Indonesien-Information Nr. 1/2004 (Umwelt)

 

„Natur“-Katastrophen?

Die Antwort der Natur auf die Vernichtung der Wälder: das Beispiel Bohorok

von Marianne Klute

 

Die Menschen ....
haben das Recht auf ein gesundes
und produktives Leben
im Einklang mit der Natur.

(Grundsatz 1, Rio Deklaration, 1992)





Die Flut kam schnell, innerhalb weniger Minuten, wie ein Blitz: „nicht genug Zeit, meine Nachbarn zu wecken oder etwas mitzunehmen. In ein paar Sekunden war alles zerstört“, sagte Misnan, einer der Überlebenden.

Wie so viele andere hat Misnan alles verloren: seine Familie, sein Haus, seine Zukunft. Die Sturzflut am 2. November 2003 kam für das Städtchen Bukit Lawang am Fluss Bohorok in Nordsumatra äußerst überraschend. Sonntag Nacht um 22.00 Uhr – viele Bewohner von Bukit Lawang schliefen schon – traf eine plötzliche Flutwelle Bukit Lawang. Zehn Meter hohe Berge aus Schlamm, Bäumen und Wasser ließen den Menschen keine Chance. Tausende von den Wassermassen des Bohorok mitgerissene Baumstämme zertrümmerten 450 Häuser, Kioske, Touristenunterkünfte, zwei Moscheen und acht Brücken entlang des Flusses und rissen mehr als 200 Menschen, in der Mehrzahl Frauen, mit in den Tod. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute unbekannt, viele werden immer noch vermisst. Am Tag nach dem Unglück konnten erst 74 Leichen geborgen werden, ertrunken in den Schlammmassen und erschlagen von schweren Baumstämmen. Die Leichen wurden zum Teil kilometerweit entfernt aufgefunden.

Die Katastrophe im November gelangte als Indonesiens „nationale Tragödie“ weltweit in die Medien. Doch in der diesjährigen Regenzeit erlebte Indonesien weit mehr Katastrophen: kurz danach stand Palembang unter Wasser, und Anfang Februar 2004 erst überschwemmten Wasser und Schlamm Ostjava. Im Januar begrub ein Erdrutsch in Purworejo, Zentraljava, fünfzehn Menschen. Eine Bestandsaufnahme zeigt, dass die Katastrophen, die Indonesien jedes Jahr heimsuchen, häufiger und stärker werden. In den letzten fünf Jahren mussten bei Überschwemmungen, Erdrutschen und anderen, insgesamt 647, Katastrophen über 2000 Menschen ihr Leben lassen.  Nach den Angaben von Bakornas, der Nationalen Koordinierungsagentur waren 85% dieser Katastrophen Überschwemmungen und Erdrutsche auf Grund von Umweltzerstörung. /Bakornas PB, nach:WALHI (2004): Tinjauan Lingkungan Hidup Walhi 2004. Bencana Nasional Berkelanjutan: Kegagalan Rejim Menjamin Keselamatan Rakyat/

Fachleute warnen, dass diese Katastrophen nicht allein der Regenzeit zuzuschreiben sind. Sie sind Signale, dass die Natur die schwerwiegenden Eingriffe nicht mehr ausgleichen kann. Jeder tropische Regenguss kann zum alles mitreißenden Wasserfall werden, wenn der von Wald entblößte und erodierte Boden die Wassermassen nicht fassen kann. Die Überschwemmung am Bohorok demonstriert, welche Auswirkungen die brutale Entwaldung hat und was Indonesien bevorsteht, wenn der politische Wille zur Eindämmung des Waldschwindens fehlt. Dass die Devise „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ in Indonesien beherzigt werden kann, beweisen die Erfolge auf dem Gebiet der vulkanologischen Frühwarnung: In den letzten fünf Jahren registrierte Indonesien sechzehn Vulkanausbrüche. Hierbei starben nur zwei Menschen. Die überraschend geringe Zahl kann als Zeichen für die Güte des Vulkanologischen Dienstes gesehen werden, als Beweis für die Fähigkeit, mit Gefahren umzugehen und Erkenntnisse in Vorsorge umzusetzen. Ist Bohorok die Katastrophe, die die Verantwortlichen aus ihrer Lethargie reißen kann?
 
