Suara Nr. 1/2007 (Osttimor)

 

„Indifference and Accountability“:

Bilanz des Sondergerichts für Schwere Straftaten in Osttimor

von Fabian Junge


Vernichtender als in David Cohens Bericht „Indifference and Accountability“ hätte eine Kritik an der Arbeit des Sondergerichts für Schwere Straftaten in Osttimor nicht ausfallen können. Basierend auf zahlreichen Interviews und einer Analyse der Rechtsprechung des Gerichts zeigt Cohen, wie das Fehlen von sonst selbstverständlichen Ressourcen und Kompetenzen die Prozesse zum Scheitern brachte. Im Mittelpunkt steht dabei das mangelnde Verantwortungsbewusstsein der Vereinten Nationen (VN) für das Gericht. Dies demonstriert er in drei Bereichen, nämlich der Ausstattung und der Rechtsprechung des Gerichts sowie seiner Übergabe an die timoresische Regierung. Zunächst beschreibt Cohen, wie die katastrophale Ausstattung des Sondergerichts die Rechte der Angeklagten beeinträchtigte. So konnte sich die Verteidigung aufgrund materieller Mängel gegenüber der ebenfalls schlecht ausgestatteten Anklagebehörde nicht behaupten. Es habe an allem gefehlt: Management, Verwaltung, Übersetzer, Personal für Untersuchungen, Recherche, und Archivierung, Büroausstattung, usw. Selten verfügten die osttimoresischen und internationalen Anwälte über die für eine angemessene Verteidigung nötige Erfahrung und internationalen Rechtskenntnisse. Das Fehlen kompetenter, juristisch geschulter Übersetzer stellt Cohen als besonders fatal heraus. Verteidiger und Angeklagte konnten sich kaum verständigen. Hinzu kommt, dass de facto kein Opfer-  und  Zeugenschutzprogramm  existierte, weshalb die Verteidigung in den ersten 14 Fällen keinen einzigen Zeugen vorlud. Dem Recht der Angeklagten auf eine angemessene Beratung und Verteidigung wurde so nicht nachgekommen.

Auch im Gerichtssaal selbst waren die Übersetzungen unzulänglich, so dass es Fälle gab, wo Richter ihre  Urteile fällten, ohne die Aussagen von Angeklagten und Zeugen verstanden zu haben. Da schockiert es um so mehr, dass für 19 Monate aufgrund fehlender Ressourcen praktisch kein Berufungsgericht existierte. Zu Recht fragt Cohen, wieso die internationalen Richter und die verantwortlichen Personen in den verschiedenen VN-Organen diese Mängel nicht behoben oder die Prozesse ganz stoppten.

Neben der Beschreibung materieller Mängel nimmt die Analyse von 28 Urteilen des Sondergerichts einen zentralen Stellenwert in Cohens Bericht ein. Zunächst erstaunt ihn die Schlampigkeit der Urteile: Sie diskutieren selten die relevanten juristischen Doktrinen, Beweise und Zeugenaussagen in ausreichender Tiefe. Auch scheint dem Gericht nicht eingefallen zu sein, die Rechtsprechung vorhergegangener internationaler Strafgerichte bei der Erwägung seiner Urteile hinzuzuziehen.

Ein weiteres gravierendes Problem sieht Cohen in der Parteilichkeit vieler Richter, die ihren Ausdruck in der Missachtung der Interessen der Angeklagten fand. Selten nämlich sei die Position der Verteidigung in den Urteilen genügend berücksichtigt worden. Auch brachten sich die Angeklagten in auffällig vielen Verfahren durch Schuldgeständnisse in unvorteilhafte Positionen, anscheinend ohne sich der Konsequenzen ihrer Geständnisse vollständig bewusst gewesen zu sein. Dass das Gericht die Unzulänglichkeit der Verteidigung ignorierte, weist für Cohen auf die Befangenheit vieler internationaler Richter hin. Aus seinen Interviews geht hervor, dass viele der internationalen Richter nicht von der Unschuld, sondern der Schuld der Angeklagten ausgingen und damit gegen grundsätzliche Rechte der Angeklagten auf einen fairen Prozess verstießen.

