Die indonesische Militäroperation in Aceh erhielt ihr go
ahead bei der Kommandeurtagung der indonesischen Streitkräfte
(TNI) in Lhokseumawe vom 26. – 28. März 2003. Bei gleicher Gelegenheit
beschlossen die anwesenden Kommandeure des Heeres die Aufstellung von zehn
so genannter Raider-Bataillonen. Sie in der im Mai begonnenen und
auf sechs Monate projektierten „integrierten Operation“ in Aceh
einzusetzen, war unrealistisch. In den ersten Wochen der Operation wurden
Stimmen aus der Kommandoebene der TNI laut, welche für den Dezember
eine Ablösung von dreißig Infanteriebataillonen und ihre Ersetzung
durch die zehn Raider ankündigten. Auch künftige Einsätze
der Raider in Westpapua wurden nicht ausgeschlossen. Was hat es
mit diesen Raidern auf sich?
Der Name und Begriff Raider1 lässt
sich für Südostasien historisch auf die US Marine Raiders
des Zweiten Weltkrieges zurückführen. Diese Einheiten der bewaffneten
Aufklärung wurden für besondere militärische Aufgaben bei
der Rückeroberung des Pazifiks von den japanischen Streitkräften
gebildet und eingesetzt. Sie waren Spezialisten für das Einnehmen
und Halten von Brückenköpfen bei amphibischen Landungen, damit
die nachfolgende Marineinfanterie (Marines) problemlos landen konnte.
Ihre Spezialisierung waren rasche, handstreichartige Zugriffe mit hohem
Überraschungsmoment und das guerillaartige Operieren im Hinterland
des Feindes.2
Die Marine Raiders erlangten einen besonderen Ruf als einzigartige, weil als eigentümliche Mischung aus britischen Kommandotruppen und chinesischen Guerillas konzipierte Kampftruppe. Ihr Schlachtruf „Gung ho!“ – chinesisch für „arbeitet zusammen!“ – machte die US Raider, oft weit über die traurige Kriegsrealität hinaus, zu einem Vorbild für die nach Identität lechzenden neuen Armeen der jungen Staaten Nachkriegs-Südostasiens. Der Name Raider wurde zum Symbol für aggressive militärische Tapferkeit, elitäres Gruppenbewusstsein eine sich todesmutig an unmöglich zu erfüllende Kampfaufträge wagende Kampftruppe. Raider stand im nichtkommunistischen Asien des Kalten Krieges auch für harten Antikommunismus und gnadenlosen militärischen Kampf gegen alles, was als Feind identifiziert wurde. Fast jede Armee Asiens dekorierte eine Einheit oder einen Verband mit dem Titel Raider, wobei Indonesien keine Ausnahme bildete.
Die ersten Raider im indonesischen Heer wurden 1952 mit den Banteng Raiders im Wehrbereichskommando Diponegoro in Zentraljava aufgestellt. Als speziell für den Einsatz gegen Guerillas ausgebildete Sondereinheit war sie zur Bekämpfung von Widerstandsnestern der islamischen Darul Islam in Zentraljava vorgesehen. Zwei Kompanien wurden ausgebildet und zur Jahresmitte 1952 zu einem Bataillon aufgestellt. 1958 verfügte Diponegoro bereits über zwei Banteng Raider Bataillone.3
Zu Beginn der sechziger Jahre erweiterte der Chef des Heeresstabes Achmad Yani die Raider-Ausbildung auf andere Bataillone, die jedoch auf die Wehrbereiche auf Java beschränkt blieben. Ab 1961 rückten Einsätze von qualifizierten Heeresverbänden in dem noch unter niederländischer Verwaltung stehenden Westpapua ins Blickfeld, was für die Qualifikationen der Raider die Einbeziehung von Fallschirmjägerausbildungen notwendig machte, die sie zu einer direkten Konkurrenz für die damals noch junge und umfangmäßig kleine RPKAD machte, der Fallschirmjägertruppe des Heeres und Vorläufer der Kopassus.4 Ihr Kommandeur zu der Zeit, Oberst Sarwo Edhie, erreichte 1963 die Konvertierung von zwei Raider-Bataillonen zu Heeresfallschirmjägern, die er in die RPKAD eingliederte.5 In Westpapua kamen die Raider niemals zum Einsatz.
