Schwere Gewalttaten und gravierende Menschenrechtsverletzungen
treten nur selten spontan auf. Sie resultieren auch nicht bloß aus
Bestrebungen von ein oder zwei Individuen. Schwere Gewaltanwendung und
Menschenrechtsvergehen benötigen bestimmte Bedingungen, um stattzufinden.
Solche Bedingungen können wiederum von innen oder von außen
eines jeden Landes herrühren.
Kalter Krieg
Im Fall von Indonesien waren in interne Umstände, die zu massiven Verletzungen von Menschenrechten in der Vergangenheit führten, häufig Mitglieder des Militärs involviert – sei es direkt oder indirekt. Wirtschaftliche oder politische Maßnahmen, die vom Militär unternommen wurden, riefen regelmäßig soziale Konflikte auf lokaler Ebene hervor, die sich schon bald zu weit reichenden Gewalttätigkeiten entwickelten und grundlegende Menschenrechtsverletzungen nach sich zogen. Allerdings war das Militär nicht der einzige Akteur bei solchen Konflikten und Missbräuchen. Im Zuge des Herrschaftsverlustes von Präsident Suharto waren auch Zivilisten für Fälle von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Unterschiede in Hinblick auf Ethnizität, religiösem Glauben oder wirtschaftlichem Status riefen oft Konflikte in der Bevölkerung mit tödlichem Ausgang hervor.
Schauen wir uns die externen Bedingungen an, so gibt es viele Faktoren, die zu Menschenrechtsverletzungen in Indonesien beitrugen. In einer immer stärker globalisierten Welt, in der Länder enger miteinander verbunden sind, sind globale Ereignisse auch von größerer Gewichtung für das, was in Indonesien geschieht. Das schließt auch die grundlegenden Rechte ihrer Bürger und Ereignisse der Vergangenheit mit ein.
Nehmen wir zum Beispiel den Kalten Krieg. Mehr und mehr zeigt es sich, dass einige der in Indonesien seit 1945 begangenen Menschenrechtsverletzungen in engen Verbindungen zu den Spannungen des Kalten Krieges zwischen dem kapitalistischen Block, der durch die Vereinigten Staaten angeführt wurde, und der kommunistischen Seite unter Führung der Sowjetunion, standen. Die Angst der USA und ihrer Verbündeten vor der Verbreitung des Kommunismus veranlasste Washington, sich an der Eindämmung des Kommunismus in Indonesien zu beteiligen. Daraus resultierten Menschenrechtsverletzungen. Die Unterstützung der USA bei der regionalen Rebellion der PRRI und Permesta gegen die indonesische Zentralregierung in den 1950er Jahren ist dafür ein offensichtliches Beispiel. Während dieser Zeit ereigneten sich viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch amerikanisches Eingreifen, wie zum Beispiel die Bombardierung von Zivilisten. Die amerikanische Unterstützung der Rebellen basierte auf der Annahme, dass die indonesische Zentralregierung kommunistisch sei. Ähnliche Verletzungen traten auf, als die USA ihre Position umkehrte und die indonesische Regierung unterstütze, nachdem sie erkannt hatte, dass diese überhaupt nicht kommunistisch eingestellt war. Zur gleichen Zeit versuchten auch die Sowjetunion und etwas später die Volksrepublik China die politische und wirtschaftliche Dynamik in Indonesien zu beeinflussen, um das Land auf ihre Seite des Kalten Krieges zu ziehen. Viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Indonesien begründeten sich auch auf deren Bemühungen und Ambitionen.
