Irgendwann muss der Krokodilsmythos an Osttimor hängen geblieben
sein. Nicht nur soll die Form Osttimors auf der Landkarte einem Krokodilskopf
ähneln. Auch gibt es den passenden Entstehungsmythos des Landes dazu,
in verschiedenen Versionen. Die kurze Version erzählt von einem kleinen
Jungen, der einem kleinen Krokodil aus der Patsche hilft. Das Krokodil,
inzwischen älter geworden, will sich bei dem Jungen bedanken, indem
es ihm und seinen Nachfahren einen Ort zum Leben schenkt. Kurzerhand entschließt
sich das Krokodil, einfach selbst zu einem Land zu werden – Osttimor!
Lusia Guterres macht sich keine Illusionen über die Entstehung ihres Landes. Krokodilsmythos? Noch nie gehört. Allerdings ist ihr aufgefallen, dass viele internationale Organisationen das Krokodil als Maskottchen benutzen. Auf den Plakaten an ihrer Wohnzimmerwand wirbt ein Krokodil im Krankenschwester-Outfit für eine Impfkampagne, während ein Krokodil verkleidet als Grundschullehrer ein Plakat zur Alphabetisierung schmückt. Manche Leute behaupten, fällt Lusia ein, die Form Osttimors ähnele einem Krokodilskopf auf der Landkarte.
Um mit Lusia Guterres über die Entstehung ihres Landes zu diskutieren muss man erst bis an den Nacken des Krokodils vordringen. Fatululik liegt ganz im Südwesten Osttimors, unweit des indonesischen Teils der Insel, Westtimor. Die rund sechzig Kilometer Luftlinie, die Fatululik von der Hauptstadt Dili trennen, können jedoch leicht in die Irre führen. Mindestens zwei Tage braucht ein Landrover, um unbetonierte Straßen und Flüsse ohne Brücken in den osttimoresischen Bergen zu bezwingen.
Wer dennoch den anstrengenden Weg auf sich nimmt, hat meistens einen guten Grund. Lusia Guterres bietet gleich mehrere. Sie ist Dorfvorsteherin oder ‘Chefe de Suco’ von Fatululik und damit eine von sieben Frauen, die in den letztjährigen Wahlen auf kommunaler Ebene zum Dorfvorstand ernannt wurden. National gesehen gibt es neben den sieben weiblichen insgesamt 435 männliche Dorfvorsteher in Osttimor. Unter ihren weiblichen Kolleginnen ist Lusia mit 23 Jahren die jüngste und die einzige, die nicht der bisherigen Regierungspartei Fretilin, sondern der Oppositionspartei PD (Partido Democratico) angehört.
Wird Lusia nach dem Hintergrund ihrer ungewöhnlichen Karriere gefragt, antwortet sie meist mit einem Wort: Fatululik. Hier in Fatululik sind es mehrere Orte, die Lusias Geschichte erzählen, und oft verschwimmt dabei die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zum Beispiel im Fluss Tafara. Schaut man von Lusias Wohnzimmerfenster aus hinab ins Tal, kann man den Fluss gerade noch erblicken. Schaut man hinauf auf die Berge am anderen Ufer, blickt man auf ein anderes Land, Indonesien. Der Fluss wurde einst von portugiesischen Kolonialherren auserkoren, die Grenze ihrer Kolonie zu bilden, heute trennt der Fluss deshalb Ost- von Westtimor. Die bewachte Grenze gehört zum Dorfalltag, niemand traut sich über den Fluss.
Der Fluss Tafara ist Zeuge einer Geschichte, die über weite Abschnitte lang von Gewalt gezeichnet ist. Das jüngste Kapitel dieser Geschichte, die Zeit der indonesischen Besetzung, wird meist abgerundet auf eine Bruchzahl: ein Viertel der osttimoresischen Bevölkerung. So sollen zwischen 1975 und 1999 bis zu 180.000 Leute durch Mord, Hunger und Folter umgekommen sein. Die Bruchzahl umfasst nicht die sexuelle Gewalt, ausgeübt an osttimoresischen Frauen, die ebenfalls Teil dieser Geschichte ist. Lusia selbst ist Tochter einer Vergewaltigung, wird kurz nach ihrer Geburt zu Zieheltern im selben Dorf gegeben und wächst mit dem Bewusstsein auf, irgendwie zwei Mütter zu haben. Die Geschichte von Lusias Geburt ist kein Einzelfall in Fatululik. Zu nah der Fluss Tafara, zu greifbar die Möglichkeit für Täter, jederzeit ungestraft die Grenze zurück zu überqueren. Weil der Fluss so nah ist, ist Fatululik außerdem nicht selten Opfer von Operationen der osttimoresischen Milizen in Westtimor. Weil der Fluss so nah ist, war eigentlich ganz Fatululik auf die eine oder andere Weise beteiligt am Widerstand gegen die indonesische Besetzung, sagt Lusia.