Die Rivalität der beiden Spezialverbände innerhalb des Heeres fand mit dem bis heute ungeklärten Vorgängen um den als kommunistisch verklärten Umsturzversuch ein Ende. Yani, der Förderer der Raider, wurde am 1. Oktober 1965 ermordet, und die RPKAD nahm die führende Rolle in der Verfolgung und massenhaften Beseitigung von echten und vermeintlichen Mitgliedern, Gefolgsleuten und Anhängern der Kommunistischen Partei Indonesien (PKI) ein, wodurch die Raider abseits jeder politischen Erwägungen auf ein militärisches Abstellgleis abgeschoben wurden. Sie wurden das Opfer innermilitärischer Zwistigkeiten mit eben dem Vorläufer des Spezialverbandes, der heute die Spezialkräfte des Heeres, Kopassus, bildet. Dennoch hat der Name Banteng Raiders (BR) bis heute im Infanteriebataillon (Yonif) 401 des Wehrbereichskommandos Diponegoro überlebt. Diese traditionellen Raiders (die in Indonesien immer im Plural benannt werden) verfügen jedoch über keine ausgewiesenen Raider-Qualifikationen und sind ein Standard-Infanteriebataillon.6
Die RPKAD erfreute sich nur kurzfristig ihres Monopols als Heeresfallschirmjäger. Kostrad, die Elitetruppe der Reserve des Heeres, qualifizierte in den Jahren nach 1965 einige ausgewählte Infanteriebataillone in Luftlandefertigkeiten (englisch airborne, indonesisch Linud), die jedoch keine Freifallausbildung integrierte, wie sie die Mitglieder der RPKAD weiterhin genossen.
Die Idee und Absicht hinter der Aufstellung der zweiten Raider in der Geschichte des indonesischen Militärs setzt aber bei genau der gleichen Aufgabenstellung wie derjenigen von 1961 an. Wie damals gilt es auch heute vom Feind besetztes Gebiet – damals niederländische Truppen in Westpapua, heute bewaffnete Separatisten und Aufständische in Regionen wie Aceh – mit gezielten Einsätzen anzugreifen und zu vernichten, und das vom Feind gesäuberte Territorium für die später eintreffenden konventionellen Heereskräfte zu sichern.
Im Gegensatz zu ihren US-amerikanischen Namensgebern waren die indonesischen Raider niemals Truppen der Marineinfanterie, sondern der Landstreitkräfte. Gegeben die historische Nähe der indonesischen Armee mit dem Heer der Vereinigten Staaten, die mit Auf- und Übernahme der militärischen Ausbildung, der Strukturen und Operationsformen der US Army ab 1959 intensiv einsetzte7, sind die neuen Raider am Vorbild der US Rangers ausgerichtet. Die Ähnlichkeiten der von der TNI vorgetragenen Ausbildungs- und Einsatzqualifikationen sind frappierend und ermöglichen über den Vergleich mit dem US-Vorbild einen Einblick in die zu erwartenden Aktivitäten der Raider der TNI.
Die Ranger der US Army sind flexible, hoch trainierte und mit speziellen Fertigkeiten ausgestattete, schnell einsetzbare Kräfte leichter Infanterie, die für eine Vielzahl von Zielen konventioneller und Spezialoperationen eingesetzt werden können. Sie operieren im aufgabenspezifischen Grenzbereich zwischen konventionellen Kräften und Spezialeinheiten (special forces) und sind deshalb weder das eine noch das andere, weshalb sie es schwer haben, einen speziellen Platz in der Truppe zu definieren und einzunehmen. Sie bezeichnen sich selbst als „die beste leichte Infanterieeinheit der Welt“ mit dem speziellen Auftrag zur direct action, dem direkten Vorgehen gegen feindliche Objekte und Kräfte. Sie sind schnell verleg- und einsetzbar, und stellen eine in kleinen Gruppen operierende Vorhut konventioneller Allzweckkräfte (general purpose forces) dar. Ihre Spezialität ist der handstreichartige Überfall (raid) auf Schlüsselziele von taktischer und strategischer Bedeutung, die sie bis zum Eintreffen von Ersatzkräften halten. Dafür sind sie in Späh- und Erkundungstechniken ebenso ausgebildet wie im Fallschirmabsprung.8
Die US-Streitkräfte kennen keine Raider mehr, sie wurden
1945 aufgelöst. Auch die Ranger haben es schwer, sich gegenüber
den noch weiter spezialisierten Spezialtruppen von Heer und CIA durchzusetzen.
