Indonesien-Information Nr. 1/2005 (Menschenrechte)

 

Arsen und Spitzelhäubchen

Die Suche nach den Hintermännern des Mordes an Munir

von Alex Flor


Eine Prozesseröffnung, eine Verhaftung, zwei Vorladungen an Verdächtige innerhalb weniger Tage im August – wer wollte da noch behaupten im Mordfall Munir träten Polizei und Justiz auf der Stelle?.

Munir war der wohl bekannteste Menschenrechtsaktivist Indonesiens. Er war Gründer der Menschenrechtsorganisationen Kontras und Imparsial sowie zeitweise Leiter der Rechtshilfeorganisation LBH. Auch Watch Indonesia! war Munir durch zahlreiche gemeinsame Aktivitäten in vielfältiger Weise verbunden. Das zuletzt geplante gemeinsame Vorhaben konnte allerdings nicht mehr durchgeführt werden. Auf dem Weg nach Europa wurde Munir am 7. September 2004 im Flugzeug mit einer tödliche Dosis Arsen vergiftet. Er starb wenige Stunden vor der Ankunft in Amsterdam.

Es hatte lange gedauert, bis der Autopsiebericht der niederländischen Behörden bekannt wurde, der zweifelsfrei auf einen Giftmord schließen lässt. Angestoßen von Munirs Witwe, Suciwati, richtete sich bald der Verdacht auf Pollycarpus Budihari Priyanto, einen Piloten der staatlichen Luftlinie Garuda Indonesia. Suciwati erinnerte sich daran, dass Pollycarpus Munir wenige Tage vor dessen Abreise nach Amsterdam angerufen hatte. Er erzählte, dass er zufällig in der selben Maschine fliegen werde. Pollycarpus leugnet diesen Anruf, kann aber nicht erklären, wie seine Handynummer in den Speicher von Munirs Telefon gelangen konnte. Auf der Teilstrecke von Jakarta nach Singapur arbeitete Pollycarpus nicht als Pilot, sondern als Kabinenpersonal in der Business Class. Scheinbar großzügig bot er Munir an, von der Economy Class in die Business Class zu wechseln. Munir akzeptierte. Die tödliche Dosis Arsen, der Munir wenige Stunden später auf dem Weiterflug nach Amsterdam erliegen sollte, wurde ihm in einer Mahlzeit oder einem Getränk zugeführt, das ihm dort gereicht wurde. Pollycarpus hatte offenbar die Aufgabe, sicherzustellen, dass Munir auf dem richtigen Platz saß.

Als sicher darf angenommen werden, dass Pollycarpus kein Einzeltäter ist. Er begründete seinen Flug nach Singapur später damit, dass er als Sicherheitsoffizier gerufen wurde, weil eine Garudamaschine in Singapur ein technisches Problem am Fahrgestell hatte. Sonderbar, dass Pollycarpus dieses Problem in wenigen Nachtstunden zwischen seiner Ankunft am späten Abend und seiner Rückreise mit der Frühmaschine nach Jakarta gelöst haben will. Sonderbar auch, dass der Auftrag für diesen Einsatz erst über eine Woche später geschrieben wurde und nicht wie üblich vom Operational Director, sondern vom Garuda-Vizepräsidenten für Unternehmenssicherheit, Ramelgia Anwar, unterzeichnet wurde. Zahlreiche weitere Ungereimtheiten deuten darauf hin, dass bei Garuda mehrere Personen auf mittlerer und höchster Ebene in die Mordpläne eingeweiht waren und sich aktiv an deren Umsetzung beteiligten.

Allerdings fällt es schwer zu glauben, dass jemand in der Führungsetage von Garuda ein direktes Tatmotiv gehabt hätte. Wahrscheinlicher ist, dass auch diese Herren im Auftrag Dritter gehandelt haben. Kurz nach bekannt werden dieser Vorwürfe wurde das gesamte Führungspersonal von Garuda Indonesia ausgetauscht – wegen Missmanagements.

Verdachtsmomente

Erste Verdachtsmomente wiesen in Richtung des Geheimdienstes BIN (Badan Intelijen Nasional). So wurde beispielsweise bekannt, dass Pollycarpus im Besitz einer Pistole sein soll, deren Waffenlizenz auf eben diesen Geheimdienst ausgestellt ist. Spätere Ermittlungen ergaben, dass Pollycarpus vor und nach dem Mord mehrfach mit Muchdi Purwopranjono telefoniert hatte. Muchdi war seinerzeit der Vizechef von BIN.

