Bulukumba äußerst arm ist. Viele haben ihre Heimat aus Armut und auch aus Angst verlassen müssen und sind nach Malaysia emigriert.

Der Konflikt in Bulukumba ist Monaten nicht gelöst. Jakarta hat offensichtlich kein Interesse daran, ein Signal zu setzen, dass die Staatsgewalt Wirtschaftunternehmen nicht gegen Demonstranten schützen kann. Wenn die Wirtschaftspolitik auf Großprojekte setzt, die von Krediten abhängig sind, haben die Interessen der Unternehmen Vorrang vor Menschenrechten. Die Eskalation von Gewalt wird dabei einkalkuliert. Bulukumba ist ein Fallbeispiel der Eskalation von staatlicher und militärischer Gewalt zum Schutz von Großunternehmen, eine direkte Folge der investorfreundlichen Politik Indonesiens.

Bulukumba demonstriert auch, wie die Industriestaaten in Indonesiens Probleme verwickelt sind. Deutsche Banken sind Anteilseigner und Kreditgeber. Mit ihrer Hilfe wurde Land enteignet, ob nun brachliegend oder in Bauernhand. Soziale Strukturen wurden zerstört, für riesige Flächen von ökologisch bedenklichen eintönigen Latex- oder Palmölplantagen. <>
 

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