Indonesien bebt, brennt
und ertrinkt. Ohne Atempause folgt Katastrophe auf Katastrophe. Tsunami,
Vulkanausbruch, Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren, Ernteausfälle,
Hungersnot. Doch nur noch apokalyptische Desaster finden Erwähnung
in den deutschen Medien.
Das Neue Jahr begann mit einer technischen Katastrophe. Eine Maschine der Adam Air mit 102 Personen an Bord verschwand plötzlich von den Radarschirmen. Erst Tage später wurden Trümmer im Meer bei Polewali, Süd-Sulawesi, gefunden. Zwei Tage zuvor hatte ein schweres Fährunglück 350 Menschenleben gekostet. Die Kette scheint nicht abzureißen: Im Januar brach auf einer weiteren Fähre Feuer aus. 53 Menschen verloren ihr Leben. Auch der Bahnverkehr macht keine Ausnahme: 2006 wurden insgesamt 79 Unfälle gezählt, bei denen 50 Menschen getötet wurden.
Gerade erst hatte die Hauptstadt Jakarta begonnen, sich von den Folgen des bereits zweiten „Jahrhundert“hochwassers innerhalb der letzten füng Jahre zu erholen, welches drei Viertel der Stadt überschwemmt hatte und das öffentliche Leben lahm legte. 57 Menschen kamen in den Fluten oder durch Stromschläge um. Tage später starben 12 Menschen bei Erdrutschen auf Java. Ein weiterer Erdrutsch, der mindestens 40 Menschenleben kostete, ereignete sich Anfang März auf Flores – fast zeitgleich mit einem schweren Erdbeben in West-Sumatra, dem schätzungsweise 70 Leute zum Opfer fielen. Präsident SBY wollte gerade zu einem Besuch in der Katastrophenprovinz aufbrechen, als ihn eine neuerliche Hiobsbotschaft ereilte: ein Flugzeugunglück in Yogyakarta. Eine Maschine der staatlichen Gesellschaft Garuda war über die Landebahn hinaus geschossen und in Brand geraten. 23 Tote.
Unaufhörliche Naturkatastrophen, hausgemachte Desaster, technisches Unvermögen. Wieder mal ein Unglücksjahr für Indonesien? Unabwendbare Schicksalschläge für die Heimgesuchten? Wird man die Ursachen erkennen, aus den Fehlern lernen? Und jemals Vorsorge treffen?
Blicken wir zurück auf das Jahr 2006, von dem man schon dachte, es würde als Katastrophenjahr in die Annalen eingehen: Kurz nach Jahresbeginn – die Transparente für den Jahrestag zum Gedenken an den Tsunami vom 26. Dezember 2004 sind noch nicht eingerollt – erlebt Indonesien die erste einer ganzen Serie von Überschwemmungen. Es ist der 2. Januar, Ort des Geschehens ist Jember, Ostjava. 85 Menschen ertrinken. Gleich zwei Tage später begräbt ein Erdrutsch in dem zentraljavanischen Dorf Sijeruk 76 Personen unter sich. In diesem Tempo geht es im Laufe des Jahres weiter, nicht nur auf Java. Auch auf Lombok, Sulawesi, Sumba, Kalimantan, Sumatra kann der Boden die Niederschläge nicht mehr fassen. Das Jahr endet mit furchtbaren Überschwemmungen in Aceh. Mehr als hundert Tote, fast eine halbe Million Obdachlose, zerstörte Häuser, Straßen, Felder ....
Tagelanger Regen im Dezember und Januar, eigentlich nichts Ungewöhnliches in der Regenzeit. Doch dieses Jahr ist es schlimmer. Wissenschaftler bezweifeln, die bekannte Annahme von mehrjährigen Zyklen mit besonders starken Niederschlägen oder die El-Niño-Wetterlage sei eine ausreichende Erklärung für die andauernden und häufigen Regenfälle in 2006. Die Klimaerwärmung sei Schuld, sagen sie. Extreme Wetterlagen jeder Art, mit pausenlosem Regen hier und Dürren andernorts. Doch erst die Kombination von Entwaldung und Urbanisierung macht den Regen zu einer Tragödie. Die Sünden an der Natur rächen sich. Kahle Berge ohne Wurzeln, die das Erdreich halten und das Wasser aufsaugen könnten, hohe Sedimente in den Flüssen. Bei Regen schwellen Wasserläufe rasant an, reißen auf ihrem Weg talwärts mit Wucht alles Material mit sich. Oft ertrinken die Menschen nicht, sondern werden von Baumstämmen erschlagen.
Der Monat Mai ist der schrecklichste Monat im Katastrophenjahr 2006. Früh am Morgen des 27. Mai erschüttert ein Erdbeben Mitteljava, mit einer Stärke von 6,3 auf der nach oben offenen Richterskala. Gewiss, die Erde hatte schon in den Wochen vorher gebebt, doch die Menschen hatten in erster Linie einen Ausbruch des Vulkans Merapi befürchtet. Besonders hart trifft das Beben die Bevölkerung in den Dörfern und Kleinstädten in und um die Städte Bantul und Klaten bei Yogyakarta. Das Erdbeben scheint sie völlig unvorbereitet zu treffen. Die Häuser kollabieren wie Kartenhäuser. Mehr als 6.000 Menschen sterben.