Obwohl die Rhetorik des Kalten Krieg-Gegensatzes zum Politischen und Ideologischen tendierte, waren in der Realität die zentralen Streitpunkte zwischen den zwei gegensätzlichen Parteien wirtschaftlicher Natur. Beide Großmächte betrachteten Indonesien als ein Land mit Potential: ein riesiges Territorium, in strategischer Lage und mit reichen natürlichen Ressourcen. Beide Seiten wollten die natürlichen und humanen Ressourcen Indonesiens für ihre eigenen Interessen oder die ihrer jeweiligen Verbündeten beeinflussen oder sogar kontrollieren. In diesem Interessenskonflikt wurde die amerikanische Seite immer dominanter, während der Einfluss des sowjetischen Blocks zurückgedrängt wurde und damit auch der Einfluss der linken Kräfte in Indonesien. Zur selben Zeit wurde jede Gruppe in Indonesien marginalisiert, die sich für Neutralität und Unabhängigkeit gegenüber des globalen Antagonismus des Kalten Krieges einsetzte. Am Ende „gewann“ die kapitalistische Seite und erhielt größeren Zugang zum wirtschaftlichen Potential Indonesiens. Sie erhielt zudem Unterstützung von indonesischer Seite (Zivilisten und Militärs), die bereit waren, mit ihnen zusammenzuarbeiten und den westlichen Interessen und damit ihren eigenen zu dienen.
Mit der Marginalisierung des sowjetischen Einflusses und der Unterdrückung der indonesischen linken Bewegung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre einher kam die Regierung der sogenannten Neuen Ordnung (Orde Baru) unter Führung von Präsident Suharto an die Macht. Dank der pro-kapitalistischen Einstellung dieser neuen Führung konnten sich nun westliche Staaten mit größerer Freiheit in Indonesien betätigen. Bodenschätze wurde durch westliche multi-nationale Unternehmen ausgebeutet, manchmal ohne die Interessen der lokalen Bewohner zu beachten. Eine der Konsequenzen dieser Entwicklungen waren zunehmende Gewalt und Verstöße gegen Menschenrechte in rohstoffreichen Gebieten wie in Aceh in Nordsumatra und Westpapua im östlichsten Teil Indonesiens.
Offensichtlich gab es Zusammenhänge zwischen nationalen und ausländischen Gruppen während des Kalten Krieges. Und diese Interessensüberschneidungen waren wichtige Grundlagen und Bedingungen für Gewalttaten gegenüber der Bevölkerung. Es ist daher sehr wichtig, die Menschenrechtsverletzungen in der indonesischen Geschichte in einem weiter gefassten Kontext zu betrachten. Andernfalls würden viele Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit einzig wie individuelle Fälle erscheinen, die nichts miteinander zu tun hatten.
Geschichtsverständnis
Die Gewalttaten der Vergangenheit in einem breiten Kontext zu betrachten ist nicht nur unerlässlich, um die zugrundeliegenden Zusammenhänge der Rechtsbrüche zu verstehen, sondern auch um der Bevölkerung Indonesiens beim Studium der Geschichte ihres Landes zu helfen. Natürlich sprechen wir hier nicht vom Studium der Geschichte in einem strengen akademischen Sinn. Es ist vielmehr notwendig, dass die indonesische Gesellschaft im Allgemeinen erkennt, wie wichtig es ist, sich mit der eigene Geschichte zu beschäftigen, sei es auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene. Wir stark oder schwach das Geschichtsbewusstsein einer Gesellschaft ist, bestimmt die Schritte, die sie hin in die Zukunft tut. Dieses Bewusstsein ist überaus wichtig, da während der Herrschaft von Präsident Suharto das Geschichtsverständnis der indonesischen Gesellschaft oft kontrolliert und dominiert wurde durch die Geschichtsversionen der Regierung.
Geschichtsbewusstsein ist auch deshalb wichtig, weil es der Gesellschaft dabei helfen kann zu begreifen, dass viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit aufgrund bestimmter Umstände – besonders sozialer, politischer oder wirtschaftlicher – begangen wurden. Die Geschichte verstehen wird hoffentlich Menschen wachsam dafür machen, dass bestimmte soziale, politische und wirtschaftliche Konstellationen bestimmte Formen von Gewalt bewirken. In anderen Worten: Es wäre zu hoffen, dass die Menschen „gewarnt“ wären, dass, sollten ähnliche Zustände wieder eintreten, es erneut zu Menschenrechtsverletzungen kommen könnte. Eine erfolgreiche Geschichtserziehung der Gesellschaft würde die Menschen darin bestärken, Bedingungen zu vermeiden, denen das Potential zu Menschenrechtsverletzungen inne wohnt. .
