Indonesien-Information Nr. 1, 1997 (Demokratie)
Zum ersten mal in der Geschichte der Neuen Ordnung sollen bei den bevorstehenden Parlamentswahlen unabhängige Wahlbeobachter den Ablauf dieses "Festes der Demokratie" dokumentieren. Keine der bislang erfolgten Wahlen verging, ohne daß danach von Wahlfälschungen berichtet wurde. Doch als Mittel zum Machterhalt spielen Manipulationen bei der Stimmauszählung eine untergeordnete Rolle.
In der allgemeinen politischen Aufbruchstimmung, die weite Teile der indonesischen Demokratiebewegung in der ersten Jahreshälfte 1996 beflügelte, wurde am 15. März des Jahres die unabhängige Wahlbeobachtungskommission KIPP (Komite Independen Pemantau Pemilu) gegründet. Nach dem Vorbild mehr oder weniger erfolgreicher Beobachtungskommissionen wie NAMFREL auf den Philippinen und POLLWATCH in Thailand, will sich KIPP über einen längeren Zeitraum als unabhängiges Bürgerforum etablieren, das einen festen Platz in der politischen Landschaft Indonesiens innehat.
KIPP wird getragen von einem breiten Bündnis politischer, gesellschaftlicher und religiöser Organisationen sowie einer Reihe prominenter Einzelpersonen. Der ehemalige Herausgeber des verbotenen Magazins TEMPO, Goenawan Mohamad, wurde zum Präsidenten, der Menschenrechtsaktivist und langjährige Mitarbeiter der Rechtshilfeorganisation LBH, Mulyana W. Kusumah, zum Generalsekretär von KIPP gewählt.
Das Spektrum der weiteren in Präsidium und Beirat von KIPP vertretenen Personen reicht von islamischen Intellektuellen wie Nurcholish Madjidbis zum Ephorus der Batak-Kirche, SAE Nababan, vom ehemaligen Gouverneur von Jakarta und Mitbegründer der Bürgerrechtsinitiative Petisi 50, Ali Sadikin, bis zum mehrmals inhaftierten Aktivisten der Polit-NGO Pijar, Beathor S. Soerjadi, vom Parapsychologen Permadi bis zum Gewerkschaftsführer Muchtar Pakpahan. Des weiteren vertreten sind der Staranwalt und ehemalige Leiter des Rechtshilfeinstituts LBH, Adnan Buyung Nasution, Oppositionspolitiker wie Budiman Sudjatmiko (PRD) und Sri-Bintang Pamungkas (PUDI), der Vertreter des katholischen Studentenverbandes PMKRI, Dodi Geger, und Andi Arief von der stark politisch orientierten Studentenorganisation SMID u.v.a.
Die Einigung von so vielen gesellschaftlichen Kräften ganz unterschiedlicher Herkunft auf ein gemeinsames politisches Ziel kann als solche schon als Erfolg bezeichnet werden. Sie gibt andererseits darüber Aufschluß, wie es um den Glauben in die Regierung Suharto bestellt ist: vielleicht wäre dieses Bündnis niemals zustande gekommen, wäre da nicht das einigende Element in Form des gemeinsamen Gegners, der Regierung Suharto.
Dennoch wurden aus den Reihen der Demokratiebewegung zunächst starke Bedenken gegen die Gründung von KIPP laut. "Wird die Wahlbeobachtung nicht erst recht zur Legitimation der bestehenden Machtstrukturen beitragen, wenn sich herausstellt, daß bei der Stimmauszählung nur in unwesentlichem Maße Manipulationen stattfinden?", so lautete die Gretchenfrage, die von vielen Skeptikern geäußert wurde. Denn wer wüßte nicht, daß das eigentliche Problem nicht in der manipulierten Auszählung der abgegebenen Stimmen am Wahltag besteht, sondern vielmehr in den Beschränkungen der politischen Freiheit, wie sie u.a. durch das Parteiengesetz festgelegt wurden, zu suchen ist? Solange nur drei gleichgeschaltete Parteien zur Wahl zugelassen werden, solange der Wahlkampf starken Reglementierungen durch die Regierung unterliegt, solange nur 425 von 1.000 Abgeordneten der Beratenden Volkskammer, die den Präsidenten wählt, durch allgemeine Wahlen legitimiert sind, solange scheint die Beobachtung des korrekten Ablaufs der Stimmauszählung obsolet.
Ist angesichts dieser Umstände nicht die einzig konsequente Haltung die Wahlverweigerung (GOLPUT) durch Ungültigmachen oder Nichtabgabe des Stimmzettels, wie sie seit Jahren von dem bekannten Soziologen Dr. Arief Budiman propagiert wurde? Offenbar nicht, denn zur Verwunderung vieler gehört auch Arief Budiman zu den Mitbegründern von KIPP.
