Am 16. März 2006
beriet und verabschiedete der Deutsche Bundestag einstimmig einen von der
CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam eingebrachten
Antrag zur Bedeutung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen für
eine friedliche Zukunft.
Der Deutsche Bundestag würdigt darin alle ernsthaften Bemühungen in Staaten, sich ihrer belastenden Vergangenheit zu stellen. Er begrüßt die Einrichtung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, die den Opfern eine Stimme geben, die die Verbrechen und die Täter öffentlich bekannt machen und die Entschädigung der Opfer vorbereiten wollen. Es habe sich gezeigt, dass die Kommissionen wesentlich zur Aufarbeitung der gewaltsamen Vergangenheit eines Landes beitragen und einen wichtigen Schritt darstellen in einem meist langwierigen und schmerzhaften Prozess, der Wahrheit und Gerechtigkeit bringen soll und im Idealfall gesellschaftliche Versöhnung fördert.
Der Deutsche Bundestag hält fest, dass „eine solche Aufarbeitung der schwersten Rechtsverletzungen der Vergangenheit, insbesondere Verletzungen der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und der Verbote von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erforderlich ist, um ein friedliches Zusammenleben von Opfern und Tätern in einer Gesellschaft möglich zu machen.“ Ohne diese Aufarbeitung von Verbrechen und Traumata seien neue gewaltsame Konflikte geradezu vorprogrammiert. Wahrheitsfindung und Versöhnungsarbeit seien somit der Prävention von Konflikten in der Zukunft dienlich und tragen zur Konsolidierung eines meist fragilen Friedens bei.
Täter zur Verantwortung ziehen
Ausdrücklich betont das Parlament, dass Wahrheitskommissionen „selbstverständlich kein Ersatz für das strafrechtliche Vorgehen gegen Täter sein können, die von Planung und Organisation her für schwerste Menschenrechtsverletzungen hauptverantwortlich sind.“ Dies findet auch Ausdruck im Völkerrecht, in dem zunehmend die Beseitigung der Straffreiheit gefordert wird, wie die Ratifizierung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes durch derzeit über 100 Staaten dies deutlich belegt.
Die politische Aufarbeitung des Unrechts durch Wahrheits- und Versöhnungskommissionen erachtet der Deutsche Bundestag als sinnvolle Ergänzung zur strafrechtlichen Aufarbeitung durch die Justiz und durch andere Mechanismen.
Für diese Kombination der Aufarbeitung gäbe es kein Patentrezept und Entscheidungen könnten nicht von außen auferlegt werden. Vielmehr müssten sie in verantwortlicher Weise aus der jeweiligen Situation heraus nach Konsultation der betroffenen Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppen getroffen werden. Als Grundvoraussetzungen für das erfolgreiche Wirken einer Kommission werden eine stabile Sicherheitssituation im Land genannt, die Glaubwürdigkeit des Auftraggebers, die (auch finanzielle) Unabhängigkeit der Kommissionsmitglieder, der frühe Einbezug wichtiger zivilgesellschaftlicher Gruppen, der aus der Gesellschaft selbst kommende Wunsch nach Wahrheit und Versöhnung sowie ausreichende Follow-Up-Mechanismen.
Die begonnene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit fortzuführen und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen sei nur möglich, wenn der Abschlussbericht der Wahrheitskommissionen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und die Empfehlungen umgesetzt werden. In der Umsetzung der Empfehlungen in aktive Regierungspolitik sieht das Parlament den größten Schwachpunkt. Dies betreffe vor allem Reformen im Polizei-, Militär- und Justizbereich sowie Programme zur Wiedergutmachung bzw. die Entschädigung der Opfer bzw. Opfergruppen. Der Deutsche Bundestag möchte die Bundesregierung in ihrer Haltung bestärken, „weiterhin alle Maßnahmen zu fördern, die friedenskonsolidierend und versöhnend wirken, und gezielt die Arbeit einzelner Wahrheits- und Versöhnungskommissionen zu unterstützen bzw. die Umsetzung ihrer Empfehlungen zu ermöglichen.“ Kohärente Strategien zur Vergangenheitsarbeit, Wahrheitsfindung und Wiederherstellung von Gerechtigkeit (Transitional Justice) seien hierbei zentral.
