Das Oberste Gericht (Mahkamah Agung, Supreme Court) Indonesiens hat in einem Aufsehen erregenden Prozess den Parteivorsitzenden von Golkar, der zuvor in zwei Instanzen wegen Korruption verurteilt worden war, frei gesprochen. Akbar Tandjung hatte sich vor Gericht für die Veruntreuung von USD 4,8 Mio. an Hilfsgeldern für Reisbeschaffungsprogramme für die hungernden Armen während der Krisenjahre 1997/98 zu verantworten. Die Mittel sind für den Wahlkampf der GOLKAR in 1999 zweckentfremdet worden. Akbar, zugleich Vorsitzender des Parlaments (DPR), ist damit aussichtsreichster Anwärter auf die Kandidatur seiner Partei für die kommenden Präsidentschaftswahlen.
Für das Erscheinungsbild der Justiz ist dieser Fall ein weiterer in einer langen Reihe von angeblich gekauften Urteilen. Die Korruption in den Reihen der Justiz beginnt bereits bei der Annahme von Klagen an der Eingangstür zur Gerichtsverwaltung: Ohne Bezahlung wird die Justizmaschinerie kaum tätig. Um den Vorgang nicht in den unteren Etagen der Aktenberge verschwinden zu sehen, ist ein permanenter Begleitprozess der Akten durch alle Stufen der Bürokratie mit Zahlungen in Abhängigkeit vom Streitwert und der Einkommensgruppe des jeweiligen Beamten zu leisten, bevor der Vorgang den Richtertisch erreicht. Richter, die sich der Korruption nicht beugen, sind die Ausnahme. Einige mussten, wie im Falle der Verurteilung des Suharto-Sohnes Tommy, ihren Mut mit dem Leben bezahlen. Tommy beauftragte einen bekannten Killer und ließ den Richter, der ihn verurteilt hatte, erschießen. Dafür verbüßt er z.Zt. eine komfortable 15-jährige Gefängnisstrafe, die bereits zwei mal verkürzt worden ist.
Vieles spricht im Falle Akbar dafür, dass die Justiz sich auch in diesem prominenten Fall zu einem Freispruch bewegen ließ, indem Gelder geflossen oder zumindest versprochen worden sind. Man erinnert sich dabei an die einige Jahre zurück liegende, lange Debatte um die Besetzung der vakanten Stelle des Vorsitzenden des Obersten Gerichts: Der damalige Präsident Abdurrahman Wahid, Gus Dur, suchte beträchtliche Zeit nach einem wirklich korruptionsfreien, unabhängigen Richter mit Qualifikationen für das Amt des Vorsitzenden des Gerichts. Mehrfach erklärte er auf Kritik an der anhaltenden Vakanz dieser wichtigen Position, dass es ihm leider unmöglich sei, einen geeigneten Kandidaten in Indonesien zu finden. Schließlich besetzte das Parlament die Stelle mit Bagir Manan.
Korruption der Justiz führt zu Freisprüchen in vielfacher Art. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz schrumpft zunehmend bei jedem neuen Fall. Darüber hinaus ist eine vermeintlich verbündete Instanz im gerade erst vereinbarten konzertierten Kampf gegen die Korruption ausgefallen. Ohne glaubwürdige und korruptionsfreie Justiz gibt es auf lange Zeit kaum Hoffnung, der allseits herrschenden Korruption erfolgreich zu begegnen.
