Obwohl der Leuser-Nationalpark schon während des langen Acehkonflikts schwer geschädigt worden ist, hat der indonesische Forstminister M.S. Kaban Mitte 2005, nach der Tsunami-Katastrophe, fünf Holzkonzernen die Genehmigung zum Einschlag erteilt, angeblich für den Wiederaufbau. Auch der Handel mit illegalem Holz blüht, und neben Lokalpolitikern sind ehemalige GAM-Führer ins Holzgeschäft eingestiegen. Die Regierung von Aceh hat daher ein Moratorium des Holzeinschlags erlassen und mit der Weltbank über eine Finanzierung zur Rettung der Wälder verhandelt. Andererseits will Aceh vom aktuellen Boom der Agro-treibstoffe profitieren und gibt auch Wald für Plantagen frei.
Ranto Sibarani von KOTIB (Koalisi untuk Transparansi Bantuan Bencana,
Koalition für Transparenz der Katastrophenhilfe http://www.kotibnadsu.com/)
sprach mit Marianne Klute von Watch Indonesia! über die Zerrissenheit
der Landbevölkerung zwischen Wiederaufbau und Umweltzerstörung,
zwischen Wirtschaftsinteressen und Filz.
Watch Indonesia!: Ranto, was sind die Ziele von KOTIB und was macht ihr konkret?
Ranto: Wir wollen, dass die Betroffenen auf eigenen Füßen stehen können und selbstbestimmte Bürger und Bürgerinnen werden. Das aber, so mussten wir beobachten, ist nicht Ziel der Wiederaufbauhilfe. Im Gegenteil, die große internationale Hilfe, die nach Aceh fließt, führt dazu, dass die Betroffenen keine mündigen Bürger werden, sondern in Abhängigkeit verharren. Auch weil die Kontrolle der Gelder schwach oder überhaupt nicht vorhanden ist. Zwölf NGOs haben deshalb schon 2005 KOTIB gegründet, mit dem Ziel, mehr Transparenz in den Wiederaufbau Acehs zu bringen. Wir sind der Auffassung, dass Aufbau mit dem Friedensprozess gekoppelt sein muss und dass unbedingt Menschenrechts- und Versöhnungsarbeit dazu gehört. Der Anspruch, die Gelder kontrollieren zu wollen, war sehr hoch. Aber wir setzen darauf, dass die Programme der KOTIB-Mitglieder selbst transparent und partizipatorisch sind.
Anfangs waren wir in der Katastrophenhilfe in drei Distrikten präsent. In dieser Phase haben wir auch Mittel aus Deutschland bekommen und sind von Diakonie und Brot für die Welt unterstützt worden. Heute müssen wir uns wegen fehlender Finanzierung auf den Distrikt Aceh Jaya beschränken. Wir arbeiten unabhängig, auf Graswurzelebene in zehn Dörfern. Konkret haben wir z.B. mit Frauengruppen ökonomische Projekte ins Leben gerufen. Wir achten darauf, dass die Leute eigenverantworlich werden, mit dem Ergebnis, dass sie Mut gewonnen haben und inzwischen wagen zu protestieren.
Watch Indonesia!: Ihr arbeitet also mit Tsunamiopfern? Diese zehn Dörfer in Aceh Jaya liegen doch nicht an der Küste?
Ranto: Diese zehn Dörfer sind nicht direkt vom Tsunami betroffen. Dies ist ehemaliges Konfliktgebiet, militärisches Operationsgebiet (DOM 1989-1998). Während der DOM-Zeit musste die Bevölkerung oft fliehen. Dann waren die Dörfer ein bis zwei Monate unbewohnt. Wenn die Leute in ihre Dörfer zurückkehrten, fanden sie all ihren Besitz nicht mehr vor. Die Felder zerstört oder verwildert, das Vieh weg, sogar Werkzeug und Kabel waren verschwunden. Alles haben sie mitgenommen.
Watch Indonesia!: Wer? Soldaten?