 

Touristen und Orang-Utans

Bukit Lawang im Bezirk Langkat, Nordsumatra, am Rand des Leuser-Ökosystems hatte unter abenteuerlustigen Urlaubern einen Namen. 1973 wurde dort, ein paar Minuten oberhalb des Ortes, das Bohorok Orang Utan Rehabilitationszentrum gegründet. Hier war einer der wenigen Orte, wo man die seltenen Sumatra Orang Utan (Pongo pygmeus) sehen konnte. Bukit Lawang entwickelte sich zu einem Ziel für Rucksacktouristen und zu einem Ausgangspunkt für Wildwasserfahrten. Täglich kamen bis zu 3000 indonesische und ausländische Touristen, viele aus Deutschland und der Schweiz. Das Sumatra-Orang Utan Schutzprogramm ist ein gemeinsames Projekt von PanEco, der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft, der Stiftung Ekosistem Lestari und dem indonesischen Forstministerium. Anfangs unterstützte der WWF das Projekt, beendete 1997 aber sein Engagement, weil das Zentrum keiner zusätzlichen Unterstützung bedurfte, aber auch, weil oberhalb der Station der Wald illegalen Holzfällern ausgesetzt war, wodurch das Reservat gefährdet schien. Das Orang Utan Reservat ist nach der Katastrophe beschädigt und das Touristenressort wird ein halbes Jahr geschlossen bleiben.


 

Sturzflut am Bohorok

Am Samstag vor dem Unglück hatte es in Nordsumatra stark geregnet - das Amt für Meteorologie registrierte 66 mm Niederschlag. Dies ist viel, aber nicht ungewöhnlich in der Regenzeit. Auch, dass Flüsse nach heftigen Niederschlägen plötzlich anschwellen und über die Ufer treten, ist nicht ungewöhnlich. 1994 erlebten die Bewohner am Bohorok schon einmal eine Flut, wenn auch längst nicht so dramatisch wie am 2. November 2003. Damals waren die Berge des Leusergebirges noch bewaldet, vor allem gab es noch wirklich hohe Bäume. Doch die Katastrophe vom 2. November überstieg jede Vorstellung von tropischem Unwetter. Offensichtlich, so sind sich Experten einig, muss sich in den Bergen Wasser aufgestaut haben, entweder durch einen Erdrutsch oder durch einen Damm. Durch den großen Höhenunterschied – der Fluss Bohorok (auch manchmal Bahorok geschrieben) und seine Nebenflüsse gehören zu einem Wassereinzugsgebiet, das bis auf über 2.500 Meter reicht, während Bukit Lawang nur 120 Meter hoch liegt – hat der Bohorok starkes Gefälle und enorme Kraft. Dorfbewohner berichten, dass der Bohorok vor zwanzig Jahren anders verlief. Dann änderte sich der Verlauf des Flusses. Heute, nach der Katastrophe, fließt er wieder in seinem alten Bett.

Außer Bukit Lawang sind zwei Dörfer von den Fluten getroffen; Timbang Lawang und Sampe Raya. Insgesamt hat die Flut, nach Angaben des Indonesischen Forums für Transparenz, Schäden in Höhe von 200 Mrd. Rupiah, (23,5 Mio. US$) verursacht. Aus aller Welt trafen Spenden ein. Fast täglich erreichten Bukit Lawang Lastwagen mit Hilfsgütern. Umweltorganisationen haben Krisenzentren für die Opfer eingerichtet. Die Regierung hat für die Opfer und die Hilfsaktionen 1 Mrd. Rupiah (35.714 US$) und USAID 50.000 US$ zur Verfügung gestellt. Betroffene Familien wurden in eine nahe gelegene staatliche Ölpalmplantage umgesiedelt. /OCHA Consolidated Situation Report No. 153,  Provincial Updates, 1. NATURAL DISASTERS: Floods in Bahorok, North Sumatra, 1.-7. November 2003/

Doch die von der Regierung versprochenen Hilfsgelder sollen nicht in voller Höhe angekommen sein, so wie es mit Geldern für die Opfer der Flut in Flores, der Erdbeben in Lampung und Jambi und der Erdrutsche in Westjava geschah. Die Überlebenden beklagen sich auch über Plünderungen. Nachts verschwinden sogar die Baumstämme, die Bukit Lawang dem Erdboden gleichgemacht haben: sie werden an Sägemühlen verkauft, illegal. Ein Mitarbeiter des Bahorok Flash Flood Crisis Center sagte, dass Sicherheitskräfte die Bäume verkauften. Ein Kubikmeter Merantiholz bringt 750.000 Rupiah ein. So lässt sich mit dem     Elend anderer noch Geld verdienen.
 

