Präsident Susilo Bambang Yudhoyonos (SBY) Handphone Nr. 0811-109949 ist wieder überlastet. Zigtausende SMS fordern die Rücknahme eines neuen Dekrets. Durch die Straßen vieler indonesischer Städte ziehen Menschenmassen. Ihre Transparente sprechen von Ausverkauf: „Dijual Tanah Rakyat; Dijual Murah; For Sale; Not For People; For Investor Only”. Frauen tragen aus Lehm geformte traditionelle Speisen, verziert mit Feldfrüchten. Dangdutklänge machen Stimmung. Der Song um den schönen Vogel Bülbül (Cucak Rowo von Kempot Didi) fetzt über die Straßen. Das beliebte Lied passt: es erzählt von Betrug und Enttäuschung.
Fehlende Infrastruktur und Rückgang von Investitionen
Betrogen und enttäuscht fühlen sich die Menschen von einem neuen Präsidialdekret. Am 3. Mai 2005 erließ Präsident Susilo Bambang Yudhoyono die Präsidialverordnung Perpres 36/2005 (Peraturan Presiden) „zur Beschaffung von Grund und Boden für Infrastrukturmaßnahmen im öffentlichen Interesse“. Damit soll die Stagnation von Investitionen und Infrastrukturmaßnahmen durchbrochen werden. Tatsächlich musste Indonesien in den letzten Jahren einen Rückgang an ausländischen Investitionen, insbesondere in dringend benötigte Infrastrukturprojekte, verzeichnen. Betrugen die Investitionen in die Infrastruktur 1993/1994 noch 5,34% des Bruttosozialprodukts (BSP), so waren es im Jahre 2002 alamierend geringe 2,33% des BSP. Potentielle Investoren machen einen Bogen um das Land, weil sie abgeschreckt werden durch Rechtsunsicherheit, die widersprüchliche oder zweideutige Gesetzeslage oder inkohärente Abgabenregelungen. Vor allem beklagen sie sich über die Schwierigkeit, an das erforderliche Land zu kommen. Etliche begonnene Infrastrukturprojekte liegen derzeit auf Halde, weil Landrechtskonflikte ungelöst bleiben oder gar kein Land zur Verfügung steht.1 Ein konkretes aktuelles Fallbeispiel, das dringend der Lösung bedarf, sind die alljährlichen Überschwemmungen in Jakarta. Da soll der geplante Hochwasserkanal Banjir Kanal Timur Abhilfe schaffen. Fast eine Viertel Million Menschen würden dem Kanal weichen müssen, kleine Leute, die um ihren Wohnraum fürchten oder gar nicht erst wissen, wohin. Bisher wehren sie sich gegen eine Umsiedlung. Der neue Erlass könnte hier Abhilfe schaffen. Sutiyoso, der Gouverneur von Jakarta, hat schon vorher erklärt, er werde Perpres 36 nutzen, um den Kanal zu bauen, oder auch die Autobahn um Jakarta herum.
Mit der alten Regelung von 1993, Keppres 55/1993 (Keputusan Presiden), wäre dies nicht möglich. Es sei denn, sie würde, wie so oft, willkürlich genutzt. Die Unzulänglichkeiten von Keppres 55 und ihr Missbrauch haben nämlich reichlich Konflikte hinterlassen. Allein die Insel Java hat aus der Suhartozeit 612 Streitfälle um 7 Millionen Hektar Land geerbt, davon sind 527 bis heute ungelöst. Betroffen sind drei Millionen Javaner.2 Der neue Erlass dagegen erhebt den Anspruch, den Landbesitzern, die einer modernen Infrastruktur weichen müssen, mehr Gerechtigkeit zu verschaffen, und gleichzeitig Investoren durch das Versprechen von mehr Rechtssicherheit anzulocken.