Ranto: Orang yang tidak bertanggung jawab – Leute, die keine Verantwortung kennen
Die Menschen flohen Richtung Stadt, nah ans Meer. Dort wurden sie vom Tsunami überrascht. Sie sind also zweimal heimgesucht: vom Krieg und vom Tsunami. Nach dem Tsunami kamen die Überlebenden zurück, um endlich neu beginnen zu können. Sie wollten ihre Felder in Frieden bestellen und am Wiederaufbau teilhaben. Nach dem Abkommen von Helsinki kamen Ende 2005 auch die ehemaligen GAM-Kämpfer in ihre Dörfer zurück. Sie gaben die Waffen ab, in der Hoffnung, re-integriert zu werden. Dafür erwarteten sie von der Regierung Acehs in Übereinstimmung mit dem MoU auch finanzielle Unterstützung.
Watch Indonesia!: Erfüllen sich diese Hoffnungen?
Ranto: Die Elite der GAM ist schon zu einer Business-Elite mutiert. Sie hat jetzt Zugang zum Kapital und beteiligt sich an der Ausbeutung der Waldressourcen, denn der Holzbedarf für den Wiederaufbau Acehs ist riesig. Und die Regierung zeigt keinerlei Interesse, ob das legal oder illegal eingeschlagen wurde. Nur wenige der ehemaligen GAM-Kombattanten erhielten Geld. Und einen Ausgleich für Verluste während des Konfliktes bekam in unserem Gebiet nur einer! Daher machen sie jetzt das Naheliegendste: sie arbeiten als illegale Holzfäller und schlagen selbst den Wald ab.
Watch Indonesia!: Aus Not verdingen sie sich als illegale Holzfäller? Das ist Wahnsinn! Was ist mit den fünf Holzkonzernen, die nach dem Tsunami Einschlagsgenehmigungen bekommen haben? Sind es nicht hauptsächlich diese, die den Wald in großem Stil ganz legal abholzen?
Ranto: Richtig. Nah, weil die kleinen Leute, ob GAM-Angehörige oder nicht, leer ausgehen, verdingen sie sich bei diesen Firmen als Holzfäller. In unserem Gebiet agieren zwei der erwähnten Unternehmen. Sie waren schon vor dem Tsunami, also während des Konfliktes in den 90er Jahren, in unserem Distrikt tätig, gingen dann nach Kalimantan, wo sie expandierten. Es sind dies PT Aceh Inti Timber und PT Lamori Aceh Timber, vermutlich Subunternehmen von Yusuf Kalla. (mehr zur Rolle der Unternehmen während der DOM-Zeit in: Eye on Aceh: Das andere Gesicht Acehs: Eine Konfliktzone wird abgeholzt. Oktober 2004, in der Übersetzung von Christian Offer http://dte.gn.apc.org/Cfacehger.pdf)
Watch Indonesia!: Sie zerstören also ihre eigenen Ressourcen?
Ranto: Ja, und leiden unter diesen verheerenden Zerstörungen. Die Dorfbevölkerung beklagt sich heute am meisten über die häufigen Überschwemmungen, über wilde Tiere und drittens darüber, dass sie wirtschaftlich keine Chance hat. Dazu kommt der Klimawandel.
Watch Indonesia!: Spielt der Klimawandel schon eine Rolle im Leben der Dorfbevölkerung?
Ranto: Mit den Veränderungen des Klimas wird alles noch schlimmer! Armut, Konflikt, Krieg, Tsunami, und jetzt noch der Klimawandel.... Noch vor zehn Jahren konnten die Bauern im Einklang mit den Monsunen aussäen und ernten. Sie haben sich nach den Jahreszeiten gerichtet und die Sterne beobachtet. In den letzten Jahren aber sind die Regenfälle nicht mehr voraussagbar. Wochenlanger ununterbrochener Regen zerstört die Felder und vernichtet die Ernten, die Früchte verfaulen auf dem Feld. Erst im Oktober 2007 sind fünf der zehn Dörfer kurz nach der Aussaat überflutet worden. Ein Monat Arbeit umsonst, und es entstanden große Verluste. Oder es sind Ungeziefer, die die Felder kahlfressen. Die Leute sagen: das hängt mit dem Klimawandel zusammen.
Watch Indonesia!: Das können Veränderungen im lokalen Wetter sein, hervorgerufen durch die Abholzung.