Um so erstaunlicher, dass Raider in Indonesien eine Renaissance
erfahren.
Die TNI meint es anscheinend ernst in ihrem Bemühen, die bewaffnete
Organisation der GAM („Bewegung Freies Aceh“) militärisch anzugehen.
In 25 Jahren eines nur von kurzen Perioden der Waffenruhe unterbrochenen
low intensity conflicts in Aceh ist es wenig verwunderlich, wenn
die Raider eben dort das Licht der Welt erblicken sollen. Der Misserfolg
eines seit Jahrzehnten mit mehreren Tausend Mann an Militärpersonal
gegen einige Hundert gering bewaffneter Rebellen angehenden Staatsmilitärs
hat seine Ursachen auch in schwerwiegenden militärischen Unzulänglichkeiten.
Auch nach mehr als einhundert Tagen eines Feldzuges unter dem terminologischen
Banner einer „Integrierten Operation“ ist der militärische
Erfolg, der in der Vernichtung der GAM liegt, nicht erkennbar.
Die indonesischen Streitkräfte sind strukturell-operativ sehr
zersplittert. Die Hauptstütze der Kampfführung ist das Heer und
der größte Heeresverband Kostrad, die strategische Heeresreserve
mit ca. 30.000 Mann. Parallel zu Kostrad weisen die Marine mit dem Marineinfanteriekorps
(Korps Marinir) und die paramilitärische Mobile Brigade der
Polizei (Brimob) ebenfalls dieselbe Zahl an Truppen auf. In den
letzten drei Jahren haben Einheiten dieser drei Verbände regelmäßig
unter gemeinsamen Gefechtskommandos so genannte verbundene Operationen
(joint operations, indonesisch operasi gabungan oder Opsgab)
durchgeführt, mit eher mäßigem Erfolg. Drei Ursachenbündel
sind dafür maßgeblich.
Die Elitetruppen von Heer, Marine und Polizei unterstellen sich nur zögerlich dem Operationskommando der Kostrad, die seit 2000 über ihre Einsatzstruktur PPRC („Schnelle Reaktions-Einsatzkräfte“) Großoperationen in Papua, Ambon und Poso vollzogen hat. Die seit 1999 formal von der Armee abgetrennte Polizei ist genötigt, sich in verbundenen Operationen der Kostrad zu unterstellen und damit auch die gesetzlich festgeschriebene Eigenständigkeit der Polizei gegenüber der TNI zu übergehen.
Ein weiterer Schwachpunkt ist der sehr unterschiedliche Grad an Ausbildung und Fähigkeiten. Der Schwachpunkt sind die Truppen, die dem örtlichen, d.h. für den Kampfraum formal zuständigen Wehrbereichskommando (Kodam) angehören – die so genannten „organischen“ Truppen – und die Truppen anderer Kodam, die als Expeditionskräfte regelmäßig in andere Kodam entsandt werden – die so genannten „nicht organischen“ Truppen. Diese werden in maximaler Stärke eines Infanteriebataillons entsandt, dem batalyon infanteri oder kurz Yonif. Auch Kostrad, Kormar (das Korps der Marineinfanterie) und Brimob besitzen das batalyon als ihren größten Gefechtsverband9, was die Koordinierung im Feld kompliziert und unübersichtlich machen kann: in Aceh sind allein dreißig Yonif des Heeres im Einsatz. Hinzu kommen ähnliche Verbände von Marineinfanterie und mobiler Polizei. Sie alle unter ein effektives operatives Oberkommando zu bekommen, ist organisatorisch unmöglich. Hinzu kommt, dass ein batalyon selten in voller Stärke, sondern in Teileinheiten zum Kampf abgestellt wird, was das Kommando über den Einsatz buchstäblich zerfließen lässt. Wer in der Realität die Gefechtshandlungen führt, sind kleine Trupps von maximal 30 Soldaten, die von oft gering qualifizierten Führern mehr schlecht als recht geleitet werden. Brutalität im Kampf und das Ablassen von Aggressionen gegenüber Opfern ist leider auch eine Kompensation völlig mangelhafter soldatischer Qualifikation. Besonders die Expeditions-Yonif weisen diese Mängel auf.10