Die böse Natur antwortet

Ein tiefer Schock ließ Indonesien erstarren. Das verwüstete Bukit Lawang – zerstört wie nach einem Bombenattentat – wurde zur „schlimmsten Katastrophe“ Indonesiens. „Die Natur ist böse mit uns, weil wir die Umwelt zerstört haben“, sagte Präsidentin Megawati drei Tage später bei einer Zeremonie zum Flora-und-Fauna-Tag im Staatspalast. Wie andere Politiker beklagte sie im Schock die Zerstörung der Wälder als Ursache der Sturzflut. Erschüttert richteten in den ersten Tagen viele Offizielle den Finger auf den illegalen Holzeinschlag als den Hauptschuldigen. Auch Vize-Präsident Hamzah Haz beschuldigte die illegalen Holzfäller. Eifrig verlangte er harte Maßnahmen der Behörden gegen den illegalen Holzeinschlag und bedauerte die fehlende Disziplin. Umweltminister Nabiel Makarim, der schon lange schimpft, wie schwierig juristische Verfolgung ist, wenn Armee und Polizei die Holzmafia decken, bekam plötzlich von Megawati Rückendeckung. Eilig verließen illegale Holzfäller aus Angst vor Prozessen das Land. /Fabiola Desy Unidjaja and Apriadi Gunawan: Megawati joins the chorus blaming forest destruction, The Jakarta Post, 6. November 2003/ und /Sydney Morning Herald, 7. November 2003/

Doch kaum war der erste Schock überwunden, machte sich Indonesien auf die Suche nach einem unverfänglicheren Sündenbock. Auf einer Kabinettssitzung zehn Tage nach der Flut, auf der über mögliche Maßnahmen bei zukünftigen Katastrophen gesprochen wurde, waren sich die Minister einig, auch die Minister für Umwelt und Forstwesen. Für sie ist die nationale Tragödie ein „Natur“-Phänomen, wie der Koordinierende Minister für Wohlfahrt, Jusuf Kalla, sie benannte, ebenso natürlich wie die großflächigen Überschwemmungen Ende des Jahres in Palembang. Die Definition als Naturphänomen kommt einer Absolution gleich. Die Natur selbst ist Schuld, und die Regierung kann ihre Hände in Unschuld waschen: Naturphänomene lassen sich nicht verhindern, die Regierung braucht keine Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um ähnliche Katastrophen zu verhindern. Ein Frühwarnsystem, wie im Falle von Vulkanausbrüchen, bleibt da die einzig logische Maßnahme.

Der illegale Holzeinschlag ist mit der Definition der Flut als ein „Natur“-Phänomen aus dem Schneider. „Es gibt keinerlei Verbindung zwischen illegalem Holzeinschlag, der Ladia Galaska und Bahorok“, sagte Forstminister Prakosa nach der Kabinettsitzung (Ladia Galaska ist das im Leuser-Nationalpark geplante, heftig umstrittene Straßennetz, s. unten und Indonesien-Information Nr. 1/03). Prakosa führte als Beweis an, dass die vom Bohorok mitgerissenen Bäume noch ihre Wurzeln gehabt hätten und folglich nicht aus illegalem Holzeinschlag stammen könnten. /http://www.mediaindo.co.id/cetak/berita.asp?id=2003111105354301/

