Wieder suchen Menschen vergeblich nach Sicherheit, wieder brennen Häuser, wieder wartete die Bevölkerung in Osttimors Hauptstadt Dili auf Rettung durch ausländische Truppen. „Schlimmer als 1999,“ bezeichnen verängstigte Frauen in einem Flüchtlingslager die Lage. Damals legten Milizen mit Unterstützung des indonesischen Militärs das Land in Schutt und Asche „1999 wusste die Bevölkerung, wer der Feind war. Doch wer ist es heute?,“ fragt Maria Tschanz, die bei der Frauenorganisation Fokupers arbeitet.
Die Gewalt nahm ihren Anfang am 28. April, als 591 Soldaten gegen ihre Entlassung demonstrierten. Jugendliche Banden zogen anschließend randalierend durch die Straßen, demolierten Autos und Gebäude; vier Märkte gingen in Flammen auf. Ob die Randale politisch gesteuert war oder die Jugendlichen nur ihrem Frust über Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven freien Lauf ließen, ist unklar. Die Regierung unter Premierminister Mari Alkatiri rief die Armee und erteilte Schießbefehl. Nach einem Feuergefecht mit den entlassenen Soldaten waren nach Regierungsangaben 6 Tote und 80 Verletzte zu beklagen. Der Anführer der rebellierenden Soldaten, Salsinha Gastão, zog sich mit seinen Leuten in den Westen des Landes zurück. Aus Protest über den ihrer Meinung nach unrechtmäßigen Schießbefehl verließ eine weitere Gruppe unter Major Alfredo Reinaldo die Armee und fordert seither den Rücktritt Alkatiris.
Bereits Anfang des Jahres beklagten demonstrierende Soldaten gegenüber Xanana Gusmão, dem Präsidenten und Oberkommandierenden der Streitkräfte, sie würden bei Beförderungen übergangen, weil sie aus dem westlichen Teil Osttimors stammten. Kameraden aus den Ostprovinzen würden bevorzugt. Der Osten galt als Hochburg des Widerstandes gegen die indonesischen Besatzer.
Osttimors 1.600 Mann starke Armee Falintil-FDTL (Forças de Defensa de Timor Leste) wurde ins Leben gerufen, um die ehemaligen Widerstandskämpfer der Falintil zu integrieren, deren Identität sie im Namen weiter führt. 600 Soldaten wurden handverlesen von Xanana Gusmão aufgenommen. Etliche andere fühlten sich übergangen, von denen inzwischen einige ihre politische Heimat in radikalen Randgruppen fanden. Unterstützt von Politikern wie dem jüngst entlassenen Innenminister Rogério Lobato, stellten sie immer wieder die Legitimität der Armee in Frage. Der FDTL fehlt es an einem klaren Mandat, an Ressourcen und an einer funktionierenden Kontrolle durch Parlament und Regierung. Ideologische und persönliche Differenzen aus den Zeiten des Widerstands setzen sich in der Armee und ihrem direkten Gegenspieler, der Polizei, fort. Bereits mehrfach entluden sich diese Spannungen in bewaffneten Auseinandersetzungen.
Xanana Gusmão genießt hohes Ansehen in der Bevölkerung, hat aber wenig politische Macht. Sein Versprechen, sich der Beschwerden der Soldaten anzunehmen, konnte er nicht einlösen. So rückten diese erneut und in größerer Zahl aus. Premierminister Alkatiri wies Befehlshaber Taur Matan Ruak an, die „Deserteure“ zu entlassen. Die Regierung zeigte sich unempfänglich für Stimmen, die darin keine Lösung sahen. Sie ignorierte die zunehmende Verunsicherung in der Bevölkerung und Ängste vor einem Bürgerkrieg. Schlimmer noch, sie ließ zu, dass der von den Soldaten als Problem identifizierte Gegensatz zwischen dem Osten und Westen Osttimors auf die Gesellschaft übergriff.