Instrumente der Rechtfertigung
Anderenfalls, nämlich dann, wenn die Umsetzung einer gesellschaftlichen Geschichtserziehung nicht erfolgreich wäre, würde es keine „Warnung“ geben und viele Fälle von Gewalt würden wieder begangen werden – und niemand wüsste, wann sie endeten. Die Erfahrungen aus der Zeit der Neuen Ordnung haben gezeigt, dass die Geschichtsschreibung leicht von der Regierung und ihren Anhängern beherrscht werden konnte, und sie damit zu der Praxis der Ungerechtigkeiten gegen Mitglieder der Gesellschaft beigetragen hat.
Ein Beispiel dafür ist, wie Suharto und seine Anhänger die Ereignisse um die Tragödie von 1965 wiedergegeben haben; eine Tragödie, die sie später in die höchste politische Führungsriege katapultiert hat. Nach ihrer Version plante die PKI (Kommunistische Partei Indonesiens) einen Putsch am Morgen des 1. Oktober 1965 und entführte und tötete dazu sechs Armeegeneräle sowie einen hochrangigen Offizier. Basierend auf diesen grausamen Gewaltakten wurde es als „gerechtfertigt“ angesehen, dass das aufgebrachte indonesische Volk in den folgenden sechs Monaten ein Massaker verübte, welches mindestens eine halbe Million Bürger tötete, die als Kommunisten beschuldigt worden waren.
In dieser chaotischen Situation beauftragte – gemäß dieser Geschichtsversion – Präsident Sukarno Obergeneral Suharto, die Kontrolle über das Land zu übernehmen und mit allen Mitteln die öffentliche Ordnung wieder herzustellen, unter anderem mit einem Verbot der Kommunistischen Partei. Suharto war „erfolgreich“ beim Ausführen des Befehls. Er war sogar in der Lage, eine bessere Führung aufzubauen, die letztendlich die „inkompetente“ Regierung von Präsident Sukarno ersetzte. Diese Version der Geschichte erweckte zudem den Eindruck, dass es aufgrund von Sukarnos vielfältiger „Sünden“ (und der Sünden seiner Anhänger) gerechtfertigt war, den früheren Präsidenten bis zu seinem Tod 1970 unter Hausarrest zu stellen. Während Sukarnos Herrschaft als „Alte Ordnung“ (Orde Lama) bezeichnet wurde, nannten Suharto und seine Anhänger ihre Herrschaft „Neue Ordnung“ (Orde Baru). Dies sollte suggerieren, dass ihre die bessere Herrschaft sei. Sie implizierte die „vollkommene Berichtigung“ aller Fehler, die unter der alten und inkompetenten Herrschaft von Präsident Sukarno begangen wurden.
Während der Herrschaft Suhartos wurde diese Erzählweise kaum angezweifelt oder angemessen herausgefordert. Schlimmer noch, diese Version wurde noch mit Details ausgefüllt, die im Kern die Herrschaft der Neuen Ordnung legitimierten und alle möglichen Formen von Verbrechen und Unterdrückung gegenüber der Bevölkerung rechtfertigten. Ein Beispiel dafür ist die ausführliche Geschichtsschreibung zu der „Pesta Harum Bunga“ oder Blumenduft-Party, die am 1. Oktober 1965 ganz in der Nähe des Brunnens im Lubang Buaya Bezirk (wörtlich übersetzt bedeutet es „Krokodilsloch“), in den die Leichen der Generäle geworfen wurden, stattgefunden haben soll. Nach dieser Version veranstalteten Mitglieder von Gerwani (Gerakan Wanita Indonesia/Frauenorganisation assoziiert mit der PKI) eine Orgie, bei der sie die Genitalien der Generäle verstümmelten und um die Toten tanzten. Ob wahr oder nicht (diese Geschichte wurde nie bewiesen): Diese Begebenheiten waren wichtig für die Neue Ordnung, um den Eindruck (und später die „Erinnerung“) zu bestärken, wie grausam und sadistisch die PKI-assoziierte Gerwani war. Darüber hinaus wurde damit eine Art „Exempel“ statuiert um zu zeigen, dass politische Einmischung einer Frauenorganisation zu solch grausamen sogar sadistischen Taten führen konnte. Dieses Exempel war zudem nützlich, um die Kontrolle aller Frauenorganisationen im ganzen Land seit 1965 zu rechtfertigen und damit ihre politischen Vorstellungen und Aktivitäten einzuschränken.
