Indonesien-Information Nr. 2 2003 (Demokratie)

 

Die Zivilgesellschaft wird zerrieben

Aceh kurz vor dem Militärschlag

Interview mit Teuku Samsul Bahri


Teuku Samsul Bahri besuchte auf Einladung von terre des hommes Deutschland. Am 13. und 14. Mai 2003 war er Gast von Watch Indonesia! in Berlin. Samsul ist Koordinator der Öffentlichkeitskampagnen von Kontras Aceh, der Organisation für Verschwundene und Gewaltopfer. Er nimmt zur Zeit in Genf an einem Training zur Menschenrechtsarbeit teil. Das Interview führte Marianne Klute.
 
 

Täglich wird der Militärschlag gegen Aceh erwartet. Ist das Abkommen zur Beendigung der Feindseligkeiten (COHA) endgültig gescheitert?


Sowohl das indonesische Militär (TNI) als auch die Bewegung Freies Aceh (GAM) betrachten das Abkommen als gescheitert. Die Vorbereitungen für den Militärschlag sind abgeschlossen. Tausende von Soldaten warten auf den Abmarschbefehl. Die Militäroperation soll die Sicherheit in Aceh wiederherstellen. Doch wir befürchten, dass es viele Opfer unter der Zivilbevölkerung geben wird. Die Zivilbevölkerung hat die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, dass das Abkommen weitergeführt wird. Sie hatte große Hoffnungen auf das COHA gesetzt, trotz seiner Mängel. Es enthält keine Bestimmungen, wie mit Menschenrechtsverletzungen umzugehen sei, und keinen Passus über Gerechtigkeit. In den ersten Monaten nach der Unterzeichnung des COHA gab es deutlich weniger Gewaltakte in Aceh; seit April dieses Jahres nehmen die Menschenrechtsverletzungen zu. Wieder sind viele Menschen Opfer von Gewalttaten geworden. Im April haben wir von Kontras Aceh 128 Gewalttaten dokumentiert, viermal soviel wie im März oder Februar. Milizen haben Mitglieder des internationalen Teams, das Tripartite Monitoring Team, das die Einhaltung des COHA überwachen sollte, überfallen. Auch die Anzahl der Flüchtlinge steigt erneut, besonders seit Anfang Mai. Das Büro des internationalen Beobachtungsteams in Ostaceh wurde niedergebrannt und internationale Beobachter mussten Ostaceh verlassen. Mitarbeitern des Henri-Dunant-Centers wurde die Verlängerung ihrer Visa verweigert. Sogar der Britischen Botschaft wurde das Visum für Mitarbeiter verweigert. Alles deutet darauf hin, dass Aceh isoliert und auch der Friedensdialog mit der internationalen Gemeinschaft blockiert werden soll. Damit wird verhindert, dass die internationale Gemeinschaft in Aceh involviert bleibt und es ausländische Zeugen gibt.
 
 

Was sind die Gründe für ein Scheitern des Friedensabkommens?


Aceh wird von verschiedenen Seiten für jeweils eigene Interessen genutzt. Das Militär hat Geschäftsinteressen, große und kleine, besonders die      Cilangkapgruppe. Es kassiert Schutzgelder von den transnationalen Firmen, zum Beispiel aus der Gasindustrie. Die Anwesenheit der transnationalen Unternehmen ist eng verknüpft mit der Militarisierung Acehs und mit den andauernden Menschenrechtsverletzungen durch die Militärs. Sie verkaufen Sicherheit. Sie verdienen an illegalen Drogen und am illegalen Holzhandel. Sie erheben an den Straßen Gebühren. Auch die GAM finanziert sich manchmal so. Daneben stecken hinter dem Scheitern des COHA  politische Interessen, Karriereziele von zivilen Politikern oder der wieder erstarkte Griff des Militärs nach der politischen Macht. Auf jeden Fall bedeutet das Scheitern des COHA einen Rückschritt für den Demokratisierungsprozess in ganz Indonesien. Schlimm ist, dass sich das Muster von Osttimor zu wiederholen scheint, dass die Täter der Verbrechen in Osttimor jetzt nach Aceh kommen und dass nach dem alten Muster Milizen aufgestellt wurden.
 

Woher kommen die Milizen?


Einige sind alte Milizionäre aus Osttimor. Die Rekrutierung der anderen folgt dem Muster, das aus Osttimor bekannt ist. Viele sind Transmigranten aus Java und stammen aus den Flüchtlingslagern in Aceh und Nordsumatra. Ihr Aufbau ist Teil des Versuchs, aus dem Konflikt zwischen Aceh und Jakarta einen horizontalen Konflikt zwischen Javanern und Acehnesen zu machen. Andere Methoden sind gescheitert, zum Beispiel ist es nicht gelungen, einen horizontalen religiösen Konflikt zu schaffen. Unter diesem Vorzeichen muss die Einführung der Schariah gesehen werden. Die Menschen von Aceh, obwohl in der Majorität islamisch, haben die Schariah nicht verlangt. Wenn die Schariah gilt, haben dann die Minoritäten noch Rechte? Und die Bevölkerung hat sich aufgelehnt, als die Laskar Jihad nach Aceh kommen sollte. Wir sind zufrieden mit unserem liberalen Islam und unserer lokalen Kultur. Auch falsche Behauptungen der Regierung, wie zum Beispiel, die GAM terrorisiere die Bevölkerung, dienen dazu, einen horizontalen Konflikt in der Bevölkerung zu schaffen.

