22. März, 10.30 Uhr. Anflug mit Garuda auf Banda Aceh, Hauptstadt der nördlichsten Provinz Indonesiens. Mehr als 220.000 Menschen haben hier ihr Leben durch den Tsunami vom 26. Dezember 2004 verloren. Über 400.000 leben in Camps oder Zelten, mehr als 500.000 haben Arbeit und Einkommen verloren.
Der Pilot senkt das Flugzeug in einer Linkskurve entlang der Küste Richtung Flughafen. Schon hier werden die großen Zerstörungen durch den Tsunami sichtbar. Am Airport das erwartete Bild: Viele Hubschrauber des Militärs, vom Roten Kreuz, Lastwagen von Hilfsorganisationen, die auf Beladung warten. Gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Hans-Joachim Esderts, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Jakarta und mir steigen viele weitere Ausländer aus der vollbesetzten DC-10. Vertreter von internationalen Organisationen, die sich am Wiederaufbau beteiligen. Aber auch viele Angehörige amerikanischer Sekten, die ganz andere Absichten hier haben. Wir werden abgeholt von Syaifulah (Name geändert, d. Verf.), der für eine Rechtshilfeorganisation in Banda Aceh arbeitet, die auch schon vor dem Tsunami von der FES gefördert wurde. Sie kümmert sich vor allem um Acehnesen, die sich gegen Behördenwillkür und Übergriffe des Militärs und der Rebellenorganisation GAM wehren. Und hilft jetzt Tsunami-Flüchtlingen, etwa bei der Wiederbeschaffung von Dokumenten, mit denen sie ihre Grund- und Bodenansprüche belegen können. Leute wie Syaifulah leben gefährlich, im vergangenen Jahr hat ihm sein politisches Engagement Verfolgung und Folter eingebracht. Eine ähnliche Arbeit leistet eine andere Partnerorganisation der Friedrich-Ebert-Stiftung, die wir hier besuchen. Eine Menschenrechtsorganisation, die sich vor allem um die Verschwundenen und Folteropfer des Bürgerkriegs kümmert. Auch sie muss unter erschwerten, gefährlichen Bedingungen arbeiten. Aceh war auch vor dem Tsunami schon keine normale Provinz, hier herrscht Bürgerkrieg.
29 Jahre Bürgerkrieg
Der Konflikt im Norden Indonesiens hat in den vergangenen 29 Jahren bereits fast 15.000 Todesopfer gefordert. Es geht nicht, wie oft zu lesen ist, um religiöse oder ethnische Interessen. In Aceh wird ein sehr konservativer Islam praktiziert, aber es handelt sich nicht um islamischen Fundamentalismus. Es ist ein ökonomischer Konflikt. Die Provinz ist reich an Bodenschätzen, vor allem Erdöl und Erdgas. Aber die Erlöse aus diesem Reichtum flossen in der Vergangenheit fast ausschließlich auf die Hauptinsel Java. Für die Acehnesen blieb fast nichts übrig. Das Pro-Kopf-Einkommen gehört zu den geringsten im Lande. Die Rebellenbewegung GAM baut hierauf und dem historischen Selbstbewusstsein der Acehnesen auf. Schon im 14. Jahrhundert kam der Islam auf die „Terrasse Mekkas” und Aceh stand an der Spitze des Kampfes gegen die holländischen Kolonialherren.
Anfangs kämpfte die GAM für die Unabhängigkeit der Provinz Aceh von Indonesien, aber mittlerweile ist die nationalistische Agenda der GAM eher einer „Warlord-Ideologie” à la Afghanistan gewichen. Die Führung sitzt schon lange im Exil in Schweden, die lokalen Kommandeure vor Ort haben ihre eigenen Interessen. Sie leben gut vom Schmuggel und der Ausplünderung der Bevölkerung.
Aber eigene Interessen hat auch das gegen die GAM operierende Militär, das nur sehr begrenzt der politischen Kontrolle der Zentralregierung im zwei Flugstunden entfernten Jakarta untersteht. Die Militärkommandeure exportieren illegal Tropenholz nach China, bauen Marihuana an und verkaufen dies oder erpressen, wie die GAM, große Mengen an Schutzgeldern nicht nur von den internationalen Ölkonzernen, sondern auch von kleinen Geschäftsleuten. Es geht schon lange nicht mehr um politische Ziele, in Aceh regiert die politische Ökonomie des Krieges, der Konflikt nährt sich selbst. Die Menschen in Aceh stehen zwischen diesen Interessen. Wer Position bezieht für eine Seite oder nur in den Verdacht gerät, ist gefährdet.