Ein weiterer Erklärungsversuch,
warum es zu diesem Urteil kam, ist der heftige politische Druck, dem sich
das Gericht von Seiten interessierter einflussreicher Kreise aus GOLKAR,
dem Militär (TNI), aber auch aus Regierungskreisen und der Partei
von Präsidentin Megawati, der PDI-P selbst, ausgesetzt sah. Jede der
Gruppen könnte ein gewisses Interesse am Freispruch von Akbar Tandjung
gehabt haben: GOLKAR selbst wegen schnellerer Identifizierung des „besten
Kandidaten“ für die Präsidentschaftswahlen und zur Vermeidung
eines Negativimages der Partei; TNI, weil diese über lange Zeit in
enger Kooperation mit GOLKAR und ihrem damals bereits einflussreichen Mitglied
Akbar Tandjung beträchtlichen Anteil an der Macht hatte. TNI würde
unter seiner Präsidentschaft einen guten Anteil dieser Macht im Staate
zurück gewinnen können. Megawatis PDI-P könnte Interesse
haben, eine mögliche Zusammenarbeit mit GOLKAR ins Auge zu fassen,
falls andere Konstellationen (mit Moslem- Parteien) scheitern sollten.
Was bedeutet der Freispruch für die politische Lage im Lande wenige Wochen vor den Parlamentswahlen am 5. April 2004?
Eine Bewertung des Urteils muss durch geschulte Juristen erfolgen. Letztlich versuchte Akbar die Verantwortung für sein Tun in der Zurückhaltung von Reislieferungen 1998/99 für die Armen auf den damaligen Präsidenten Habibie abzuschieben, der schließlich die Anweisung gegeben haben soll. Diese Argumentation ist nach indonesischem Recht zulässig, denn Artikel 15 des Strafgesetzbuches besagt, dass niemand wegen einer kriminellen Handlung verurteilt werden kann, wenn er lediglich die Instruktionen seiner übergeordneten Dienststelle ausführt. Demnach könnte sich jeder auf die oberste Instanz berufen und damit straffrei bleiben, was auch vielfach passiert. Der verbleibende Schuldige wäre der damalige Präsident Habibie oder sein Vorgänger Suharto. Letzterer hat sich aber auf der Basis von medizinischen Gutachten von 24 Ärzten für immer als vernehmungsunfähig erklären lassen. Damit wird die Straflosigkeit auch für weit seriösere Straftaten als die Zweckentfremdung von etwa USD 5 Mio. garantiert. Auch die Behauptung, die Reisrationen seien über eine mildtätige NGO geliefert worden, erwiesen sich als falsch. Die Stiftung (völlig unbekannt, nicht registriert) zahlte (woher?) plötzlich das gesamte Geld zurück, zwei Handelnde der Stiftung wurden inzwischen zu je 18 Monaten Gefängnis wegen Veruntreuung („misusing of state funds“) verurteilt. Akbar wurde in der ersten und zweiten Instanz zu je drei Jahren verurteilt und wurde sogar einen Monat in Arrest bei der Staatsanwaltschaft genommen. Danach wurde er jedoch auf freien Fuß gesetzt, da er nach seinem Einspruch den endgültigen Richterspruch vor dem Supreme Court abwarten wollte. Seine Position als Parteivorsitzender und Präsident des Parlaments behielt er ebenfalls bei. Nur wenige Abgeordnete der DPR protestierten, von einem verurteilten Kriminellen geführt zu werden.
Die damalige Beweiskette vor Gericht war lückenlos. Nunmehr spricht das oberste Gericht ihn vom von „persönlicher Bereicherung“ frei. Darum ging es in den bisherigen Verfahren, die hier Gegenstand der Bewertungen des Gerichts sein sollten, überhaupt nicht. Viel aufschlussreicher ist ein Minderheitsgutachten – des ersten in der indonesischen Rechtsgeschichte – von einem der beteiligten Richter, Abdurrahman Saleh, früher Direktor der Rechtshilfeorganisation LBH: „This verdict is a humiliation of the law, when these judges say that the lower courts have wrongly implemented the law“. ...„he is proven guilty of shameful conduct, because he failed to show minimal, appropriate efforts to protect state money. The defendant’s action could be categorized as „corrupt practice“. Weiterhin: „What happend was that the defendant engaged in actions that violated decency...(and) prudence in line with the principles of good governance that there should not be any abuse of power“. Vernichtender kann eine richterliche Meinung, auch wenn es nur die eines Einzelnen unter fünf Richtern ist, kaum sein.