Der neue Präsidialerlass zur Beschaffung von Land für Infrastrukturprojekte
Die Liste der Infrastrukturbereiche, an denen ein nationales Interesse bestehen soll, ist länger als die der alten Regelung von 1993; statt vorher 14 Bereiche sind es jetzt 21. Zur dieser Kategorie der Entwicklungsprojekte gehören Straßen und Autobahnen, Eisenbahntrassen, Stromversorgung, Wasser- und Abwasserinstallationen; kein Zweifel, dass diese Infrastruktureinrichtungen für alle wichtig sind. Schwieriger kann es werden, wenn wegen Stauseen und Dämmen, Mülldeponien, Häfen, Flughäfen, Busbahnhöfen und Bahnhöfen Tausende von Menschen umgesiedelt werden müssen. Eine öffentliche Bedeutung kann Bildungsstätten, Schulen und Sportstätten, Krankenhäusern, Gesundheitsämtern und Rettungsdiensten oder auch Einrichtungen für Post und Telekommunikation, Radio- und Fernsehen zwar nicht abgesprochen werden, doch sollte die Planung solcher Projekte gemeinsam mit der ansässigen Bevölkerung und ohne das Damoklesschwert drohender Enteignung erfolgen.
Dass sogar mit Hilfe einer besonderen Regelung Land für Gotteshäuser, Friedhöfe und öffentliche Märkte beschafft werden darf, stimmt vollends verwunderlich. Auch Bau und Einrichtung staatlicher Institutionen sollen mit Hilfe der Verordnung erleichtert werden: Regierungs- und Verwaltungsgebäude; Gefängnisse sowie Projekte von Militär und Polizei. Ob da die Majorität der Bevölkerung immer zustimmen mag? Dazu kommen Gebäude für die UN, Botschaften und internationale Organisationen. Schließlich soll mit Hilfe von Perpres 36/2005 auch Land für geschützte Natur- und Kulturgüter, für soziale Einrichtungen und sogar Sozialwohnblocks bereitgestellt werden.
Die Frage ist nun, wie das „öffentliche Interesse“ definiert und wer hier entscheidet. Laut Perpres 36/2005 ist das öffentliche Interesse das der Majorität der Indonesier. Ein schwammiger Begriff, der auf Widerstand stößt. Unwahrscheinlich, dass vor der Planung von neuen Kasernen oder dem Bau einer Blindenschule jedes Mal ein Referendum abgehalten wird, um festzustellen, ob tatsächlich 51% der Bevölkerung davon Nutzen hat. Befragungen und öffentlichen Anhörungen als Teil eines gesellschaftlichen Disputs sind nicht vorgesehen.
Der Disput äußert sich weniger als sachgerechte Auseinandersetzung denn als heftiger Protest. Die Vehemenz des Widerstandes auf der Straße richtet sich vor allem, aus Furcht vor Ungerechtigkeiten und drohendem Abdriften in tiefe Armut, gegen die Methoden, mit denen Grund und Boden für Infrastrukturprojekte herangeschafft werden soll. Umschrieben werden die Methoden mit dem Begriff „Beschaffung“ (pengadaan). Was bedeutet dies im Sinne von Perpres 36? Das Dekret verweist hier ausdrücklich auf ein über vierzigjähriges „Gesetz zum Entzug des Landbesitzrechts“ (UU 20/1961 tentang Pencabutan Hak-Hak Atas). Dieses allerdings regelt den Entzug nicht im Detail und kennt explizit nicht den „Entzug des Grundbriefs“.
Perpres 36/2005 erlaubt im Prinzip zwei Methoden: die erstere regelt den Erwerb von Land mittels Verhandlungen und Absprachen (per musyawarah: Reden, bis Konsens erreicht ist). Auch Entschädigungen in Form von Geld, Wohnraum oder anderem Ersatz sind vorgesehen. Wenn aber Verhandlungen nichts fruchten, kann die zweite Methode angewendet werden: dann wird die Eintragung im Grundbuch gelöscht und der Grundbrief entzogen oder in Privatbesitz befindlicher Grund und Boden enteignet.
Zusammengefasst bringt Perpres 36, gegenüber Keppres von 1993 und über das alte Gesetz 20/1961 hinausgehend zwei Neuerungen: es bezieht sich auf viel mehr, auch strittige, Infrastrukturbereiche und erlaubt dem Staat mehr Autorität gegenüber den Besitzrechten seiner Bürger.