Tatsächlich verfolgt KIPP eine andere Strategie als GOLPUT. Und keineswegs will sich KIPP darauf beschränken, die Stimmenauszählung am Wahltag zu überwachen. Vielmehr hat sich KIPP zum Ziel gesetzt, den gesamten Wahlvorgang, d.h. von der Erstellung der Wählerlisten bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentenwahl 1998 zu beobachten und zu dokumentieren. Mit der Gründung von KIPP wurde eine gemeinsame Plattform der Demokratiebewegung geschaffen, die eine eigenständige politische Institution in den Händen des Volkes darstellen und somit die politische Bewußtseinsarbeit fördern soll. Mit Blick auf die Folgen der Wahlbeobachtung in der ehemaligen DDR verweisen auch deutsche Experten darauf, daß kaum ein Themaso so gut zur politischen Bewußtseinsbildung geeignet sei wie die Beobachtung von Wahlprozessen. Hier liege im übrigen der Unterschied zwischen nationalen und internationalen Wahlbeobachtungskommissionen: Internationale Kommissionen seien weitgehend auf die Beobachtung des Geschehens am Wahltag selbst beschränkt, so daß beispielsweise im Falle Indonesiens in der Tat die Gefahr bestehe, daß der Abschlußbericht der Kommission zur Legitimation des Systems beitragen könne. Anders dagegen sei die Wirkung einer nationalen Wahlbeobachtung zu bewerten, die sehr viel langfristiger und umfassender zur Bewußtseinsbildung im Volk beitragen könne und damit essentiell wichtig für die Demokratisierung totalitärer Systeme sei.
In diesem Sinne versuchen einige der in KIPP vereinigten Gruppen, die Wahlbeobachtung als Aufhänger zu benutzen, umpolitisch heikle Themen wie zum Beispiel das Schicksal der ehemaligen politischen Häftlinge anzusprechen, denen auch 32 Jahre nach dem angeblichen kommunistischen Putschversuch noch immer elementare bürgerliche Rechte vorenthalten werden - darunter das Recht zu wählen. Ähnliche Themen greift auch KIPP Europa auf, ein europäischer Ableger von KIPP, der im Mai 1996 am Rande einer von Watch Indonesia! veranstalteten Indonesien-Tagung gegründet wurde. Im Ausland lebende IndonesierInnen sehen sich mit besonderen Problemen konfrontiert: Ihr Wahlrecht ist grundsätzlich beschränkt auf die nationale Ebene, d.h. hier lebende IndonesierInnen haben keine Möglichkeit, die Zusammensetzung der Lokal- oder Provinzparlamente an ihrem (Zweit-)Wohnsitz in Indonesien mitzubestimmen. Zudem mußten hier lebende IndonesierInnen feststellen, daß ihre Stimmzettel mit Identifikationsnummern versehen waren, die es den Behörden möglich machen, das Wahlverhalten jeder einzelnen WählerIn nachzuvollziehen, was z.B. bei StudentInnen unabwägbare Folgen für die zukünftige Karriere haben kann. Des weiteren ist nicht nachvollziehbar, nach welchem System im Exil lebende IndonesierInnen Wahlunterlagen zugesandt bekommen oder nicht. Ein Teil der beim Konsulat bzw. der Botschaft registrierten IndonesierInnen erhalten keine Meldeformulare zur Wählererfassung.
Bei Indonesiens Machthabern sorgte die Existenz von KIPP für einiges Kopfzerbrechen. Einerseits erkannte die Regierung, daß ihr die Zielrichtung von KIPP nicht gerade zuträglich sein würde, zum anderen waren sich die Regierenden darüber im Klaren, daß ein Verbot von KIPP ihrem Ansehen weiteren Schaden zufügen würde. KIPP werde nicht verboten, erklärten daher übereinstimmend der Oberkommandierende der Streitkräfte, General Feisal Tanjung /Republika, 6.4.96/ und der Generalstaatsanwalt Singgih, der zugleich Vorsitzender der staatlichen Wahlbeobachtungskommission PANWASLAK ist /Kompas, 19.4.96/. Stattdessen entstanden ganz zufällig an ein und demselben Tag, dem 10.4.96, an verschiedenen Orten Gegenorganisationen zu KIPPwie TOPP (Team for Objective Election Monitoring) in Jakarta oder die "unabängige Kommissionen zur Beobachtung der unabhängigen Wahlbeobachtungskommission" BIP-KIPP in Surabaya, von denen seither allerdings nie mehr zu hören war.
"Nicht nötig" sei die Existenz von KIPP, kommentierte der Minister zur Koordination von Politik- und Sicherheitsfragen, Soesilo Sudirman, denn zur Beobachtung der Wahlen gäbe es doch schon PANWASLAK. Auch er war sich aber mit General Feisal Tanjung und Singgih einig, daß KIPP solange geduldet sei, wie sie den "Ablauf der Wahlen nicht stört".