Hat das Militär aus Osttimor nichts gelernt? Mit militärischen Methoden und Milizen hat es seinem Ruf geschadet und trotzdem Osttimor nicht halten können.

Das Militär hat aus Osttimor nur gelernt, die Dreckarbeit den Milizen zu überlassen, sie aber nicht so spät aufzustellen. Sie rekrutierten die Milizionäre von Aceh weit vor der möglichen Ankündigung eines Referendums.
 
 

Ist die GAM in Ihren Augen unschuldig am Scheitern des Friedensabkommens?


Die GAM ist einer der Akteure, die den Friedensprozess zum Scheitern verurteilt haben. Die anderen sind das Militär mit Kopassus (Elitetruppe), die Polizei mit Brimob (mobile Einsatzbrigaden) und die Milizen. Die GAM war vor einigen Jahren nur eine kleine Gruppe. Aber sie ist gewachsen, wegen der Gewalt des Militärs gegen die Zivilbevölkerung. Um sich zu rächen, schließen sich viele Leute der GAM an.

In dieser Situation ist Ihre Arbeit immer gefährlicher geworden. Darüber hinaus sind Menschenrechtsverteidiger gezielt attackiert worden, manche ermordet, viele sind verschwunden. Die Zivilgesellschaft ist zwischen die Fronten geraten. Wie können Sie und ihre Kollegen von Kontras Aceh noch arbeiten?

Die Arbeit ist natürlich ein Risiko. Aber wir müssen die Risiken auf uns nehmen; wir gehen weiter in die Dörfer: wer soll das sonst tun, wenn nicht wir? Wir wollen erreichen, dass Meinungsfreiheit gilt. Unser Ziel ist Gerechtigkeit und Demokratie. Es muss endlich Schluss damit sein, dass die Menschen zu Opfern werden. Die Zivilbevölkerung will Frieden. Die Militarisierung Acehs und Indonesiens muss gebrochen werden. Wir machen also weiter mit dem Friedensprozess, denn wir sind die Zivilgesellschaft. Aber Sie haben Recht: die Zivilgesellschaft wird zerrieben. Mit ihr werden alle Werte und Ideale zerstört.
 
 

Welche Folgen haben die Zerstörung der Zivilgesellschaft und aller Werte?


Niemand wagt mehr, für seine Überzeugungen einzustehen. Die Situation ist ähnlich wie 1965, als mit den Morden an mutmaßlichen Kommunisten sowie anderen Menschenrechtsverbrechen demokratische Werte zerstört wurden. Das Muster setzt sich fort; wenn die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Und wenn sie straffrei ausgehen, hat die Bevölkerung Angst. Weiteren Menschenrechtsverletzungen sind Tür und Tor geöffnet, weil die Täter nichts zu befürchten haben. Dass das heute auch so bleiben soll, beweist der Satz von Präsidentin Megawati vor dem Abmarsch der abreisenden Truppen. Sie sagte den Soldaten, sie sollten keine Angst haben und sich nicht um die Menschenrechte kümmern. Die Zerstörung aller Werte ist auch das Ergebnis der fortgesetzten Straflosigkeit für Menschenrechtsverbrechen. Wir brauchen keinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung, wir brauchen den Kampf gegen die Straflosigkeit. Auf der lokalen und nationalen Ebene müssen die Leute ihre Rechte kennen und Rechtssicherheit muss herrschen, auf der internationalen Ebene müssen wir Aufmerksamkeit für Aceh erreichen und bewusst machen, dass die ungeahndeten Verbrechen in Indonesien alle Werte zerstören. Außerdem treibt die Zerstörung der Zivilgesellschaft die Menschen dazu, zur GAM überzulaufen. Sie haben keine andere Wahl mehr. Daher ist die GAM in den letzten vier Jahren so gewachsen.

Ist die Sonderautonomie für Aceh nicht eine Möglichkeit, den Konflikt ohne militärische Methoden zu lösen? Wie beurteilt die Bevölkerung den Einfluss der Sonderautonomie? Wie wirkt sie sich im Alltagsleben aus?

Im täglichen Leben spüren wir keine positive Errungenschaft, im Gegenteil. Die Leute werden ärmer, wegen des Kriegszustands, aber auch, weil die Autonomie neue Möglichkeiten für Korruption bietet. Von dem Geldsegen, der Aceh laut Autonomiegesetz zusteht, sehen die einfachen Leute nichts. Auswirkungen wie im föderalen System in Deutschland sind nicht zu spüren, denn die Voraussetzungen fehlen: wir haben keine transparente Regierung. Wir dürfen keine lokalen Parteien haben. Und die Polizei ist unprofessionell; sie verfolgt auf der Straße sogar Frauen, die kein Kopftuch tragen. Die Autonomie hat eher symbolischen Charakter. Nur eines ist neu: Aceh hat ein neues Kodam (Militärbereichskommando des Heeres) bekommen. <>
 
 
 

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