Indonesien-Information Nr. 1/2006 (Westpapua)

An den Rand gedrängt

von Henry Schürmann


„In Papua ist die Regierung ohnmächtig gegenüber der stillen Macht des Militärs“, sagt eine ältere Papua Frau. „In den Städten fällt das nicht gleich auf, doch auf den Dörfern herrscht Angst.“ Wirklich? Beobachtungen während einer Besuchsreise von Henry Schürmann, Länderreferent bei Misereor.

Was ich in Aceh vermisst habe – Spuren der so viele Jahre deutlich sichtbaren Präsenz von Polizei und Militär – das fällt mir in Papua vom ersten Besuchstag an auf. Indonesien investiert in die Sicherheitspolitik in seiner derzeit unruhigsten Provinz. Im Vorjahr angekündigte Pläne für die Stationierung zusätzlicher 15.000 Soldaten manifestieren sich u.a. in Großbaustellen neuer Militäreinrichtungen. Selbst in bisher nicht sehr konfliktträchtigen Gebieten unweit der Grenze zu Papua Neuguinea entstehen reihenweise Wohnhäuser und Versorgungseinrichtungen für Militärfamilien.

Wovon werden diese Familien leben, solange nur ein Drittel des Militärhaushalts aus Regierungsmitteln finanziert wird? Welche Rolle spielen sie in der lokalen Gesellschaft? Die Seiten ortsüblicher Tageszeitungen – wie der Cenderawasi Pos in Jayapura – werden von Artikeln über die Sicherheitskräfte dominiert, als seien Provinz- und Lokalpolitik sowie die örtliche Wirtschaft vorwiegend eine Sache der Uniformierten. Es geht um Baumaßnahmen, Beförderungen, Familienereignisse, zivile Wohlfahrt. Politik spielt viel weniger eine Rolle als internationale Berichte vermuten lassen. Doch unter Zivilisten ist eine deutliche Anspannung zu spüren, die sich u.a. aus enttäuschten Erwartungen über das Autonomiegesetz und Angst vor neuer Gewalt speist.

Als in Abepura am 16. März Demonstranten die einzige Verbindungsstraße zwischen Flughafen und Provinzhauptstadt Jayapura blockieren, hält sich das Militär anfangs zurück. Auf dem Weg vom Flughafen werden wir zufällig Augenzeugen, wie sich BRIMOB Reihen (BRIMOB = Brigade Mobil, Einsatzkommando der Polizei, red.) aufstellen, um die Demonstration aufzulösen. Das Oberkommando der Provinzpolizeiführung hat verschiedene polizeiliche Einsatzkräfte zusammengezogen, deren Zahl im Verhältnis zu den wenigen Demonstranten durchaus nicht übertrieben wirkt. Wenige Schritte weiter scharen sich rund 200 Schaulustige um ein paar Dutzend singender und skandierender Demonstranten. „Armee raus!“ und „Schließt Freeport!“ hören wir. Pläne für Proteste gegen das Bergbauunternehmen und die Aufteilung Papuas (entgegen der Bestimmungen des Autonomiegesetzes) waren bereits seit Tagen bekannt.

Über die dann eskalierende gegenseitige Gewalt und die Todesfälle auf beiden Seiten ist bereits ausgiebig in den Medien berichtet worden.

Weniger bekannt wurde die Angst der Menschen in Abepura vor Repressalien durch Polizisten, die ein paar Wochen lang auf der Suche nach geflohenen Demonstranten das Umfeld der Straßenblockade durchkämmten. Mindesten zwei Kinder, Mädchen im Alter von 9 und 12 Jahren, erlitten Schussverletzungen durch BRIMOB Patrouillen, obwohl ihr Kommandant wegen seines offenbar befehlswidrigen Vorgehens während der Demonstration seinen Posten verloren hatte. Von großer Angst vor uniformierten Kräften ist überall dort die Rede, wo es Gewaltaktionen gab. In anderen Dörfern begegnete mir eher starkes Misstrauen gegenüber Armee und mobilen Polizeieinheiten.