Auf die verantwortungsscheue Haltung der Regierung sind Umweltorganisationen wütend. Für das Umweltnetzwerk Walhi zum Beispiel ist ganz klar: Hauptursache der Flut ist die Abholzung am Oberlauf des Bohorok im Leuser Nationalpark. „Die Regierung sollte die Flut in Bukit Lawang als Warnsignal sehen“, sagt der Direktor von Walhi, Longgena Ginting. Eine Warnung, dass ohne Wald der Wasserkreislauf aus den Fugen gerät. Illegaler Holzeinschlag, ist Walhi zufolge die Ursache für mindestens 85% der Überschwemmungen und Erdrutsche in Indonesien. Bohorok ist nur die schlimmste von vielen schlimmen Katastrophen, die Antwort der Natur auf die Vernichtung der Wälder. /Chris Brummitt, Associated Press: Illegal logging is blamed in Indonesian flood disaster, 5. November 2003; http://www.enn.com/news/2003-11-05/s_10102.asp/
 

Raubbau und Diebstahl

Bukit Lawang, weltbekannt bei Ökotouristen und Travellern, ist zerstört. Zurückgeblieben ist ein Streit zwischen Regierung und Öffentlichkeit über die Ursachen des Desasters. Was geschah wirklich? War es „nur“ eine Naturkatastrophe? Liegen die wahren Ursachen im Kahlschlag? Wie lässt sich erklären, dass der Bohorok Tausende von gesägten und bearbeiteten Baumstämmen mit sich riss? Haben Holzfäller den Fluss für ihre Zwecke aufgestaut? Mehrere Untersuchungsteams brachen auf, um diese Fragen zu klären, teils hastig, vor allem behindert durch die Unzugänglichkeit des Leusergebirges und der Grenze zu Aceh. Die Leuser Management Unit, LMU, überflog den Bohorok mit einem Hubschrauber (nur eine Stunde lang, sagt Walhi). Das Direktorat für Vulkanologie und Geologische Katastrophen (DVMBG) besichtigte den Ort. Nichtregierungsorganisationen schickten Kenner des Gebietes in die Berge. Jeder zog eigene Schlussfolgerungen, entwickelte eine eigene Theorie von der Ursache der Blitzflut.

Nach der ersten Theorie, jener der Regierung, ist die Flut ein „Naturphänomen“, unter der Annahme, dass der Bohorok nach dem starken Tropenregen zu einer reißenden Kraft wurde, Bäume entwurzelt und mit sich gerissen hat. Die Behörde für Meteorologie und Geophysik, BMG, in Medan dagegen schließt klimatische Faktoren als alleinige Ursache aus, mit der Begründung, Nordsumatra erlebe oft Regenzeiten mit extrem hohen Niederschlägen, doch diese hätten selten dramatische Überschwemmungen zur Folge.

Andere Theorien machen Schlammlawinen oder Erdrutsche in Kombination mit dem Regen für die „Natur“-Katastrophe verantwortlich. Wieder andere glauben an einen geborstenen natürlichen Damm, auch der Gouverneur von Nordsumatra, Rizal Nurdin. Vom Regen entwurzelte Bäume könnten sich gestaut und so den Damm gebildet haben. Die Leuser Management Unit, LMU, vertritt eine Theorie von vielen natürlichen Dämmen, kombiniert mit Erdrutschen. Eine Woche nach dem Unglück stellte sie das Ergebnis ihrer Untersuchung vor, die auf Videoaufnahmen von Bukit Lawang und einer topographischen Karte des Bezirks Langkat beruht. Die Aufnahmen zeigen Dutzende von Erdrutschen am Bohorok, mit Schlammlawinen über mehrere Erhebungen. Tausende von Bäumen liegen an den Ufern und im Fluss. Schlamm und Bäume haben mehrere Dämme gebildet. Diese Dämme, so Mike Griffiths von der LMU, hätten den Fluss aufgestaut. Das DVMBG-Team von Dr. Surono fand am Oberlauf jedoch keinerlei Anzeichen von Erdrutsch oder Lawinen. Als Verursacher der Sturzflut nannte Dr. Surono eine Kombination von Faktoren: Regen, das Terrain, das starke Gefälle, dazu morphologische Eigenarten und Erosion. /Muninggar Sri Saraswati: Study links Bahorok flood to illegal logging; in: The Jakarta Post, 10. November 2003/

