NSuraiya Kamaruzzaman, von der Frauenorganisation Flower Aceh besuchte im Herbst 2003 auf Einladung von Watch Indonesia! Deutschland. Flower Aceh unterstützt traumatisierte Frauen, Kriegswitwen und Frauen in Flüchtlingslagern, führt Menschenrechtstrainings und einkommensfördernde Projekte durch. Die NGO tritt aktiv dafür ein, dass Frauen am Friedensprozess beteiligt werden. Am 10. Dezember 2001 erhielt Suraiya den Yap Thiam Hien-Menschenrechts-preis.
1989, im gleichen Jahr, als Aceh unter Suharto zum militärischen Operationsgebiet, Daerah Operasi Militer, DOM, erklärt wurde, gründeten junge Akademikerinnen Flower Aceh. Anlass für die Gründung waren die offensichtlichen Gender-Unterschiede in der Gesellschaft. Von Anfang an ging Flower von der Prämisse aus, dass die Benachteiligung acehnesischer Frauen soziokulturelle Ursachen hat. Flower begann mit einkommensfördernden Projekten. Doch was in den Dörfern nur 20 km weiter geschah, war aufgrund der Medienzensur und der Reisebeschränkungen kaum bekannt. Während die Presse ausgiebig von den Gräueltaten an Frauen in Bosnien berichtete und Flower Aceh sogar Gelder für bosnische Frauen sammelte, wurden zur gleichen Zeit Frauen aus Aceh selbst Opfer ähnlicher Verbrechen.
Flower Aceh wurde sich mehr und mehr der ganzen Tragweite der Konfliktsituation bewusst. Während der DOM-Zeit (Militäroperation) von 1989 bis 1998 sind mindestens 7.000 Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen. Sehr viele Frauen wurden misshandelt und vergewaltigt und leiden unter posttraumatischen Syndromen. Unter den Militäroperationen litten und leiden vor allem die Frauen, wenn Soldaten auf der Suche nach Rebellen in die Dörfer eindringen und gezielt Frauen quälen. Die Systematik der Militäroperationen war evident: Beispielsweise werden (a) in einem Dorf alle Männer ermordet, die denselben Namen tragen oder (b) Frauen und Männer getrennt, alle Wertgegenstände gestohlen, die Frauen mehrfach vergewaltigt oder in Sippenhaft genommen. Flower Aceh hat die Gewalt gegen Frauen in Aceh dokumentiert und an die Öffentlichkeit getragen, was erst nach 1998 über die Grenzen von Aceh hinaus möglich wurde.
Nach 1998 erfolgte trotz vorübergehender demokratischer Liberalisierung kein Wandel im Konflikt: es gab die gleichen militärischen Übergriffe, keinen Opferschutz oder Opferrehabilitation, und es kam zu keinerlei Strafverfolgung. Die indonesische Zentralregierung deklarierte 2001 einen Sonderautonomiestatus für Aceh und führte per Präsidentenerlass die Scharia ein, obwohl die Scharia nicht von der Bevölkerung eingefordert worden war. Die Frauenbewegung in Aceh war gegen die Einführung des islamischen Rechts, da dies in der Praxis zuerst dazu führt, dass auf Frauen Druck ausgeübt wird. In der Folge kam es tatsächlich zu vermehrten Übergriffen an Frauen und zu verstärkter Diskriminierung.
Aceh ist seit 1999 immer mehr militarisiert worden, die Unabhängigkeitsbewegung
hat Zulauf bekommen und die Fronten haben sich verhärtet. Für
das indonesische Militär TNI ist die Bekämpfung der Unabhängigkeitsbewegung
ein Geschäft: Man profitiert von illegalem Holzhandel, Marihuana-Anbau,
Gasvorkommen (ExxonMobil) und Transitgebühren, die an Straßenblockaden
erpresst werden. Doch auch die Befreiungsbewegung GAM (Gerakan Aceh Merdeka)
hat wirtschaftliche Interessen. Nicht nur die Militärs, sondern auch
die Kämpfer der GAM begehen Gewalttaten an der Zivilbevölkerung.
Daher nehme teilweise die Unterstützung der Bevölkerung für
die GAM ab. Bei den ersten freien Wahlen 1999 war Suraiya Mitglied der
unabhängigen Wahlbeobachtungskommission, und von da an begannen die
Bedrohungen gegen sie. Suraiya hat es immer abgelehnt, Partei zu ergreifen,
weder für oder gegen die Unabhängigkeit, noch für ein Referendum,
weil sie erkannte, dass auch ein Referendum „noch mehr Blut und Krieg“
bedeutet. Ihre Entschiedenheit führte dazu, dass Suraiya heftig angefeindet
und bedroht wurde, was die Arbeit mit den traumatisierten Dorffrauen und
den Menschen in den Flüchtlingslagern gefährdete.
Nach 1999 gab es vermehrt Binnenflüchtlinge, was teilweise von
der GAM forciert war, um den Konflikt zu internationalisieren, und vom
indonesischen Militär genutzt wurde, um der GAM ihre Unterstützungsbasis
in der Zivilbevölkerung abzuschneiden. Viele andere mussten innerhalb
Acehs fliehen, nachdem die Militärs ihre Häuser niedergebrannt
hatten. In den Flüchtlingslagern sind die Menschen aber den gleichen
Gewalttaten ausgesetzt. Frauen erfahren dabei nicht nur staatliche und
militärische Gewalt, sondern auch alltägliche Gewalt und häusliche
Gewalt – mit der Folge zunehmender Abwanderung und Zwangsprostitution.
Die Lage der Frauen von Aceh ist besonders beunruhigend.
In der Situation der verhärteten Fronten wurden auch die wenigen zivilen Kräfte, die mit aller Deutlichkeit auf eine demokratische Entwicklung und auf eine friedliche Lösung des Aceh-Konfliktes setzten, zerrieben. Zu diesen gehörte und gehört bis heute Flower Aceh und vor allem Suraiya selbst. Ein Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Befürwortern eines Referendums zur Frage der Unabhängigkeit war der erste Frauenkongress in Aceh, Inong Balee, Anfang 2000. Hier trat Suraiya als eine der wenigen Fürsprecherinnen einer zivilen und friedlichen Konfliktlösung für Aceh auf. Bevor sie zu politischen oder gesellschaftlichen Entscheidungen Stellung bezieht, prüft sie diese an der Frage: „Dient dies dem Frieden?“
Suraiya betont, dass neue Friedensverhandlungen unter Einbeziehung der
Bevölkerung bzw. der zivilgesellschaftlichen Gruppen aufgenommen werden
müssten. Ihr ist klar, dass ein nahes Ende des gegenwärtigen
Krieges nicht in Sicht ist, da mächtige Militärs und Politiker
auf der einen Seite, aber mittlerweile auch die Unabhängigkeitsbewegung
GAM auf der anderen Seite, großes Interesse, sowohl machtpolitisch
als auch finanziell, an der Fortsetzung des Krieges haben.
* Diese Zusammenfassung beruht auf Gesprächen und Diskussionen
Suraiyas mit Andrea Fleschenberg und Marianne Klute.
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