Am selben Ort, an dem die vermeintliche Orgie stattfand, errichte die Neue Ordnung ein grandioses Monument, genannt „Das Monument der Sieben Helden der Revolution“ (Monumen Tujuh Pahlawan Revolusi). Es zeigt, wie mutig und entschlossen die Helden und wie die grausam und sadistisch die PKI und Gerwani waren. Bemerkenswert ist, dass die Mutigen und Entschlossenen alle Militärangehörige waren, währenddessen die grausamen und sadistischen Verbrecher Zivilisten waren. Für die Regierung der Neuen Ordnung war diese Art von Monument aus mehreren Gründen wichtig: a) um eine enge Verbindung zwischen dem Wort „Held“ (pahlawan) und Militärpersonal herzustellen; b) damit in der durch die „30. September-Bewegung“ am 1. Oktober 1965 ausgelösten Militäroperation die Armee nur als Opfer der PKI Grausamkeit dargestellt werden konnte; c) um das Massaker an Hunderttausenden indonesischen Bürgern während der Militäroperation zu rechtfertigen; d) um auch die Entthronung von Präsident Sukarno zu rechtfertigen, da er mit der PKI verbunden war. Die gleiche Regierung unternahm große Anstrengungen, um diese Version der Erinnerung weiterleben zu lassen, beispielsweise mit dem Anti-PKI Film „Pengkhianatan G30S/PKI“ („Der Verrat der 30. September-Bewegung/PKI“) und dem Zwang für die Öffentlichkeit (insbesondere Schüler), diesen Film jedes Jahr anzuschauen.
So lange diese Art der Geschichte, Monumente, Filme und anderen Mittel, die von der Neuen Ordnung aus Eigeninteresse produziert wurden, nicht offen in Frage gestellt oder angegriffen werden, so lange wird das Geschichtsverständnis der Menschen unvollständig und verzerrt sein. Damit können leicht alle Arten von Ungerechtigkeiten inklusive Diskriminierung und politischer Stigmatisierung gerechtfertigt und sogar befördert werden.
Während der Neuen Ordnung hat die Regierung nicht nur die indonesische Geschichte politisiert, indem sie die sogenannte „Politik der Erinnerung“ praktizierte, sondern auch indem sie eine „Politik des Vergessens“ umgesetzt hat. Sie wählte gezielt aus, welche historischen Ereignisse erinnert und welche vergessen werden sollten. Und um ihrer eigenen Interessen Willen war die Regierung häufig bereit, „historische Geschehnisse“ zu schaffen, die leicht zu erinnern waren und die zudem benutzt werden konnten, um die Einstellungen der Bevölkerung zu beeinflussen – wie das Beispiel der „Blumenduft-Party“ gezeigt hat.
Geschichtsamnesie
Eine Geschichtsschreibung, die von der Regierung diktiert wird, mit all ihren Bemühungen auf politisierte Erinnerung und das Vergessen der Vergangenheit führt zu einem so genannten „Geschichtsverlust“. Viele Indonesier neigen dazu, viele Ereignisse der Vergangenheit zu vergessen oder vielmehr sie zu ignorieren, obwohl sie wichtig wären, erinnert und verstanden zu werden. Und auch wenn sie sich an bestimmte Ereignisse erinnern, ist es meist eine einseitige Erinnerung und stimmt meist mit der Regierungsversion überein. Schlimmer noch ist die Tatsache, dass sich die Amnesie nicht nur auf Ereignisse, die schon lange zurückliegen bezieht, sondern auch auf Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen, die erst vor kurzem begangen wurden, wie die seit dem Sturz Suhartos im Jahr 1998. Viele Indonesier neigen dazu, die Hintergründe jener Ereignisse, die Motive und Identitäten der Haupttäter oder sogar die Leiden der Opfer zu ignorieren.