Die Yonif der Kostrad wie der Kodam, werden selten
in voller Stärke in Kampfregionen verschickt. Ein Yonif besteht
regulär aus ca. 650 Mann, die zu drei Kompanien (kompi) mit
je 200 Mann aufgeteilt ist, wozu 50 Offiziere des Stabes kommen. Diese
triangulare Struktur wurde von der US Army übernommen.11
Ein Yonif entsendet zumeist eine Satgas (task force), die zwei Formen
annehmen kann: die 1/3-Satgas weist regulär in etwa 250 Mann auf,
eingeteilt in zwei Kompanien (kompi), und die 2/3-Satgas regulär
450 Mann, aufgeteilt zu vier kompi. Im Einsatz bleiben auch die
kompi selten zusammen, so dass die eigentlich gefechtsführenden Einheiten
der Zug (pleton) oder der Trupp (tim) sind. In der traditionell
strikt hierarchisch geführten TNI wird der Ausbildung dieser Gruppen
und ihrer Führer wenig Aufmerksamkeit zu Teil.
Die Anfänge der neuen Raider liegen im Oktober des Jahres
2002 bei einem Bataillon, auf das keine militärische Organisation
stolz sein könnte. Es ist das Yonif Linud 100 in Binjai bei
Medan, Nordsumatra, mit dem Beinamen Prajurit Setia, was wörtlich
„der treue Soldat“ heißt.
Soldaten dieses Yonif griffen in der Nacht zum 30. Januar 2003 eine Polizeistation in Binjai an, töteten dabei acht Menschen, unter ihnen fünf Polizisten der Kompi A der Brimob der Provinzpolizei Nordsumatra. Sie befreiten mehrere in Polizeihaft einsitzende Drogenhändler, ließen eineinhalb Tonnen an Drogen mitgehen und legten nebenbei die Polizeistation und angrenzende Häuser in Schutt und Asche, was natürliche Folge des gezielten Einsatzes schwerer Waffen inmitten eines Wohngebietes war. Die Ursachen für diesen Kleinkrieg unter dem staatlichen Sicherheitsapparat lag in Verteilungskämpfen um den regionalen Markt an Drogen und Rauschmitteln, über den sich Polizei und Kodam-Truppen in Nordsumatra zu versorgen pflegten.12 Das Oberkommando der TNI entließ die Kommandeure, verhängte schwere Disziplinarstrafen an einige Soldaten und unterstellte das Yonif für ein Jahr dem Kodam Bukit Barisan in Nordsumatra. Es wurde organisatorisch „eingefroren“ und vorbereitet auf ein Experiment: das Modell für ein Bataillon der Raider zu werden. Dafür war es durchaus prädestiniert.
Das Yonif 100 unterstand der Kostrad, war aber seit Jahren
irgendwie „vergessen“ worden. Es nahm an keinem Einsatz Teil, war völlig
inaktiv und schmorte sozusagen im eigenen Saft krimineller Machenschaften.
Zugleich wies es aber die seltene Linud-Qualifikation auf, d.h.
ein Teil seiner Leute waren Fallschirmjäger, woran es der TNI mangelt.
Die TNI-Führung ließ deshalb das Personal des Yonif 100
zu zwei Dritteln mit Mannschaften und Offizieren anderer Yonif austauschen
(in wieweit das tatsächlich geschehen ist, ist aus der Presse nicht
zu belegen), und es wurde mit der Ausbildung der drei Yonif des neu gegründeten
Kodam Iskandar Muda in Aceh beauftragt – rechtzeitig für die
im Mai anlaufende Großoperation13 . Das Yonif
100 selbst unterzieht sich zurzeit einer Ausbildung als Raider,
und es wird im Dezember das erste Batalyon Infanteri 100 / Raider
der TNI stellen14.
