Suara Nr. 1/2007 (Osttimor)

 

„Wir müssen uns zusammensetzen und darüber sprechen, wie wir unser Problem lösen“

Gespräch mit José Caetano Guterres, Post-CAVR-Büro, Dili

von Andrea Fleschenberg


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Osttimor Gesellschaft e.V. (DOTG)




José Caetano Guterres half beim Aufbau der Wahrheitskommission (CAVR), koordiniert seit Mai 2004 das Archivteam des Post-CAVR Büros in Dili, Osttimor. Seit den politischen Unruhen, die im Frühjahr diesen Jahres begannen, ist er selbst zum Binnenflüchtling geworden und kann – je nach Sicherheitssituation – nur bedingt seiner Arbeit nachgehen. Am Rande der internationalen Konferenz „Dealing with a past holocaust and national reconciliation: Learning from experiences“ in Phnom Penh / Kambodscha, führte Andrea Fleschenberg am 28. August 2006 mit ihm ein Gespräch zur problematischen aktuellen politischen Lage und wie diese von der Zivilgesellschaft aus angegangen werden könnte.

War der im Februar beginnende Konflikt zunächst ein Problem innerhalb des Militärs (aufgrund von Diskriminierungsvorwürfen einer Gruppe von Soldaten), so wurde er zu einem größeren, nationalen Problem und damit sehr kompliziert, mit verschiedenen Interessen diverser Gruppen, politischer Parteien, die sich in eine ethnische Auseinandersetzung zwischen Ost und West verwandelte, so José Guterres. Im weiteren Verlauf mutierte der Konflikt mit dem Rücktritt von Alkatiri und der Ankunft der multinationalen Schutztruppe in eine Regierungskrise. Der Konflikt hält weiterhin an – 150.000 Menschen sind interne Flüchtlinge (internally displaced persons, Binnenflüchtlinge, AF), Gangs plündern und üben Gewalt aus. Dennoch kehrten bereits viele Flüchtlinge in ihre Dörfer zurück; einige blieben aber auf den geschützten compounds in Dili, z. B. der Vereinten Nationen, Kirchen und des Krankenhauses – zu ihnen zählte auch zur Zeit des Interviews José Guterres, der aus Sicherheitsgründen mit seiner Familie noch nicht in sein Haus zurückkehren konnte.

Gründe für den anhaltenden Konflikt sieht José Guterres darin, dass der Rechtsstaat und die Regierung des Postkonflikt-Landes Osttimor noch nicht stark und gefestigt genug sind, Recht und Ordnung durchzusetzen. Daher handelt es sich bei der politischen Krise nunmehr auch um eine Krise der Institutionen und der Führung – die Menschen haben ihr Vertrauen in die politische Führung des Landes verloren: „Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir uns gegenseitig wieder nicht vetrauen. Ich bin selbst aus dem Osten, meine Frau kommt aus dem Westen – Ich hatte keine Probleme und habe gute Nachbarn. Am 28. April war Dili bereits unter der Kontrolle der multinationalen Truppe, aber gleichzeitig verschärfte sich die Krise: Gangs übernahmen Dili und unser Viertel wurde angegriffen. Meine Familie und ich mussten im Auto ins Konvent flüchten – 30 Minuten bevor der Angriff stattfand.“ Es sind sehr schwierige Zeiten – es ist schwierig, zu wissen, wo Freunde, Kollegen und Angehörige sind, schwierig miteinander zu kommunizieren und selbst das Kirchengelände wurde angegriffen, fährt José Guterres fort. „Ich bin aus dem Osten, also musste ich für zwei Wochen im Zimmer bleiben, da ich Angst um meine Sicherheit hatte,“ denn die Flüchtlinge bestanden aus Ostlern und Westlern. Diese Situation war besonders für Frauen und Kinder sehr schwierig; er schickte seine Familie zu Verwandten aufs Dorf, wo sie in Sicherheit sind, da sich die gewalttätigen Unruhen auf Dili und umliegende Distrikte konzentrieren.

Wie andere Osttimoresen ist José Guterres enttäuscht von den einst verehrten Helden der Unabhängigkeit – auch Xanana Gusmão trägt mit seiner Fernsehrede mit Schuld daran, dass sich die Kluft zwischen den Bevölkerungsgruppen vertieft hat. Es ist zu früh, um zu sagen, wer hinter der augenscheinlich systematisch organisierten und strategisch angreifenden Ganggewalt steckt. Kinder werden vor den Attacken geschickt – einige haben Waffen, Häuser werden mit Symbolen markiert, so dass nur die Häuser von Ostlern niedergebrannt werden. Von den Unruhen wurde auch das Büro der Wahrheitskommission betroffen, die den Ende 2005 veröffentlichten Bericht in der Bevölkerung bekannt machen soll. Anfang Juni wurden zwei Mopeds von Gangs nachts gestohlen, einige Akten der Anklagebehörde (Serious Crimes Unit) fehlen oder wurden zerstört. Die Mitarbeiter sind daher über die Sicherheit ihres Büros besorgt, insbesondere der wichtigen Beweismaterialien über Menschenrechtsverletzungen, die während der Arbeit der Wahrheitskommission dokumentiert und archiviert worden sind. Gerade in der momentanen Krise wäre es wichtig, so José Guterres, den Bericht zu den Menschen zu bringen, so dass sie aus der Vergangenheit lernen können.