Eine grundsätzlich entgegengesetzte Meinung vertreten Umweltorganisationen. Für sie ist die Katastrophe menschengemacht. Herwin Nasution, Walhi-Koordinator in Medan, fand bei einer Feldtour in Begleitung der Jakarta Post in 2400 Meter Höhe einen künstlich errichteten Damm und einen See, nach seiner Deutung von Holzfällern zur Lagerung und zum Transport von Holz bestimmt. Oben in den Bergen im Leuserpark fand das Walhi-Team viele Beweise für illegalen Holzeinschlag: Tausende gefällte Baumstämme sowie Holz- und Gummibaumplantagen. Alles vor Ort deutet darauf hin, dass am Oberlauf des Bohorok im Leuser-Ökosystem schon seit langem in kommerziellem Maßstab illegal Holz eingeschlagen wird. Die Holzfäller flözen die Baumstämme die Flüsse hinunter, was Anwohner bestätigen können, oder sie nutzen die Schneisen für die im Bau befindliche Ladia Galaska zum Transport.

Die Bevölkerung weiß schon lange, dass im Leuserpark illegal Holz gefällt wird. Der Bupati des Bezirks Langkat, Syamsul Arifin, hält den ungesetzlichen Holzeinschlag für die Ursache der blitzartigen Überschwemmung: „Seit Jahren haben wir solches vorausgesagt. Die illegalen Holzfäller werden von Beamten der Regierung und von Militäroffizieren geschützt. Ihre Opfer sind nicht nur die Umwelt, sondern auch die Menschen.“  Die Bevölkerung im Bezirk Langkat, so sagte Arifin weiter, trage wegen des Holzdiebstahls, in den auch die staatlichen Kontrollinstanzen verwickelt seien, ein immens hohes Risiko. Seit Gerüchte kursieren, oben in den Bergen habe sich ein neuer Damm gebildet oder sei gebaut worden, leben sie in ständiger Furcht. /Andrew Burrell: Illegal logging Costs Lives and Money; in: Australian Financial Review, 5. November 2003/

Auf Grund der Differenzen will die Koalition von NGOs von Nordsumatra nicht mehr mit der Leuser Management Unit zusammenarbeiten. Die Schlussfolgerung, die Flut sei eine „Natur“-Katastrophe, sei mehr als voreilig. Diese Argumentation auf einen einstündigen Hubschrauberflug zu gründen, sei ein bisschen schwach, kritisieren die NGOs. Dagegen stehe die Beobachtung, es habe sich um eine Flut aus bearbeiteten Baumstämmen und nicht um eine Wasserflut gehandelt, sowie die Aussagen der Opfer. Walhi befürchtet, LMU vertrete die Meinung von dem „Natur“-Phänomen nur, um nicht wegen der Unfähigkeit, das Leuser-Ökosystem vor Zerstörung zu schützen, bloßgestellt zu werden. Die Wendung des Leuser Managements schadet vor allem dem Ansehen des von der EU-finanzierten Leuser Development Programmes. Sie dient weder dem Schutz von Mensch noch Natur, sondern verwässert nur die Verantwortlichkeiten. Die Festlegung auf „Natur“-Katastrophe birgt keine Lösung, sie demonstriert nur das fundamentale Problem: den fehlenden politischen Willen, grundsätzlich gegen illegalen Holzeinschlag im Leusergebirge vorzugehen.
/http://www.suarapembaruan.com/News/2003/11/14/Nasional/nas04.htm/

Verzweifelt versuchen daher Umweltorganisationen, mit Kampagnen und Lobbying dem Waldsterben durch illegalen Holzeinschlag Einhalt zu gebieten. Walhi selbst bereitet einen Gerichtsprozess vor. Angeklagt werden sollen der Forstminister, die Verwaltung des Leuser-Nationalparks, die Kreisverwaltung Langkat und auch die Leuser Management Unit. Der Prozess soll zeigen, dass die Sturzflut am Bohorok das Resultat von illegalem Holzeinschlag im Leuser Nationalpark gewesen ist. Wenn Walhi Recht bekommt – und das wäre das erste Mal nach 50 Prozessen in Sachen illegalem Einschlag –, dann bestätigt das Gericht damit, dass die Regierung die Präsidialinstruktion Inpres 5/2001 verletzt hat und damit ihre Aufgabe nicht erfüllt, den Leuserpark vor der Zerstörung zu retten.
 