Einladung an Investoren: Infrastrukturgipfel in Jakarta
Ohne geeignete Infrastruktur bleibt die wirtschaftliche Entwicklung Indonesiens weit hinter der der Nachbarstaaten zurück. Daher hat Präsident SBY den Ausbau der Infrastruktur zu einer der wichtigsten Säulen für die Wirtschaftentwicklung der nächsten fünf Jahre gemacht. Infrastruktur soll forciert aufgebaut werden, und zwar jetzt und sofort. Damit hofft SBY, bis zum Ende seiner Amtszeit das Wachstum des Bruttosozialprodukts von 4,5 auf 7,2% steigern zu können. Gleichzeitig will er die Arbeitslosenrate und den Anteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze senken. Dies kann Indonesien nicht aus eigener Kraft schaffen, es braucht dazu den Privatsektor, i.e. nicht-staatliches Kapital, vorzugsweise aus dem Ausland.
Kapitalanleger und Investoren hören diese Botschaft gern. Sie lugen schon lange nach Indonesien und auf seine Resourcen, bedauern nur die unzulänglichen Sicherheiten und die kostenträchtigen, standortschädigenden Probleme des Landes. Nach der Tsunami-Katastrophe ist das Interesse der ausländischen Investoren wieder entfacht; allein der Wiederaufbau der Infrastruktur Acehs wird 2 Mrd. US$ verschlingen.3 Ein Vielfaches, nämlich 150 Mrd US$, benötigt Indonesien in den nächsten fünf Jahren für den Aufbau der Infrastruktur des ganzen Landes.4
Gut die Hälfte, 80 Mrd. US$, sollen private Anleger beisteuern.5 Dies erklärte SBY 700 kapitalkräftigen internationalen Teilnehmern auf dem Infrastruktur-Gipfel am 17. und 18. Januar 2005 in Jakarta. Eingeladen worden waren eigentlich nur 500, doch die Tsunami-Katastrophe hat bei so vielen potentiellen Investoren das Interesse am wirtschaftlichen Engagement geweckt, dass nicht jeder einen Sitzplatz bekam. SBY stellte ihnen mit wilder Entschlossenheit seine Infrastrukturpläne vor; Kabinettsmitglieder erklärten, Indonesien sei auf Wissen, Erfahrung und Kapital des Privatsektors angewiesen.
Die Regierung versprach, sämtliche hinderlichen Gesetze und Verordnungen zu ändern oder aufzuheben, und zwar innerhalb eines halben Jahres. Auch Mechanismen, Abgaben und andere Stolpersteine auf dem Weg zu einer befriedigenden Kapitalanlage sollten so schnell wie möglich beseitigt werden. Vor allem solle der Zugriff auf Land erleichtert werden.6
In letzter Minute – das halbe Jahr ist rum – wurde nun mit Perpres 36 versucht, das größte Hindernis auf dem Weg zu mehr Investitionen beiseite zu räumen. Dies soll nur die erste der vielen weiteren notwendigen legislativen Neuerungen sein. Erwartet werden und versprochen sind u.a.: Revision schon bestehender Gesetze und Verordnungen zur Landnahme, Vereinfachung der Zusammenarbeit von privatwirtschaftlichen mit öffentlichen Unternehmen, Verordnungen im Energiesektor, die Implementierung des Autobahngesetzes von 2003 (UU 38/2003). Außerdem sollen bald unabhängige Agenturen für Autobahn, Telekommunikation und Elektrizität geschaffen werden.
Dass die Regierung es ernst meint, zeigen 91 Projekte aus den Bereichen Autobahnbau, Stromversorgung, Gas-Pipelines, Telekommunikation, Häfen und Flughäfen, Wasser sowie Eisenbahnen, zusammen in einer Höhe von 22,5 Mrd. US$, denen die Regierung Priorität einräumt. Nur wenige Wochen nach dem Infrastruktur-Gipfel, im März, standen einige davon schon zur Ausschreibung, allerdings ausschließlich Projekte in Kooperation mit staatlichen Unternehmen.7
Mit Entschlossenheit ist Indonesien potentiellen Investoren mit Sieben-Meilen-Stiefeln entgegengeeilt. Oder ist es doch ganz anders? Wurde der Infrastrukturgipfel nur veranstaltet, um Druck auf die Gesetzgebung auszuüben? Handelsminister Mari Pangestu witzelte nämlich schon im Januar, der Gipfel sei nur ein Trick, die Reformierung widersprüchlicher Gesetze voranzutreiben.8 Und NGOs sind der Meinung, Perpres 36 sei erlassen worden, um die Ergebnisse des Gipfels nicht zu gefährden, zum Vorteil der Investoren und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Widerstand gegen Entwicklung auf Kosten der Armen
Diese jedoch will sich nicht ausschließen lassen und beschränkt sich keineswegs auf SMS an SBY. NGOs haben im Moment, ihre Differenzen vergessend, schlagkräftige Koalitionen gegen das Dekret gebildet und die Bevölkerung auf breiter Front mobilisiert. Ergebnis sind Proteste, Eingaben und Demonstrationen in allen wichtigen Städten, ein „langer Marsch“ am 29. Juni im Stadtzentrum von Jakarta, an dem Tausende von Menschen teilnahmen, vor allem Arme, Straßenhändler, Arbeiter, Bauern, Studenten.