Die Raider sind Chefsache des Stabschefs des Heeres, und
so hat sich Ryamizard Ryacudu, mehrfach zu ihnen geäußert.
Zehn Bataillone Raider sollen bis Dezember 2004 aus bestehenden Yonif über besondere Ausbildungsmaßnahmen gebildet werden. Kostrad wird zwei Yonif stellen, und acht Wehrbereichskommandos (Kodam) je eines ihrer Yonif. Die Raider stellen keine personelle Aufrüstung dar, sondern eine Umqualifizierung von Soldaten. Die Ausbildung der Yonif hat im Juli und August begonnen und wird in zwei Phasen von zwei und drei Monaten verlaufen. Je nach Ausbildungsbedarf kann die zweite Phase auf fünf Monate ausgedehnt werden.15 Die ersten Bataillone der Raider sollen im Dezember einsatzbereit sein.
Die beiden aus der Kostrad als Raider vorgesehenen Yonif sind: Yonif 323/Buaya Putih (in Banjarpatroman, Ciamis, Westjava); es untersteht der Infanteriebrigade (Brigif) 13 Kostrad in Galuk, Tasikmalaya; und Yonif 412/Baradka Eka Sakti, (Purworejo, Ostjava), unter Brigif 6 Kostrad.
Acht Kodam werden Raider stellen: Kodam I/Bukit Barisan (Nordsumatra – das vorgenannte Yonif 100), Kodam II Sriwijaya (Südsumatra – Yonif ?), Kodam III Siliwangi (Westjava – Yonif 327), Kodam IV Diponegoro (Zentraljava – Yonif 401/Banteng Raiders), Kodam V Brawijaya (Ostjava – Yonif 507/BS und/oder Yonif 523/Dharma Yudha), Kodam VI Tanjungpura (Kalimantan – Yonif 612/Modang), Kodam VII Wirabuana (Sulawesi – Yonif ?) und Kodam VIII Udayana (Bali und NTT – Yonif ?)16 .
Jedes Yonif entsendet bis zu 850 Mann in die dreimonatige Raider-Ausbildung,
aus denen ca. 750 Mann für das künftige Bataillon ausgewählt
werden. Die Kernstärke eines Yonif Raider soll 747 Mann betragen,
und es wird das Einsatz-Infanteriebataillon (Batalyon Infanteri Pemukul)
seines Kodam sein. Die Mitglieder werden dunkelgrüne Baretts mit dem
Emblem eines Kommandoschwertes und eines Blitzes auf rot-weißem Hintergrund
tragen17. Die Gesamtstärke der Raider-Kräfte
wird nach ihrer Aufstellung 7.470 Mann betragen18.
Der Raider lässt sich über seinen eigentlichen
Kernauftrag, den raid oder Handstreich, erklären.
Raider sind diejenigen militärischen Personen und Truppen,
die auf handstreichartige Überfälle spezialisiert sind, die den
Feind überraschend und unvorbereitet treffen. Raider verfügen
über Fähigkeiten der unentdeckten Bewegung in fremdem, oft unzugänglichem
Terrain, des Aufspürens des Feindes durch Erkundung und seine Überwachung
bis zu dem für einen raid geeigneten Zeitpunkt. Sie müssen
in der Lage sein, nicht nur zu ihrem Einsatzgebiet zu gelangen (Infiltration),
sondern auch von ihm zurück in sicheres Gelände zu gelangen (Exfiltration).
Die beiden Grundqualifikationen des indonesischen Raiders, Handstreich
(penyergapan) und air mobility (Indonesisch mobil udara
oder Mobud), d.h. Fallschirmjägerqualifikationen für die
Infiltration, gehören für den Raider zusammen. Der Krieg
des Raiders ist der Antiguerillakrieg19, sein
militärischer Feind der Rebell, Partisan oder ein militärisch
relevanter Gegner von Staat und Regierung, sein Terrain sein eigenes und
nicht Feindesland, und die Zivilbevölkerung ist nicht die des Feindes,
sondern die seines eigenen Staates und Auftraggebers.
Der Beginn der ersten Ausbildungsphase gab einen ersten Einblick in das, was künftige Raider erwartet.
