Endlich Frischluft! dachte
ich, als wir mit dem gemieteten Kleinbus aus Jakarta rausfuhren. Endlich
Frischluft, dachte ich nicht mehr, als wir ausstiegen. Ein Besuch bei der
größten Müllkippe habe ich mir nicht als blumige Wanderung
vorgestellt, aber dieser Gang hatte für mich etwas, was für andere
vermutlich der Jacobsweg bereithält. Doch die Suche zu sich selbst
oder dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist oft hart und
ungerecht. Ich öffnete die Beifahrertür und brütende Hitze
die man in der Regenzeit aus Jakarta nicht gewohnt ist, da die Sonne
eher selten den Weg durch die Smogwolken findet schlug mir entgegen.
Schwarze, fleischige Fliegen, die sich mit Vorliebe nackter Haut annehmen,
bevölkerten die unbedeckten Stellen meines Körpers, und ein unbeschreiblich
stechender Geruch ereilte meinen Nasengang.
Ich kenne die Situationen, in denen man z.B. in eine stickige Kneipe eintritt und im ersten Moment der festen Überzeugung ist, dass man es aufgrund des Geruches nicht länger als ein paar Minuten aushält. Komischerweise scheint man sich daran zu gewöhnen und sieht sich drei Stunden später selbst qualmend an der Bar sitzen. Doch meine unsensible Großstadtnase wollte sich nicht an diesen Gestank gewöhnen. Aus den bis zu 20 Meter hohen Müllbergen steigt der Geruch empor. Unzählige Menschen tragen in Körben auf dem Rücken den Müll zu den Sortierstationen. Hier wird akribisch getrennt, in Plastik, Hartplastik, Metall, Glas und Hausmüll. Die Gegenstände, die nicht weiterverkauft werden können, landen auf meterhohen Bergen, ein Gemisch aus Müll und Humus. Von Weitem könnte man meinen, dass es sich eher um ein künstliches Naherholungsgebiet handelt, als um die zweitgrößte Müllkippe Asiens. Die verwertbaren Materialien werden gewaschen, getrocknet und an diverse Zwischenhändler verkauft. Mit Zettel und Stift bewaffnet stehen diese an den Abwiegestationen und kontrollieren ihre kostbare Ware. Denn kostbar ist ein Kilo Hartplastik allemal, 3.000 Rupiah bekommt ein Müllsortierer dafür, und wenn er fleißig ist, verdient er über das Doppelte des staatlich festgelegten Mindestlohnes von 800.000 Rupiah im Monat.
Das Müllsammeln und Sortieren ist also ein lukrativer Job, mit dem man seiner Familie ein Zuhause und etwas zu Essen und den Kindern eine Schulausbildung finanzieren kann. Wenn da nicht einige unangenehme Nebenwirkungen wären. Mal abgesehen von dem Gestank der wahrscheinlich nach mehreren Jahren nicht mehr die Nase belastet belastet er dennoch die Lungen der 10.000 Menschen, die auf der Müllkippe wohnen. Atemwegserkrankungen sind daher das größte Übel. Doch der junge Vater, der schon seinen Vater und seinen Großvater ohne Mundschutz sah, sieht keinen Anlass dazu, selbst einen zu tragen oder seinem Kind die Wichtigkeit desselbigen zu erläutern. Mit den Schuhen ist es das gleiche. Die zweitgrößte Gefahr sind die Verletzungen durch Glasscherben und Metallgegenstände. Aber Schuhe? Wieso braucht das Kind des jungen Vaters Schuhe, er hat selber keine und sein Vater lief auch schon barfuß durch den Müll.
Was für ein System denke
ich, während mich meine Füße knietief durch die Plastiklandschaften
der 200 ha großen Müllkippe tragen. Aber das ist der Irrtum,
dem wir so oft erliegen. Wir vergleichen eine unsere Welt mit einer
anderen, unser System mit dem ihrigen. Bei dem Anblick, der sich mir bot,
dachte ich also sofort an unseren sorgfältigen deutschen Mülltrennungswahn.
Aber was würde in Bantar Gebang aus den tausenden von Müllmännern
werden? Und alle bisherigen Versuche in Stadtbezirken von Jakarta, das
Müllproblem zu lösen, waren erfolglos. Warum? Vielleicht ist
unser System mit Müll umzugehen, nicht einfach übertragbar. Doch
eine Problemlösung muss schnell her. Die dort lebenden Menschen haben
anscheinend kein Problem mit dem Müll, im Gegenteil, ihnen ist ein
lebenslanger Job garantiert. Es sind eher die Bewohner der Stadt, die tagtäglich
den Müll kaufen und produzieren. Denn wo soll der ganze Müll
noch hin, sagt der junge Vater mit strohblonden Haaren. Das Färbemittel
hat er im Müll gefunden. <>
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