Ein von der Regierung eingesetztes Fact-Finding Team, an dem Kriminalbeamte der Polizei ebenso beteiligt waren wie führende Menschenrechtsaktivisten und ehemalige Kollegen Munirs, scheint der Auflösung des Falles sehr nahe gekommen zu sein. Ein Mitglied des Teams, Brigadegeneral Marsudi Hanafi, ließ verlauten, es seien Unterlagen gefunden worden, in denen vier Varianten eines Mordplanes an Munir durchgespielt worden waren: ein vorgetäuschter Autounfall, die etwas exotisch anmutende Variante der Anwendung schwarzer Magie, die Verabreichung von Gift in Munirs Büro und die Vergiftung im Flugzeug. Marsudi Hanafi wollte jedoch keine Aussage abgeben, wo die entsprechenden Unterlagen gefunden worden seien. /Jakarta Post, 15.6.05/  Ohne auf Einzelheiten des Untersuchungsberichtes einzugehen, erklärte der Menschenrechtler Asmara Nababan, der ebenfalls Mitglied des Teams war: „Wir glauben, dass BIN an einer Verschwörung zum Mord an Munir beteiligt war.“ Asmara ging jedoch nicht soweit, den Geheimdienst oder seine Mitarbeiter als direkte Auftragsgeber oder Drahtzieher zu bezichtigen. /The Jakarta Post , 23.6.05/

Aufschluss hatte sich das Fact-Finding Team vom damaligen Chef des Geheimdienstes, A.M. Hendropriyono, erhofft. Doch der inzwischen in den Ruhestand getretene General, weigerte sich mehrfach, den Vorladungen des Teams Folge zu leisten. Selbst Präsident Susilo Bambang Yudhoyono, der die Aufklärung des Falles zur Chefsache erklärt hatte, bekundete öffentlich sein Bedauern über Hendropriyonos Verweigerung der Zusammenarbeit. /The Jakarta Post, 21.6.05/.

In seiner ihm unnachahmlichen charmanten Art gab Hendropriyono zu verstehen, dass Susilo Bambang Yudhoyono wohl derzeit zufälligerweise Präsident sei, jedoch in der Hackordnung innerhalb der Streitkräfte einen geringeren Rang als er selbst eingenommen hatte. Derweil erklärte sein Anwalt: „Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber wer war eigentlich dieser Munir, dass für ihn eine Anordnung des Präsidenten erlassen werden musste? Viele Leute sterben, ohne dass jemals Anordnungen für sie erlassen würden.“ /The Straits Times, 14.6.05/

Neue Anklagen

Mit der Verlesung der Anklage wurde am 9. August 2005 der Prozess gegen Pollycarpus eröffnet. Beobachter zeigten sich entsetzt über die Schwäche der Anklageschrift. In der Rekonstruktion des Tathergangs gleitet die Staatsanwaltschaft so weit ins Spekulative ab, dass fraglich ist, ob das Gericht darauf begründet eine Verurteilung aussprechen kann. Völlig außen vor bleiben Indizien, die zu einer Aufdeckung der Hintermänner führen könnten. Folgt man der Anklageschrift, hat Pollycarpus aus eigenem Antrieb gehandelt. Weder die offensichtlichen Fälschungen von Dokumenten seitens der ehemaligen Garuda-Manager, noch die Querverbindungen zu BIN werden in der Anklageschrift auch nur mit einer Silbe erwähnt.

Wenige Tage darauf wurde völlig überraschend die Verhaftung eines neuen Verdächtigen bekannt gegeben. Der Mann namens Erry Bunyamin habe im selben Abteil der Business Class gesessen wie der Ermordete. Aber sein Name tauchte nicht auf der Passagierliste auf und angeblich benutzte er gefälschte Reisedokumente. Eine Verbindung dieser Vergehen und Ungereimtheiten zu dem Mord an Munir konnten die Ermittler allerdings bislang nicht herstellen. Aktionismus als Ablenkungsmanöver?

Eine völlig neue Wendung nahm die Geschichte wieder ein paar Tage später, am 14. August 2005. Zwei Personen erhielten polizeiliche Vorladungen. Es handelt sich um Usman Hamid und Rachland Nashidik, die beiden Nachfolger von Munir als Direktoren der Organisationen Kontras und Imparsial. Beide waren Mitglieder des Fact-Finding Teams und hatten in dieser Eigenschaft – ähnlich wie der Staatspräsident – mehrfach ihrer Enttäuschung über das Nichterscheinen des Zeugen Hendropriyono Ausdruck verliehen. Nun hat der frühere Geheimdienstchef Anzeige wegen Verleumdung erstattet. Die Polizei ermittelt. Angriff ist die beste Verteidigung. <>
 
 

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