Der Raider wird Angriffe auf die geheimen Stützpunkte und
Rückzugsräume der GAM, und später anderer Partisanen irgendwo
im Archipel, unternehmen. Neben dem Kampf in Wäldern, Bergen, Bergwäldern
und Gebirgen sowie in Städten (urban warfare) ist es der Einsatz
in Sümpfen und küstennahen Salzwassersümpfen, die das künftige
geografische Einsatzfeld der Raider erahnen lassen. Hohe Disziplin, Härte
und Enthusiasmus sowie körperliche Ausdauer und Leidensfähigkeit
sind mentale und körperliche Voraussetzungen20.
Spezifische Kenntnisse betreffen taktisches Schießen und Reaktion,
Geländekunde, Gefechtsfeldaufklärung (combat intelligence),
Sprengungen und Zielzerstörung, Infiltration und Exfiltration, sich
Lösen vom Feind, Verwendung von GPS, Scharfschießen mit einer
Mindesttrefferquote von 75%, Überlebenstraining in Meer, Bergen und
Meerwassersümpfen21. Die Einsatzgebiete selbst wurden
nur in großen Umrissen bekannt gegeben. Unruhe- und Aufstandsgebiete
sollen es sein und Regionen in Nähe zu benachbarten Staaten.
Die vom Raider verlangten Qualifikationen sind annähernd
deckungsgleich mit denen seines Kameraden von den Spezialkräften,
die im indonesischen Heer bei Kopassus, den „Kommandospezialkräften
des Heeres“ angesiedelt sind. Die Gruppen22
I und II sind identisch ausgebildete Fallschirmjäger (Parako23),
die in der seit Mai laufenden Operation in Aceh eben solche Aufspür-
und Angriffsaktionen im Rahmen verbundener Einsätze durchführen.24
Die Militärführung ist bemüht, Befürchtungen einer
Konkurrenz zur Kopassus nicht aufkommen zu lassen. Heeresstabschef Ryamizard
sagte in einer Ansprache vor künftigen Raidern des Yonif 401 am 2.7.2003:
„Bislang wurde Kopassus ins Feld geschickt bis sie grün und blau
geschlagen waren. Heute besitzt die Kopassus einen Partner, und das seid
ihr. Wenn also einmal in Zentraljava etwas nicht in Ordnung sein sollte,
benötigt ihr die Kopassus nicht mehr. Es reicht, wenn ihr die Sache
allein in die Hand nehmt.“ 25
Das Ausbildungszentrum der Kopassus übernimmt Ausbildungseinheiten der Raider, die u.a. auch in Cijantung durchgeführt wurden26. Die restlichen Trainingseinheiten werden von den Ausbildungsregimentern der Kodam organisiert und durchgeführt.
Die Raider als Partner (mitra) der Kopassus, so Ryamizard, aber nicht als ihre Konkurrenz. Das lässt die Frage nach der künftigen Rolle der Kopassus aufkommen. Dazu machte Ryamizard zwei merkwürdige Bemerkungen, die Erklärungsbedarf wecken.
In einer verlesenen Rede zur Eröffnung einer Raider-Ausbildung
definierte er die Rolle der Raider in der Verteidigung auf Gefahren
vom Innern des Landes, und die der Kopassus auf Gefahren von außerhalb
des Landes27, ohne letztere näher zu erklären.
Wen meint er mit der Gefahr aus dem Ausland?28
Zuvor hatte er das Ausland beschwichtigt, die Raider würden
nicht zur Invasion eines anderen Staates verwendet werden29.
Als solche kommen nur Papua Neuguinea und Ostmalaysia in Frage – Staaten,
die in der Vergangenheit ihre eigenen Erfahrungen mit der verdeckten Kriegführung
seitens der Vorläufer der heutigen Kopassus auf ihrem eigenen
Territorium gemacht haben30. Wird Kopassus mit
Aufträgen jenseits der Staatsgrenzen beauftragt werden oder mit dem
Vorgehen gegen Ausländer in Indonesien? Keine unberechtigte Frage
für Westpapua, wo in der Nähe von Timika im Oktober 2002 zwei
US-amerikanische Lehrer, wie begründete Vermutungen nahe legen, von
einem Trupp der Kopassus erschossen worden sind.