Aber nicht nur die Armen lehnen Perpres 36 ab. Islamische Geistliche haben eine Fatwa gegen das Dekret ausgesprochen und kritisieren die Kommerzialisierung von Land im Zuge der Globalisierung des Kapitals.9 Akademiker der Universität Gajah Mada, Yogyakarta, halten es für übereilt und empfehlen die Verabschiedung eines Infrastruktur-Gesetzes. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass der Erlass mehr Probleme schaffen als lösen wird. Als alternative Strategie zu Rücknahmeforderungen debattieren sie über die Möglichkeit, den Fall vor den höchsten Gerichtshof zu bringen.
Genaus das versucht die NGO-Koalition „Rakyat Gotong-Royong Menolak Perpres 36/2005“. Poskos wurden eingerichtet, damit, so der neue Walhi-Geschäftsführer Chalid Muhammad, die kleinen Leute „keine Enteignungen im Namen des öffentlichen Interesses erleben müssen“.10 Hier können sie ihre Unterschriften leisten, die inzwischen dem Obersten Gerichtshof übergeben wurden. Walhi will das Dekret vor das Gericht bringen, weil, so Chalid Muhammad, es „in Zukunft zu schweren Menschenrechtsverletzungen, Einschüchterung und Gewalt führen kann.“ Walhi sei nicht gegen Entwicklung, aber gegen Entwicklung nur für Geschäftsinteressen.11
Selbst bei staatlichen Institutionen
gibt es starke Bedenken. Die Nationale Menschenrechtskommission zum Beispiel
hat SBY schriftlich (Brief 168/TUA/VI05, Komnas HAM an SBY, 21. Juni 2005)
aufgefordert, Perpres 36 zurückzunehmen. Die ablehnende Haltung der
Komnas HAM ist allerdings nicht überraschend, denn bei den meisten
Fällen, die Komnas HAM bearbeiten muss, handelt es sich um Landrechtskonflikte.
Perpres 36 verletze nicht nur die Menschenrechte, sondern stehe auch im
Widerspruch zu verschiedenen, in dem Schreiben an SBY detailliert aufgeführten,
Gesetzen. Außerdem, so der Komnas HAM-Vorsitzende Abdul Hakim Garuda
Nusantara, sei das Dekret repressiv, denn es vertrete nur die Interessen
bestimmter Gesellschaftschichten und nicht die des ganzen indonesischen
Volkes.12
Auch viele Parteien gehören
zu den Gegnern. Die PKS, Partai Keadilan Sejahtera, zum Beispiel prangert
an, dass Teile des Erlasses unklar und auslegbar seien und leicht missbraucht
werden könnten. Angst vor Missbrauch hat auch die Kommission II des
Parlaments. Sie fordert nicht gleich eine Rücknahme, sondern vorerst
nur eine Revision des Erlasses. Wegen der starken Proteste der Gesellschaft
schlagen die Abgeordneten eine Überprüfung von 13 der insgesamt
24 Absätze vor. Ihre Eigeninitiative aber wurde brüsk gebremst;
Minister Yusril Mahendra wies die Volksvertreter sogleich in ihre Schranken:
„Das DPR hat auf jeden Fall nur beschränkte Befugnis“, so Mahendra.
Der Präsident allein habe das Recht, den Empfehlungen der Parlamentarier
zu folgen oder sie zu verwerfen.13 Eine Rücknahme
lehnt die Regierung bisher strikt ab.
