Indonesien-Information Nr. 1, 1996 (Ost-Timor)

Frauenrechte sind Menschenrechte:

Frauen in Osttimor - Feto Rai Timor

Die Frauenorganisation des Widerstandes in Osttimor hat sich mit einem Brief an die UN-Weltfrauenkonferenz in Beijing gewandt, um auf die Situation von Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen und an die Solidarität der Frauen in der Welt appellieren. In ihrem Schreiben prangern sie die schweren Menschenrechtsverletzungen an, wie sie seit 20 Jahren von den indonesischen Besatzungstruppen an Frauen begangen werden: Frauen werden terrorisiert, vergewaltigt, verhaftet, gefoltert, ermordet.1

Frauen leisten Widerstand in Osttimor; sie leisten aktiv Widerstand als Mitglieder der FALINTIL-Truppen im Untergrund und sie leisten passiven Widerstand in den Dörfern und Städten Osttimors. Ich möchte in diesem Beitrag weniger die Rolle der Frau im aktiven Widerstand thematisieren, als vielmehr den Blick auf die alltägliche Situation der osttimoresischen Frauen richten und die alltäglichen Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen benennen.

"In Osttimor leben wir mit der Angst" 2, so beschreiben osttimoresische Frauen ihre Situation. Zum Repertoire des Terrors der indonesischen Besatzungstruppen in Osttimor zählen von Anbeginn der Invasion bis heute systematische Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Mißbrauch von Frauen und Mädchen. Die Täter werden strafrechtlich nicht verfolgt - Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch dienen als Mittel der Kriegführung, mit dem Ziel, die Bevölkerung einzuschüchtern, zu erniedrigen und zu terrorisieren. Frauen werden zur Zielscheibe wegen ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, oder weil sie oftmals am verwundbarsten sind.

Andere Formen des Mißbrauchs an Frauen sind die Zwangssterilisation und die erzwungene Teilnahme am Familienplanungsprogramm der indonesischen Regierung.

Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch

Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch von Frauen und Mädchen in Kriegen und bewaffneten Konflikten läßt sich in drei Kategorien aufteilen:
1. Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch in Militär- oder Polizeigewahrsam (Standard Operating Procedure)
2. die Vergewaltigung von Frauen und Mädchen in der Öffentlichkeit
3. das erzwungene Zusammenleben mit Angehörigen der Streitkräfte, um die Familie vor weiteren Übergriffen zu schützen.

"Ich habe den Eindruck, die indonesischen Soldaten haben keine Moralvorstellung, keine Menschlichkeit. Eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen ist es, Frauen vor den Augen ihrer Ehemänner und manchmal sogar vor den Augen ihrer Kinder zu vergewaltigen." Es sind nicht so sehr die körperlichen, wie die seelischen Schäden, die sie den Menschen in Timor damit zufügen; die Soldaten nehmen ihnen jegliche Würde. Ich sagte zu indonesischen Offizieren, "Habt ihr keine Mütter, keine Schwestern, wißt ihr denn nicht was es heißt menschlich zu sein?"

Die Anklage von Monsignore Martinho da Costa Lopes, dem Vorgänger von Bischof Ximenes Belo in Osttimor, verhallte ungehört; doch die Kirche in Osttimor wurde zum Zufluchtsort und Sprachrohr der Bevölkerung in einer Zeit, wo eigenes Aufbegehren gegen Unrecht und Willkür automatisch als Zugehörigkeit zum Widerstand gerechnet wird. Vom Zeitpunkt der Invasion an, war die Residenz des Bischofs voll von jungen timoresischen Mädchen, die hier Zuflucht suchten und fanden vor den indonesischen Invasionstruppen. "Die Soldaten sahen in den Mädchen keine menschlichen Wesen, sie benutzten sie wie Puppen; sie sehen ein schönes Mädchen, sie nehmen es sich und danach haben sie kein Interesse mehr an ihm und es ist ihnen egal, was mit ihr passiert: wie Kinder es mit Puppen tun." 3