Nur zwei Tage später, am 29. Mai, bricht der Schlammvulkan in Sidoardjo, Ostjava, aus. In 3.000 Meter Tiefe stoßen Probebohrungen auf ein Reservoir heißen Wassers. Ein Schlammgeysir schießt mit Gewalt empor. Am ersten Tag sind es „nur“ 5.000 Kubikmeter pro Tag, begleitet von Gasen mit hoher Schwefelwasserstoffkonzentration. Im Juli sind es schon täglich 40.000 Kubimeter, im Oktober 150.000. Vermutete Ursache: technischer Unverstand der Ölfirma Lapindo Brantas des amtierenden Koordinierenden Wohlfahrtsministers Aburizal Bakrie. Wütend attestieren Fachleute, Lapindo habe Warnungen seiner eigenen Techniker in den Wind geschlagen und das Bohrloch nicht fachmännisch mit einem Stahlmantel verkleidet. Oder hätten bessere Schutzvorrichtungen sowieso nichts genützt? In einem Gebiet hoher tektonischer Aktivität? Hat das Erdbeben von Yogyakarta im Untergrund mitgewirkt? Was auch immer die Ursache war, seither strömt der Schlamm unaufhörlich weiter, bricht an anderen Stellen aus, begräbt ganze Dörfer unter sich, erstickt landwirtschaftliche Flächen, bedeckt 400 Hektar Acker, Industriegebiete und die Autobahn. Technische Lösungen, den Schlammvulkan zu stoppen, greifen nicht, internationale Experten geben auf. Zehntausend Menschen verlieren Heim und Existenz, zittern um versprochene Kompensation. Landlose werden wohl gänzlich leer ausgehen. Lapindo drückt sich um seine Verantwortung, hält seine Versprechungen nicht, bezahlt die mit Aufräumarbeiten beauftragten Unternehmen nicht. Stattdessen wechselt Lapindo geschwind den Besitzer, für 2 (in Worten: zwei) US$. Es gibt auch andere Schlaue, die an der Katastrophe verdienen, Straßenverkäufer, die Snacks und Trinkwasser an die sich durch Schlamm und Stau quälenden Katastrophentouristen verkaufen.
In der Trockenzeit wechselt die Szenerie. Es ist Feuersaison. Wie jedes Jahr in den Sommermonaten liegt ganz Südostasien unter schwarzem Qualm, wenn die Wälder in Kalimantan und auf Sumatra brennen. Die Nachbarstaaten haben sich schon fast daran gewöhnt. 2006 sind der Rauch und Ascheregen so schlimm wie seit 1997 nicht mehr. In Kalimantan, Sumatra und den Anrainerstaaten versucht die Bevölkerung sich mit Atemmasken schützen. Schulen und Flughäfen werden geschlossen. Die Sicht beträgt oft nur wenige Meter. Professor Siegert von der Universität München zählt 75.000 Hotspots. Die Flammen vernichten mehr als fünf Millionen Hektar Regenwald, Busch und Grasland.
Trockenheit und El-Niño-Wetterphänomen verschlimmern die potentielle Gefahr von Waldbränden; die wirklichen Ursachen liegen tiefer. Die schützende Regenwalddecke ist großflächig verschwunden, die Holz verarbeitenden Industrien haben zu hohe Kapazitäten. Statt selektiv einzuschlagen, bevorzugen sie Kahlschlag. Die Ölpalmplantagen setzen auf brutales land clearing, und legen bewusst Feuer. Die drainierten Flächen trocknen aus, unterirdisch schwelt der Brand und bricht häufig von selbst aus. Diese forstwirtschaftlich verheerenden Praktiken sind ein Grund für die Waldbrände, ein anderer ist das totale Versagen des Staates.
Staatliche Maßnahmen sind ein Witz. Ja, es gibt tatsächlich den ein oder anderen Einsatz eines Löschflugzeuges, ansonsten quälen sich freiwillige Umweltschützer und Ortansässige zu den Hotspots vor, schlecht ausgerüstet und unter Einsatz ihres Lebens. Kurz vor Ende der Feuersaison treffen sich verantwortliche Politiker und schustern in aller Eile einen Aktionsplan zusammen. Doch wie der im Detail aussehen soll, und ob er tatsächlich realisiert wird, bleibt fraglich. Pläne gab es schon früher zuhauf, sogar verpflichtende Abkommen mit den Nachbarstaaten: 2002 haben sich die ASEAN Mitglieder auf das Transboundary Haze Agreement geeinigt, doch Indonesien hat seine Hausaufgaben nie gemacht und noch nicht einmal das Abkommen ratifiziert.
Dann setzt die Regenzeit ein, die meisten Feuer erlöschen. Die Hauptübel, der fehlende politische Wille, Korruption und Straflosigkeit, schwelen unter der Oberfläche weiter wie die Glut in den ausgedörrten Torfböden der inzwischen kahlen ehemaligen Torfsumpfwälder. Eine leichte Brise nur, und sie kann erneut aufflammen. So wird Indonesien wohl auf Platz drei der weltschlimmsten Erzeuger von Treibhausgasen bleiben. Ein Spitzenplatz, der inzwischen global ins Auge sticht.
Quasi zwischendurch, wie zur Erinnerung, wie schnell der Tsunami-Schrecken vergessen scheint, kommt eine neue Flutwelle, diesmal in Java. Pangandaran, der beliebte Touristenort an der Südküste Westjavas, wird am 17. Juli von einem Tsunami überrascht. Jakarta leitet die Warnungen nicht weiter... Auch das ist katastrophal.
Wie nur kann man dieses „Land
der tausend Katastrophen“ jemals regieren und managen? Diese Frage konnte
WALHI in dem 2005 erschienen Buch „Tanz in der Katastrophenrepublik“ schon
nicht beantworten. Die Neuausgabe für 2007 ist in Arbeit. Erstes Kapitel:
Jakarta geht unter. <>
WALHI (2005): Menari di Republik
Bencana. Gelombang Pikiran Pasca Tsunami 2004; Jakarta
Offizielle Katatstrophendaten unter
http://www.pu.go.id/infopeta/RwnBanjir/bencana2006/00indexbencanabesar2006.htm
http://www.pu.go.id/publik/Bencana_Alam
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