Unklare Definitionen und repressive Methoden
„Wenn auch viele Menschen in ein Hotel gehen, dann bedeutet dies noch lange nicht, dass Hotels Gebäude des öffentlichen Interesses sind,“ - für den Vorsitzenden Richter des Obersten Gerichtshofes, Bagir Manan, ist die Definition von „öffentlichem Interesse“ als dem Interesse der Majorität aus akademischer Sicht problematisch, da missbrauchbar.14 In der vergangenen Ära war es nur zu oft mit dem Interesse bestimmter mächtiger Personen oder Gruppen, die es mit Gewalt durchzusetzen wussten, identisch. Kritiker sprechen daher wieder einmal von einer Wiederkehr der alten Neuen Ordnung.
Besonders in Jakarta beteiligen sich viele Arme an den Demonstrationen. Sie sind es, die unter Suharto schlechte Erfahrungen machen und unter dem Vorwand des öffentlichen Interesses Bauprojekten weichen mussten. Gerade ihre Situation hat sich seither nicht verbessert. Immer wieder hat Jakartas Gouverneur Sutiyoso sie für Infrastrukturmaßnahmen oder im Rahmen von Armutsbekämpfungsprogrammen vertreiben lassen. Nur die wenigsten besitzen ein eigenes Stück Land. Auch die Bessergestellten werden durch den Erlass nicht viel besser gestellt: „Schadenersatz bekommen nur diejenigen, die ein Zertifikat haben. Doch sind das laut Wirtschaftministerium nur 31 Prozent aller Landbesitzer“, erläutert das Netzwerk der Urbanen Armen. „Der Schadenersatz richtet sich nach der Höhe der Grundsteuern. Doch die Verluste für die Menschen, die von ihrem Land vertrieben werden, sind viel höher.“ 15
Der Erlass manifestiert Recht und Monopol des Staates, über Land zu verfügen. Verhandlungen nach dem überlieferten Prinzip des Musyawarah sind vorgesehen, doch geht es dabei nur um die Höhe einer möglichen Entschädigung. Diese wird, da der Grundsteuerbescheid zugrundegelegt wird, unter dem tatsächlichen Marktwert liegen. Wenn Verhandlungen nichts fruchten und ergebnislos bleiben, erlaubt Perpres 36 repressive Maßnahmen: den Entzug des Besitzrechts und Enteignung.
Landrechtskonflikte sind
daher vorprogrammiert, auch wenn Kabinettsmitglieder beteuern, dass der
Erlass nicht repressiv gehandhabt werden und nicht zu Menschenrechtsverletzungen
führen wird. Sie werben für den Erlass als eine Verbesserung
gegenüber der alten Regelung, insbesondere solle er Landspekulationen
verhindern. Und Aburizal Bakrie, Koordinierender Minister für Wirtschaft,
verspricht denjenigen, die ihr Land für Infrastrukturprojekte zur
Verfügung stellen (müssen), Gerechtigkeit und die Respektierung
ihres Besitzrechts, sowie Planungssicherheit und Transparenz bei der Übereignung.16
Doch all dies bezweifeln die Betroffenen. Eine Entwicklung im „öffentlichen“
Interesse bereitet ihnen Angst vor der Willkür der Sicherheitskräfte
bei der Durchsetzung der Verordnung, Angst vor Ungerechtigkeiten, Vertreibungen,
Gewalt.
Unsichere Rechtslage
Die gesamte Abwicklung der Übereignung muss innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Sind die Betroffenen mit der Entschädigungshöhe oder der Enteignung nicht einverstanden, dürfen sie die Gerichte bemühen. Da Perpres 36 jedoch nach Meinung der Urbanen Armen im Widerspruch zu höher stehenden Gesetzen steht, u.a. zur Verfassung von 1945, zum Agrargesetz von 1960 und zur UN-Konvention zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, wird die Rechtsprechung wohl noch mehr Landrechtsfälle zu bearbeiten haben.