Viele Mädchen kleiden und geben sich wie Jungen, schneiden ihre Haare und schauen möglichst dreckig aus, um zu verhindern, daß die Soldaten auf sie aufmerksam werden. Wenn Soldaten Mädchen wollten, so beschreibt Monsignore Lopes die Situation, kamen sie normalerweise am Abend ins Haus eines jungen Mädchens und erklärten ihren Eltern, daß der Kommandant das Mädchen zu sprechen wünscht. Es gab keine Möglichkeit, der Aufforderung des Kommandanten nicht nachzukommen und das Mädchen mußte mitgehen. Die Eltern liefen schnell zum nächsten Priester, der wiederum alarmierte den Monsignore. "Ich sagte allen, kommt zu mir, wenn diese Dinge geschehen: Ich werde umgehend zum Kommandanten gehen." Im Hauptquartier forderte Monsignore Lopes die Freigabe der Mädchen, mit dem Verweis darauf, daß es sich um gute katholische Mädchen handelt. Oft kamen die Mädchen unversehrt frei, oftmals kam die Hilfe zu spät, besonders wenn es außerhalb der Hauptstadt Dili passierte.

Frauen werden willkürlich und aus der Situation heraus Opfer von Gewaltverbrechen und gerade die Tatsache, daß die Angehörigen der Besatzungstruppe für diese Verbrechen nicht strafrechtlich verfolgt werden, läßt sie handeln: "Am 29. August 1990 haben Kräfte des Bataillons 509 unsere Schwester Kasa Bui ermordet. Kasa Bui, die Tochter von Loi Lekhi und Bui-Fahik, war 30 Jahre alt. Sie lebte mit ihrer Familie im Dorf Bui Karim im Kreis Balar-Uain. Unsere Schwester arbeitete an diesem Tag allein auf dem Feld in Natar Aerok-Oan, weil ihr Ehemann geschäftlich nach Dili unterwegs war. Ihre Mörder vom Bataillons 509 fanden sie dort beim Ernten. Mit Gewalt haben sie sich an ihr vergangen. Als ob dies allein noch nicht genug gewesen wäre, haben sie sie zuletzt umgebracht. Sie schnitten ihr die Füße, die Beine und den Kopf ab." 4

Geschichten wie die von Kasa Bui gibt es viele in Osttimor. Oftmals müssen Kinder und Familienangehörige oder gar die ganze Dorfgemeinschaft hilflos mit ansehen, wie ihre Mütter und Frauen vergewaltigt werden.

Häufig werden Frauen in Osttimor anstelle ihres Mannes, oder sonstiger Familienmitglieder verhaftet, die als Aktivisten der Widerstandsbewegung verdächtigt sind. Die indonesischen Soldaten verlangen Informationen über Aktivitäten des Widerstandes und versuchen durch die Inhaftierung der Frau an den Mann, Bruder oder Sohn heranzukommen und ihn zur Aufgabe zu bewegen - sei er nun aktiver Widerstandskämpfer oder nicht.

"Benvinda stammt aus Bacau, sie war 29 Jahre alt und im 3. Monat schwanger, als sie im Oktober 1992 von Mitgliedern der indonesischen Elitetruppe Red Berets verhaftet wurde. Sie wurde verhaftet an Stelle ihres Mannes Adolfo, der den Red Berets entkommen konnte.

Sie brachten Benvinda ins Hotel Flamboyan in Baucau. Das Hotel dient der Elitetruppe seit Jahren als Hauptquartier und Folterzentrum; steht jedoch seit einiger Zeit auch wieder den Touristen zur Übernachtung zur Verfügung. Die Soldaten sagten ihr, es sei ihnen bekannt, daß ihr Ehemann Adolfo den Falintil Guerrillas hilft und sie wollten nun von ihr wissen, wo ihr Mann und die Guerrillas sich versteckt halten. Benvinda beteuerte immer wieder, daß sie nichts von irgendwelchen Treffen zwischen ihrem Mann und den Guerrillas weiß. Ihr Mann, so sagte sie den Soldaten, sei vor einiger Zeit von zu Hause weggegangen und sie hätte keine Vorstellung, wo er sich zur Zeit aufhält. Während vielen Stunden des intensiven Verhörs, haben Elitesoldaten Benvinda wiederholt getreten und geschlagen, sie mit Gewehrkolben traktiert, sie beleidigt und gedemütigt und sie letztendlich vergewaltigt.