Straßenbau im Leuser

Ein Drittel des Leuser-Nationalparks erstreckt sich im Bezirk Langkat in Nordsumatra. Hier sind, wie Bupati Syamsul Arifin zugeben muss, inzwischen 42.000 Hektar kahl geschlagen. Arifin hat diesen Tatbestand längst den relevanten Instanzen gemeldet, „denn es ist dringend erforderlich, dass hier ernsthaft und zielgerichtet gehandelt wird.“ Das illegal geschlagene Holz wird von einem Holz- und Zellstoffunternehmen angekauft, das einem allseits bekannten Geschäftsmann gehört. Dieses Unternehmen rüstet die Holzfäller, meist Leute aus der Umgebung, mit Bulldozern und Kettensägen aus. Jeder in Langkat weiß, dass besagter Geschäftsmann enge Beziehungen zu Militär und Verwaltung hat. Außerdem soll er an Ölschmuggel beteiligt sein. Mehrmals wurde er auch polizeilich festgesetzt, konnte jedoch Dank seiner guten Beziehungen immer wieder freikommen. /Kompas, 4. November 2003; http://www.kompas.com/kompas-cetak/0311/04/utama/669809.htm und Jakarta Post, 10. November 2003/

Auch der Krieg wirft seine Schatten auf den Südteil des Leuser-Ökosystems. Im Wassereinzugsgebiet des Bohorok, im Bezirk Langkat, siedeln am Rand des Nationalparks seit 1999 mehrere Hundert Flüchtlingsfamilien aus Aceh, zielgerichtet von Holzeinschlagfirmen dorthin dirigiert. Sie schlagen Holz ein, nicht nur als Brennstoff zum Eigenbedarf, sondern in großem Maßstab. Die illegalen Holzbarone, die Not der Flüchtlinge ausnutzend, rekrutieren sie als Holzfäller und vermieten ihnen Kettensägen und Werkzeug. Täglich transportieren voll beladene Lastwagen die wertvollen Bäume ab. Nach Angaben der Leuser Management Unit sollen die illegal siedelnden Flüchtlinge für die Hälfte der kahlen, erodierten Flächen verantwortlich sein. Jamaluddin Sitepu vom Institut zur Entwicklung und Stärkung der Zivilgesellschaft, Elppamas (Lembaga Pengembangan dan Pemberdayaan Masyaratkat Sipil), verfolgt die Problematik von Anfang an. Anzeigen bei der Polizei blieben bisher fast ohne Wirkung. Der ein oder anderer Fahrer wurde festgenommen, doch die Holzbarone und illegalen Unternehmen bleiben unbehelligt, da sie von lokalen Politikern und Polizei geschützt werden. /http://www.inform.or.id/berita3.php?IDarticle=312/

Es ist sehr schwierig, die Situation in Aceh selbst zu beurteilen. Unter dem Deckmantel des Krieges finanziert das Militär seine Operationen offensichtlich in großem Stil mit Holz. Offiziere kontrollieren den Handel, einige besitzen illegale Sägewerke und arbeiten mit bekannten Holzbaronen zusammen. Walhi Aceh hat beobachtet, dass es auf der anderen Seite der Grenze im letzten Halbjahr 2003 verstärkt illegale Fällungen gab. Ein Grund dafür ist der erleichterte Zugang in kaum erschlossene Gebiete, den der Bau des umfangreichen Straßennetzes Ladia Galaska quer durch Aceh ermöglicht (siehe auch „Aceh im Spinnennetz“ in: Indonesien-Information Nr. 1/2003). Während nationale und internationale Proteste versuchen, das Großprojekt von mehreren Straßen durch Aceh oder wenigstens den Teilabschnitt durch den Nationalpark Leuser zu verhindern, haben die Bauarbeiten längst begonnen. Umweltminister Nabiel Makarim, der illegale Holzfäller mal „Terroristen“ nannte, ist immer noch gegen den Bau der Ladia Galaska und fordert die Einstellung des Projektes. Außerhalb des Leusergebietes, im Norden von Aceh, so meldet Walhi-Rechtsanwalt Bambang Antariksa, sei schon ein Drittel der Hauptstrecke fertig gestellt. Die Bautrupps nähern sich nun dem Nationalpark. Dort aber haben die Vorbereitungen vor Monaten begonnen. Nur 200 km von Bukit Lawang entfernt haben Arbeiter Schneisen für das Straßenprojekt geschlagen. /Australian Financial Review, 5. November 2003/