Im Februar haben in Finnland Verhandlungen zwischen der indonesischen Regierung und der GAM über eine Konfliktlösung begonnen. Die Verhandlungen waren schon vor der Flutwelle vereinbart worden. Aber der Zeitpunkt und die hochrangige Besetzung seitens Indonesiens sind sicherlich der plötzlichen internationalen Aufmerksamkeit in Sachen Aceh geschuldet. Für die Bevölkerung in Aceh ist es wichtig, dass die Dinge nicht mehr im Verborgenen geschehen können. Öffentlichkeit erschwert es dem Militär und der GAM zumindest, Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Die diversen Projekte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Aceh sollen deshalb auch dazu beitragen, eine Zivilgesellschaft aufzubauen und für die lokalen Medien Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen.
Partner der Friedrich-Ebert-Stiftung
Und dies in einem Maße, wie das vor dem Tsunami eben nicht der Fall war. Wir unterstützen deshalb den Aufbau eines Medienzentrums der Journalistengewerkschaft AJI in Aceh, das am 23. März in Betrieb genommen wurde. Viele der in Aceh tätigen, freiberuflichen Journalisten haben ihre Häuser und damit ihre Arbeitsmöglichkeiten verloren. Im AJI-Medienzentrum stehen ihnen nun ausreichend ausgestattete Arbeitsplätze zur Verfügung, hier erhalten sie Informationen über den Wiederaufbau. Und auch Journalistenschulung soll angeboten werden.
Die beiden erwähnten Menschenrechtsorganisationen hatten ihre Büros im Tsunami-Gebiet, sie sind völlig zerstört worden. Wir helfen beim Wiederaufbau ihrer Infrastruktur, damit sie ihre wichtige Arbeit für Menschenrechte und politische Transparenz in Aceh möglichst bald weiter führen können. Dies gilt auch für die Förderung der Organisation „Indonesia Corruption Watch“, die mit Hilfe der FES ein Netz von sieben „Beobachtungsposten“ in den Regionen von Aceh aufbaut. Dies soll gewährleisten, dass sich die ansonsten endemische Korruption in Indonesien für den Wiederaufbau in Grenzen hält.
Aber der Hauptgrund der Reise nach Aceh war die Eröffnung des „Trade Union Care Center“ (TUCC), ebenfalls am 23. März. Ein Projekt, das vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der amerikanischen Schwesterorganisation AFL-CIO finanziert und von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Indonesien fachlich umgesetzt wird. Die indonesischen Gewerkschaften aus dem Dienstleistungssektor, der Energieversorgung, der Zementindustrie und andere haben sich zu der Stiftung „Trade Union Care Center“ zusammengefunden. Sie wollen ihre Kolleginnen und Kollegen und deren Familien unterstützen, die durch den Tsunami schwer getroffen sind.
Die Gewerkschaftsbewegung in Indonesien ist noch jung, erst seit dem Ende der Suharto-Diktatur im Jahr 1998 kann von Gewerkschaftsfreiheit die Rede sein. Entsprechend klein und schwach sind die Arbeitnehmervertretungen. Das gilt dann noch mal für die Provinz Aceh, in der Basisorganisationen immer in den Verdacht geraten, mit der GAM zu sympathisieren. Die wenigen Gewerkschaften aus dem Dienstleistungssektor (Post; Telekom, Energieversorgung), dem Bildungssektor und vereinzelten Betrieben berichten aber dennoch über große Verluste unter ihren Mitgliedern. Von den 500 Arbeitern der Zementfabrik des französischen Multis Lafarge, die direkt an der Küste liegt, sind über 300 Menschen ums Leben gekommen.
Die drei Mitarbeiter des TUCC werden in den Flüchtlingslagern Daten sammeln, den obdachlosen Familien der Mitglieder bei der Beschaffung von Dingen des täglichen Bedarfs helfen, wie Schulkleidung, Schulbücher, Schulgebühren, Einrichtungsgegenstände, Kleidung, job-bezogener Bedarf. Auch Rechtshilfe und Beratung bei der Jobsuche will das Zentrum leisten und als Anlaufstelle für Alltagsfragen dienen. Langfristig soll das Zentrum aber auch dabei helfen, in Aceh eine Gewerkschaftsbewegung aufzubauen. Dies würde eine besondere politische Signalwirkung haben, denn es könnte demonstriert werden, dass auch in einer sehr traditionellen, muslimischen Gesellschaft wie Aceh funktionierende demokratische Gewerkschaften möglich sind.
Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der Provinz und der Demokratie in Indonesien. Die von der Tsunami-Hilfe des DGB aufgebrachten Mittel wurden mit Hilfe der FES genutzt, die Infrastruktur dieses gewerkschaftlichen Beratungszentrums aufzubauen. Und die Hilfe muss langfristig angelegt sein. Für mindestens weitere drei Jahre sieht das TUCC seine Aufgabe in Aceh.
Die Zerstörungen sind gewaltig
Wie nötig diese Hilfe ist, zeigen nicht nur die vielen Fernsehbilder von den unfassbaren Zerstörungen, die der Tsunami hinterlassen hat. Die Betroffenheit hat auch Gesichter. Abi, einer der drei Mitarbeiter des TUCC hat insgesamt 30 Mitglieder seiner Großfamilie verloren, darunter seinen Vater und zwei Schwestern. Und eine Schwester hat nur überlebt, weil sie sich stundenlang an einem Elektrizitätsmast festgeklammert hat. Für Abi ist die Arbeit im TUCC nicht nur Lebensunterhalt. Sie hilft ihm vielleicht, die schrecklichen Bilder des 26. Dezember zu überwinden.
Die Verwüstungen, die der Tsunami hinterlassen hat, sind kaum zu beschreiben. Einige küstennahe Berghänge zeigen, dass die Tsunamiwelle dort höher als zehn Meter gewesen sein muss.
Das Wasser hat Häuser, Bäume, Autos und Menschen buchstäblich zermalmt. Kilometer um Kilometer fährt man durch Mondlandschaften. Nur Grundmauern und Möbelreste zeigen, dass hier Dörfer und Städte gestanden haben. Einzelne Menschen scharren in der prallen, heißen Sonne in den Überresten ihrer ehemaligen Wohnungen.
Viele weigern sich, Camps zu beziehen. Sie bauen die Zelte der Hilfsorganisationen dort auf, wo sie gewohnt haben, um ihre Ansprüche zu sichern. Möglicherweise will die Regierung aber nicht mehr tolerieren, dass in der Nähe des Meeres gebaut wird. Eine große Zahl von Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Verwaltungseinrichtungen sind zerstört. Es wird Jahre dauern und viel Geld kosten, Aceh wieder aufzubauen.
Der Wiederaufbau beginnt
Aber der Wiederaufbau ist bereits sichtbar, schneller als erwartet. Die indonesische Regierung hat rasch reagiert, die Nothilfephase war kürzer als erwartet. Und bis auf Ausnahmen funktioniert auch die Koordination mit der internationalen Hilfe. Straßen und Brücken werden repariert, Wasser und Abwasserleitungen verlegt. In der Schuttwüste zeigen sich hier und da wieder erste Neubauten. Die Versorgungslage zumindest in Banda Aceh normalisiert sich, allerdings sind alle Güter deutlich teurer als im Rest Indonesiens. Und vor allem die Menschen in Aceh zeigen Hoffnung und Aufbauwillen, sie sind offen und diskussionsfreudig. Mit einer konservativen islamischen Gesellschaft arabischer Prägung hat Aceh fast nichts gemein. Ob allerdings erneute Beben wie am 28. März zu neuer Paralyse führen, ist nicht auszuschließen. Die Angst der Acehnesen vor einer neuen Naturkatastrophe bleibt jedenfalls.
Aktiv sichtbar beim Wiederaufbau sind vor allem die Frauen: Frauen aller Altersklassen wühlen sich durch die Trümmerwüste, identifizieren die Standorte ihrer früheren Behausungen und beginnen Steine zu säubern, ähnlich den Trümmerfrauen nach 1945 in deutschen Städten, die durch Bomben der Alliierten stark zerstört waren. Diese Arbeiten verrichten sie ganz ohne Werkzeuge, mit bloßen Händen bei 30-35 Grad im Schatten, den es aber in der Wüste der Trümmer nicht gibt. Männer sind hier seltener zu sehen, dafür bevölkern sie die Kaffeehäuser von Banda Aceh zu allen Tageszeiten.