Am Tage mußte Benvinda von nun an die Kleider der Soldaten waschen und für sie Kochen, in der Nacht mußte sie zu ihrem Vergnügen herhalten. Nachdem Adolfo von der Tragödie seiner Frau erfahren hatte, stellte er sich freiwillig. Die Soldaten schickten Benvinda nach Hause mit der Auflage, sich täglich im Hauptquartier zu melden. Drei Monate später schenkte Benvinda einem körperlich behinderten Kind das Leben: die Folgen von Folterung und traumatischen Erlebnissen während ihrer Gefangenschaft. Ihr Sohn ist heute drei Jahre alt; er spricht nicht - brabbelt nur etwas, und kann nur mit Hilfe anderer laufen. Adolfo wurde im Oktober 1993 freigelassen." 5

Viele timoresischen Frauen sind gezwungen, mit ihren Peinigern zusammenzuleben. Die Familie, die Kinder, die Ehemänner im Gefängnis - als Druckmittel ist den indonesischen Soldaten jedes Mittel recht. Sie kommen und gehen, wann sie wollen und nehmen sich was sie wollen. Zur Verantwortung werden sie nicht gezogen. Aus diesen Zwangsverbindungen stammen viele Kinder. Bischof Belo versucht den Frauen dadurch zu helfen, indem er beim Kommandanten der Soldaten vorspricht und fordert, daß die Soldaten die Mädchen ehelichen sollen, wenn sie mit ihnen zusammenleben wollen; eine wilde Ehe entspräche nicht der religiösen Überzeugung der Mädchen, ganz zu schweigen von den bereits verheirateten Frauen, die in eine solchen Beziehung gezwungen werden.

Die Frau des osttimoresischen Widerstandsführers Xanana Gusmao bot eine besondere Zielscheibe für die Sicherheitskräfte. Emilia Gusmao wurde ständig unter Druck gesetzt, den Widerstand zu verraten.

Sie sollte der Köder sein. Ständig wurde sie verhört: Die Soldaten haben sie beleidigt, ihr ins Gesicht gespuckt und ihr einen Gewehrlauf vor den Augen ihrer beiden Kinder an die Schläfe gehalten und sie gefragt, wie sie sich wohl fühlen würde, wenn ihre Kinder verschwinden würden. Wut, Haß und Ohnmacht bestimmten Emilia Gusmaos Gefühle. Die Soldaten gingen bei ihr ein und aus, als sei es ihr eigener Besitz. Dies ging soweit, daß sie mit einem ihrer Kollaborateure zusammenleben mußte, was, wie sie sagt, sehr schwer und unglaublich widerwärtig war: weil es eine solche Erniedrigung war für alle Frauen und für ihre Ehemänner, aber in ihrem Inneren verspürte Emilia Gusmao Stolz: weil sie eine Frau war, die wie so viele andere leiden mußte, für die Liebe zu ihrem Land und für ihre Kinder.6

Von körperlichen Verletzungen einmal abgesehen, hinterlassen Vergewaltigungen nicht nur das Gefühl von Erniedrigung und Ohnmacht, sondern verursachen darüber hinaus oftmals lebenslange seelische Schäden. Die psychische Belastung, der die Menschen in Osttimor seit 20 Jahren ausgesetzt sind, ist ohnehin sehr hoch: fast jeder hat Familienangehörige verloren, viele waren gezwungen an unsagbaren Greueltaten teilzunehmen, Familien und Dorfgemeinschaften wurden auseinandergerissen durch die indonesische Umsiedlungspolitik. Willkür, Angst und Terror tun ein übriges.

In den von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen dokumentierten Fällen von Vergewaltigung und sexuellem Mißbrauch von Frauen und Mädchen in Osttimor lesen wir immer wieder von lähmender Bedrücktheit, tiefer Traurigkeit und dem sofortigen Wunsch zu sterben.

