Suara Nr. 1/2007 (Osttimor)

Handeln gefordert

von Henriette Sachse


Der Bericht der Unabhängigen Untersuchungskommission (Commission of Inquiry, COI)
zu den Ursachen der Ausschreitungen im April und Mai 2006 in Osttimor




Am 28. und 29. April sowie vom 23. bis 25. Mai 2006 kam es in Osttimor zu blutigen Unruhen zwischen Anhängern des Militärs und der Polizei. Diese führten zu mindestens 37 Toten und ließen mehr als 155.000 Menschen zu Flüchtlingen werden. Auslöser war die Entlassung eines Drittels der Streitkräfte (F-FDTL) durch Premierminister Alkatiri. Es folgten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Fraktionen der Polizei (PNTL) sowie der F-FDTL. Eine von Australien angeführte Friedenstruppe von 3.200 Soldaten kam auf Wunsch der Regierung ins Land, um die öffentliche Sicherheit wieder herzustellen. Zudem richteten die Vereinten Nationen eine neue Mission in Osttimor ein (UNMIT) und sandten bisher mehr als 1.000 Polizisten (UNPol). Diese haben polizeiliche Aufgaben übernommen und helfen dabei, die osttimoresische Polizei neu zu formieren. Osttimor befindet sich seither in der schwersten Krise seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 2002.

Der heutige Premierminister und damalige Außenminister, José Ramos-Horta, lud im Juni 2006 den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, ein, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen. Der Kommission wurde die Aufgabe zuteil, die Hintergründe und Ursachen der blutigen Vorfälle im April und Mai 2006 zu beleuchten, die Verantwortlichen zu benennen und Maßnahmen zu empfehlen, die eine Ahndung von Straftaten und schweren Menschenrechtsverletzungen sicherstellen. Die Kommission, unter Obhut der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte, befragte daraufhin 200 Zeugen und wertete 2.000 Dokumente aus.

Die Spannung steigt

Bereits Anfang Oktober 2006 sollte der Bericht der Kommission vorliegen. Offiziell verschob sich seine Veröffentlichung, weil er in vier Sprachen gleichzeitig vorliegen sollte (Englisch, Portugiesisch, Tetum und Bahasa Indonesia) und die Übersetzungen mehr Zeit benötigten als geplant. Viele Osttimoresen vermuteten dagegen, die Kommission sei über den Inhalt des Berichtes unentschlossen. Denn je nachdem, ob der Bericht tatsächlich Namen von Drahtziehern der Unruhen nennen würde, befürchteten viele einen neuerlichen Ausbruch von Gewalt durch die Anhänger der Beschuldigten.

In Dili war das „Wann“ und „Wie“ des Berichts zwei Wochen lang Gesprächsstoff Nummer Eins. Verwirrung machte sich breit, als am 10. Oktober die International Crisis Group (ICG) eine Analyse der aktuellen Krise herausbrachte. Diese Analyse der ICG wurde fälschlicher Weise noch am selben Tag als der Kommissionsbericht in Dili per E-Mail verbreitet. Am 17. Oktober wurde der „echte“ Bericht endlich dem osttimoresischen Parlament, Präsidenten und Premierminister übergeben sowie zugleich der Öffentlichkeit vorgestellt. Über Radio, Fernsehen, Aushänge und Zeitungsberichte wurden innerhalb der nächsten Tage Inhalt und Empfehlungen der Kommission im ganzen Land verbreitet.

Situation vor Ort

Trotz der angespannten Situation in Dili vor Bekanntgabe des Berichtes blieb es die ersten Tage danach erstaunlich ruhig. Die meisten Menschen schienen aufzuatmen. Erst knapp eine Woche später kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Jugendbanden, die auch dazu führten, dass der Flughafen für einen Tag geschlossen werden musste. Ob diese Auseinandersetzungen politisch motiviert waren, konnte bisher noch nicht eindeutig geklärt werden. Seither hat sich die Lage scheinbar nur wenig stabilisiert, denn immer wieder kommt es zu Zwischenfällen mit teils tödlichem Ausgang.

Ergebnisse und Empfehlungen

Neben ausführlichen chronologischen Darstellungen der Ereignisse im April und Mai 2006 zeigt der Bericht auf, wie die Gräben zwischen und innerhalb der osttimoresischen Sicherheitskräfte, der Polizei, der Regierung und der Bevölkerung zu einer Eskalation der Gewalt geführt haben. Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass schwache Institutionen und fehlende Rechtsstaatlichkeit die wichtigsten Gründe für den Ausbruch der Krise waren: Kommandostrukturen brachen zusammen oder wurden umgangen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten verschwammen, und Lösungen für Konflikte wurden außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens gesucht. Zusammen mit der illegalen Verteilung von Waffen an Zivilisten, dem fehlenden Respekt vor dem Gesetz und einer Kultur der Straffreiheit waren die Voraussetzungen für Zusammenstöße gegeben.