Vor allem Frauen sind Opfer des Tsunami
Eine Oxfam Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Frauen sehr viel stärker von Erdbeben und Tsunami betroffen sind als Männer. Etwa viermal so viele Frauen sind unter den etwa 220.000 allein in der Provinz Aceh umgekommenen Menschen. In manchen Orten Acehs sind 80 % der weiblichen Bewohner tot oder vermisst. Die Erfahrungen in Indien und Sri Lanka sind ähnlich. Ursache dafür ist, dass sich die Frauen in erster Linie bei der Überschwemmung um ihre Kinder kümmerten und versuchten, sie zu retten. Da die Frauen selbst nicht schwimmen gelernt haben (dies setzt eine teilweise Entkleidung voraus, die die strikte islamische Tradition angeblich verbietet) und über weit geringere Übungen beim Klettern verfügen, sind sie vielfach Opfer der Riesenwelle geworden. In einem Subdistrikt Acehs gab es vor der Katastrophe 1.800 Einwohner, von denen 232 Menschen überlebt haben, nur 40 von ihnen waren Frauen.
Die Konsequenzen aus der sich nun zeigenden Frauenknappheit sind evident: Zunehmende Fälle von Vergewaltigung, erzwungene Heirat mit minderjährigen Mädchen. Vermutlich werden die Frauen durch individuellen und gesellschaftlichen Druck vielfach gezwungen werden, sehr viel mehr Kinder zu bekommen, als sie sich selbst wünschen würden, um die Verluste an Frauen in der Gesellschaft zu ersetzen.
Die Kasernierung von Familien und fremden Einzelpersonen in Lager der Regierung zwingt zum Zusammenleben auf engstem Raum. Dabei kommt es vielfach zu sexuellen Übergriffen auf Frauen, aber auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Der Aufbau einer Zivilgesellschaft ist unverzichtbar für den Wiederaufbau
An der Eröffnung des gewerkschaftlichen Beratungszentrums nahm auch der ständige Vertreter der deutschen Botschaft in Banda Aceh, Herr Heinrich Haupt, teil. Auch die deutsche Bundesregierung unterstützt eine friedliche Entwicklung und eine offene Gesellschaft in Aceh. Die Projekte der FES werden deshalb von der deutschen Vertretung auch ausdrücklich unterstützt. Deutsche haben es überhaupt leicht hier: Der Einsatz der Bundeswehr, des technischen Hilfswerkes und der freiwilligen Hilfswerke werden von den Leuten auf der Strasse immer wieder gelobt. Und der Wunsch ist, dass möglichst viele deutsche und andere ausländische Organisationen möglichst lange bleiben.
Das Engagement der Friedrich-Ebert-Stiftung in Aceh ist auf mehrere Jahre angelegt. Neben der Unterstützung der einzelnen Projekte möchten wir auch dazu beitragen, dass diese und andere Organisationen ein politisches Netzwerk der Zivilgesellschaft bilden.
Denn wenn die enorme in-
und ausländische Hilfe nachhaltig wirken soll, dann muss der Wiederaufbau
transparent verlaufen und die Provinz „offen“ bleiben. Die Gefahr, dass
Aceh wie die zwei Jahre vor dem Tsunami wieder militärisches Sperrgebiet
wird, ist real. Die Menschenrechtsorganisationen berichten bereits, dass
kritischen Journalisten und Aktivisten die Einreise verweigert wurde. Die
ausländischen Militärkontingente, darunter die Bundeswehr, sind
bereits gegangen. Die indonesische Regierung entscheidet im Mai, welche
ausländischen Organisationen weiter arbeiten dürfen. Der Polizeichef
der Provinz Aceh kündigte an, man werde die Bewegungsfreiheit der
Ausländer zu ihrem eigenen Schutz weiter einschränken. Die Bevölkerung
von Aceh bittet die Ausländer zu bleiben, denn nur das gibt ihr Schutz
und Sicherheit vor den eigenen Truppen, der GAM und der korrupten Verwaltung.
Der Aufbau einer Zivilgesellschaft ist unverzichtbar für den Wiederaufbau
in Aceh.
Dr. Hans-Joachim Esderts ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Indonesien.
Erwin Schweisshelm ist
Indonesien-Referent in der Zentrale der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.
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