Die Dauer der indonesische Militäroperation in Aceh wird nicht,
wie vollmundig im Mai angekündigt, in sechs Monaten abgeschlossen
sein. Die TNI ist nicht in der Lage die GAM als militärischen Kontrahenten
zu besiegen oder in die Schranken zu weisen. Bereits Anfang Juli äußerte
die Militärführung verhaltene Andeutungen einer längeren
Operationsdauer. Im September wurde die allgemeine Wahl als möglicher
Finaltermin genannt31, wobei der militärische Notstand
bis dahin nicht aufgehoben werden soll, was eine Truppenreduzierung ausschließt.
Der Ersatz von dreißig Yonif des Heeres durch 10 Yonif
Raider ist aufgrund der Realität der Operation ohnehin illusorisch.
Realistisch können wir für den Dezember 2003 mit einer faktischen
Truppenerhöhung durch eine Zahl der bis dahin ausgebildeten und einsatzbereiten
Raider ausgehen.
Das Wenige, das wir bis heute über Aufgaben und Einsätze der Raider wissen – über ihre Struktur ist überhaupt noch nichts bekannt geworden – weist auf eine Brutalisierung der operativen Kriegführung. Die Raider zielen militärisch auf die Basis- und Rückzugsgebiete der GAM in den Städten und den unzugänglichen Gebieten der Provinz. Der Einsatz der Raider wird die Kriegszonen in Aceh ausweiten und zu erheblichen neuen Opfern unter der vom Krieg betroffenen Zivilbevölkerung führen.
Heeresstabschef Ryamizard ist sich bewusst, dass er seine vollmundigen Versprechungen einer Vernichtung der GAM nicht einfach vergessen machen kann. Er muss zumindest ein gesichtswahrendes militärisches Patt, möglichst bis zur Parlaments- und Präsidentenwahl in 2004, herausholen. Dazu braucht er die Raider. Die Essenz des Kampfbeitrages der Raider tat er bei einer Ausbildungseröffnung für die Raider mit den Worten kund: „Was wir tun müssen angesichts eines Feindes, der die Taktik des Guerillas benutzt, ist Zuschlagen und Laufen (hit and run). Darauf gibt es nur die eine Antwort: Jagt sie, schlagt sie, schlagt sie, schlagt sie! Lasst die Guerilla nicht entkommen!“ 32
Mittel- und langfristig erweitern die Raider die Optionen und Möglichkeiten der Einsatzverbände des Heeres. Sie sind ein neues Element der schmutzigen Kriegführung. Die Raider werden mit ihnen militärisch tiefer in die Zivilgesellschaft hinein stoßen, aber den Preis neuer interner Rivalitäten riskieren müssen, die in Indonesien oft blutig ausgetragen werden. Ihre Mission setzt bedingungslose Brutalität voraus.
Die Raider werden mit einem Elitebewusstsein ausgebildet, das sie zwangsläufig in Konflikt zur Kostrad und Kopassus führen muss. Ein mittelfristiges Scheitern der Raider, als Wiederholung ihres Schicksals in den Sechzigern, ist nicht ausgeschlossen. Bis dahin wird jedoch eine Zeit des Experimentierens mit einer neuen militärischen Komponente ins Land gehen, die Aceh und Indonesien insgesamt, weiter von einem nachhaltigen Frieden entfernen wird. <>
1 http://www.usmarines.org
2 http://www.military-page.de/einheit/recon/rec_01.htm
3 Ken Conboy, 2002, Kopassus, Inside Indonesia’s Special
Forces, Jakarta, s. 51
4 Conboy 2002: 68f
5 Conboy 2002: 103f
6 Sie sind jedoch als Raider-Bataillon des Kodam Diponegoro
vorgesehen.
7 Bryan Evans III, 1989, “The Influence of the United
States Army on the Development of the Indonesian Army (1954-1964), in:
Indonesia, no. 47 (April), s. 25-48
8 vgl. http://www.globalsecurity.org/military/agency/army/75rr.htm
9 Kostrad und Kormar besitzen Brigaden und sogar Divisionen,
die jedoch mehr organisatorische Funktion haben.
