Indonesien-Information Nr. 1/2004 (Aceh)

 

Aceh hat ein Frauenproblem

Interview mit Suraiya Kamaruzzaman über Aceh und Präsidentin Megawati *


Watch Indonesia!: Setzt sich Megawati als Präsidentin für die Interessen der Frauen ein, und wenn ja, wie?

Suraiya Kamarzzaman: Seit ihrer Zeit als Parteiführerin der PDI-P hat sie kein Wort über Frauenfragen verlauten lassen, auch als Präsidentin nicht. Als eine Frauenquote von 30 % für die Abgeordnetenlisten zur Diskussion stand, stellte sich Megawati dagegen. Sie lässt als Qualifikation nur Leistung und Ausbildung gelten. Angesichts der Ungleichheit zwischen beiden Geschlechtern brauchten wir aber im Moment ein Quotensystem. Megawati tut nichts für die Frauen und wenn spezifische Themen hierzu aufgeworfen werden, engagiert sie sich nicht.

Megawati hatte zu Beginn ihrer Präsidentschaft das Ziel, den Aceh-Konflikt zu lösen. Was halten die     Acehnesen heute von ihrer Politik?

Ich kann nicht für die Bevölkerung Acehs sprechen, sondern nur für mich selbst. Megawati versprach bei ihrer Wahl, dass sie den Aceh-Konflikt lösen werde, aber bis heute kümmert sie sich nicht darum, sondern schickte Truppen und rief das Kriegsrecht aus. Dabei weiß sie selbst aus eigener Erfahrung, wie es ist, vom Militär angegriffen zu werden: Ihr eigenes Büro wurde überfallen und Anhänger verschwanden. Aber daraus hat sie nicht gelernt. Gewählt wurde sie mit Hilfe der Militärs, und nun muss sie sich damit auseinandersetzen: Anders als unter Präsident Gus Dur ist das Militär wieder stark und hat hohe Positionen inne. Viele Leute glauben, dass sie gelogen hat, als sie während einer politischen Ansprache in Jakarta vor ihrer Wahl 1999 weinte und sagte: Wenn cut nyak Präsidentin wird, wird keiner mehr weinen müssen.

(Anmerkung: cut nyak ist ein weiblicher Ehrentitel in Aceh. Suraiya merkte an, dass dieser Titel Megawati nicht von der Bevölkerung verliehen wurde, sondern sie sich selbst anmaßte, sich so zu bezeichnen.)

Partizipieren Acehnesinnen am Unabhängigkeitskampf oder sind sie „nur“ indirekt über männliche Verwandte involviert? Welche Positionen nehmen sie ein und wie stehen sie zu der Rolle des Islam?

Einige Frauen engagieren sich wegen ihrer männlichen Familienangehörigen, andere wenige werden Mitglied von GAM (Free Aceh Movement) in der inong balee-Sektion (Witwen-Sektion). Diese inong balee-Sektion basiert auf der Idee von 2.000 weiblichen Kämpferinnen (Marine), die vor der indonesischen Unabhängigkeit in solchen Verbänden kämpften. Es gibt eine lange Geschichte von starken Herrscherinnen und militärischen Führerinnen in der Geschichte von Aceh. GAM drängt Witwen dazu, Rache zu üben. Die Frauen sollen laut GAM-Propaganda als Spioninnen und auch im Kampf tätig sein. Die von GAM veröffentlichten Propagandabilder von Kämpferinnen zeigen aber deutlich, dass die getragenen Waffen viel zu schwer für die Frauen sind.

Bezüglich der Rolle des Islam verfolgen die Frauen in der GAM prinzipiell keine islamischen Ziele. Sie wollen im Falle der Unabhängigkeit keinen islamischen Staat in Aceh errichten. Dies ist ein großer Unterschied zur Bewegung vor der indonesischen Unabhängigkeit unter Sukarno als der islamische Staat ein erklärtes politisches Ziel war.

Was sind die Perspektiven für ein  unabhängiges Aceh (Staats- und Wirtschaftstrukturen)?

Als Zivilperson ohne Bezug zur GAM weiß ich nicht, welche Strukturen die GAM für ein unabhängiges Aceh vorsieht. Als die Scharia eingeführt wurde, kam es sofort zu Rufen nach einem Kopftuch-(jilbab-)Gebot, was von den Führern der GAM auch in den Medien unterstützt wurde. Wir von der Frauenbewegung fürchten, dass unter einer Regierung der GAM Frauen „domestiziert“ werden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das jilbab-Gebot dazu führte, dass Frauen ohne jilbab wie Chinesinnen angesehen werden. Es wird von acehnesischen Frauen erwartet, dass sie sich nach den Regeln der Männer richten – chinesische Frauen werden in dieser Hinsicht als freier angesehen. D.h., wir haben hier auch noch eine ethnische Färbung. Auf einer Konferenz im Jahre 2000 in den Niederlanden wurde ich einem Aktivisten aus Aceh vorgestellt, der mir – obwohl unbekannt – sofort meinen Pulloverärmel über das Handgelenk zog mit dem Kommentar, dass ich als Acehnesin meinen Körper bedecken müsse. Ich zog meinen Ärmel zurück und sagte ihm, dass er noch lange kein Recht habe, nur weil ich eine Frau bin, über mich zu bestimmen, und begrüßte dann weitere Männer.