Mari Alkatiri und andere Regierungsmitglieder sind bei vielen unbeliebt. Erst nach dem Referendum 1999 kehrten sie aus ihrem Exil in Mozambique zurück und besetzten umgehend Schlüsselpositionen in der heutigen Regierungspartei Fretilin. Es fehlt ihnen an Bezug zur Bevölkerung und sie stellen sich nicht den drängenden Problemen, meinen weite Teile der Gesellschaft. Osttimor ist einer der ärmsten Staaten weltweit und die Armut nimmt weiter zu. Statt dem zu begegnen unterstreicht Alkatiri arrogant den absoluten Führungsanspruch seiner Partei. Kritik begegnet er mit repressiven Methoden, die Opposition wird diffamiert.
Obgleich Außenminister José Ramos-Horta nach dem 28. April gebetsmühlengleich täglich vermelden ließ, die Lage sei unter Kontrolle, empfand die Bevölkerung, genährt durch eine Vielzahl von Gerüchten die Situation als bedrohlich. Kurzfristig verließen rund 70% von Dilis 120.000 Einwohnern aus Angst vor Übergriffen die Stadt. Zigtausend suchten Zuflucht in kirchlichen Einrichtungen und Botschaften. „Die Kinder sagen, sie können nicht mehr zur Schule gehen, weil Krieg sei,“ so Maria Tschanz.
Eine eilends eingesetzte Untersuchungskommission der Regierung für die Gewalt am 28. April wurde von den Aufständischen abgelehnt. Sie fordern eine internationale Untersuchung. Am 23. Mai kehrten sie nach Dili zurück. Umgehend eskalierte die Situation: Armee kämpft gegen Armee, Armee gegen Polizei. Binnen zwei Tagen bricht die öffentliche Ordnung zusammen. Regierung und Präsident sehen sich gezwungen, das Ausland um Unterstützung zu bitten. Der Hilferuf kommt einer politischen Bankrotterklärung gleich. Australien, Neuseeland, Malaysia und Portugal sind umgehend bereit, Soldaten und Polizei zu schicken. Die Hoffnung, mit deren Ankunft werde sich die Lage schnell unter Kontrolle bringen lassen, erfüllt sich nicht. Bürgerwehren und Banden ziehen marodierend durch die Straßen, zünden Häuser an und lassen ihrer Zerstörungswut freien Lauf. Nur langsam gewinnen die inzwischen rund 2.400 ausländischen Soldaten die Kontrolle.
Solange die Regierung ihre Führungskrise nicht überwindet und Handlungsfähigkeit zurückerlangt, wird die Lage instabil bleiben. Nach Beratung des Staatsrates am 30. Mai gab der Präsident bekannt, er werde für zunächst 30 Tage die Befehlsgewalt über die Sicherheitskräfte übernehmen und forderte Alkatiri auf, die Minister für Verteidigung und Inneres zu entlassen. Den Premierminister kann der Präsident nicht ohne Zustimmung des Parlamentes entlassen. Dieser weist Rücktrittsforderungen vehement zurück und betont, er und Xanana würden die Befehlsgewalt gemeinsam übernehmen, erklärte Alkatiri und spricht von einem gegen ihn betriebenen Staatsstreich in- und ausländischer Kräfte, ohne diese aber zu benennen. Damit gießt er Öl ins Feuer und sorgt für weitere Verunsicherung der Bevölkerung.
Ramos-Horta, der inzwischen das Amt des Verteidigungsministers mitübernommen hat, und Xanana möchten das Problem in den Streitkräften und der Polizei dialogisch lösen, alle Fraktionen zunächst entwaffnen und in eine Lösung einbeziehen. Premierminister Alkatiri lehnt dies bislang ab und fordert die umgehende Entwaffnung der Abtrünnigen.
„Eine fähige Regierung
sollte nicht zulassen, dass Menschen in ihrem eigene Land zu Flüchtlingen
werden, dass sie leiden und Tote zu beklagen sind,“ prangert die Aktivistin
Filomena Diaz an. Rund 150 Frauen und Kinder zogen der unsicheren Lage
trotzend unter dem Schutz australischer Soldaten am 1. Juni vor den Regierungssitz
und forderten Frieden und Sicherheit. Ein hoffnungsfrohes Zeichen in einer
im Chaos versinkenden Stadt.
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