In der Vergewaltigung, so schreibt amnesty international, spiegelt sich die hemmungslose Macht und ungeheure Verachtung des Täters für sein Opfer wider 7. Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch sind keine schmutzigen Begleit- oder Ausnahmeerscheinungen noch bedauerliche Zwischenfälle, die von einzelnen begangen werden. Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch sind Maßnahmen im Rahmen der Aufstandsbekämpfung und werden gezielt gegen Zivilistinnen eingesetzt. Die Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen werden mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit, Stabilität und Einheit gerechtfertigt und über die geltenden Gesetze gestellt, nach denen Folter und Mord durchaus strafbar sind. Ein Unrechtsbewußtsein, für das was sie tun, ist vielen Soldaten abhanden gekommen, wenn auch Bischof Belo von Soldaten zu berichten weiß, die zu ihm kommen und um Vergebung flehen, für die grausamen Taten, die sie begangen haben. Der Osttimor-Konflikt hat in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer zunehmenden Militarisierung in Indonesien und zu einer Verhärtung der politischen Strukturen geführt: Der Druck auf die Armee, endlich Ergebnisse zu präsentieren, läßt sie zu immer roheren und brutaleren Methoden greifen, die inzwischen zu einer normalen und gängigen Praxis geworden sind. Diese Praktiken werden nach der Stationierung auf Osttimor nicht einfach wieder abgelegt. Die Brutalisierung der Armeemethoden bekommt heute jeder zu spüren, der nach Auffassung von Militär und Regierung die bestehende gesellschaftliche Ordnung gefährdet. 8

Die indonesischen Regierungs- und Militärbehörden dementieren die vorgebrachten Menschenrechtsverletzungen und wenn sie sich einmal nicht verleugnen lassen, werden Ermittlungsverfahren eingeleitet, die bislang noch einer Farce gleichkommen. Der UN-Sonderberichterstatter für extralegale, summarische und willkürliche Tötungen, Bacre Waly Ndiaye, kritisiert in seinem Bericht zur Untersuchung des Santa-Cruz-Massakers durch die indonesischen Behörden, daß OsttimoresInnen, die den Tod oder das Verschwinden eines Familienmitgliedes den Behörden anzeigen wollen und so zur Ermittlung beitragen, sofort als subversiv und Anhänger des Widerstandes eingestuft werden 9. Doch es ist nichtsdestotrotz an sich schon ein Erfolg, daß Ermittlungsverfahren überhaupt eingeleitet werden.

Die Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen in Osttimor haben in den letzten Jahren nicht nachgelassen. So sind z.B. alle Mädchen, die nach der Santa-Cruz Demonstration vom 12.11.1991 verwundet ins Militärhospital gebracht wurden, regelmäßig des Nachts vergewaltigt worden10. Isabel kam mit fünf Schußverletzungen ins Hospital. Während sie sich noch von ihren Schußverletzungen erholte, haben sich sogleich zwei Soldaten an ihr vergangen. Einige Tage später hat ein Offizier sie verhört. Auch er hat sich an ihr vergriffen. Isabel hat die Erfahrung gemacht: "Wenn Männer verletzt werden, erholen sie sich davon und vergessen es wieder. Frauen aber, die vergewaltigt oder gefoltert wurden, können nicht vergessen. Ihr Leben ist für immer zerstört." 11

Zwangssterilisation und Familienplanungsprogramm

Mit großzügiger finanzieller Unterstützung der Weltbank wurde im April 1985 das Zentrum für Familienplanung in Dili eröffnet und in 183 von 442 Dörfern in Osttimor Zweigstellen eingerichtet. Nun ist Geburtenkontrolle an sich nichts verwerfliches, wenn Mädchen und Frauen allerdings sterilisiert werden, ihnen Implantate eingesetzt und ihnen Depo Provera, ein Langzeitverhütungsmittel, gespritzt werden, ohne daß sie ihre Zustimmung geben, noch darüber informiert werden, kommt dies einer unglaublichen Menschenrechtsverletzung gleich.

Aufgrund dieser Erfahrungen versuchen osttimoresische Frauen die staatlichen indonesischen Kliniken zu meiden. Sie haben kein Vertrauen in die Behandlung. Sie gehen lieber in die von Schwestern geführten Kliniken und Geburtshäuser, die dadurch überlaufen sind und denen es an nötigem Personal und Medikamenten fehlt. Kirchliche Hilfswerke, wie Misereor unterstützen die Arbeit der Schwestern finanziell.