Das Leuser-Ökosystem ist auch ohne die Straße schon schwer beschädigt. Die Leuser Management Unit errechnete, dass seit 1985 jedes Jahr 7 % des Leuser zerstört wurden. 22 % des Nationalparks, bzw. 170.000 Hektar von insgesamt 788.000 Hektar, sind entwaldet, kahl geschlagen oder in Agrarflächen und Plantagen umgewandelt. Die Abholzungen haben verheerende Auswirkungen auf die steilen Abhänge im Leusergebirge, auf denen die Erde ohne Befestigung durch Bäume schnell erodiert. „Die Flut am Bohorok ist nur der Anfang. Es wird weitere Überschwemmungen geben“, prophezeit Walhi Aceh. Doch die Regierung hat die ökologische Problematik des Leuser offensichtlich nicht begriffen. Politiker halten ihren schützenden Arm über die (legalen oder illegalen) zerstörerischen Geschäfte der Holzindustrie. 48 Prozesse stehen noch an. Doch wegen der Korruption im Rechtswesen ist bis heute noch nie jemand gerichtlich belangt worden. /Nur Hidayati: Walhi Berkeras Musibah Bohorok Akibat Penebangan Liar. Pernyataan Pemerintah Perlu Dikaji Ulang, 12. November 2003, http://www.waspada.co.id/berita/headlines/artikel.php?article_id=31531/

Auch Abdullah Puteh, der Gouverneur von Aceh, soll sich nach dem Willen von Walhi wegen der Ladia Galaska vor Gericht zeigen müssen. Schon einen Monat vor der Katastrophe erhob die Organisation Anklage gegen den Gouverneur, das Amt für Infrastruktur und den Rat für das Bauprojekt. Als Alternative stehen nicht nur Routen, die den Nationalpark nicht tangieren, im Raum, sondern auch eine Zugverbindung, denn illegale Logger werden nicht gerade den Zug benutzen. Ein Angebot aus Aceh, den Streit außergerichtlich zu klären, lehnt Walhi ab.

Der Prozess, wenn er denn beginnen sollte, wird sich hinziehen. Doch was die Kritiker der Ladia Galaska für die Zukunft befürchtet haben, wird jetzt schon wahr. Die vor einem halben Jahr begonnenen Straßenbauarbeiten haben umgehend Holzfäller angezogen. Der Leuser-Nationalpark ist ihnen noch gnadenloser ausgeliefert als zuvor. Es scheint fast, als ob die Straße genau zu diesem Zweck gebaut wird. Recht und Gesetz greifen erst recht nicht in dem von Militärs abgeriegelten Operationsgebiet der Leuser-Holzfäller. Doch sind die Folgen des intensiven Kahlschlags im geschädigten Leusergebiet mit Vehemenz zu spüren: mehr Erosion, häufigere Überschwemmungen und Erdrutsche, Sturzfluten wie in Bukit Lawang. Umweltminister Nabiel Makarim hat das auch begriffen. Militär, Polizei und Regierung missbrauchen ihre Macht und zerstören die Umwelt, sagt er, und: „Die Folgen davon sind ebenso gefährlich wie die Folgen einer Bombe.“ /Indonesia Reels After Flood Disaster; in: Sydney Morning Herald, 7. November 2003/
 