Falls Täter vor Gericht gebracht werden, sind es in fast allen Fällen nur Militärangehörige und Polizisten mit niedrigen Rängen. Es passiert sehr selten (oder sogar nie), dass hochrangige Militärs in einem korrekten Verfahren für Gewalttaten, die sie begangen oder zu verantworten hatten, zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Situation ist unerträglich, aber es scheint so, als ob viele Menschen sich daran gewöhnt haben und sie für „normal“ halten. Folglich ist es nicht schwierig nachzuvollziehen, warum bis heute niemand für die Massenmorde und Gerichtsstrafen von 1965 und danach zur Rechenschaft gezogen wurde. Wie wir alle wissen, stand fast kein hochrangiges Regierungsmitglied oder Militärkommandeur vor Gericht für die verschiedenen Menschenrechtsverletzungen, die den Menschen in Osttimor angetan wurden während der Besatzung zwischen 1975 und 1999. Noch wurde irgendeine Person in einer hochrangigen Position für den Verlust zahlloser Menschenleben durch gravierende Gewalttaten in Tanjung Priok (1984), auf den Molukken (1999-2002), in Aceh (1992-2004) oder erst kürzlich in Westpapua angeklagt. Und dies könnte bedeuten, dass – sollten heute oder morgen ähnliche Gewalttaten verübt werden – ebenfalls niemand angeklagt oder zur Rechenschaft gezogen werden würde. Dies bezieht sich insbesondere auf Gewalt, der religiöse oder militärische Elemente oder eine Kombination aus beiden innewohnen.
Es ist wichtig zu betonen, dass die einseitigen und manipulierten kollektiven Erinnerungen sogar heute noch benutzt werden, also Jahre nachdem die Neue Ordnung von Präsident Suharto im Mai 1998 formell endete. Während der Parlamentswahlen von 2004 und Kommunalwahlen von 2005 konnte man in manchen Orten noch Banner mit Warnungen wie „die latente Gefahr des Kommunismus“ antreffen – 40 Jahre nach der Zerschlagung der PKI. Dies war ein Beispiel für die Manipulation von „Erinnerung“ als politisches Instrument. Damit kann eine Spaltung der Gesellschaft herbeigeführt und gleichzeitig begünstigende Umstände für Menschenrechtsverletzungen geschaffen werden. Ein anderes Beispiel ist der Brief eines Ministers, der den Gebrauch des Geschichtslehrplans für das Jahr 2004 verbot, weil Schüler sich durch den Lehrplan aufgefordert fühlen können, die offizielle Version der Tragödie von 1965 zu hinterfragen.
Wahrheits- und Versöhnungskommission
Die fehlende Ernsthaftigkeit der Regierung im Umgang mit der belasteten Vergangenheit ist eine weitere Auswirkung des Geschichtsverlustes. Unsere Regierung widmet Problemen der Vergangenheit, die nach wie vor einen großen Einfluss auf die Gegenwart haben, wenig Aufmerksamkeit und bemüht sich nicht, diese offen zu diskutieren – und rechtfertigt dies als „zukunftsorientiertes“ Handeln. Dank des öffentlichen Drucks sind Kommissionen gebildet worden, die das vergangene Unrecht untersuchen. Unglücklicherweise sind ihre Berichte und Empfehlungen selten schlüssig und wirksam, geschweige denn vorteilhaft für die Opfer. Nehmen wir zum Beispiel die Bekanntgabe des Gesetzes zur Wahrheits- und Versöhnungskommission (Undang-undang Kebenaran dan Rekonsiliasi) 2004. Auf der Grundlage dieses Gesetz soll eine Wahrheits- und Versöhnungskommission (Komisi Kebenaran dan Rekonsiliasi) gebildet werden, die sich mit den Belastungen und Schwierigkeiten, die durch das Unrecht in der Vergangenheit entstanden sind, beschäftigt.
