Suara Nr. 2/2008 (Osttimor)

 

Für eine Handvoll Dollar

steigende Preise, Missmanagement und Korruption

von Henri Myrttinen


Ende März 2008 traf sich in Dili die Regierung Osttimors unter der Leitung von Premierminister Xanana Gusmão mit Delegierten aus 23 Geberländern, der UN und mehrerer NROs zum ersten ‚Development Partners Meeting’ seit dem Ausbruch der Krise 2006. Es war somit auch das erste derartige Treffen für die AMP-Regierung (Majority Alliance in Parliament), deren Mitglieder im Wahlkampf die vorherige Fretilin-Regierung oft wegen Untätigkeit in der Umsetzung der entwicklungspolitischen Ziele angegriffen hatten.

Sechs Schwerpunkte

In ihrem Bericht an die Geberländer (RDTL, 2008) warb die Regierung Gusmãos um Mittel für Projekte in den sechs folgenden Schwerpunktgebieten:

Die Geberländer billigten die von der osttimoresischen Seite vorgeschlagenen programmatischen Schwerpunkte und die Regierung versprach, schon bis zum Ende des Jahres eine Reihe von konkreten Maßnahmen in allen sechs thematischen Gebieten durchzuführen.

Die von der Regierung als Schwerpunkte identifizierten Themen sind durchaus nachvollziehbar: die Sicherheitslage ist weiterhin prekär, Einkommen sind laut dem für die Konferenz von der osttimoresischen Regierung gefertigten Hintergrundpapier seit 2002 um 20 % gesunken und die Jugendarbeitslosigkeit ist von 40 % auf 58 % gestiegen, und dies vor dem Hintergrund einer weltweit der am schnellsten wachsenden Bevölkerungen. Wie die an dem Treffen teilnehmenden osttimoresischen NROs und ihre internationalen Partner in ihrem Pressecommuniqué feststellten, kann nachhaltige Sicherheit in Osttimor nicht nur durch die Sicherheitskräfte hergestellt werden:

„Until problems such as unemployment, poverty, alienation, trauma, inconsistent law enforcement, weak judicial system, unclear land rights, and people feeling excluded from the government are dealt with, no number of men with guns will make people feel secure.” (Forum ONG, 28.03.2008)

Im Wahlkampf 2007 wurde die damalige Fretilin-Regierung oft der Untätigkeit und Inkompetenz bezichtigt, weil sie es nicht schaffte, ihre im Budget vorgesehenen Mittel wie geplant auszugeben. Wird es die AMP-Regierung, sofern sie nicht gestürzt wird, schaffen, die beim Gebertreffen gegebenen Versprechen einzuhalten?

Die Regierung selber gibt sich schon in ihrem vor den Geberländern auf der Konferenz abgegebenen Bericht selbstkritisch. Sie gab zu, dass die Zusammenstellung ihres Aktionsplans keine ‚perfect exercise’ gewesen sei und dass es im Staatsapparat an Transparenz, Effizienz, Know-How und Humankapital fehle.

Wie sieht es mit den einzelnen Themengebieten aus?

Nachdem die letzten Meuterer („petitioners“) unter Salsinha sich ergeben haben, stehen in punkto Sicherheit die Chancen besser denn je, die Anfang der Krize 2006 kritische Lage zu stabilisieren. Dies liegt natürlich nicht nur in den Händen der Regierung, denn es müssen auch die Petitioners, die Banden und andere potentiell gewaltbereiten Gruppen sowie die oppositionelle Fretilin mitspielen. Seitens der Regierung bedarf es hierbei eines Fingerspitzengefühls, an dem es in den letzten Jahren oft schmerzlich gefehlt hat. Unbedingt müssen auch die jeweiligen gesellschaftlichen Rollen der Streitkräfte PNTL und F-FDTL sowie privater Sicherheitsfirmen geregelt werden und eine transparente, demokratische Kontrolle des Sicherheitssektors gewährleistet werden. Auch hat es oft  am Demokratieverständnis der Sicherheitskräfte gemangelt, was z.B. jüngst bei der Durchsetzung des Ausnahmezustands und der Ausgangssperre sichtbar wurde (siehe auch ICG, 2008; Wilson, 2008).