10 Nach meinen Aufzeichnungen aus offenen Pressequellen
hat das Heer (Kostrad und die Kodam) zwischen April 2000 und August 2003
insgesamt 72 Yonif zu Kampfeinsätzen nach außerhalb ihrer Heimatregion
entsendet. Insgesamt habe ich für den Zeitraum 91 Yonif im Einsatz
notieren können.
11 Zur Geschichte der Organisationen der Heeresbataillone
siehe Conboy 2002: 238
12 Zu den Hintergründen vgl. „Current Data on
the Indonesian Military Elite“, in Indonesia, no. 75, April 2003, s. 31f
13 Die Ausbildung begann mit drei Regimentern und
bezog die Einrichtungen des Ausbildungsregimentes (Resimen Induk) des Kodam
I mit ein. Die vorgesehenen Bataillone sind die Yonif 111, 112 und 113
(Tempo Interaktif 9.3.2003).
14 Tempo Interaktif 9.3.2003
15 Angaben von Ryamizard Ryacudu, Media Indonesia
Online 2.7.2003
16 Pikiran Rakyat online 2.6.2003; die notierten Yonif
ergeben sich aus späteren Presseangaben, die noch unvollständig
und widersprüchlich sind. So unterziehen sich für Ostjava zwei
Yonif der Ausbildung zum Raider.
17 Tempo Interaktif p.3.2003, mehrere Berichte
18 1494 Mann aus zwei Kostrad-Bataillonen, und 5976
Mann aus je einem Bataillon der acht ausgewählten Kodam (Suara Merdeka
online, 1.6.2003).
19 d-infocom.jatim 21.7.2003
20 Kompas Cyber Media 16.7.2003, Media Indonesia Online
20.7.2003, d-infocom.jatim 29.7.2003
21 Sriwijaya Post 18.8.2003, detik.com 15.8.2003 und
20.8.2003
22 Die Bezeichnung Grup („Gruppe“)steht bei Kopassus
für ein Bataillon der Spezialkräfte, die mit völlig anderen
Truppenstärken ausgestattet sind als die regulären und konventionellen
Bataillone des Heeres. Kopassus besitzt seit der letzten Umstrukturierung
2002 neben den beiden Grup Parako die Grup III/Sandhi Yudha für verdeckte
Kriegführung in Cijantung bei Jakarta, ein Ausbildungszentrum in Batujajar
bei Bandung, und die Antiterroreinheit D81/Gultor mit HQ in Cijantung.
23 von parakomando, Fallschirmjägerkommando
24 Siehe die täglichen Meldungen des Pusat Penerangan
TNI. Die Aufgaben der Grup III in Aceh sind hingegen unklar, weil sie von
der militärzensierten Presse nicht einmal angedeutet werden, was ganz
im Gegensatz zu den Einsätzen der Parako steht. Es ist anzunehmen,
dass sie sich auf besondere Aufklärung- und Aufspüraktionen von
Kommandanten der GAM konzentriert. Außerdem besitzt die Grup III
die besten Fähigkeiten für den unconventional warfare,
d.h. den Aufbau und die Führung paramilitärischer Milizen, die
in Aceh unter verdecktem Militärkommando im Einsatz sind.
25 Media Indonesia Online, 2.7.2003
26 Kompas Cyber Media 15.7.2003
27 Suara Merdeka online, 4.8.2003
28 Ryamizard fügte die Erklärung an, es
gäbe zur Zeit keinen Feind, der Teile des Staatsgebietes Indonesiens
an sich reißen wolle (Media Indonesia Online 20.7.2003)
29 „Raider battalions not formed to invade other countries“,
Antara 20.7.2003
30 vgl. Conboy 2002
31 Detik.com 3.9.2003, Mit den Worten des Befehlshabers
der TNI, General Endriartono: „Ein Guerrillakrieg kann nicht in ein-
zwei Monaten beendet sein. Unsere Erfahrungen mit der Darul Islam/Tentara
Islam Indonesia zeigten, wir brauchten Dutzende von Jahren. Osttimor 23
Jahre, dann war es von der Republik Indonesien losgelöst. Die USA
in Vietnam Dutzende von Jahren und dann gescheitert. Niemals zuvor konnte
eine Guerillaarmee in zwei oder vier Monaten besiegt werden.“ (Kompas
4.9.2003)
32 cybernews 1.8.2003
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