Suara Nr. 2/2007 (Aceh/Politik)

 

Aceh verhilft zur Demokratisierung Indonesiens

von Alex Flor


In den ersten Septembertagen machte in Aceh die Ankündigung einer neuen Partei namens SIRA (Seutot Indatu Rakyat Aceh) die Runde. Zweifelsohne soll die Abkürzung SIRA Assoziationen zur gleichnamigen Nichtregierungsorganisation wecken, die sich ausgeschrieben Sentral Informasi Referendum Aceh (Informationszentrale für ein Referendum in Aceh) nennt. Die Organisation wurde in den heftigen Zeiten nach dem erzwungenen Rücktritt von Diktator Suharto und dem erfolgreichen Referendum für die Unabhängigkeit Osttimors ins Leben gerufen. Mit der Forderung nach Abhaltung eines dem Beispiel Osttimors folgenden Referendums, brachte SIRA im Jahr 2000 in Banda Aceh einige Hunderttausend Demonstranten auf die Straße.

Muhammad Nazar, der Vorsitzende der studentisch geprägten Organisation, wurde mehrfach verurteilt und eingesperrt. Doch die Tsunami-katastrophe zu Weihnachten 2004 und der anschließend beginnende Friedensprozess stellten die bislang geltenden politischen Koordinaten auf den Kopf. Der ehemals als Umstürzler inhaftierte SIRA-Aktivist wurde im Dezember 2006 entsprechend indonesischer Gesetze legal und direkt vom Volk zum Vizegouverneur der Provinz Aceh gewählt.

Die Ankündigung von SIRA, sich als politische Partei formieren zu wollen, folgt der Gründung von bislang sieben lokalen Parteien in Aceh. Bereits zuvor formierten sich unter anderem eine Frauenpartei (Partai Aliansi Rakyat Aceh Peduli Perempuan; PARAPP), die von NGOs dominierte Volkspartei Acehs (Acehnese People's Party; PRA), und die islamisch geprägte Gabthat Partei (Gabthat bedeutet in der Sprache Acehs soviel wie tapfer oder stark). Das Recht zur Bildung lokaler Parteien basiert sich auf dem Helsinki-Abkommen von 2005, welches die Grundlage für eine friedliche Lösung des jahrzehntelang blutig ausgetragenen Konflikts in Aceh darstellt.

Für erhebliche Kontroversen sorgte im Juli die Gründung einer neuen Partei, die sich GAM nennt. Nicht nur, dass der Name für die Unabhängigkeitsbewegung steht, die sich seit 1976 mit dem indonesischen Militär bekriegte, erregte die Gemüter der Nationalisten in Indonesien. Die Partei GAM schreckte auch nicht davor zurück, auf Wappen und Emblemen die Symbole der früheren Widerstandsbewegung zu verwenden.
 

Verfassungsgericht erlaubt unabhängige Kandidaten

Bislang konnten selbst auf Regional- und Kommunalebene nur Kandidaten für politische Ämter kandidieren, die von einer nationalen Partei nominiert wurden. Das Parteien- und das Wahlgesetz Indonesiens stellten strenge Anforderungen. So konnte nur jemand für ein Mandat im Stadtrat kandidieren, wenn er von einer nationalen Partei nominiert wurde, die in zwei Dritteln der Provinzen Indonesiens und dort wiederum in mehr als der Hälfte der Kommunen eine Vertretung hatte. Ein anerkannter Verkehrsexperte, der sich beispielsweise um Fragen wie den Bau einer Umgehungsstraße und die Suche nach dem günstigsten Standort für ein neues Busterminal einen Namen gemacht hat, hatte ohne eine politische Partei im Rücken bislang keine Chance als Stadtverordneter gewählt zu werden. Unabhängige Kandidaten und Freie Wählervereinigungen kannte das indonesische Recht nicht - mit Ausnahme der neuerlichen Spezialgesetze im Rahmen der Sonderautonomie für Aceh.

Das Sonderrecht in Aceh beflügelte die Diskussion in anderen Teilen Indonesiens. Schließlich musste sich das Verfassungsgericht mit der Frage befassen, ob unabhängige Kandidaten weiterhin von Wahlen ausgeschlossen werden dürfen. Ein Ende Juli gefälltes Urteil des Gerichtes befand die Bestimmungen des Wahlgesetzes als verfassungswidrig. Entsprechend dem Vorbild Acehs eröffnet das Urteil in Zukunft unabhängigen Kandidaten in allen Regionen Indonesiens, sich bei Regional- oder Kommunalwahlen aufstellen zu lassen.
 