"Eine timoresische Krankenschwester war sehr überrascht, weil so viele Neugeborene und Kleinkinder in der Klinik starben. Ein indonesischer Doktor fand heraus, daß die Babys und Kinder vergiftet wurden. 200 Babys waren es. Der Doktor ging zum Gouverneur, und der ging nach Jakarta und beschwerte sich. Danach wurden zwei indonesische Doktoren nach Indonesien zurückversetzt. Unsere Leute verehrten den indonesischen Doktor, der das herausgefunden hatte. Sie fingen an sein Haus zu bewachen, denn es war zu befürchten, daß die Indonesier ihn beiseite schaffen wollen. Wer es vermeiden kann, geht nicht einmal in die Nähe eines Hospitals. Sie geben dir Spritzen, die dich unfruchtbar machen, und sie sagen, es sei ein Impfstoff. Wir sind den Indonesiern lästig, sie brauchen keine Timoresen und bringen deshalb auch so viele ihrer eigenen Leute in unser Land." 12

Transmigrations- und Familienplanungsprogramm arbeiten Hand in Hand in Osttimor. So verkündete der Vizegouverneur 1992 ganz offen in der Zeitung, daß das Familienplanungsprogramm mit Nachdruck zu betreiben sei, denn "die Bevölkerung der Provinz ist kein Gewinn, ...sie behindert vielmehr die Entwicklungsbemühungen und ist zu einer Belastung für die lokale Verwaltung geworden." 13

In Indonesien und Osttimor werden an verhütenden Mitteln Pille, Kondome, Spirale, Implantate und Hormonspritzen eingesetzt. Der Einsatz von Hormonspritzen, Implantaten und Spiralen ist in Osttimor jedoch drei mal so hoch wie in Indonesien 14. Der Gebrauch von Kondomen oder die Einnahme der Pille liegt in der Verantwortung des Einzelnen. Die Einsetzung von empfängnisverhütenden Hormonimplantaten wie Norplant oder das Spritzen von Depo Provera gilt im Sprachgebrauch des indonesischen Familienplanungsbüros als effektive Methode, abgekürzt als MKE (Metode Kontrasepsi Efektif), weil die Entscheidung über den Gebrauch von empfängnisverhütenden Mitteln nicht länger bei der Frau liegt. Die Behörden sprechen in diesem Zusammenhang auch von low user control. Ist das Mittel einmal verabreicht, kann es nicht rückgängig oder gar abgesetzt werden. Norplant wirkt fünf Jahre und ist nur mit medizinischer Hilfe wieder zu entfernen. Auch sind Nebenwirkungen, wie Gewichtsverlust, psychische Veränderungem, Entzündungen u.a. zu beklagen. Der Einsatz solcher Mittel setzt genaue Information und Aufklärung voraus, als unabdingbar gilt die Zustimmung der Frau. 1987 und 1988 sind in nahezu allen Schulen in Osttimor Impfungen an Mädchen über 13 Jahren durchgeführt worden. Einer der Mitarbeiter des Gesundheitszentrums fand heraus, daß den Mädchen ein empfängnisverhütendes Mittel gespritzt wurde. Als dies bekannt wurde, hat das Gesundheitszentrum das Programm Ende 1988 eingestellt.15

Die Teilnahme am Geburtenkontrollprogramm ist Pflicht in Osttimor. Es sind Fälle dokumentiert, wo Frauen ohne ihr Wissen nach der Geburt eines Kindes sterilisiert wurden, oder Ärzte des Zentrums ihnen sagten, es müsse aus irgendwelchen Gründen eine Operation vorgenommen werden.

Das Familienplanungsprogramm, wie es in Osttimor zum Tragen kommt, ist eine weitere Maßnahme zur Kontrolle der Bevölkerung und ein Mißbrauch an timoresischen Frauen, der Teil einer Strategie zur Zerstörung des Widerstandes ist.