Im Bereich der inneren Sicherheit will die Regierung auch im Bereich der Justiz Verbesserungen durchführen, unter anderem auch um den Rückstau von rund 4.700 unerledigten Fällen abzubauen. Wie die timoresischen NROs aber korrekterweise in ihrem Pressekommuniqué erwähnen, ist die ‚Culture of Impunity’ im Justizbereich, durch die vor allem Mitglieder der politischen und gesellschaftlichen Elite entweder gar nicht von der Justiz belangt oder aber amnestiert werden, ein größeres politisches Problem, welches auch zur politischen Instabilität beiträgt. Auch im Bereich der sexualisierten und häuslichen Gewalt gibt es enormen Verbesserungsbedarf. Zum Beispiel wurde in Oecussi neulich ein Mann, der seine Frau mit einem Holzstück verprügelt hatte 1,zu einem Monat Haft verurteilt, während für die angebliche Verleumdung eines Polizisten das doppelte Strafmaß und 30 Dollar Geldstrafe verhängt wurde (JSMP, 2008; s. auch Forum ONG, 2008).

Beim Thema Soziales sind die Herausforderungen immens und nicht in einer Legislaturperiode zu bewältigen. Einige der dringendsten Probleme können und müssen schnellstmöglich angepackt werden, bevor sie selber zu Problemen der inneren Sicherheit werden. Das brennendste soziale Problem sind natürlich die Binnenflüchtlinge, welche schon seit zwei Jahren in Camps ausharren, die verständlicherweise auch zu Zentren des politischen und sozialen Missmuts geworden sind. Die Rückkehr der Flüchtlinge ist direkt an die empfundene Sicherheitslage gebunden, und in einer Art Rückkopplungseffekt beeinflusst wiederum die andauernde Existenz der IDP-Camps (IDP – internally displaced people) das allgemeine Sicherheitsempfinden. Die Regierung, die UN und die verschiedenen internationalen Hilfsorganisationen haben 2008 schon erfolgreich mit der Rückführung von Binnenflüchtlingen begonnen, aber das Tempo ist noch eher schleppend. Neben den Binnenflüchtlingen will die Regierung auch intensiver andere benachteiligte Gruppen unterstützen, so z.B. die Veteranen des Unabhängigkeitskampfes (deren Zahl von der Regierung auf 75.000 geschätzt wird), Alte und Behinderte.

Direkt mit der Sicherheitslage und der Rückführung von Binnenflüchtlingen verbunden ist der Themenkomplex Jugend und Gewalt. Oder genauer: die Probleme von jungen, hauptsächlich (peri-)urbanen, gewaltbereiten Männern, überwiegend aus den sozialen Unterschichten; denn wenn man in Osttimor über die Probleme der Jugend redet, meint man zum Beispiel nicht die Situation junger Frauen in der Gesellschaft. Dabei muss aber auch gleich ergänzt werden, dass die Bandengewalt keineswegs nur ein Problem des Lumpenproletariats ist, also ein Problem der ema beik aus den armen bairos, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Dieses Problem anzupacken bedarf einer Vielzahl von Maßnahmen, von der Jugendarbeit über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis hin zu der Entwicklung von alternativen, nicht-gewalttätigen Formen der Konfliktlösung. Die von der Regierung versprochenen Maßnahmen bestehen hauptsächlich aus Jugend- und Sportarbeit. Hierdurch wird zwar eines der Probleme, die Langeweile, behoben, jedoch nicht kompliziertere Aspekte wie die gesellschaftlichen und politischen Verflechtungen der Banden und Kampfsportgruppen oder die strukturelle Arbeitslosigkeit.

In punkto Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat die Regierung vor, zweigleisig zu fahren. Einerseits sollen öffentlich finanzierte Arbeiten, vor allem im Strassenbau, kurzfristig Arbeitsplätze schaffen. Mittel- und längerfristig will die Regierung auch den privaten Sektor stärken und diese zum Motor der Wirtschaft machen. Um dies zu erreichen sollen die bürokratischen Hürden, die der Existenzgründung im Wege stehen, abgebaut werden und das heikle Thema des Landbesitzes geklärt werden. Auch soll die Nahrungsmittelsicherheit im Lande verbessert werden (siehe auch Reispolitik von Monika Schlicher, zu diesem komplexen Thema). Ob die geplanten Maßnahmen zu einer erfolgreichen Ankurbelung der Wirtschaft führen, ist schwer abzuschätzen, wünschenswert wäre es auf jeden Fall.

Bei der Verbesserung der sozialen Dienstleistungen geht es vor allem um das Schulwesen und das Gesundheitssystem, besonders im ländlichen Bereich. Auch hier gibt es durchaus Verbesserungsbedarf, vor allem, was Frauen und Mädchen angeht. Durchschnittlich gehen Mädchen nur halb so lange zur Schule wie Jungen und sind in den höheren Klassen unterrepräsentiert. Auch im Gesundheitssystem kommen Frauen zu kurz, wobei im Bereich der reproduktiven Gesundheit die meisten Probleme zu beklagen sind.