Der politische Druck sowie der monetäre Anreiz waren letztlich wohl ausschlaggebend für das weitgehend erwartete Urteil, denn Akbar Tandjung stand neben 6 weiteren Personen auf der Liste der Anwärter für die Nominierung auf der GOLKAR-Liste für das Präsidentenamt. Diese sind der ehemalige Militärkommandeur (Panglima TNI) und Adjutant Suhartos, General Wiranto, Aburizal Bakrie, Geschäftsmann und engerer Vertrauter von Suharto, Suria Paloh, ein Medienmogul, Sri Sultan Hamengkubuwono X, Gouverneur von Yogyakarta, Prabowo Subianto, General, ehemaliger Chef der Strategischen Reserve der Armee und schließlich Jusuf Kalla, Minister für Volkswohlfahrt.
Bei genauerer Betrachtung stellt diese Liste in weiten Teilen eine Provokation für die Kämpfer für den Sturz des alten Systems dar und damit für die gesamte Demokratiebewegung. Noch vor zwei Jahren galt die Forderung nach einem Verbot der GOLKAR als ein legitimes Anliegen für alle, die unter dem repressiven System gelitten haben. Viele von ihnen haben sich inzwischen arrangiert oder unter den neuen, alten Verhältnissen eingerichtet.
Nachdem Akbar straflos bleiben wird, kann er als Schwergewicht unter den anderen GOLKAR Kandidaten gewichtet werden, an dem die Partei kaum vorbei kommen kann. Einer unter den genannten sechs Kandidaten hat bereits die Konsequenzen gezogen und ist von seiner Kandidatur auf der GOLKAR-Liste zurückgetreten: Der Sultan und Gouverneur von Yogyakarta. Weitere könnten diesem Schritt in den nächsten Tagen folgen. Im weiteren Verlauf der Wahlkämpfe wird es nun darauf ankommen, alle verfügbaren Ressourcen zu nutzen (und GOLKAR verfügt über viele), um die Wahlen für sich gegen das PDI-P Kandidatenteam zu gewinnen. Megawati, die Vorsitzende von PDI-P, war wohl erleichtert zu hören, dass Akbar freigesprochen wurde. Ob dies als ein Hinweis darauf zu werten ist, dass sie darüber nachdenkt, ein gemeinsames Präsidenten/Vizepräsidententeam mit GOLKAR aufzustellen?
Wahrscheinlicher ist, dass sie die bewährte Zusammenarbeit mit TNI beibehält und einen General in ihr Team als Vizepräsident einlädt. Sollte sich dies als wenig aussichtsreich darstellen, bliebe die formale Koalition mit einem der islamischen Präsidentschaftskandidaten, entweder Hamzah Haz (PPP, bisheriger Partner), oder Amien Rais, (PAN, mit Rückendeckung der größten Moslemorganisation Muhammadiyah). Schließlich könnte es sogar ein Wiederaufleben einer Kooperation mit der dritten wichtigen islamischen Partei, PKB, geben, die jedoch unter Führung des Ex-Präsidenten Abdurrahman Wahid als Kandidat für die Präsident-/Vizepräsidentschaft äußerst schwierig werden würde. Denn in der früheren Konstellation mit Wahid als Präsident und Megawati als Vizepräsidentin hat ersterer seine Vize sehr schlecht behandelt und oft nicht ernst genommen.
Möglicherweise ergeben
sich innerhalb der Führungseliten von PKB noch Umdenkungsprozesse,
die Wahid gegen einen konzilianteren Kandidaten, der mit Megawati zusammen
arbeiten kann, austauschen werden. Dies wird allerdings nicht vor Bekannt
werden der Wahlergebnisse zu den Parlamentswahlen
geschehen. <>
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