Frauen sind auf vielfältige Weise Leidtragende und Betroffene der völkerrechtswidrigen Besetzung Osttimors durch Indonesien. In unzähligen Familien sind es die Frauen, die für das wirtschaftliche Überleben der Familie sorgen müssen. Ihre Männer wurden von indonesischen Streitkräften ermordet, sie "verschwanden" oder sind im Gefängnis. Frauen werden ihre Kinder genommen, die nun irgendwo in Indonesien als persönliche Haushilfen dienen 16. Frauen werden wirtschaftlich, politisch und sozial benachteiligt. Die Bevölkerung in Osttimor wird durch den Zuzug von Indonesiern in ihr Land mehr und mehr marginalisiert. Auf Frauen trifft das besonders zu. Das katholische Hilfswerk Misereor z.B. unterhält deshalb in Osttimor Ausbildungsstätten für Mädchen, um ihre Chance auf Entwicklung voranzutreiben. Weitere Projekte unterhält Misereor im Bereich der Hauswirtschaft, der Familienökonomie und der Gesundheitsvorsorge.

Doch Frauen in Osttimor wehren sich auch und leisten mutigen Widerstand: Die Mütter der Verschwundenen vom Santa-Cruz-Massaker fordern Auskunft über den Verbleib ihrer Kinder. Sie tun dies laut und sie tun dies öffentlich. Frauen wenden sich an die internationale Öffentlichkeit mit Hilfsappellen und Aufrufen zur Solidarität. Es ist an uns, ihre Appelle aufzufangen und weiterzugeben, und sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. <>

Monika Schlicher

Die Verfasserin ist Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft am Südasien-Institut der Universität Heidelberg und Mitglied der Osttimor-Gruppe von Watch Indonesia! e.V.

1 LUSA, Lisboa 30.08.1995
2 Paz e Possivel em Timor Leste/Commisao para os Direitos de Povo Maubere/Pascoela Barreto: Mulheres de Timor, Lissabon 1991, S. 13
3 Monsignor Marthinho da Costa Lopes: Whispering Terrible Things Day and Night; in: Michele Turner: Telling East Timor; Personal Testimonies 1942-1992, Kensington, NSW Australia 1992, S. 165
4 Briefe aus Timor, (Cartas de Timor), in: Paz e Possivel em Timor Leste/Commisao para os Direitos de Povo Maubere/Pascoela Barreto: Mulheres de Timor, Lissabon 1991, S.11
5 Augenzeugenbericht von Antonio Pinto Gouveia, der im gleichen Gefängnis war, wie Benvinda. Antonio gehört zu den 18 osttimoresischen Bootsflüchtlingen, die kürzlich in Australien ankamen. East Timor Centre for Human Right Information, Education and Training, Darwin, 28. August 1995
6 Interview mit Emilia Gusmao in dem Film Cold Blood von Max Stahl, Großbritannien 1992
7 ai: Frauen in Aktion - Frauen in Gefahr, Bonn 1995, S.37
8 Benedict Anderson: The Impor tance of Liberating Indonesia from east Timor, Paper presented at the IV Symposium on East Timor, Catholic University of Oporto/Portugal, 27 May, 1992, S.4
9 Report by the Special Rapporteur, Mr. Bacre Waly Ndiaye, on his mission to Indonesia and East Timor from 3 to 13 July 1994, United Nations, Economic and Social Council, 1. November 1994, S. 17
10 Aussagen von Joao Antonio Dias, Angestellter im Militärhospital, und Aviano Antonio da Silva Faria, Augenzeuge und Überlebender des Santa-Cruz-Massakers, der ebenfalls ins Hospital gebracht wurde.
11 East Timor Resistance: 20 Years on... Timor Woman: A Painful Road to Freedom, Produced by East Timor Relief Assn. for Beijing UN/NGO's World Women Forum (1995)
12 Jacinta: She just died, never speaking; in: Michele Turner, Telling East Timor, S.191
13 Indonesia Times, 3. April 1992; vgl. auch SOAI, 4/1993, Schlicher: Osttimor: Transmigrasi, S. 59
14 ETAN/Canada (East Timor Alert network): Statement presented at the UN Decolonisation Comittee, July 1994
15 ETAN/Canada: Statement
16 ETAN/Canada: Statement; Isabella: Yello with Frills; in: Michele Turner, Telling East Timor, S.159
 
 
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