Ob die Regierung ihre Ziele erreichen wird, hängt zu einem großen Teil auch vom letzten Punkt des den Geberländern vorgestellten Arbeitsplanes ab: kann die Regierungsfähigkeit im von Gusmão ausgerufenen ‚Jahr der administrativen Reform’ verbessert werden? Ein großes Problem hat die Regierung selbst in ihrem Hintergrundpapier angesprochen – das fehlende Humankapital in der Verwaltung. Diese wird nun seit Jahren durch die internationalen Partnerländer aufgebaut, aber es stellt sich zwangsläufig die Frage, ob man nicht auch hier umdenken müsste, wenn man es nach neun Jahren des externen capacity-building immer noch nicht geschafft hat, einen so kleinen Verwaltungsapparat wie den Osttimors effizient zu gestalten. Probleme hierbei sind unter anderem die fehlende Koordinierung zwischen den verschiedenen externen ‚capacity builders,’ die mangelhafte Qualität dieser Maßnahmen und die zu häufig stattfindenden Workshops und Seminare, sodass die daran beteiligten Personen der eigentlichen Verwaltungsarbeit nicht nachgehen können. Auch ist die derzeitige Verwaltungskultur im Land eher undynamisch und unflexibel: für jede noch so kleine Sache muss ein Antrag an die MinisterIn gestellt werden und dieser dann persönlich abgesegnet werden bzw. sogar noch vom Kabinett diskutiert werden. Da die MinisterInnen berechtigterweise oft wesentlich Wichtigeres zu tun haben als sich z.B. um eine Anfrage für eine einfache Statistik oder einen kleinen Dorfbrunnen zu kümmern, bleibt vieles im Apparat stecken. Ein letztes Problem, über das viel gemunkelt und getuschelt wird, ist die Korruption und Vetternwirtschaft. Wie groß dieses Problem ist, hat noch keine Instanz öffentlich und systematisch untersucht, aber dass wohl leider nicht alles mit rechten Dingen zugeht, zeigt z.B. der Blick auf die Reispolitik (s. Reispolitik in Osttimor).

Insgesamt hat sich die AMP-Regierung eine große, teilweise ehrgeizige Aufgabe gestellt. Viele der Problemfelder sind miteinander verflochten – die Sicherheit mit der Bandengewalt und der Situation der Binnenflüchtlinge, die Bandengewalt mit der Jugendarbeitslosigkeit usw. In der Zwischenzeit wächst aber auch die Ungeduld der Geberländer mit der politischen Führung Osttimors. Hinter vorgehaltener Hand macht bei manchen Vertretern der Geberländer schon das Wort von ‚donor fatigue’ die Runde. Die Regierung steht also sowohl extern als auch intern unter einem großen Erwartungsdruck. Man kann ihr bei der Bewältigung der immensen Probleme des kleinen Landes nur viel Erfolg wünschen. <>
 
 

1 Ein Fall von “nur” “…‘light’ maltreatment under Article 352, as the victim had suffered only minor injuries that had not interfered with her work,” wie die osttimoresische NRO JSMP trocken bemerkte
 
 

Quellen:

ICG, 2008. Timor-Leste: Security Sector Reform. International Crisis Group Asia Report N°143, 17 January 2008, Brussels: ICG

JSMP, 2008. JSMP Monitoring of hearings at the Oecusse district court: April 2008. Dili: Justice Sector Monitoring Programme

Forum ONG, 2008. Statement by NGOs to Development Partners Meeting, 28.03.2008, Forum ONG Timor Leste, abrufbar unter http://www.laohamutuk.org/econ/NGOsDPMMar08.pdf

RDTL, 2008. Working Together to Build the Foundations for Peace and Stability and Improve Livelihoods of Timorese Citizens. Timor-Leste and Development Partners’ Meeting (TLDP/TLDPM), 28-29 March 2008. Government of Timor Leste Background Paper, abrufbar unter http://www.laohamutuk.org/econ/2008_TLDPM_BPaper.pdf 

Wilson, B., 2008. Joint Command for PNTL and F-FDTL Undermines Rule of Law and Security Sector Reform in Timor-Leste, East Timor Law Journal 2/2008, abrufbar unter
http://www.eastimorlawjournal.org/ARTICLES/2008etlj2joint_command_ffdtl_pntl_wilson.html
 
 

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