Osttimor: ineffizente juristische Aufarbeitung
Im Antrag werden dann unterschiedliche Erfahrungen, die die Bundesrepublik Deutschland mit der Förderung von Wahrheitskommissionen in verschiedenen Ländern weltweit gesammelt hat, beschrieben. Zu Osttimor nimmt der Bundestag wie folgt Stellung:
„Die bisher einzige asiatische Wahrheitskommission nahm 2002 in Timor-Leste ihre Arbeit auf. Die unabhängige Comissao de Alcolhimento, Verdade e Reconciliacao (CAVR) sammelte bis Ende März 2004 8.000 Aussagen über Menschenrechtsverletzungen und erfuhr in der timorischen Bevölkerung breite Akzeptanz. Finanziert wurde ihre Arbeit durch die Vereinten Nationen.
Das wichtigste Verdienst der CAVR liegt in der öffentlichen Anerkennung des Opferleids und in der Unterstützung bei der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen. Durch die Einbeziehung von Dorfältesten in den Mediationsprozess und durch traditionelle Konfliktlösungsmechanismen wie z.B. Opferriten konnte bei der Bevölkerung eine Vertrauensbasis geschaffen werden, die die Zusammenarbeit erleichterte. Außerdem wurden viele Mittäter mit Unterstützung von spirituellen Führern und Vertretern der Dorfgemeinschaft wieder in ihre Heimatdörfer integriert. Der Abschlussbericht der CAVR wurde nach monatelanger Verzögerung Ende Januar 2006 den Vereinten Nationen übergeben. Der Bericht dokumentiert, dass knapp ein Drittel der Bevölkerung Timor-Lestes dem Krieg und den Kriegsfolgen zum Opfer fiel. Er spart allerdings auch Menschenrechtsverletzungen nicht aus, die an den indonesischen Besatzern verübt wurden.
Das Bedürfnis der timorischen Bevölkerung nach Gerechtigkeit konnte die CAVR nur bedingt erfüllen, denn die meisten Menschenrechtsverletzungen waren durch Milizen und Soldaten des indonesischen Regimes begangen worden. Gerade sie konnten von den timorischen Autoritäten nicht zur Verantwortung gezogen werden. Auch das vom indonesischen Parlament im Jahr 2000 etablierte Ad-Hoc-Gericht sowie die Anklagebehörde und das Sondergericht der Vereinten Nationen haben bislang nur einen Teil der Verbrechen strafrechtlich aufgearbeitet. Die Urteile beider Gerichte wurden von der Regierung Timor Lestes vielfach nicht akzeptiert. Seit der Unabhängigkeit Timor-Lestes im Mai 2002 liegt die Strafverfolgung bei der lokalen Justiz. Die insgesamt ineffiziente juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen lassen mittlerweile Forderungen nach einem Internationalen Strafgerichtshof für Timor Leste laut werden.
2004 haben Indonesien und Timor Leste die Einrichtung einer bilateralen Wahrheits- und Freundschaftskommission (Truth and Friendship Commission, CTF) beschlossen, die eine Alternative zur Strafverfolgung bieten soll. Offizielle Aufgabe der CTF ist es, zwischen beiden Staaten einen Ausgleich in der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit herbeizuführen. Opferverbände, Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen stehen dieser Wahrheits- und Freundschaftskommission ablehnend gegenüber. Sie befürchten, dass durch sie die Ergebnisse der timorischen Wahrheitskommission ausgeblendet und die Täter durch die vorgesehene Amnestieregelung straffrei ausgehen könnten. Entscheidend für die Zukunft eines auf Versöhnung ausgerichteten Verhältnisses zwischen Timor Leste und Indonesien wird sein, dass der Umgang mit den Ergebnissen der Arbeit der timorischen Wahrheitskommission offen und verantwortungsvoll geschieht. Die Veröffentlichung des lange zurückgehaltenen Berichts könnte ein hoffnungsvolles Zeichen sein.“
Forderungen an die Bundesregierung
Entsprechend forderte der Deutsche Bundestag in den Empfehlungen an die Bundesregierung im allgemeinen Teil:
Deutscher Bundestag,
16. Wahlperiode, Drucksache 16/932, 15.03.2006, Die Bedeutung von Wahrheits-
und Versöhnungskommissionen für eine friedliche Zukunft,
http://dip.bundestag.de/btd/16/009/1600932.pdf
Zum Thema: In der Reihe
missio Menschenrechte erschien die Broschüre „Osttimor stellt sich
seiner Vergangenheit - Die Arbeit der Empfangs-, Wahrheits- und Versöhnungskommission“
(92 S.) von Monika Schlicher, die Sie gerne kostenlos bei Watch Indonesia!
bestellen oder online auf unserer Homepage http://www.watchindonesia.org/Osttimor_Vergangenheit.pdf
lesen können.
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