Darüber hinaus zeigt die Kommission auch die Verwicklung einzelner Personen in die Unruhen auf. Darauf aufbauend empfiehlt sie zum einen, für die von ihr benannten Personen weitere Untersuchungen durch die osttimoresische Justiz folgen zu lassen. In diesem Zusammenhang verweist die Kommission beispielsweise auf den früheren Premierminister Mari Alkatiri. Zum anderen benennt sie Personen, deren Anklage sie empfiehlt, da nach Meinung der Kommission bereits ausreichendes Beweismaterial gegen sie vorliege. Darunter fallen u.a. der frühere Innenminister Rogerio Lobato sowie Major Alfredo Alves Reinado.

Die Kommission macht deutlich, dass es faire und unabhängige Gerichtsverfahren und Untersuchungen geben müsse, um so ein klares Zeichen gegen Straflosigkeit zu setzen. Sie betont, dass für diese Arbeit und für die Schaffung von Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie der Justizsektor erheblich gestärkt werden müsse, auch mit langfristiger internationaler Hilfe.

Reaktionen aus der Politik/Bevölkerung

Insgesamt waren die Reaktionen mehrheitlich positiv, und die Unabhängigkeit der Kommission wurde anerkannt. Sowohl Präsident Gusmão und Premierminister Horta als auch Parlamentspräsident Francisco Guterres lobten den Bericht für seine Analyse, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. Auch die osttimoresische Nichtregierungsorganisation JSMP glaubt, dass die Kommission tatsächlich unabhängig gearbeitet hat und es keinerlei Einmischung von Dritten gab. /JSMP, Justice Update, 14/2006/.

Offizielle Reaktionen aus der F-FDTL bescheinigten der Kommission gute und objektive Arbeit. Die FDTL unterstütze den Bericht und seien bereit, ihren Beitrag zur Herstellung von Gerechtigkeit zu leisten. Allerdings forderten sie das Parlament auf, zusätzlich zum COI-Bericht eine Analyse zu liefern, die die politischen Hintergründe der Krise näher beleuchten solle. Das Parlament setzte eine eigene Kommission zur Bearbeitung des COI-Berichts ein. Diese parlamentarische Kommission hat Medienberichten zufolge bereits einen Bericht erstellt, der jedoch noch nicht veröffentlicht worden ist.

Die Mehrheit der Bevölkerung bewertete den COI-Bericht als gut und fair; allerdings gibt es große Bedenken, ob die Empfehlungen dieses Berichtes tatsächlich umgesetzt werden oder nicht, insbesondere ob das Gericht alle Täter vorladen kann, die an der Krise beteiligt waren – die aus dem einfachen Volk ebenso wie die aus der politischen Führungsriege.

Kritik kam aus den Reihen der Fretilin, die die Anschuldigungen gegenüber dem damaligen Innenminister Lobato und dem damaligen Premierminister Alkatiri zurückwiesen. Zudem benenne der Bericht nicht die Gründe der Krise und die konkrete Verwicklung von politischen Führern /UNMIT, Media Monitoring, 21.10.2006/. Alkatiri begrüßte den Bericht, bemängelte jedoch, dass er nicht vollständig sei und einige wichtige Ereignisse nicht berücksichtigt habe. „The COI team merely analyzed the facts but did not analyze the causes. They also put more history of 1974 and 1975 in the report’s background instead of the events of January and February of 2006” /UNMIT, Media Monitoring, 21.10.2006/. An den Präsidenten, das Parlament, die Regierung und die Gerichte gewandt, empfahl er weitere Untersuchungen vorzunehmen. Als damaliger Premierminister stelle er sich jedoch seiner Verantwortung.