Daß der Verweis auf die staatliche Wahlaufsicht PANWASLAK kein schlagendes Gegenargument gegen die Notwendigkeit von KIPP sein kann, räumte der frühere Innenminister Rudini ein. Er könne sich schon vorstellen, daß die Mitarbeiter von PANWASLAK Schwierigkeiten hätten, zwischen ihrer Funktion als Staatsdiener - und damit ihrer Zugehörigkeit zur Staatspartei GOLKAR - und ihrer Pflicht zur Unabhängigkeit zu unterscheiden, meinte Rudini /Kompas, 7.2.96/.
Von mannigfaltigen Behinderungen seiner Partei und zahlreichen Manipulationen bei den vergangenen Wahlen wußte Tosari Widjaja, Generalsekretär der Blockflötenpartei PPP, im Dezember 1996 auf einem Seminar der indonesischen Studentenvereinigung PPI in Berlin zu berichten. Die PPP unternehme daher ebenfalls Anstrengungen, die kommenden Wahlen zu beobachten und habe bereits mehrere Lehrgänge für freiwillige Wahlbeobachter durchgeführt. Des weiteren habe seine Partei eine Vorlage zur umfassenden Änderung des Wahlgesetzes erarbeitet, so Tosari weiter. Wohlwissend, daß KIPP auch von vielen Mitgliedern der PPP unterstützt wird, möchte Tosari die Reformbemühungen seiner Partei dennoch nicht in die Nähe von KIPP gerückt wissen.
Der Vorsitzende der PPP, Buya Ismail Hasan Metareum sagte im März letzten Jahres, die Zielrichtung von KIPP sei richtig, er bezweifle aber deren Fähigkeit zur Umsetzung: "Wo überwacht werden muß, ist auf den Dörfern, nicht in Jakarta" /Kompas, 18.3.96/. Deutlich komplizierter stellt sich das Problem für die PDI, die zweite zugelassene Blockpartei, dar. Nach der Entmachtung ihrer Vorsitzenden Megawati Soekarnoputri ist die Partei in zwei Fraktionen gespalten. Anstatt das gesamte Parteiensystem in Frage zu stellen und damit den Wahlen eine Absage zu erteilen, kämpft die Fraktion von Megawati, die komplett von den Kandidatenlisten gestrichen wurde, noch immer um ihre Anerkennung als einzig legale Vertretung ihrer Partei, ohne erkennen zu wollen, daß die Würfel längst gegen sie gefallen sind.
Weitsichtiger zeigte sich die Polit-NGO Pijar Indonesia. Sie rief nur wenige Tage nach dem von Regierung und Militär inszenierten PDI-Parteitag in Medan, auf dem Megawati abgesetzt wurde, zum Wahlboykott auf. In ähnlicher Weise bezog KIPP zu den Ereignissen Stellung und forderte die Aussetzung der Wahlen /KdP,9.7.96/.
Auf die Frage eines Journalisten bezüglich der Anerkennung der ohne die Megawati-Fraktion der PDI stattfindenden Wahlen, erkärte KIPP-Präsident Goenawan Mohamad allerdings, die Beobachtung der Wahlen werde fortgesetzt. "Es ist nicht unsere Aufgabe, unfaire Wahlen zu verbieten, sondern darüber Bericht zu erstatten, wenn die Wahlen nicht fair sind" /Kdp, 29.1.97/. Durch die Ereignisse am 27. Juli 1996, die die Verfolgung der oppositionellen Partei PRD und ihrer Unterorganisationen nach sich zog, erlitt KIPP einen schweren Rückschlag. Einige führende KIPP-Funktionäre wie der Gewerkschaftschef Muchtar Pakpahan und der PRD-Vorsitzende Budiman Sudjatmiko wurden verhaftet und wegen Subversion angeklagt. Auch viele KIPP-Unterstützer in der Provinz mußten abtauchen, da sie dem Umfeld der PRD zugerechnet werden.
Dennoch konnte KIPP sich wieder konsolidieren. Seit einiger Zeit informiert KIPP mit einem eigenen Bulletin namens AWAS (Aufgepaßt!) über ihre Aktivitäten. Mehrere Vertreter von KIPP begleiteten kürzlich die Wahlen im Nachbarland Thailand und konnten dabei wertvolle praktische Erfahrungen für die Arbeit zu Hause gewinnen. Des weiteren wurden wichtige Kontakte zu internationalen Organisationen geknüpft, unter anderem zum NDI (National Democratic Institute) unter Leitung des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter.
KIPP ist sich darüber bewußt, daß es bei den in wenigen Monaten bevorstehenden Wahlen noch nicht möglich sein wird, eine flächendeckende Wahlbeobachtung durchzuführen. Die Kommission setzt daher ihre Schwerpunkte zunächst auf die acht Großstädte Jakarta, Malang, Cianjur, Ujung Pandang, Palembang, Pematang Siantar, Jambi und Semarang, erklärte kürzlich ihr Generalsekretär Mulyana. Darüberhinaus sei eine landesweite Telefon- und e-mail-Hotline eingerichtet worden, über die BürgerInnen eventuelle Wahlmanipulationen bekanntgeben können /KdP,29.1.97/. <>
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