Vielleicht sind es eher die Berge als der Fluss, die vom Widerstandskampf Fatululiks berichten können. Denn Widerstand im Untergrund heißt in Fatululik zu wissen, wie man sich in den Bergen versteckt. Lusia ist erst 15 Jahre alt, als sie sich der Unabhängigkeitsbewegung anschließt. Sie lacht: mit den langen schwarzen Haaren unter einen Hut gesteckt sah sie damals aus wie ein zehnjähriger Junge. Wie zum Beweis zaubert sie einen Ausweis hervor, auf dem ihre Mitgliedschaft und ihre falsche Identität im Widerstand festgehalten ist, mit Passfoto und ihrem falschem Namen, Samatuku. Auch Lusias Ehemann Tino hat einen solchen Ausweis und ist kaum wiederzuerkennen auf dem Passfoto. Als Lusia ihn kennen lernt, trägt er als Zeichen des Widerstandskampfes seine Haare in Schulterlänge. Heute arbeitet Tino als Mitglied der nationalen Grenzschutzpolizei und streicht sich grinsend über die übrig gebliebenen Haarstoppel.
Die Berge sind auch in Lusias Sprachgebrauch mehr als die malerische Landschaft, die Fatululik umgibt. Wenn Lusia sagt „in den Bergen” meint sie damals, 1999. Bereits im Frühjahr des Jahres flieht der Großteil der Einwohner Fatululiks vor den Milizen in eine Höhle in den Bergen. Lusia und Tino entschließen sich, ihren erst neun Monate alten Sohn Arrino bei Lusias Ziehmutter in Fatululik zu lassen. Arrino zu besuchen heißt gleichzeitig Gefahr laufen, in die Hände der Milizen zu fallen - nur ein weiteres Risiko beim täglichen Kampf ums Überleben in den Bergen. Besonders in der Regenzeit sind eiskalte Temperaturen an der Tagesordnung. An Nahrung haben die Berge nichts zu bieten als Mais und die eine oder andere Süßkartoffel. Wenn Lusia heute Gäste hat, versucht sie, keinen Mais zu servieren. Das Leben war hart in den Bergen, jetzt kann sich die Familie Reis leisten.
Zeit, einen weiteren Ort vorzustellen: die Kirche der Provinzhauptstadt Suai, acht Stunden Fußweg entfernt von Fatululik. Sie ist heute noch in demselben unfertigen Zustand wie 1999, als die Baustelle zu einem Flüchtlingslager umfunktioniert wird. Wie die Dorfbewohner Fatululiks haben Hunderte Menschen aus den umliegenden Bergdörfern ihre Häuser verlassen und verstecken sich in den Bergen. Im Juni verlassen sie ihre Verstecke, um in der Kirche nicht nur Unterschlupf zu finden, sondern auch Nahrung, geliefert von humanitären Hilfsorganisationen. Zwei Monate später, am 30. August 1999, kann Lusia von der Kirche aus an dem Referendum teilnehmen, in dem sich die große Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit Osttimors entscheidet.
Nur wenige Tage nach der Bekanntgabe der Entscheidung wird die Kirche zum Ort des Grauens. Am Nachmittag des 6. Septembers 1999 eröffnen Milizen das Feuer auf die Flüchtlinge in der Kirche. Das Massaker von Suai fordert mindestens 50 Todesopfer, doch keiner kennt genaue Zahlen. Lusia muss zusehen, wie ihre Freundin niedergemetzelt wird, vor ihren eigenen Augen. Sie sieht es heute, spielt es nach, mit ihren eigenen Händen. Hier trennen sich die Wege von Lusia und Tino. Während Lusia von Milizen festgenommen und über den Fluss nach Westtimor verschleppt wird, kann Tino in die Berge fliehen.