Unsere Geschichte starker Frauen wird von offizieller Seite instrumentalisiert: Bei offiziellen Treffen wird immer wieder gesagt, dass Aceh in seiner fünfhundertjährigen Geschichte kein Frauenproblem hatte. Ich überlegte lange, wie ich darauf antworten könnte und sagte: Heute hat Aceh     aber ein Frauenproblem.

Vergewaltigung wird als Kriegswaffe benutzt. Was geschieht mit diesen Frauen (z.B. gesellschaftlicher Ausschluss wie in Bangladesch und Osttimor)?

Seit fünf bis zehn Jahren gibt es ein grundsätzlich neues Verhalten, seit die Massenvergewaltigungen öffentlich bekannt wurden. Viele ulamas (Religionsgelehrte) aus Aceh erklärten in einer fatwa, dass die vergewaltigten Frauen Opfer sind, was zu einer positiven Akzeptanz bei der Bevölkerung führt. Allerdings ist dies abhängig von der Art und dem Ablauf der Vergewaltigung: akzeptierte Opfer sind Vergewaltigungsopfer militärischer An- und Übergriffe. Werden die Frauen auf der Suche nach inhaftierten männlichen Familienangehörigen oder bei Arbeiten für das Militär Opfer sexueller Übergriffe, werden sie als „leichte Mädchen“ angesehen. Selbst wenn keine offizielle Zurückweisung erfolgt, wissen wir, dass viele Frauen von ihren Ehemännern eine emotionale Zurückweisung erfahren. Die Männer distanzieren sich emotional und sexuell, weil sie damit nicht umgehen können.

Häusliche Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe sind juristisch kein Delikt und existieren offiziell nicht. Vergewaltigung durch andere Familienmitglieder und Freunde ist aber sehr weit verbreitet und hat in den letzten Jahren des Konfliktes immens zugenommen. Der Konflikt führte zu verstärkter Gewalt gegenüber Frauen, aber auch zu einer höheren Scheidungsrate, vermehrt verlangt von Frauen aufgrund häuslicher Gewalt.

Was halten Bevölkerung und NGOs von Megawatis Führungsqualitäten (Effizienz, Management)?

Wie wurde Megawati zur Führungsperson? Erstens wegen ihres Vaters Sukarno, der bis heute sehr berühmt ist. Megawati konnte diese Position erreichen, obwohl sie keine formale Erziehung und nicht einmal einen Drang hat zu lernen, sich fortzubilden. Zweitens und am wichtigsten: Megawati ist von Anfang an von verschiedenen Gruppen wie dem Militär (aktive und Offiziere a.D.) benutzt worden – nicht nur wegen ihres Namens, sondern vor allem zu politischen Zwecken. Dabei gab es ein familiäres Abkommen unter den Kindern Sukarnos, die politische Reputation des väterlichen Namens nicht zu nutzen – bis auf Megawati hielten sich alle anderen Geschwister daran. Megawati aber genoss ihre neue öffentliche Rolle und fühlte sich plötzlich sehr wichtig. Eine wichtige Rolle spielte und spielt dabei auch ihr Ehemann, der eigentlich dahinter steckt und – im Gegensatz zu ihr – eigene politische Interessen verfolgt. Es ist faszinierend, wie die mit Mängeln behaftete Megawati zu ihrer Position kam, obwohl sie keine Redequalitäten hat. Trotzdem ist Megawati die Symbolfigur der kleinen Leute, die viele der PDI-P-Mitglieder ausmachen. Viele Pluspunkte erhielt sie 1995, als sie auf dem Parteitag in Medan aufgrund einer offensichtlichen Intrige der Suharto-Regierung geschasst wurde. Der Überfall auf die PDI-P 1996 in Jakarta mit seinen vielen Opfern führte dazu, dass Megawati ab dann die Gegnerschaft zur Suharto-Diktatur personifizierte.