Der Erlass passt in die Praxis der legislativen Flickschusterei. Statt endlich Umsetzung der vor 40 Jahren beschlossenen Bodenreform in Angriff zu nehmen, die Korruption zu bekämpfen und Staatsgewalt klar zu definieren, wird hier ein Loch gestopft, da ein Leck übertüncht. Investoren und Landbesitzer verlangen Rechtssicherheit, Betroffene Schutz vor Willkür. Sie bekommen aber nur ein Patchworkmodell, das drückt und kneift und ebenso viele Probleme schafft, wie es überdecken will. Das Rechtsgebäude müsste grundlegend reformiert werden, doch es werde, so Bernadinus Steni von Huma, Gruppe für demokratische und ökologische Erneuerung des Rechts, immer chaotischer und böte immer mehr Gelegenheiten, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.17
Der richtige Ansatz wäre eine grundlegend veränderte Haltung im Umgang mit Umwelt und Boden, eine deutliche Abwendung von der Einstellung der Suhartozeit, sich wie im Selbstbedienungsladen Land und Ressourcen zu besorgen. Das MPR empfahl dies schon vor Jahren (2001 in: Tap MPR No IX/MPR/2001 tentang Pembaharuan Agraria dan Pengelolaan Sumberdaya Alam), und eigentlich müsste der Präsident diesem Rat folgen. Auch NGOs befürworten eine völlig neue Raumordnung, ein Umdenken im Bodenrecht, aber vorher sollte sich die Einstellung der Bürokraten ändern, denn Ursache der Probleme seien nicht die Menschen, die sich einer falsch verstandenen Entwicklung widersetzten und die nur als „entwicklungsfeindlich“ abgestempelt würden. Das wirkliche Problem werde durch die falsche Einstellung der Bürokratie geschaffen.18
Folgen für Gesellschaft und Natur
Wenn der Erlass ohne tief greifende Erneuerungen in Recht und Verwaltung angewandt wird, könnte dies zu folgenschweren gesellschaftlichen und ökologischen Veränderungen führen. Abgesehen davon, dass Bürger und Bürgerinnen Vertreibungen und Enteignungen hinnehmen müssen, dass sie private Verluste, Verarmung und Gewalt erleben werden, kann die erleichterte Beschaffung von Land auch zu einer umwälzenden Umgestaltung des Landbesitzes führen.
Die Furcht, dass Bodenspekulanten den Erlass für ihre Interessen nutzen, ist nicht unbegründet. Zu Folge hätte dies eine veränderte Struktur der Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft. Kleinbauern werden ihren Grund und Boden schwerer halten können, ihr Landbesitz wird auf Großbetriebe oder Spekulanten übergehen, und dies wird Machtverschiebungen im Agrarbereich zu Folge haben. Dies könnte zu einem entscheidenden Umbau des Agrarsektors führen. Mögliche Folge wäre ein Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, da bisher landwirtschaftlich genutztes Land anderweitig verwendet werden wird. Umwandlung von bäuerlich genutzten Böden in Infrastrukturprojekte oder von Wald in Plantagenwüsten verheißt auch wenig Gutes für die Umwelt.
Veränderungen der Landnutzung sind durchaus gewollt. Statt Subsistenzwirtschaft versprechen zum Beispiel Plantagen hohe Profite. Schon heute erzielt Indonesien gute Gewinne als Zulieferer der globalen Industrie. Anstrengungen werden unternommen, den Nachschub an Zellstoff für Kopierpapier und an Palmöl für Kekse und Schweinefutter sicherzustellen bzw. drastisch zu erhöhen. Gerade dem Plantagensektor will SBY entgegenkommen. Er soll kräftig von 6,01% auf 6,49% wachsen, wobei die Produktivität der Plantagen von 68% auf 75% erhöht werden soll, damit in Zukunft die Exporte 9 Mrd. US$ statt 5,2 Mrd. US$ einfahren.19 Auf den Wiederaufbau von Aceh angewandt, könnte die Regierung mit Hilfe des Erlasses ihre Autorität bei der Verwirklichung einer Neuordnung der Provinz durchsetzen, auch mit Zwang. Dies gilt besonders für die als geschützte Grünzone konzipierte Küstenregion. Bisher hat Jakarta diesen Plan nicht rigoros verfolgt, weil die ablehnende Haltung der ansässigen Küstenbewohner, die in ihre Dörfer zurückkehren wollen, zu viele Probleme aufwirft.20
Land in Sicht?
Die Implementierung des Erlasses, die Reaktionen auf den Widerstand werden zur Messlatte für die Regierung. Diese aber beharrt auf ihrer Autorität und zeigt Bereitschaft, den Widerstand niederzuschlagen. Schon haben die Behörden die ersten Demonstranten verhaftet. Im Interesse der Attraktivität Indonesiens für Investoren wird der lange Prozess einer Rechtsreform und einer ernsthaften demokratischen Auseinandersetzung in der Gesellschaft übersprungen, zum Preis der Kommerzialisierung von Grund und Boden. Als erster aktiv geworden ist der Gouverneur von Jakarta. Sutiyoso hat auf Stadtebene dafür gesorgt, dass ein „Landbeschaffungs-Komitee“ gebildet wird. Dieses Komitee hat die Aufgabe, Empfehlungen zur Entschädigungsproblematik auszusprechen, denen der Gouverneur folgen kann. Kommt es zu keiner Einigung in dieser Frage, ist der Weg frei für Enteigungen, auch mit Gewalt. Gouverneur Sutiyoso zeigt sich zufrieden. Endlich kann er seinen 23 km langen und bis zu 300 m breiten Hochwasserkanal in Ost-Jakarta bauen. Der erste Schritt ist getan, den Armen wird der Zutritt verwehrt: Land in Sicht für Infrastrukturprojekte.21
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1 http://www.media-indonesia.com/berita.asp?id=68202
2 http://www.kompas.com/kompas-cetak/0506/11/opini/1806807.htm
11. Juni 2005
3 Tsunami-Flut
erhöht Indonesien-Interesse ausländischer Investoren, Bundesagentur
für Außenwirtschaft, http://www.bfai.de/bot_Seite2847.html
4 http://www.usembassyjakarta.org/econ/infra-summit05/infrastructure-summit.html
5 17% der
Mittel sollen nach den Vorstellungen der Regierung aus dem Staatshaushalt
finanziert werden, 21% von indonesischen Banken oder Pensionsfonds. 10
Mrd. US$ möchte Indonesien Entwicklungshilfegelder entnehmen. Die
verbleibenden 80 Mrd. US$ sollen durch den Privaten Sektor, bzw. durch
Public Private Partnership Projekte, finanziert werden.
6 Reden
und Dokumente zum Infrastruktur-Gipfel: http://www.iisummit2005.com
7 Eine detaillierte
Liste der Projekte ist einzusehen unter http://www.usembassyjakarta.org
und unter http://www.kkppi.go.id
8 siehe
auch: http://www.iisummit2005.com
9 Presseerklärung
Forum Silaturrahmi Pesantren dan Petani, PP. Sunan Pandanaran Yogyakarta:
fatwa haram ulama tentang perpres 36/2005, 9.-10. Juli 2005
10 http://www.kompas.com/kompas-cetak/0506/10/UTAMA/1805649.htm
10 Juni 2005
11 NGOs
seek support for review of land decree, The Jakarta Post, Jakarta, 9. Juni
2005 http://www.thejakartapost.com/detailnational.asp?fileid=20050609.C02&irec=1
12 http://www.media-indonesia.com/cetak/berita.asp?id=2005062123265006
13 Presseerklärung
Walhi Südsumatra: Tumpeng Tanah Untuk SBY, 14.06.2005
14 http://www.kompas.com/kompas-cetak/0506/20/Politikhukum/1824878.htm,
20. Juni 2005
15 http://www.kompas.com/kompas-cetak/0506/20/Politikhukum/1824878.htm,
20. Juni 2005
16 http://www.investorindonesia.com/baru/displaynews.php?id=1118579444,
13. Juni 2005
17 http://www.kompas.com/kompas-cetak/0506/11/opini/1754749.htm,
11. Juni 2005
18 http://www.suarapembaruan.com/News/2005/06/10/Editor/edit04.htm,
10. Juni 2005
19 Elly
Roosita, Revitalisasi Pertanian Tanpa Reformasi Agraria, Mengungkit Kepahitan
Masa Lalu, psda, 31. Mai 2005
20 Suara
Pembaruan, 10 Mei 2005
21 Damar
Harsanto: People living on E. Canal site face eviction; The Jakarta Post,
12. Juli 2005; http://www.thejakartapost.com/detailcity.asp?fileid=20050712.G01&irec=0
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