Schon wieder werden die Berge zur Unterkunft der flüchtenden Einwohner Fatululiks. Während Osttimor auf dem Papier in die Unabhängigkeit entlassen wird, starten in der Realität die Milizen jetzt noch gewaltvollere Operationen. Von den Bergen aus beobachtet Tino, wie ganz Fatululik in Flammen aufgeht. Die Milizen stellen sicher, dass kein einziges Haus verschont bleibt und sämtliches Habgut gestohlen wird. Nachdem am 20. September 1999 internationale Truppen in Osttimor landen, kehren die Bewohner Fatululiks wieder in ihr Dorf zurück. Erst im Dezember gelingt es Tino jedoch, über Beziehungen aus dem Widerstand, Lusia aus westtimoresischer Gefangenschaft freizukaufen. Sie kehrt nach drei Monaten Gefangenschaft zurück ins völlig zerstörte Fatululik.
Lusias und Tinos Haus lässt heute kaum auf diese Zerstörung schließen. Betonboden, Holzwände, Wellblechdach. Wie die meisten Familien verzichten auch Lusia und Tino nach dem Brand darauf, ihr Haus im traditionellen Stil wieder aufzubauen. Wellblech ist schneller gekauft als Strohmatten geflochten sind, und alle wollen so schnell wie möglich ein Dach über dem Kopf. Viele internationale Organisationen leisten Hilfe beim Wiederaufbau, so dass heute nur noch einzelne Ruinen vom einstigen Brand des Dorfes erzählen.
Der Ort, der Lusias heutiges Leben am besten beschreiben kann, ist wahrscheinlich das Wohnzimmer. Das Wohnzimmer kann auch Arbeitszimmer sein und Kinderzimmer, Empfangssaal und Tanzfläche, und manchmal alles zugleich. Jetzt, da der konkrete Wiederaufbau geleistet ist, geht die Aufbauarbeit der internationalen Organisationen weiter mit Krokodilsplakaten in Lusias Wohnzimmer.
Wenn das Wohnzimmer zum Arbeitszimmer wird, sitzt Lusia an der Schreibmaschine. Kämpfte sie einst als Mitglied der Widerstandsbewegung für die Unabhängigkeit des Landes, kämpft sie nun als Dorfvorsteherin mit den Folgen der Unabhängigkeit. Ihr Kampf ist nun oft Verwaltungsarbeit, ihre Sprache sind Namen und Zahlen. Fatululik, bestehend aus den drei Unterdörfern Beco, Beidasi und Aitoun, zählt insgesamt 770 Einwohner. Darunter gibt es 37 Witwen und 45 Waisenkinder, insgesamt gelten 27 Kinder als unterernährt. Ganze 19 Leute aus dem gesamten Dorf gehen bezahlter Arbeit nach, mit 250 US $ monatlich verdienen die beiden NGO Mitarbeiter am meisten, die vier Grundschullehrerinnen bekommen halb so viel. Lusias Arbeit dagegen ist unbezahlt, genau wie die der anderen Mitglieder im Dorfvorstandskomitee und die der Vorstände der Unterdörfer. Immerhin steht Lusia ein minimales Budget von 50 US $ monatlich zur Verfügung. Wie knapp das Budget berechnet ist, zeigt sich am Monat November 2005. Je 10 US $ gibt Lusia dafür aus, zwei verschiedene internationale NGOs zu bewirten, die zu Besprechungen in ihrem Wohnzimmer empfangen wurden, der Rest geht drauf für die Sauberhaltung des Dorfes.
Wenn das Wohn- zum Arbeitszimmer wird, sorgen Arrino, Lisa und Arristo meist dafür, dass es gleichzeitig Kinderzimmer bleibt. Lusias Kinder sind sieben, vier und eineinhalb Jahre alt, nur der älteste geht schon zur Schule. Die beiden jüngeren dagegen sind immer in Lusias Nähe, wie um sie daran zu erinnern, dass sie nicht nur Dorfvorsteherin, sondern auch Mutter ist. Besonders der kleine Arristo hat großes Talent darin, die multiplen Rollen seiner Mutter zu kombinieren, indem er prinzipiell alles Greifbare zu seinem Spielzeug erklärt. Wenn der Vater Tino zu Hause ist, kümmert er sich um die Kinder. Doch das kommt selten genug vor, aufgrund seiner Arbeit kommt er nur alle zwei Wochen für ein paar Tage zurück nach Fatululik. Meistens nimmt Lusia ihre Kinder einfach mit zu Sitzungen und Besuchen, und wenn es gar nicht anders geht, kann ihre Ziehmutter im Nachbarhaus die Kinderbetreuung übernehmen.