Im Moment sieht sich Indonesien, unabhängig davon, wer PräsidentIn ist, sehr schwierigen Aufgaben gegenüber, aber das darf kein Grund dafür sein, dass man eine Unfähige zur Präsidenten macht. Verteidiger und Freunde von Megawati behaupten, dass ihre Zurückhaltung und ihr Schweigen Teil ihrer politischen Strategie seien. Analysten und Beobachter wie ich gehen aber davon aus, dass ihre Zurückhaltung Ausdruck fehlender Ideen ist. Als Gus Dur Präsident und Megawati seine Vize war, hat er einmal zum Spaß gesagt: Indonesien wird von einem Blinden und einer Stummen regiert. Das Schweigen von Megawati ist nicht auf ihre politische Strategie, sondern auf ihre Unfähigkeit zurückzuführen. Ein Beispiel aus dem letzten Jahr, als in der Öffentlichkeit die Todesstrafe für Drogendelikte diskutiert wurde: Megawati verlas dazu eine öffentliche Stellungnahme als Präsidentin und befürwortete die Todesstrafe, da sie die Jugendlichen vor Drogenkonsum schütze. Als ein Journalist fragte, ob sie ebenfalls die Todesstrafe bei schwerer Korruption befürworte, kam sie bei ihrer Antwort, da ohne Textvorlage, ins Straucheln. Ihre Antwort bewies ihre Konzeptlosigkeit und Dummheit: Sie sagte, wenn sie als Präsidentin dafür die Todesstrafe befürworte, würde sie sich Menschenrechtsvergehen schuldig machen.

Wird sie als Führungspersönlichkeit akzeptiert? Wie würden Sie ihren Führungsstil und ihr Verhalten definieren, wie ihre Stellung als weibliches Staatsoberhaupt in einem muslimischen Land (z.B. im Vergleich mit Benazir Bhutto als Ministerpräsidentin)?

Es ist dem Volk egal, ob Megawati, eine Frau, Präsidentin ist. Als sie Vizepräsidentin wurde, war das noch anders. Selbst der heutige Vizepräsident Hamzah Haz, der früher gegen ihre Ernennung zur Präsidentin war, änderte seine Meinung. Das Geschlecht ist egal – die Menschen messen sie an ihren ökonomischen Konzepten und wirtschaftlichen Verbesserungen – auch andere (männliche) Präsidenten vor ihr waren inkompetent wie sie jetzt.

Wie bereits gesagt, kümmert sich Megawati nicht um Aceh. Zu Beginn ihrer Präsidentschaft besuchte sie eine wichtige Moschee in Banda Aceh, wo sie nach zehn Minuten von einem Studenten unterbrochen wurde, der ihr vorwarf, die Anliegen der Bevölkerung Acehs nicht zu verstehen. Megawati bekam einen Wutanfall, bezichtigte die Anwesenden der Unhöflichkeit gegenüber ihr selbst als Gast, packte ihre Tasche und ging. Dies zeigt ihre fehlende Sensibilität und Führungsqualität, ihre Unfähigkeit, mit Kritik umzugehen, und das fehlende Wissen über Aceh. Gegner nutzten ihr damaliges Verhalten, um zu belegen, dass Frauen voller Emotionen sind und keine Führungsqualitäten besitzen. Unter ihrer Präsidentschaft werden vermehrt Studenten bei Demonstrationen verhaftet – dies zeigt ihre Unfähigkeit, mit Kritik umzugehen.

Ihre Reden werden geschrieben, und sie wird gelenkt, wobei es schwierig ist, zu sagen, von wem. Teilweise sicherlich von ihrem Ehemann, vor allem in Sachen Wirtschaft. Ihr Ehemann ersetzt mit seinen Wirtschaftsverbindungen bereits teilweise den Suharto-Clan. Wie ihr Mann steht Megawati hinter Privatisierung und Globalisierung und ist sehr Amerika-freundlich, obwohl ihr Vater Sukarno selbst anti-amerikanisch eingestellt war. Indonesien wird ausverkauft! Zudem wird Megawati auch von Teilen des Militärs gelenkt.

Wird sie bei der kommenden Wahl wieder gewählt werden?

Wenn die PDI-P die Wahlen gewinnt, wird Megawati auf jeden Fall Präsidentin. Aber die PDI-P wird nicht gewinnen, und die nächsten Wahlen werden eine von den Parlamentswahlen unabhängige Direktwahl des/der Präsident/in sein. Letztendlich entscheidet darüber das Militär, das aufgrund der bisherigen erfolgreichen Zusammenarbeit sehr an Megawati interessiert sind. Die Frage ist, wer Vizepräsident wird. Für die Frauenbewegung ist ihre Präsidentschaft ein Verlust, da es keine positiven Folgen für die Frauen durch eine Präsidentin gibt – dies ist abhängig von den Personen hinter Megawati. <>
 

* Die Fragen stammen von Ricarda Gerlach und Andrea Fleschenberg. Das Interview führte Andrea Fleschenberg am 2. November 2003 in Duisburg im ersten Teil auf Englisch und später auf Indonesisch-Deutsch mit Übersetzung von Marianne Klute.
 
 

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