Auf der einen Seite verdient die Bekanntgabe des Gesetzes die nötige Beachtung und Unterstützung, zeigt es doch, dass die Regierung willens ist, sich der Probleme der Vergangenheit anzunehmen und nach Möglichkeiten zu suchen, zur Versöhnung zwischen Opfern und Tätern beizutragen. Auf der anderen Seite, wenn man sich das Gesetz näher anschaut, sieht man, dass da eine ganze Menge Schwachstellen sind, wie: a.) das Gesetz ignoriert eine historische Analyse als geeignete Maßnahme im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen; b.) die angebotene Amnestievereinbarung missachtet die Opfer; c.) es besteht die Möglichkeit, dass ehemaligen Täter der Verbrechen die Bildung der Wahrheitskommission sich politisch zu Nutze machen oder sie behindern.; d.) es fehlen öffentliche Empfehlungen, die sicherstellen, dass die Verbrechen aus der Vergangenheit sich nicht wiederholen. Schaut man sich diese grundlegenden Schwächen an, so scheint es schwierig, wenn nicht unmöglich, auf Grund dieses Gesetzes eine gerechte und zufriedenstellende Wahrheits- und Versöhnungskommission zu bilden.
Trotz dieser Schwachstellen war die Öffentlichkeit anfangs, als das Gesetz bekannt gegeben wurde, sehr begeistert. Viele Gruppen sahen in dem Gesetz ein positives Zeichen, dass es der Regierung ernst ist mit der Vergangenheitsaufarbeitung. Diese Begeisterung hielt unglücklicherweise nicht lange an. Schon bald wurde augenscheinlich, dass die Regierung die Bildung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission nicht ernsthaft betreibt. Fast zwei Jahre (2004-2006) nach der Bekanntgabe des Gesetzes ist die Kommission noch immer nicht eingerichtet. Eine Liste ausgewählter Kandidaten liegt dem Präsidenten schon seit langem vor, aber eine Auswahl der endgültigen Kommissionsmitglieder ist bisher nicht verkündet worden.
Gerechtigkeit und Demokratie
Betrachten wir die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten in
Indonesien heute – gepaart mit wuchernder Korruption, Amtsmissbrauch und
Nepotismus –, so braucht dieses Land ein Regierungssystem, das auf Prinzipien
von politischer Ethik basiert. Diese können durch politische Maßnahmen
befördert werden, die die Bedürfnisse und das Wohlergehen der
Bevölkerung aufrichtig berücksichtigen. Dafür muss die Bevölkerung
ihre eigene Geschichte als Nation verstehen. Geschichtsverständnis
ist ein wichtiger Anfang für eine politische Lebensweise, die nicht
darauf basiert, sich bloß dem Willen der Regierung oder einer Machtelite
zu unterwerfen. Dieses Geschichtsverständnis ist notwenig, wie wir
gesehen haben, weil durch die Beherrschung der Erinnerung diese manipuliert
werden kann, um Rechtfertigungen für viele undemokratische politische
Praktiken zu schaffen. Es ist zu hoffen, dass Bürger mit einem tieferen
Verständnis ihrer Geschichte als Nation – einschließlich der
Geschichte von Menschenrechtsverletzungen – sich gemeinsam dafür einsetzen,
jede Form von ungerechter und diskriminierender Regierung zu verhindern.
Und sich gemeinsam für ein politisches System einbringen, das zunehmend
gerecht und demokratisch ist. <>
1 Beitrag zur Konferenz „ Transitional Justice
and Democratization – Dealing with Burdened Past in Asia“, Berlin, 20./21.
April 2006, ausgerichtet von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Watch Indonesia!
und der Deutschen Kommission Justitia et Pax. Baskara T. Wardaya ist Direktor
von PUSdEP (Zentrum für Geschichtswissenschaft und politischer Ethik),
Sanata Dharma Universität, Yogyakarate, Indonesien. Email: baskaramu@yahoo.com
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