Suara Nr. 2/2008 (Politik)

 

Kommentar:

Völker hört die Signale!

Wie wirkt deutsche Innenpolitik auf Indonesiens Reformbemühungen?

von Alex Flor


Es wird häufig beklagt, dass die Außenpolitik eines Landes von innenpolitischen Zielsetzungen geleitet ist. Diplomatische Krisen, ja sogar Kriege sind geeignet, von Schwierigkeiten im eigenen Land abzulenken oder die Popularität eines Politikers zu steigern. Die Konfrontationspolitik des ersten indonesischen Präsidenten Sukarno gegen Malaysia ist ein Beispiel, ebenso wie das kategorische Nein von Bundeskanzler Schröder zu einer Beteiligung am Irakkrieg, welches nicht unmaßgeblich zu seiner Wiederwahl beitrug. Doch wie steht es eigentlich um die Auswirkungen der Innenpolitik auf die außenpolitischen Ziele?
 

Die Welt wächst zusammen und kein Staat kann es sich auf Dauer leisten, sich dieser einfachen Tatsache zu entziehen. So predigen es diejenigen, die in der Globalisierung vornehmlich Chancen zu sehen glauben. Und ganz ähnlich argumentieren auch Vertreter von Eine-Welt-Gruppen, die in der Globalisierung eher Gefahren zu erkennen glauben. Längst muss sich die Politik eines jeden Landes an den Erfordernissen der „Weltinnenpolitik“ messen lassen, wenngleich die Fachleute noch darüber streiten, was genau eigentlich unter diesem schönen Begriff zu verstehen ist.

Die einen mögen in der Globalisierung gleiche Chancen und Risiken für alle sehen, während die anderen ihnen deshalb Naivität oder interessengeleitetes Denken unterstellen. Grob vereinfacht sehen die Kritiker in der Globalisierung eine Bipolarität, in welcher die reichen und mächtigen Staaten – und vor allem die hier ansässigen transnational agierenden Unternehmen – einen enormen Gestaltungsspielraum genießen, wohingegen die ärmeren Staaten und deren Ökonomien unter Anpassungsdruck gesetzt werden. Ebenso konträr werden auch Ursachen und Strategien zur Begegnung des Terrorismus diskutiert. Doch auch hier sind sich die Kontrahenten der unterschiedlichen politischen Lager zumindest in einem Punkt einig: es handelt sich um ein Problem internationalen Ausmaßes.

Theoretisch herrscht also Konsens darüber, dass es längst nicht mehr gleichgültig ist, wenn in China ein Reissack umfällt. Denn heutzutage kann – zugegebenermaßen ein wenig überspitzt formuliert – der umgefallene Reissack in China Auswirkungen auf die Nahrungsmittelpreise bis nach Afrika oder Südamerika haben.

Angesichts des breiten Konsens' über die globalen Zusammenhänge ist es erstaunlich, ja mitunter gar beängstigend, mit welchem Grad an Provinzialität in Deutschland politische Debatten angestoßen oder gar Entscheidungen getroffen werden. Allzu oft wird dabei deutlich, dass selbst den angeblich überzeugtesten „Weltinnenpolitikern“ kurzfristige Sympathiegewinne bei den heimischen Wählerinnen und Wählern immer noch wichtiger erscheinen als die möglichen Folgen ihrer Politik auf die paar Milliarden übriger Erdenbewohner –, die ja möglicherweise wieder Rückwirkungen auf den eigenen Wahlkreis haben könnten.

Bei vielen, so scheint es, reicht der Horizont noch immer nicht über die Handvoll wirtschaftlich mächtiger Staaten hinaus. Im Denken dieser Köpfe geht die neue zusammenwachsende Welt noch immer kaum über die alten transatlantischen Beziehungen hinaus. Nur ein paar wenige mächtige Staaten wie Russland, China oder Korea dürfen sich nun als neue Mitglieder zum feinen Club der „globalen Welt“ zählen. Und man neigt dazu, sich im globalen Wettbewerb an der Spitzengruppe zu orientieren, anstatt zu überlegen, welche Chancen ein konsolidierter Platz im Mittelfeld der Weltrangliste mit sich bringen könnte.

Die Mehrzahl der Staaten Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas spielt im „globalen Denken“ der PolitikerInnen bis heute nur eine untergeordnete Rolle. Dabei liegen genau in diesen Staaten viele Probleme der Zukunft: Solange sich die mehrheitlich in Ländern des Südens lebende muslimische Bevölkerung von den Früchten der Globalisierung ferngehalten sieht und sich aufgrund ihrer Herkunft bzw. ihres Glaubens diskriminiert fühlt, solange wird es mit und ohne Waffen keinen Frieden am Hindukusch geben – mit welchen Folgen auch immer für die Sicherheit und Freiheit in Deutschland.

Täglich sterben Armutsflüchtlinge aus Afrika beim Versuch nach Europa zu gelangen. Genaue Zahlen kennt wohl niemand. Schätzungen belaufen sich auf Größenordnungen von 10.000 und mehr seit Anfang der 90er Jahre beim Fluchtversuch ums Leben gekommene Afrikaner. Die Zahl der Mauertoten an der Grenze der USA zu Mexiko übersteigt jährlich die in 28 Jahren insgesamt bei Fluchtversuchen an der Berliner Mauer Getöteten, die sich nach unterschiedlichen Angaben auf 125 bis ca. 200 beläuft. Mitnichten soll dieser Vergleich dazu dienen, das Grenzregime der DDR zu verniedlichen.

Deutschlands Verantwortung in der Welt

Äh, hallo? Hört noch jemand zu?? Ich sprach gerade von mindestens 10.000 Toten an den Grenzen nach Europa...

Wie bitte? Ach so, die sind selber schuld, wenn sie sich auf Schlepperbanden einlassen, die nicht der DIN-Norm entsprechen. Und vor allem diese kriminellen Schlepper sind schuld, weil sie aus der Not der Flüchtlinge Kapital zu schlagen versuchen. Ja, ja, sicher: kriminell. Aber bitte wie war das gleich noch mal mit der Not der Flüchtlinge? Galten eigentlich Fluchthelfer an der DDR-Grenze im Westen auch als Kriminelle? Ach so, das ist nicht vergleichbar. Wegen Geschichte, gemeinsames Volk und so. Es waren auch keine Schwarzen, sondern halt Deutsche von „drüben“. Verstehe...

Weltinnenpolitik muss heißen, sich den Problemen der Entwicklungs- und Schwellenländer offensiv zu stellen und im wohl verstandenen eigenen Interesse auf eine Verbesserung in diesen Herkunftsländern der Flüchtlinge hinzuwirken. Die wirksame Verbesserung der Lebensumstände, der Zugang zu Nahrung, sauberem Wasser, medizinischer Versorgung und Bildung sind langfristig ein besserer Schutz gegen die Gefahren des Terrorismus als alle klassischen Instrumente der Sicherheits-und Verteidigungspolitik zusammen.

Doch wie sehen die Zahlen aus? Seit Jahren verfehlt Deutschland das Ziel 0,7 % des Bruttosozialproduktes für den Entwicklungshaushalt zur Verfügung zu stellen. Trotz einer gewaltigen Steigerung um 14,3 % betragen die geplanten Ausgaben für Entwicklungsaufgaben im Bundeshaushalt 2008 nur 5,13 Mrd. Euro – das ist wenig mehr als ein Sechstel des Verteidigungshaushaltes in Höhe von 29,45 Mrd. Euro.

Es geht jedoch um weit mehr als nur um bares Geld. Ein bisschen Entwicklungshilfe kann die immensen Probleme der armen Länder auf keinen Fall lösen. Ein kleines Land wie Osttimor mit ca. 1 Mio Einwohnern mag für eine Übergangszeit am Tropf der internationalen Geldgeber – mehr schlecht als recht – überleben können. Im Haushalt des riesigen Nachbarn Indonesien, einem der so genannten „Ankerländer“ der deutschen Entwicklungspolitik, machen ausländische Hilfen nur einen Bruchteil des Haushaltes auf. Im Idealfall können durch Entwicklungsprojekte wichtige Impulse gegeben werden, viel mehr ist realistischerweise nicht möglich.

Impulse setzen, Orientierung geben, Vorbild sein: was wäre dafür geeigneter als das eigene Verhalten? Sprich: die Politik im eigenen Lande. In sich demokratisierenden Staaten wie Indonesien oder Osttimor dienen nicht wenige deutsche Errungenschaften als Beispiel und Vorbild. Es ist das täglich Brot der politischen Stiftungen, vieler NGOs und Entwicklungsorganisationen in diesen Ländern bestehende Fragen zum deutschen Parlamentarismus, zum deutschen Bildungs- und Rechtssystem, zu Wesen und Funktion des Sozialstaats oder zur „inneren Führung“ der Bundeswehr zu beantworten. Ob das deutsche Gesetz zur Parteienfinanzierung oder die 5%-Hürde bei Wahlen – es gibt fast nichts, wofür sich die Partner nicht interessieren würden. Und diese Fragen werden keineswegs nur aus akademischem Interesse gestellt, sondern haben durchaus praktische Auswirkungen. Nicht zufällig erfolgten die Reform der indonesischen Zentralbank, die Verabschiedung des Anti-Kartellgesetzes oder die Einrichtung des Verfassungsgerichtes in Jakarta unter enger Anlehnung an das deutsche Vorbild und unter maßgeblicher beratender Tätigkeit deutscher Experten. Derzeit diskutiert Indonesien unter reger Beteiligung deutscher Partner die Vorlage eines Verwaltungsverfahrensgesetzes und die Reform des Sicherheitssektors.

Doch die Erfolge dieser Zusammenarbeit geraten in Gefahr, wenn in Deutschland selbst zunehmend die Grundwerte der Politik, wie sie die letzten 60 Jahre galten, beschnitten oder gar auf den Kopf gestellt werden.

Beispiel Ausländerpolitik

Am naheliegendsten und daher noch am häufigsten öffentlich debattiert ist die Signalwirkung, die vom Umgang mit AusländerInnen und MigrantInnen ausgeht. Logisch: erfahren Angehörige bestimmter Staaten oder Ethnien in einem Land Benachteiligung, Diskriminierung oder gar Verfolgung, so hat das unweigerlich Auswirkungen darauf, wie BürgerInnen des entsprechenden Landes im Heimatland der Betroffenen begegnet wird. Zu Recht wurden ausländerfeindliche Ausschreitungen in Deutschland auch unter diesem Aspekt diskutiert.

Glücklicherweise wurden indonesische StaatsbürgerInnen bislang nur in wenigen Einzelfällen zum Objekt ausländerfeindlicher Angriffe – und dies meist deshalb, weil sie fälschlicherweise für VietnamesInnen („Fidschis“) gehalten wurden. Schlimm genug.

Zu Spüren bekommen IndonesierInnen vor allem Veränderungen, die nicht von Neonazis und anderen erklärten Ausländerfeinden, sondern von staatlichen Maßnahmen ausgehen: als vor einigen Jahren Pläne kursierten, alle muslimischen StudentInnen in Deutschland der Rasterfahndung zu unterziehen, führte dies zu einem Aufschrei unter den hier lebenden IndonesierInnen. Während dieses Thema schnell ad acta gelegt wurde, sorgen Verschärfungen im Aufenthaltsrecht und bei der Erteilung von Visa weiterhin für erheblichen Missmut.

Dabei steht Deutschland nicht alleine. Auch andere Staaten verschärften die Einreisebedingungen für IndonesierInnen. Wenig überraschend reagierte Indonesien darauf mit einer ebenfalls restriktiveren Politik der Visavergabe. Seit einiger Zeit benötigen Touristen aus den meisten Ländern für Reisen nach Indonesien ein von der jeweiligen Botschaft ausgestelltes Visum. Für BürgerInnen aus einer Reihe von Staaten gibt es allerdings das Privileg, direkt bei der Ankunft am Flughafen für eine Gebühr von 25 Dollar ein „visa on arrival“ zu erstehen, welches einen Aufenthalt von max. 30 Tagen erlaubt. Interessant an dieser Regelung ist die Liste der Staaten, für welche dieses Privileg gilt, sowie die Liste derjenigen Staaten, deren BürgerInnen nach wie vor ohne Visum einreisen dürfen. Diese Listen können als Gradmesser der jeweiligen bilateralen Beziehungen interpretiert werden, denn sie beruhen auf strikter Gegenseitigkeit: BürgerInnen aus Staaten, welche von IndonesierInnen kein Visum verlangen, dürfen auch in Indonesien ohne Visum einreisen. Hierzu zählen Staaten des ASEAN-Bundes, einige islamische Staaten und ein paar wenige andere. Die Schengen-Staaten Europas werden trotz ihrer identischen Visabestimmungen unterschiedlich behandelt. Je nach dem Stand des bilateralen Verhältnisses zur früheren Kolonialmacht, kommen BürgerInnen der Niederlande mal in den Genuss des Privilegs der „visa on arrival“-Regelung und mal nicht.

Die Praxis der Visaerteilung ist nicht zuletzt deshalb besonders gut als Gradmesser der politischen Beziehungen geeignet, weil sich internationalen Gepflogenheiten entsprechend kaum ein Staat trauen wird, Einwände gegen die jeweiligen Bestimmungen zu erheben und Druck auszuüben. Es gilt als allgemein anerkanntes Hoheitsrecht eines jeden Staates, die Regeln zur Einreise von AusländerInnen festzulegen. In kaum einem anderen Bereich der bilateralen Beziehungen kann und muss mit so viel Zurückhaltung gerechnet werden.

Dass dieses Beispiel dennoch nicht das einzige ist, bei dem es gilt, die eigene Politik zu überdenken, sollen die folgenden Beispiele zeigen.
 

Beispiel Sozialstaat

In Indonesien sah ich Leute an Krankheiten sterben, denen jeder einfache Landarzt hätte das Leben retten können. Alleine, sie hatten nicht das Geld, um diesen Landarzt und die notwendigen Medikamente zu bezahlen. Eine allgemeine Krankenversicherung, die für alle Arbeitnehmer verpflichtend ist und zu der die Arbeitgeber die Hälfte beisteuern müssen, gibt es in Indonesien nicht. Wer nicht Verwandte oder Freunde hat, die im Notfall bares Geld auf den Tisch legen können, darf froh sein, wenn ihm die Krankenhäuser und Gesundheitsdienste auch nur erste Hilfe leisten.

Insbesondere nach der Asienkrise Ende der 90er verloren viele Leute ihren Job. Die Firmen, für die sie gearbeitet hatten, waren entweder pleite oder fanden in Staaten wie China, Burma, Indien oder Vietnam günstigere Standortbedingungen und wanderten ab. Eine Arbeitslosenversicherung gibt es nicht. Renten und Pensionen belaufen sich auf lächerliche Beträge: ein ehemaliger hoher Beamter, wie z.B. ein Oberstaatsanwalt, erhält monatlich ca. 100 Euro Pension. Davon soll er seine Familie ernähren und seinen noch in Ausbildung befindlichen Kindern eine bessere Zukunft sichern. Eine ehrliche Haut hat leider Pech gehabt, sich nicht zu Berufszeiten um lukrative Nebeneinkünfte gekümmert zu haben, denn mit 100 Euro im Monat macht man auch in Indonesien keine großen Sprünge.

Wie oft habe ich, stolz auf mein Land (ja ja, das hätte ich mir früher nie träumen lassen...), die Grundzüge des deutschen Sozialstaats erklärt, in dem solche Nöte bislang unbekannt schienen. Und was war ich deprimiert, als ich gewahr wurde, wie der deutsche Sozialstaat Stück für Stück demontiert zu werden begann! Alles, was ich in Indonesien als erstrebenswerte Errungenschaften anpreisen wollte, wurde in meinem eigenen Land systematisch abgebaut. Wer viele Jahre gearbeitet und Abgaben bezahlt hat, sieht sich heute nach wenigen Monaten in der Arbeitslosigkeit nurmehr als Hartz IV-Empfänger mit Bezügen auf Sozialhilfeniveau! Deutschlandkenner in Indonesien belächeln mich inzwischen, wenn ich über die Vorzüge der allgemeinen Kranken- und Sozialversicherung erzähle. Wieso sollten sie ein System einführen, an welchem sich ein reiches Land wie meines in den vergangenen fetten Jahren offenbar übernommen hat? Die Werbung für Lebensversicherungen und andere Formen der privaten Alterssicherung kommt dagegen auch in Indonesien gerade gut in Schwung, wenngleich auf noch sehr geringem Niveau.

Beispiel Bildung

Jeder und jede hatte in Deutschland Anspruch auf eine kostenlose Ausbildung bis zum Universitätsabschluss. Einzig die nachgewiesene geistige Fähigkeit (Abiturzeugnis) zählte, um an einer Uni aufgenommen zu werden. Für andere gab es Wartelisten und andere Mechanismen (Medizinertests). Ausgeschlossen war praktisch niemand, vor allem nicht aufgrund mangelnder finanzieller Gründe. Die hochbegabte Tochter aus einem Arbeiterhaushalt mit Migrationshintergrund konnte ohne Weiteres promovieren, um danach einen hochdotierten Job anzunehmen. Ein Beispiel deutscher Realität, auf das ich stolz war.

Doch spätestens mit der Einführung von Studiengebühren wurde mit dieser Tradition gebrochen. Bislang mögen die Gebühren an den meisten deutschen Unis noch bezahlbar sein. Doch darauf kommt es nicht an: der Punkt ist, dass das Prinzip der kostenfreien Ausbildung zu Grabe getragen wurde. Die künftige Anhebung der Gebühren um wie viel Prozent auch immer ist nur noch eine Formsache, ähnlich der regelmäßigen Erhöhung von Straßenbahntarifen.

Schauen wir wieder nach Indonesien – stellvertretend als eines von sicher vielen Entwicklungs- und Schwellenländern mit ähnlichen Rahmenbedingungen: Dem amerikanischen Muster folgend, sind Universitäten und Akademien hier grundsätzlich kostenpflichtig. Lediglich die staatlichen Schulen sind theoretisch kostenfrei. Aber selbst dort werden Eltern regelmäßig für Einrichtungen und Verbrauchsmaterial der Schule zur Kasse gebeten: kaputtes Dach, Tafelkreide, und was man in einer Schule halt alles so braucht. Eltern zahlen für Schulbücher und Schuluniformen. Für viele ist bereits diese Belastung zu groß, so dass die Kinder angehalten werden, lieber im Haushalt zu helfen, in der Landwirtschaft oder in Fabriken zum Einkommen der Familie beizutragen oder – viel zu früh – zu heiraten, anstatt weiter die Schule besuchen zu können.

Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder zunächst auf eine private (oftmals von einer Glaubensgemeinschaft geführten) Schule und danach – wenn möglich – zum Studium ins Ausland oder auf eine teuer zu bezahlende indonesische Universität. Ob diejenigen, die sich das leisten können, auch tatsächlich immer die geistig Fähigsten sind, ist dabei zweitrangig. Nach meiner Einschätzung gibt es zahlreiche indonesische Akademiker, deren intellektuelle Kapazität mehr als zu wünschen übrig lässt. Dem gegenüber steht eine Unmenge durchaus intelligenter Leute, denen es jedoch mangels finanzieller Möglichkeiten nicht vergönnt war, mehr als einen Hauptschulabschluss zu erlangen.

Während jedoch die vermögende Elite zunehmend unter dem Zwang steht, bei steigenden Kosten einen westlichen Standards vergleichbaren Bildungsgrad zu erlangen, wird die Zahl derer, die an den finanziellen Hürden scheitern, immer größer. Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Gebildet und Ungebildet öffnet sich immer weiter – mit völlig unabsehbaren Folgen für den sozialen Frieden. Schon jetzt zeichnet sich eine Zuwendung der sozial Unterprivilegierten zu religiösen und traditionell-ethnischen Werten ab. Eine weitere Öffnung der Schere birgt das Risiko der Radikalisierung dieser Strömungen, die sich letztlich auch auf Frieden und Sicherheit in den Ländern des Westens auswirken könnte.

Für die Privilegierten genoss Deutschland bislang einen hohen Stellenwert, denn unter anderem zehrt Indonesiens Bildungselite noch immer vom großen Vorbild B.J. Habibie, der in Aachen studiert und promoviert hatte und es danach zum Minister für Forschung und Technologie sowie später kurzzeitig sogar zum Präsidenten der Republik geschafft hatte. Universitäten in Amerika standen zwar von jeher ebenfalls hoch im Kurs, da sie unter anderem den Vorteil hatten, dass dort auf Englisch unterrichtet wird. Für ein Studium in Deutschland sprach jedoch, trotz der zunächst zu erlernenden Fremdsprache, der hohe Ausbildungsstandard und vor allem die Tatsache, dass das Studium hier kostenfrei war.

Durch die Einführung von Studiengebühren entfällt dieser Standortvorteil. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Es steht aber zu erwarten, dass die Zahl der indonesischen (und anderer ausländischer) StudentInnen abnehmen wird. Selbstverständlich wird damit auch die Zahl der AbsolventInnen abnehmen, die später im Beruf auf Maschinen, Geräte und Dienstleistungen aus Deutschland zurückgreifen werden: Der Absolvent einer deutschen Uni neigt zum Kauf einer deutschen Telefonanlage, z.B. von Siemens. Absolventen amerikanischer Unis sind dagegen eher mit US-Produkten vertraut und werden folglich diesen den Vorzug geben.

Beispiel Sicherheitssektorreform

Über Jahrzehnte hinweg war Indonesien geprägt vom System der „Neuen Ordnung“ unter Präsident Suharto. Der autokratische Herrscher ist der bislang einzige Indonesier, dem der – eigentlich gar nicht vorgesehene – Rang eines Fünf-Sterne Generals verliehen wurde. Suhartos Macht war gestützt auf das Militär, welches ohne Mandat der Wählerinnen und Wähler ein Fünftel der Parlamentssitze einnehmen durfte. Das Militär kam in den Genuss der so genannten „dwifungsi“ – der Doppelfunktion zur Wahrnehmung der inneren und äußeren, verteidigungs- und innenpolitischen Sicherheit. Die Territorialstruktur (koter) erlaubt dem Militär eine der politischen Verwaltung parallele Machtstruktur, die einst bis in die kleinsten Dörfer hinunter reichte. Aufgrund einer auf bis zu zwei Dritteln geschätzten Eigenfinanzierung des Militärs durch legale und illegale wirtschaftliche Aktivitäten, war und ist das Militär ein „Staat im Staate“, welcher sich nur äußerst schwer unter die Kontrolle von Staat und Regierung bringen lässt. Dem Militär werden zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen angelastet, für welche bis heute praktisch niemand ernsthaft zur Verantwortung gezogen wurde. Im Zuge der Reformpolitik nach dem Rücktritt Suhartos wurden den Streitkräften ihre Parlamentsmandate entzogen. Auch wurde eine institutionelle Trennung von Militär und Polizei vollzogen, die allerdings bis zum heutigen Tage daran krankt, dass keine klare Trennung der jeweiligen Aufgaben der Wahrung der äußeren bzw. inneren Sicherheit damit einhergeht. Somit bleibt die Macht des Militärs weiterhin ungebrochen ein wesentlicher Faktor im Kräftegleichgewicht der indonesischen Politik.

Dieser Zustand schreit geradezu nach deutscher Beratung. Denn „auferstanden aus Ruinen“ gab sich die Bundesrepublik Deutschland 1949 eine Verfassung, welche eine Wiederholung der Fehler und Unzulänglichkeiten des wilhelminischen Reiches und der Weimarer Republik sowie natürlich insbesondere des brutalen Gewaltregimes der Nazis für alle Zeit verhindern sollte. Die strikte Trennung von Aufgaben zur Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit war wesentlicher Bestandteil dieser Verfassung: zuständig für die innere Sicherheit ist die unter Länderhoheit befindliche Polizei, zuständig für äußere Sicherheit ist die Bundeswehr. Doch längst wurden Grauzonen geschaffen, die diese klare Aufgabentrennung untergraben: Kanzler Helmut Schmidt ordnete angesichts einer Sturmflut an, dass die Bundeswehr zu Aufgaben des Katastrophenschutzes auch im Inneren eingesetzt werden darf. Sicher gut gemeint und angesichts der Naturkatastrophe praktisch gedacht, öffnete Schmidt damit die Tür für weitergehende Diskussionen um die Rolle der Bundeswehr im eigenen Land. Viele Jahre später wandelte sich der Bundesgrenzschutz zur „Bundespolizei“ und nahm damit den Ländern die Hoheit über die Wahrung der inneren Sicherheit.

Und jüngst wartete die CDU mit einem Strategiepapier auf, welches die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit weiter verwischen sollte. Das Papier sah weiterhin die Beschneidung der parlamentarischen Kontrolle über Einsätze der Bundeswehr vor. Glücklicherweise fällte das Bundesverfassungsgericht unmittelbar danach ein Urteil, welches für Einsätze der Bundeswehr die Notwendigkeit einer Entscheidung des Parlaments unterstrich.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten! Denn auch solche Diskussionen werden in Indonesien aufmerksam verfolgt. In Interviews westlicher Medien auf die Rolle des Militärs bei der Niederschlagung von Protestaktionen angesprochen, verweisen rhetorisch gewandte Generäle seit Jahren auf Beispiele aus dem scheinbar fortschrittlichen und demokratischen Westen: Setzten nicht auch die USA 1992 angesichts der Unruhen in Los Angeles neben der Polizei auch die Nationalgarde und weitere Einheiten des Militärs ein? Hat nicht auch Großbritannien die Armee nach Nord-Irland geschickt, um dort die Angriffe durch die IRA zu bekämpfen?

Wie lange wird es wohl dauern, bis sich Indonesiens Generäle die Vorschläge der CDU zu Eigen machen werden, um sämtliche – auch von deutscher Seite – vorhandenen Anstrengungen zu einer Reform des indonesischen Sicherheitssektors zu konterkarieren?

Vielleicht wäre es an der Zeit, mal ein Zeichen zu setzen, indem Deutschland sich eine positive Attitüde der indonesischen Politik zu Eigen macht. Und sei es auch nur der mitunter etwas gelassenere Umgang mit scheinbar drängenden Problemen.<>
 
 

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