Ursachen für den wachsenden Unmut unter Papuas, der sich in Gewaltaktionen entlädt und so Gründe für verstärkte Militärpräsenz liefert, finden wir nicht nur in der Politik. Im Gebiet von Merauke sind Dörfer um-gesiedelter Papuas nicht ans Stromnetz angeschlossen; vorhandene Stromleitungen versorgen die neuen Militäreinrichtungen. Transmigranten füttern dort Erntemaschinen in üppigen Reisfeldern in kostengünstiger Transportnähe zur örtlichen Reismühle. In den benachbarten Sümpfen dagegen leben umgesiedelte Papuas in einfachen neuen Holzhütten, deren Wände durch den oft hohen Wasserpegel bereits zu faulen beginnen. Als ehemalige Waldbewohner sehen sie sich gezwungen, innerhalb einer Generation ihre vertraute Lebensweise samt Ernährung umzustellen und Reisbauern zu werden. Doch es fehlt an Erfahrung im Umgang mit der neuen Umwelt, mit Saatgut und Schädlingen sowie an Transportmöglichkeiten zur Reismühle. Ihre „Straßenanbindung“ ist ein schmaler, in der Regenzeit nicht befahrbarer Damm im Sumpf. Eine Dorfschule, ebenso wie die Wohnhäuser von der Regierung aus Brettern errichtet, liegt an trockenen Tagen nur eine Handbreit über dem Wasser. Sogar Schweineställe stehen auf Stelzen. Für die Kinder gibt es kaum trockene Flächen zum Spielen, und einige haben Krankheitszeichen, die auf Mangelernährung hindeuten. Nur die Hälfte der Dächer wird für als Auffangfläche für Regen – das einzige Trinkwasser – genutzt.

Wirtschaftlich und gesellschaftlich an den Rand gedrängt werden die indigenen Papuas inzwischen bereits im Hochland. Dort bin ich überrascht, neue Moscheen in größeren, früher rein christlichen Siedlungen zu finden. Einwanderer aus anderen Teilen Indonesiens scheinen Handel und Kleingewerbe in zentralen Ortschaften ganz in ihrer Hand zu haben. Papuamütter müssen neben der Feldarbeit immer weiter in die Hügel ziehen, um Brennholz und Heilpflanzen zu sammeln – große ehemalige Waldflächen sind längst gerodet.

Die politische Aufspaltung Papuas in immer kleinere Distrikte unter Führung von Papuas entspricht zwar dem Wunsch mancher Papuapolitiker nach mehr direktem Einfluss in der Lokalpolitik. Eine Folgeerscheinung ist jedoch der beschleunigte Zustrom von Transmigranten für die Besetzung vieler neuer Posten in Verwaltung, Polizei und Militärstützpunkten, die für jeden neuen Verwaltungsbezirk vorgeschrieben sind. Die guten Beziehungen der Migranten zu Beamten und Sicherheitskräften sichern ihnen einen unfairen Vorteil im Wettbewerb um Erwerbsquellen für den Lebensunterhalt. Schon jetzt können Papuabauern in den Bergen manche ihrer Produkte kaum noch gewinnbringend verkaufen. Zu niedrig sind die Marktpreise, zu hoch die Transportkosten: Benzin kostet 8000 Rupien (ca. 70 €-cent), zweimal soviel wie in Küstennähe.

Die vielen Baustellen, auch von zivilen Einrichtungen wie Hotels oder moderne Einkaufszentren, verstärken den Gesamteindruck einer wirtschaftlich produktiven und somit für Migranten attraktiven Provinz. Für viele Papuas scheint das Tempo der Modernisierung zu schnell, sie können nicht mithalten bei der Umstellung auf neue Erwerbschancen. Gesellschaftlich und wirtschaftlich an den Rand gedrängt, profitieren nur wenige ländliche Papuas von den Investitionen im Sozialbereich aufgrund der neuen Finanzmittel unter dem Autonomiegesetz. Ihre Mütter- und Kindersterblichkeit bleibt hoch, ihre Ernährung und Schulbildung mangelhaft.

„Wir sind arm, aber nicht faul“, erklärt ein Dorfältester. „Wir haben ungeschälten Reis durch unsere Ernte, können uns aber seine Weiterverarbeitung nicht leisten und müssen Reis kaufen, um nicht zu hungern.“ <>
 
 

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