Zwei Mal am Tag holt Lusia ihre Tischdecke hervor und verwandelt den Schreib- in einen Esstisch. Bevor das Wohn- zum Esszimmer werden kann, hat Lusia allerdings Stunden in einer kleinen Hütte hinter dem Haupthaus verbracht, der Küche. Die Küche ist der erste Ort, an den Lusia geht, wenn sie mit dem Sonnenaufgang gegen sechs Uhr morgens aufsteht. Bis das Wasser auf der kleinen Feuerstelle zum Kochen gebracht wird, kann es eine Weile dauern, und die Kinder brauchen Frühstück, vielleicht Süßkartoffeln, Mais oder Reis. Einen großen Teil des Essens erntet Lusia aus dem eigenen Garten, und einen großen Teil ihres Alltags verbringt Lusia damit, es auf dem Feuer aufzubereiten, denn Gas ist zu teuer und Elektrizität kann sich Fatululik nicht leisten. Zwar gibt es einen großen Stromgenerator im Nachbardorf, doch der liefert nur Strom mit genügend Benzin, und Benzin gibt es nur gegen Bargeld.
Erwartet sie internationalen Besuch, gibt sich Lusia besondere Mühe, holt die beste Tischdecke hervor und ordnet die Plastikstühle in eine saubere Reihe. Schon hat sie das Wohnzimmer zu einem offiziellen Empfangssaal hergerichtet. Wenn sie es schafft, Butter, Mehl und Backpulver aus Suai zu organisieren, tischt Lusia sogar Kuchen auf, der natürlich auf der Feuerstelle gebacken wird. International, das verbindet Lusia meist mit Truppen, NGOs und UN-Organisationen. International war beispielsweise der australische Soldat Mr. Hory, der Lusia zwei Feldbetten geschenkt hat, bevor er von Fatululik nach Afghanistan versetzt wurde. International ist auch die irische NGO, die eine übergroße Halle für die Sitzungen des Dorfvorstandskomitees errichtet hat und dann keine Geldmittel mehr bereitstellte, um Stühle und Tische zu finanzieren. Seitdem finden die Sitzungen immer noch in Lusias Wohnzimmer statt, doch Irland ist in Lusias Vorstellung ein sehr großes reiches Land. International ist auch CARE, die NGO, die monatlich nach Fatululik kommt, um nach den unterernährten Kindern zu schauen und Essenspakete zu verteilen. Weil das CARE-Auto regelmäßig von Suai angefahren kommt, übernimmt es auch wichtige Transportaufgaben für die Dorfbewohner und liefert alles, was sie Wochen zuvor bestellt haben.
Lokaler Besuch wird ebenfalls fast rund um die Uhr empfangen in Lusias Wohnzimmer. Das gilt für den inoffiziellen Besuch von Freunden oder Familienmitgliedern genauso wie für offizielle Gäste, und oft genug gehören offizielle Gäste zu Lusias erweitertem Familien- und Freundesnetzwerk. Besonderen Wert legt Lusia auf den Besuch der lokalen Grenzpolizei: neben ihrem Radio zu Hause ist die Polizeistation Lusias einziger Nabel zur Außenwelt. Da es weder Mobilfunkempfang noch Festnetz gibt in Fatululik, ist Lusia auf das polizeiliche Funknetz angewiesen und darauf, dass die Polizei die Informationen weitergibt. So versucht sie mit zuckersüßen Kaffee in ihrem Wohnzimmer den Informationsfluss am Laufen zu halten.