Zeitbombe Sumatra

Da Sumatra kaum noch Wald hat, ist der Druck auf die wenigen geschützten Gebiete, von denen der Leuser-Nationalpark das größte ist, immens. Wegen des Holzmangels mussten zehn von dreizehn legalen Holzeinschlagfirmen Sumatras ihre Pforten schließen. Heute existieren nur noch drei. Tropenholz aus Sumatra stammt daher fast ausschließlich aus illegalem Einschlag in Naturschutzwäldern. Diese Problematik ist so brennend, dass Indonesien sich manchmal gezwungen sieht, Maßnahmen zu ergreifen. Bei der Polizeioperation Wanalaga vom 12. August bis zum 19. September 2003 gegen den illegalen Holzeinschlag in Schutzwäldern deckte die Polizei innerhalb von nur fünf Wochen 53 Fälle auf, auch im Leuser-Nationalpark. Mindestens 83 Verdächtige wurden verhaftet und Tausende von Kubikmetern Holz beschlagnahmt. /Apriadi Gunawan: Flood victims want justice, death for illegal loggers; in: The Jakarta Post, 7. November 2003/

Das illegal geschlagene Holz wird hauptsächlich über Häfen nach Malaysia und andere südostasiatische Staaten geschmuggelt und von dort in die Industriestaaten exportiert. Die starke Nachfrage nach Tropenholz trägt wesentlich dazu bei, dass Sumatras Wälder verschwunden sind und nun die geschützten Gebiete dem Konsum geopfert werden. Wenn ministerielle oder polizeiliche Maßnahmen in Indonesien nicht greifen, liegt das zwar an den Mafiastrukturen der Holzwirtschaft und an der Korruption. Doch zu einem Geschäft gehören zwei. Auch Europa gehört zu den Großabnehmern. Weder in der EU noch in den Mitgliedsstaaten ist der Import von gestohlenem Holz gesetzlich verboten. Forstminister Prakosa appelliert immer wieder an die Europäische Union, kein indonesisches Holz zu importieren, auch keine Holzprodukte aus Malaysia, denn malaysisches Holz stammt zum größten Teil aus illegalem Holzeinschlag in Indonesien. /Australian Financial Review, 5. November 2003/

Von Malaysia aus werden die Baumstämme nicht nur nach Europa verschifft. Ein Abnehmer mit steigendem Holzhunger ist China, das indonesisches Holz über Dritt- und Viertländer wie Malaysia und Singapur, Laos und Kambodscha einführt. 1997 importierte China, nach Angabe des WWF, 4 Millionen Kubikmeter Baumstämme. Vier Jahre später, 1991, waren es mehr als 16 Millionen Kubikmeter, und heute sind es etwa 20 Millionen, eine Steigerung auf das Fünffache in kaum sechs Jahren. China hat den Einschlag in Naturwäldern 1998 verboten, nachdem 6.500 Menschen starben, als der Yangtse über die Ufer trat, auch dort, weil im oberen Yangtse-Becken in großem Stil abgeholzt worden war. Nun hat China nicht mehr genügend Holz; der Nachschub für den boomenden Bausektor und Zellstoff für die expandierende Papierindustrie muss daher aus dem Ausland kommen – aus Indonesien. Chinas Forstpolitik ist ein Spiel mit gezinkten Karten: es hat die Gefahren der Entwaldung erkannt, schützt seine eigenen Wälder, aber nicht die anderer Staaten. Auch die Industriestaaten drücken den Holzverbrauch Chinas in die Höhe. Sie importieren chinesischen Zellstoff und Holzprodukte, hergestellt aus indonesischem Tropenholz. /Peter Kammerer: Timber Trade's Unkindest Cut; in: South China Morning Post, 11. November 2003/

Die Wirtschaft der Industriestaaten und Chinas kümmert sich einen Dreck um die Natur. Sie übersieht auch gern die bilateralen Vereinbarungen mit Indonesien gegen den illegalen Holzeinschlag. In Indonesien selbst scheitern wohlgemeinte Maßnahmen an den Hintermännern und ihren internationalen Verflechtungen. Im November 2003 sah es so aus, als ob die Flut am Bohorok das Momentum sein könnte, welches das Bewusstsein der Menschen aufrüttelt. Das Menetekel an der Wand, das auch Politiker nicht übersehen können. Doch sogar nationale Katastrophen wie Bombenexplosionen und Fluten sind nach kurzer Zeit vergessen und verdrängt. Der indonesische Staat kann kaum seine Pflicht erfüllen, das Recht der Bürger auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur zu garantieren. Die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Vielleicht ist sie dann das Momentum, das das Fass zum Überlaufen bringt. <>
 
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage