Indonesien-Information Nr. 1/2005 (Dezentralisierung)

 

Fallbeispiel I

Konfliktreiche Dezentralisierungspolitik in West-Sulawesi

oder:

Sind Flächenbrände vermeidbar?

von Renate Volbracht


Die International Crisis Group hat am 3. Mai 2005 eine spannende Analyse1 zum Konflikt in West-Sulawesi vorgelegt. In diesem Bericht finden sich Hintergründe zu den Geschehnissen im kabupaten (Kommune) Mamasa, der 2002 aus dem größeren kabupaten Polmas herausgelöst worden war. Dies wurde möglich, nachdem das Dezentralisierungsgesetz 22/1999 erlassen worden war, das den Regionen mehr Autonomie versprach. Im folgenden Text findet sich eine Darstellung der Eckpunkte des ICG-Berichts zur gesetzlichen und administrativen Teilung der Region und den Stufen der Gewalteskalation.

Die drei kecamatan (Unterkommunen) Aralle, Tabulahan und Mambi, die der Vorliebe vieler Indonesier für doppeldeutige Abkürzungen entsprechend kurz ATM (Geldautomat) genannt werden, liegen im nordwestlichen Teil des kabupaten Polmas. Die sieben kecamatan im benachbarten nordöstlichen Teil des kabupaten Polmas, die sich um die Stadt Mamasa gruppieren, wollten gemeinsam mit ATM einen kabupaten Mamasa bilden, um dadurch ihre Regierungsgeschäfte im Alleingang erledigen zu können.In ATM gab es zivilgesellschaftliche Akteure, die sich etwas von der Zugehörigkeit ihrer drei kecamatan zu einem in Zukunft eigenständigen kabupaten Mamasas versprachen. Dies hing sehr direkt damit zusammen, dass sich die Regierung von Polmas nicht um Infrastrukturprojekte in ATM kümmerte, so dass sogar die wichtige Verbindungsstraße unbenutzbar wurde - außer mit Pferden. Strom gab es nur noch in Mambi - stundenweise, aber dafür regelmäßig.Doch schon seit Anfang des Jahres 2000 regte sich gegen das Vorhaben, dass ganz ATM Teil von einem kabupaten Mamasa wird, Widerstand: die Mehrheit der Bevölkerung in 26 der insgesamt 38 Dörfer in ATM wollte nicht Teil eines künftigen kabupaten Mamasa werden, sondern wie bis jetzt Teil des kabupaten Polmas bleiben. Umgangssprachlich wurden die beiden Gruppierung in Pro und Kontra (Mamasa) eingeteilt. Ein bislang noch unbedeutender Umstand war, dass die Bevölkerung in ATM z.T. christlichen (ethnisch oft Toraja) und z.T. muslimischen Glaubens (ethnisch oft Mandar) ist. Aber: weder Pro noch Kontra ließ sich eindeutig durch religiöse und/oder ethnische Zugehörigkeit bestimmen - wie in der indonesischen Presse in der Folgezeit so oft dargestellt. Für die eine oder andere Seite wurden ebenso historische oder kulturelle Ansinnen angegeben, manche Menschen hatten im Lauf der Zeit auch die Seiten gewechselt. Aber Ursachen, die den gewaltsamen Konflikt, wie er dann 2003 zum ersten Mal ausbrach und im April 2005 einen neuen Höhepunkt erreichte, sind eher in privaten Motiven, erhofften Wahlchancen und im Wettbewerb um persönliche Zugewinne zu suchen.

Die Oberhäupter der zwei größten Pro- und Kontragruppen hatten es bereits im Jahr 2000 geschafft, das sogenannte Matakali-Abkommen zu schließen, in der die Aufteilung von ATM beschlossen worden war. In Dorfversammlungen war in genauen Absprachen festgelegt worden, welche 26 der 38 Dörfer nicht Teil des künftigen kabupaten Mamasa sein wollen. Kurz darauf wurde vom regionalen Gesetzgeber in Polmas eine Regierungsverordnung (perda 10/2000) erlassen, in der die Gründung eines kabupaten Mamasa (und somit die regionale Abspaltung von Polmas) vorgesehen wurde unter Einbeziehung des Matakali-Abkommens, welche Dörfer von ATM Teil vom künftigen kabupaten Mamasa sein wollen und welche Dörfer aus ATM auch in Zukunft der Administration von Polmas unterstehen wollen. Daraufhin wurde im Februar 2002 in Polmas eine neuerliche regionale Regierungsverordnung erlassen (perda 6/2002), die den neu zu etablierenden kabupaten Mamasa exakt abgrenzte und 12 Dörfer aus ATM entsprechend des Matakali-Abkommens in einer Positivliste aufzählte. Um Rechtskraft zu erhalten, müssen Regierungsverordnungen der Regionen über die Etablierung neuer kabupaten durch ein nationales Gesetz bestätigt werden. Im Falle Mamasas geschah dies mit der Verabschiedung des Gesetzes UU 11/2002 2 im Nationalparlament in Jakarta. Doch entgegen dem in der regionalen Verordnung berücksichtigten Matakali-Abkommen wurden die 26 ATM-Dörfer, die nicht zu Mamasa gehören wollten, im Gesetz dennoch diesem kabupaten zugeschlagen. Es wurde die Vermutung geäußert, dass die 26 Dörfer deshalb nicht berücksichtigt wurden, weil sie kein zusammenhängendes Gebiet bilden. Es gäbe eine Bestimmung des Innenministeriums, nach der es bei der Formierung von Kommunen keine Enklaven geben dürfe. Eine offizielle Begründung gibt es nicht.

Die Administration von Polmas machte jedoch keine Anstalten, diesem Gesetz zu folgen und setzte auf der Verordnung 6/2002 beharrend ihre eigenen Beamten in den kecamatan Aralle und Mambi ein. Nur der camat 3 von Tabulahan favorisierte Mamasa. Die Regierung von Mamasa ernannte nun (Rivalen-) camat in Mambi und Aralle, während in Tabulahan die Regierung von Polmas den Sekretär des camat zum camat ernannte. Ergebnis: In allen drei kecamatan gab es Parallel-Regierungen. Da dies räumliche Probleme mit sich brachte, wurden kurzerhand in den jeweiligen Nachbardörfern mehrere Büros eröffnet - die Beamten wurden je nach Vorliebe von Mamasa oder Polmas bezahlt!

Vor jetzt genau zwei Jahren kam es zu ersten gewaltsamen Übergriffen und die ersten fünf Familien aus dem kecamatan Aralle verließen die Gegend, nachdem ihre Häuser zerstört worden waren. In Folge nahm die Segregation der Befürworter und Gegner der Zugehörigkeit zum kabupaten Mamasa ihren Lauf. Manchmal konnten Bauern nicht mehr auf ihre Felder gelangen, die sich im gegnerischen Lager befanden, Kinder mussten dort zur Schule gehen, wohin die politische Neigung der Eltern abzielte, und immer wenn eine der rivalisierenden Gemeinschaften irgendwo die Oberhand gewann, kam es nach und nach zu noch mehr Segregation. Das ging soweit, dass es im September 2003 bei einem Streit zwischen zwei Nachbardörfern zu drei Toten kam. Der Schock muss tief gewesen sein, denn tags darauf flüchteten nahezu 8500 Menschen aus der Region, Befürworter wie Gegner gleichermaßen. Es kam zu Plünderungen, weil Lebensmittel fehlten.... Im April 2004 gab es einen neuerlichen Höhepunkt in den Auseinandersetzungen anlässlich der regionalen Parlamentswahlen. Die KPU (Wahlkommission) gestattete nur der Mamasa-Seite Wahlen in ATM abzuhalten. Die gegnerische Seite, die für Polmas votieren wollte (die Mehrheit!), boykottierte daraufhin die Wahl. Laut KPU sei es nach Auszählung der Wahlstimmen aber so gewesen, dass nur ein Dorf die Wahl boykottiert hätte. Die gegnerische Seite warf daraufhin der KPU Wahlbetrug vor.

Im Juli, September und Oktober 2004 kam es erneut zu Zerstörungen von Häusern. Menschen wurden verprügelt (auf beiden Seiten), und im Oktober gab es erneut drei Tote und 47 zerstörte Häuser. Wieder flohen 2000 Menschen. Seither wurden paramilitärische Einheiten der Polizei (BRIMOB) verstärkt eingesetzt - aber die Probleme der Gebietszugehörigkeiten wurden nach wie vor nicht gelöst. Am 8. April 2005 wurde ein camat- Büro in Mambi niedergebrannt und am 24. April 2005 kam es zu weiterem Niederbrennen von Häusern, worin drei Menschen starben. Zwei weitere wurden erschossen.

Neuere Erkenntnisse der Polizeikräfte haben nun ergeben, dass fünf Nicht-Ortsansässige diesen letzten Angriff gestartet hätten. Am 28. April hatten sie einen Mann aus Poso, Zentralsulawesi, verhaftet, eine Gegend, in der es bereits öfter zu erbitterten Konflikten zwischen Christen und Muslimen kam. Er hatte eine Waffe und Munition bei sich. Seine beiden Komplizen konnten entkommen, einer von ihnen wird im Zusammenhang mit dem Konflikt in Poso polizeilich gesucht. Der ICG-Bericht schließt mit der Warnung, dass sich die Konflikte in Ambon und Poso als sehr geeignet für die Rekrutierungsmechanismen jihadistischer Organisationen erwiesen haben. Es könnten noch mehr Radikale aus Poso nach Mamasa kommen, um den Konflikt dort für ihre Zwecke auszunutzen.

Dazu passt eine offizielle Berichterstattung, dass am 9. Mai drei „Terroristen“ in Poso verhaftet wurden, die alle aus Java stammen und in Verdacht stehen, bei dem Bombenanschlag auf das Marriott-Hotel in Jakarta beteiligt gewesen zu sein und in die Unruhen und anti-christlichen Attacken in Ambon verwickelt gewesen zu sein. Einer von ihnen steht außerdem unter Verdacht, zur Gewalt im kabupaten Mamasa aufgewiegelt zu haben. In Tentena, Zentralsulawesi, ein Ort südlich von Poso, in dem es seit Jahren zu gewaltsamen christlich-muslimischen Konflikten kommt, sind am 28. Mai 2005 zwei Bomben explodiert, die 20 Tote und 57 Verletzte hinterließen. Jusuf Kalla, der sich gerade in Polewali aufhielt, sagte, er hielte es für möglich, dass dieser Angriff von den selben Menschen verübt wurde, die schon in Ambon und Mamasa aktiv waren. Hinweise verdichten sich, dass auch hier die Täter „von außerhalb“ kamen.

Der Konflikt im kabupaten Mamasa war entstanden, weil es versäumt wurde, seine Einsetzung gemäß den Absprachen mit Vertretern der Dörfer und kecamatan zu vollziehen. Es gibt keine verbindlichen Verfahrensweisen für den Prozess der Teilung von Regionen und keine genauen Vorschriften darüber, wie diese dann implementiert werden. Nachdem das Gesetz zur Einsetzung von Mamasa UU 11/2002 derart misslungen war und nicht implementiert werden konnte, taten sich mehr und mehr Unklarheiten über Landrechte, Landgrenzen und -zuständigkeiten auf. Dass es bereits 2003 zu gewaltsamen Konflikten gekommen war, schien weder die Gesetzgeber noch die Regierenden nachhaltig gestört zu haben und Beamte ließen sich gar für doppelte Büroführung bezahlen. Soll die Nutzbarmachung von Konflikten für Kämpfer jedweder Couleur in Indonesien eingedämmt werden, dürfen kommunale Probleme, die in der Regel mit Landfragen gekoppelt sind, nicht derart sträflich vernachlässigt werden. Oder wer möchte hier Öl ins Feuer gießen? <>

1 http://www.crisisgroup.org/library/documents/asia/indonesia/b037_decentralisation_and_conflict_in_indonesia__the_mamasa_case.pdf
2 http://www.ri.go.id/produk_uu/isi/uu2002/uu11'02.htm
3 Ein camat ist oberster Beamter und Regierungsvertreter eines kecamatan.
 
 
 

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