Im Wohnzimmer fand auch das Interview statt, als eine NGO-Vertreterin aus Dili anreiste, um Lusia als Frau und weibliche Dorfvorsteherin zu befragen, Stichwort ‘gender’. Was denkt Lusia über die Gleichstellung der Geschlechter? Zunächst einmal herrscht auf den wichtigsten Problemgebieten in Fatululik weitgehend Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern, im negativen Sinne. Es gibt nicht genügend Essen für alle, kaum bezahlte Arbeit, keine Elektrizität und kaum Zugang zu Informationen. In Sachen Transport müssen die meisten Dorfbewohner einen achtstündigen Fußweg auf sich nehmen und einen Fluss ohne Brücke überqueren, um in die Provinzhauptstadt Suai zu gelangen. Irgendwo an dieser Stelle kommt vermutlich ‘häusliche Gewalt’ auf Lusias Problem-Prioritätenliste. Und ein Lösungsansatz dafür ist für Lusia nicht zu denken, ohne sowohl Frauen als auch Männer einzuschließen und Probleme wie Arbeitslosigkeit und Informationszugang mit zu beachten. Am letzten Workshop zu häuslicher Gewalt in Post-Konflikt-Gebieten konnte Lusia leider nicht teilnehmen. Bis sie über die Polizei von dem Workshop erfuhr, war es bereits zu spät, um den zweitägigen Weg nach Dili auf sich zu nehmen. Ganz abgesehen von der Frage, ob der Fluss überhaupt überquerbar gewesen wäre.
Zurück zum Fluss also, Tafara. Weiter im Süden verläuft die Grenze zwischen Ost- und Westtimor in den Bergen, so dass Tafara nicht mehr die Grenze bildet, sondern zu Osttimor gehört. Hier ist der Fluss nicht eine einst erdachte Trennungslinie auf der Landkarte, sondern ein sehr realer Graben zwischen Fatululik und dem Rest der Welt. Irgendwann einmal hat die indonesische Regierung versucht eine Brücke über den Tafara zu bauen. Die Brücke selbst wurde noch im Bauprozess weggeschwemmt, die Brückenpfeiler stehen noch heute. Besonders in der Regenzeit ist es nun häufig schwierig und riskant, den Fluss zu überqueren. Es erfordert die Kraft mehrerer Helfer. Hat es zwei Tage lang durchgeregnet, stehen allerdings auch die stärksten Dorfbewohner Fatululiks den Wassermassen hilflos gegenüber. Abgesehen von der Jahreszeit symbolisiert der Tafara jedoch auch den Graben zwischen Lusia in Fatululik und der zentralen Regierung in Dili - und damit zwischen den Leuten, die einst für die Unabhängigkeit des Landes in den Bergen kämpften, und denjenigen, die den Weg des unabhängigen Landes jetzt bestimmen. Irgendwie scheint es sich wieder heimzuzahlen, in einem Ort am Rande des Landes zu leben und so nah an der Grenze, dass man nachts sehen kann, wie sich die indonesischen Grenzposten Strom leisten können.
Doch Lusia hat nicht kämpfen gelernt in den Bergen, um sich von
einem Fluss an der Verfolgung ihrer Ziele hindern zu lassen. Hin und wieder,
wenn sie es sich zeit- und geldmäßig leisten kann, nimmt sie
teil an einer der vielen Veranstaltungen in der Hauptstadt, berichtet dort
vom Alltag in Fatululik, und was sie daran ändern will. In Dilis klimatisierten
Hotelräumen erntet sie dann für einen kurzen Moment lang Staunen
und Bewunderung, bevor sich die geladenen Gäste wieder den wirklichen
Problemen des Landes zuwenden. Bei der letzten nationalen Frauenkonferenz
kündigt eine Sprecherin Lusia an: „Wir begrüßen herzlich
Lusia Guterres, weit angereist aus Fa… äh… Fa…?” Fatululik antwortet
Lusia, wenn sie nach dem Hintergrund ihrer ungewöhnlichen Position
gefragt wird. Dort sind es mehrere Orte, die Lusias Geschichte erzählen,
und vielleicht auch einen Teil der Geschichte des Landes. „Fatululik!”
ruft Lusia der Sprecherin zu, die danach peinlich berührt zu ihrem
Stand zurückkehrt, um für eine internationale Hilfsorganisation
Schokokrokodile zu verkaufen. <>
Lusia – A Daughter of Fatululik
Produktion und Regie: Angela Smith und Ruth Streicher, Schnitt: Jono
van Hest Peripheral
Vision Films 2006, Laufzeit: 56 min.
Der Film kann für einen Unkostenbeitrag von 10 Euro (bitte überweisen
Sie den Betrag an Ruth Streicher, KSK Tübingen, BLZ 64150020, Konto
1600186) und mit Angabe der eigenen Adresse bestellt werden bei: Ruth Streicher
(ruth.streicher@googlemail.com).
Die Filmemacherinnen beabsichtigen, im Herbst diesen Jahres nach Fatululik
zurück zu kehren und das übrige Geld für Projekte in Fatululik
zur Verfügung zu stellen.
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