Aber genützt hat es nix

So begrüßenswert das Urteil des Verfassungsgerichtes sein mag - der allgemeine Jubel um diese Entscheidung verkennt die indonesischen Realitäten.

Im August fanden zum ersten Mal direkte Wahlen zum Gouverneur und Vizegouverneur in DKI Jakarta, der Hauptstadtprovinz Indonesiens, statt. Den wahlberechtigten Einwohnern verblieb gerade mal die Entscheidung zwischen zwei Kandidatenpaaren: Adang Daradjatun und Dani Anwar oder Fauzi Bowo und Prijanto. Es waren diese beiden Kandidatenpaare, die über das nötige Kleingeld verfügten, um sich die Unterstützung von politischen Parteien und ihren Wahlkampfapparaten zu sichern. Der ehemalige Geheimdienstoffizier Agum Gumelar und der in Kreisen von Nichtregierungsorganisationen populäre ehemalige Umweltminister Sarwono Kusumaatmadja fielen bereits im Vorfeld durch, da es ihnen nicht gelungen war, eine politische Partei zu finden, auf deren Ticket sie hätten kandidieren können. Sarwono erklärte, er wolle die Berechtigung zur Kandidatur als unabhängiger Kandidat einklagen. Das wird nicht mehr nötig sein, da das Urteil des Verfassungsgerichtes Leuten wie Sarwono in Zukunft die Teilnahme an Gouverneurswahlen prinzipiell ermöglicht. Für die Wahl im August kam der Richterspruch allerdings zu spät.

Es ist jedoch fraglich, ob ein früheres Urteil Sarwono genützt hätte. Denn letztlich entschied nicht das Gesetz, sondern Geld. So blieb den Bürgerinnen und Bürgern nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Adang Daradjatun hatte es eher unbeachtet von der Öffentlichkeit bis zum Vizechef der nationalen Polizei gebracht. Das gewichtige Argument im Wahlkampf war, dass sich die islamistische PKS (Partai Keadilan Sejahtera), die im Regionalparlament von Jakarta die stärkste Fraktion stellt, für ihn stark gemacht hat. Adangs Konkurrent Fauzi Bowo war bisher Vizegouverneur unter General Sutiyoso, der nicht mehr wiedergewählt werden konnte. Nach informierten Kreisen schielt Sutiyoso derzeit auf das Amt des Innenministers, um sich danach möglicherweise als Präsidentschaftskandidat ins Rennen zu begeben. Fauzi Bowo, der in Braunschweig studiert hat, ist ein eher farbloser Technokrat. Um den Kandidaten der PKS zu verhindern, konnten sich die übrigen Parteien zur Überraschung vieler Beobachter auf eine gemeinsame Linie einigen. Sie setzten auf Kontinuität und unterstützten gemeinsam den amtierenden Vizegouverneur. Fauzi Bowo konnte die Wahl schließlich für sich entscheiden.
 

Politik gegen Arme

„Jakarta wird weiterhin von einem liberalen Gouverneur regiert werden,“ resümierte Jochen Buchsteiner in der FAZ. Solcher Jubel scheint jedoch fehl am Platz. Die Tatsache, dass das bisherige Regierungsduo Sutiyoso und Fauzi Bowo keine Islamisten sind, macht aus ihnen noch keine Liberalen. Den massiven Probleme der Megametropole, die in Autoverkehr, Smog und Müll zu ersticken droht, rückte die Verwaltung nicht oder mit völlig ungeeigneten Mitteln zu Leibe. Anstatt den Autoverkehr zu dezimieren, wird Jagd auf umweltfreundliche Fahrradrikschas (Becaks) gemacht. Sie gelten als unmodernes Verkehrshindernis und sind in der Stadt verboten. Regelmäßig veranstaltet die Polizei Razzien, bei denen die Becaks zerstört oder konfisziert werden. In den letzten Tagen seiner nun ablaufenden Amtszeit stellte Sutiyoso noch einmal sein ganzes Können unter Beweis: er boxte eine Verordnung durchs Stadtparlament, die Kleinhändler, Musiker und Bettler auf Jakartas Straßen verbietet. Eigentlich hätten wir uns erhofft, dass Sutiyoso Armut gleich ganz verbietet. Wer dennoch arm ist, handelt gegen das Gesetz und kommt ins Gefängnis. Jawoll, Herr General! <>
 
 

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