Haarsträubender noch sei die Inkompetenz vieler Richter gewesen. Als Beispiel sei das Berufungsverfahren gegen Armando dos Santos genannt. Indem sie den Angeklagten wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Genozid“ – eine Anklage, die in erster Instanz gar nicht erhoben wurde – verurteilten, demonstrierten die beiden portugiesischen Richter ihre absolute Inkompetenz in Sachen internationales Strafrecht. Sie wussten offenbar nicht, dass „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Genozid“ im internationalen Recht nicht Teil einer, sondern zwei voneinander abzugrenzende Straftaten sind.
Angesichts der Schlampigkeit, Parteilichkeit und Inkompetenz vieler Richter stellt Cohen die Legitimität der Urteile in Frage. Die hohe Zahl an Verurteilungen – nur drei der 87 Angeklagten wurden freigesprochen – wird von den VN als Zeichen für den Erfolg des Sondergerichts bewertet. Für Cohen spricht diese Zahl jedoch für übereilte, die Rechte der Angeklagten missachtende Verfahren, bei denen es weniger um die Gerechtigkeit als vielmehr um die Produktion einer Erfolgsgeschichte ging.

In einem dritten Teil fragt Cohen nach der Zukunft des Sondergerichts, das am 20. Mai 2005 geschlossen wurde. Angesichts dessen, dass die osttimoresischen Regierung sich gegen eine juristische Vergangenheitsaufarbeitung stellt, hält Cohen eine Fortsetzung des Prozesses für unwahrscheinlich. Die Schließung des Gerichts kritisiert er als verfrüht. Mit Bekanntgabe des Datums habe zudem beim Sondergericht eine Hektik eingesetzt, die zu schlampigen Urteilen und einer unsauberen Vorbereitung der Übergabe der Gerichtsdokumente an Osttimor geführt habe.

Ein weiterer Kritikpunkt Cohens ist die mangelnde Ausbildung timoresischer Richter durch das Sondergericht. Dass keiner von ihnen die Qualifizierung zum Richter bestand, nicht aus fachlicher Unfähigkeit, sondern weil sie nicht über genügend Portugiesisch-Kenntnisse verfügten, ist für Cohen Ausdruck der arroganten, neo-kolonialen Einstellung der ausbildenden Richter sowie den Verantwortlichen bei UNDP, UNTAET  und UNOTIL. Diesen ging es nach Cohen nicht nur um die Ausbildung der Richter, sondern auch darum, Portugiesisch als einzige offizielle Sprache durchzusetzen. Der junge Staat Osttimor verfügt nun aufgrund der politischen Ziele der portugiesischen Ausbilder über keinen einzigen Richter. Die Arroganz der Ausbilder zeigt Cohen deutlich anhand von Zitaten, in denen sie ihre timoresischen Schützlinge als unfähig und Tetum als primitive Sprache bezeichnen. Der Fehler liegt für Cohen letztendlich wieder bei den VN, die es versäumt haben, qualifizierte Ausbilder einzustellen und die Qualität des Trainings effektiv zu überwachen.

Insgesamt bescheinigt Cohen dem Sondergericht trotz der Anerkennung der positiven Leistungen einzelner Mitglieder Versagen auf ganzer Linie. Unter den gegebenen Umständen konnte das Gericht keinen positiven Beitrag zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und dem Aufbau des timoresischen Rechtssystems leisten. Die Schuld hierfür sieht er eindeutig bei den VN, die eine erfolgreiche Durchführung des Sondergerichts durch die Bereitstellung der nötigen materiellen und personellen Ressourcen, sowie durch klares Management, nicht ermöglichten. Den VN, die sich die Verbreitung internationaler Rechtsstandards zum Ziel machen, aber untätig bleiben, wenn ein von ihnen initiiertes Sondergericht eben diese Standards missachtet, stellt er damit ein Armutszeugnis aus. Cohens detailreicher und fundierter Bericht zieht aber auch Bilanz aus den Fehlern, die in Osttimor gemacht wurden und macht Verbesserungsvorschläge für zukünftige internationalisierte Tribunale. <>
 
 

Cohen, David (2006): Indifference and Accountability. The United Nations and the Politics of International Justice in East Timor, East-West Center Special Report 9, Honolulu, East-West Center.
http://www.eastwestcenter.org/res-rp-publicationdetails.asp?pub_ID=2005
 
 

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