Das Vertrauens- und Führungsproblem wird schwierig zu lösen sein; es begann in der Elite des Landes und ist mittlerweile auf die grassroots-Ebene, der Bevölkerung angelangt, wo viele Waffen zirkulieren. Es wird auch deshalb schwierig zu lösen sein, da die Führer nicht zusammensitzen und den Menschen erklären, warum diese Krise passierte: „Selbst wenn der neue Premierminister die Binnenflüchtlinge aufruft, nach Hause zurückzukehren, und bekannt gibt, dass es Versöhnung geben wird, warten und warten die Menschen. Wie können sie nach Hause gehen, wenn es keine Sicherheit gibt und bis heute einige Viertel unter der Kontrolle von Gruppen der Ostler oder Westler sind? (...) Ich glaube nicht, dass wir bei dieser anhaltenden Krise Wahlen haben können.“ Die Krise könnte als Argument genutzt werden, damit Parlament, Premierminister oder Präsident eine Verschiebung der Wahlen anberaumen – und dann wird es keine Demokratie geben, befürchtet José Guterres. Sein Plädoyer:

„Alle Timoresen müssen aus ihrer Vergangenheit lernen – lasst den Konflikt hinter Euch und geht einen Schritt in Richtung Dialog und nationaler Reflektion und versucht, Stabilität zu schaffen. Wir hatten zwei erfolgreiche demokratische Wahlen, einen erfolgreichen Versöhnungsprozess durch die Wahrheitskommission CAVR – die Osttimoresen schienen Reife zu haben und daher kann ich nicht verstehen, wie es so schnell zu dieser Gewalt kam, die weiter wächst. Wir verlieren sonst unsere internationale Glaubwürdigkeit und unsere Chance, Demokratie aufzubauen. Wenn wir nächstes Jahr keine Wahlen haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass es eine Diktatur im Land geben könnte und dann werden wir einen weiteren Kampf für Demokratie führen müssen.“

Um dies zu vermeiden, müssen die Verfassung und die demokratischen Spielregeln respektiert werden und sich Politiker und die politischen Parteien angesichts der allgemeinen Vertrauens- und Legitimationskrise rehabilitieren. Gerade auch, weil die heutige Krise viele Menschen an die Krise von 1975 erinnert und die Wahrnehmung bei ihnen nährt, dass die politischen Parteien den Konflikt geschaffen haben – statt sie als Werkzeug der Demokratie zu verstehen. „Wir haben nicht aus der Vergangenheit gelernt, wir sind nur an uns selbst interessiert und nicht daran, wie wir dem Land dienen können, daher brauchen wir einen Moment des nationalen Einhaltens, Reflektierens – wir müssen uns hinsetzen und darüber sprechen, wie wir unser Problem lösen können“, regt José Guterres dringend an.

Er ist Gründungsmitglied des East Timor Crisis Reflection Network, das aus 15 Personen, vor allem der jüngeren Generation, und internationalen Freunden besteht und jeden Samstag über einen Weg aus der Krise diskutiert. Dabei geht es ihnen vor allem darum, durch Forum Discussions und einem regelmäßig erscheinenden Bulletin, eine öffentliche Debatte und Raum zu schaffen und mögliche Mediations- und Konfliktlösungsmechanismen und Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Wichtige Themen sind dabei nationale Einheit, wirtschaftliche und politische Sicherheit, Regionalismus, Kultur und kulturelle Konfliktlösungspraktiken, Versöhnung und Gerechtigkeit.

„Wegen der Krise haben viele Osttimoresen ihre Hoffnung verloren, die Hoffnung in die Zukunft des Landes. Wir müssen ihnen die Hoffnung zurückbringen“, schließt José Guterres unser langes Gespräch im nächtlich ruhigen Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, einem weiteren südostasiatischen Land, welches mit seinem Konflikterbe ringt. Dort hat José Guterres über seine Arbeit mit der Wahrheitskommission berichtet und erklärt, warum es wichtig ist, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, und welche Mittel und Wege es gibt. Mögen seine Worte bis nach Hause dringen und nicht jene Zweifler Recht behalten, die sich um die Früchte der Unabhängigkeit betrogen sehen und das Land (wieder) verlassen... <>
 

Das East Timor Crisis Reflection Network benötigt dringend finanzielle Unterstützung, um seine Arbeit durchführen und über den eigenen Kreis hinaus ausweiten zu können. Spenden sind sehr willkommen. Kontakt: osttimor@yahoo.de
Ein weiteres Interview zum Thema Vergangenheitsaufarbeitung in Osttimor und Indonesien, zusammen mit Armado Hei, findet sich in: Osttimor – vier Jahre Unabhängigkeit, herausgegeben von Andrea Fleschenberg, Focus Asien Nr. 27, Essen: Asienstiftung 2006, S. 31-35 (zu bestellen unter www.asienhaus.de).
 

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