Bischof Belo, der sich Mitte Oktober für zwei Wochen in Osttimor aufhielt, appellierte an alle Menschen in Osttimor, den Bericht friedlich aufzunehmen. Im November entschuldigte sich Präsident Gusmão öffentlich für die Gewalt und die Krise und gestand ein, dass die Regierung Fehler gemacht habe: „We know that we were wrong. Our mistakes spread and affected all of you – old people, adults and children. Our mistakes also spread to the armed forces.“ Er rief zur Versöhnung innerhalb Osttimors auf. /The Australian; UNMIT, Media Monitoring, 18.10.2006/

Stand der Dinge

Der VN-Sonderbeauftragte des Generalsekretärs, Atul Khare, bekräftigte Anfang Januar die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit zwischen VN und den osttimoresischen Behörden, insbesondere der Regierung, um dem Bericht angemessene Taten folgen zu lassen. Dabei hob er nochmals hervor, dass die VN und UNMIT den Bericht sowie die Umsetzung seiner Empfehlungen vollständig unterstützen. Er machte zudem deutlich, dass die VN keine Amnestien für schwere Menschenrechtsverletzungen und keine Straffreiheit für Straftaten im Zusammenhang mit den Unruhen 2006 akzeptiere.

Zudem drückte Khare gegenüber dem osttimoresische Parlament die Hoffnung aus, dass dessen eigene Kommission zum COI-Bericht auch die Entschädigungen für Opfer der Unruhen berücksichtigen, sowie Vorschläge für die Errichtung einer unabhängigen Aufsichtsbehörde für Polizei und Militär vorlegen werde. An das Verteidigungsministerium gerichtet sprach er sich für eine Sicherheitsüberprüfung (vetting) innerhalb des Militärs aus, ähnlich der, die durch UNPol für die osttimoresische Polizei durchgeführt wird.

Nach Berichten der Zeitung Suara Timor Lorosae äußerte sich José Luis Oliveira (Direktor der Rechtshilfeorganisation Yayasan HAK) kritisch hinsichtlich des Parlaments, da es bisher noch keine offizielle Aussprache mit der internen Kommission zum COI-Bericht gegeben habe. Er vermutete, dass die Mitglieder sich gegenseitig schützen wollten und sprach von politischer Manipulation sowohl im Parlament als auch im Justizsektor. /STL; UNMIT, Media Monitoring, 5.1.2007/

Bewertungen

Am 9. Januar begann das erste Gerichtsverfahren zu den April/Mai-Unruhen. Vor Gericht standen der ehemalige Innenminister Rogerio Lobato und weitere Mitangeklagte. Lobato wurde unter anderem beschuldigt, Zivilisten illegal mit Waffen ausgestattet und so die Eskalation der Gewalt unterstützt zu haben. Anfang März wurde Lobato zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Wichtig wird es sein, auch den noch immer flüchtigen Major Alfredo Reinado, der am 30. August 2006 mit 56 weiteren Häftlingen aus dem Gefängnis in Dili fliehen konnte, der Justiz zu übergeben. Fast paradoxe Züge nehmen die Gespräche an, die bisher zwischen Reinado und führenden (australischen und osttimoresischen) Militärs stattgefunden haben, aber bisher nicht zu einem „Einlenken“ seitens Reinado geführt haben. Die Untersuchungskommission hatte empfohlen, Reinado im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen in Fatu Ahi am 23. Mai 2006 anzuklagen. Reinado wiederum gibt an, die volle Verantwortung für seine Taten und die seiner Männer übernehmen zu wollen und auch vor Gericht zu erscheinen – wenn die Zeit reif sei. Nun müssen die Regierung, aber auch die VN-Mission beweisen, dass sie nicht nur theoretisch hinter dem COI-Bericht stehen, sondern auch geeignete Maßnahmen ergreifen, um Verdächtige und erst recht Flüchtige festzunehmen. Auch wenn Reinado im Westen von Osttimor als neuer Volksheld gehandelt wird – gerade für diejenigen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, darf es keine Sonderregelungen mehr geben. Nur so kann das Vertrauen der Bevölkerung in Staat und Institutionen wieder hergestellt werden.

Zwar hat Premierminister Horta im Oktober die Vereinten Nationen aufgefordert, den Justizsektor unbedingt zu stärken, sowohl personell als auch finanziell. Das ist natürlich richtig und wird auch so von der UNMIT und anderen Organisationen unterstützt. Doch erschwerend kommt hinzu, dass es insbesondere Horta und Präsident Gusmão waren, die noch 2005 applaudierten, als das Sondergericht und die Ermittlungsbehörde für die Menschenrechtsverbrechen von 1999 ihre Arbeit einstellten und alle Internationalen abzogen. Damals wurde keine Verlängerung gewünscht. <>
 

Bericht der Untersuchungskommission zu Osttimor:
http://www.ohchr.org/english/docs/ColReport-English.pdf
 
 
 

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