Ranto: Der Kahlschlag hat noch mehr Folgen. Eine ebenso schlimme Bedrohung wie die Unwetter mit dem Verlust der Ernten sind die Wildtiere. Elefanten und Wildschweine kommen auf die Felder und zerstören sie. Das war früher nur selten der Fall, aber heute kommen sogar Tiger bis in die Siedlungen, weil der Wald kaputt ist. Das passiert erst seit dem Tsunami und wird von Jahr zu Jahr schlimmer.
Watch Indonesia!: Überschwemmungen und Wildschweine. Sieht es so düster aus? Wenigstens steht Wiederaufforstung auf dem Programm der Regierung. Wie sieht es damit aus?
Ranto: Tatsächlich gibt es Wiederaufforstungsprojekte, aber wir haben den Eindruck, dass auch hier weniger ökologische, sondern wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Ein Beispiel aus einem unserer Dörfer: 6000 Nadelbaumsetzlinge (Cemara) wurden in das Dorf gebracht. Keiner weiß, warum nur in ein Dorf und nicht in alle? Warum das Aufforstungsgebiet so weit vom Dorf entfernt ist? Wer dahintersteckt? Aus welchem Topf das Geld dafür kommt? Es handelt sich wahrscheinlich nicht um Mittel aus Aceh selbst, sondern aus dem staatlichen Wiederaufforstungsprogramm GeRhaN (Gerakan Rehabilitasi Nasional). Es gibt genug Hinweise, dass mit GeRhaN nicht alles zum Besten steht: Korruption, Projekte, die nur auf dem Papier stehen, fiktive Ausschreibungen, kranke Setzlinge usw
Watch Indonesia!: Wer profitiert davon?
Ranto: Wir vermuten, die beiden Holzunternehmen in unserem Gebiet. Kann sein, dass wir dabei falsch liegen, denn auch ehemalige GAM-Führer sind Holzunternehmer geworden und machen ähnliche Unternehmen.
Watch Indonesia!: Und drittens sind die Leute von der Wirtschaftsentwicklung ausgeschlossen?
Ranto: Tidak ada akses ekonomi. – Der Zugang zur Wirtschaft bleibt versperrt.
Schlimmer noch, sie verlieren ihr Land. Für die Wirtschaftsentwicklung braucht die Regierung Acehs Geld. Sie setzt auf Palmöl, lädt also Investoren aus Malaysia, Singapur und Brunei in die Provinz und empfängt sie mit offenen Armen. Überall sollen Plantagen angelegt werden. Alles wird Monokultur, man glaubt, das wäre gut. Damit, so verspricht die Regierung, werde sich der Lebensstandard erhöhen. Das Absurde ist, das Gegenteil tritt ein, denn die Leute verlieren das Letzte, was ihnen blieb: ihr Land. Und mit dem Resultat, dass am Ende ihr Wald in Plantagen umgewandelt wird, und die Felder der Bauern womöglich auch.
Watch Indonesia!: Wie sind denn die Landrechte geregelt, wie Besitz und Nutzung von Wald?
Ranto: Rechte und Rolle der Bevölkerung im Staat sind völlig ungeklärt. Die Autoritäten können willkürlich handeln. Es gibt keine Partizipation der Bevölkerung an den wirtschaftlichen Entscheidungen. Die Bevölkerung wird doppelt geschädigt.
Watch Indonesia!: Sie kann kein Geld mehr mit Holz verdienen und verliert ihr Land an die Palmölindustrie?
Ranto: Den Profit streichen nur die ausländischen Investoren ein und die Eliten in Aceh und Jakarta, vor allem Kalla und Bakrie (Anm. der Vizepräsident und der Sozialminister, die beide auch als Großunternehmer tätig sind). Offensichtlich sind schon vor dem Friedensabkommen Versprechungen gemacht worden. Man munkelt, Vizepräsident Kalla habe gesagt, die GAM-Mitglieder würden als Starthilfe Palmölplantagen bekommen. Tatsächlich steigen ehemalige GAM-Kommandeure ins Palmölgeschäft ein, zum Beispiel ist die Pulogadung Group dabei, zu der die drei ehemaligen Kommandeure Irwandi, Muzakir Manaf und Sofyan Daud gehören.
Watch Indonesia!: Palmöl wird zurzeit nicht schlecht bezahlt. Wäre das nicht doch eine Chance für Kleinbauern?
Ranto: Falls jemand versucht durchzusetzen, dass Kleinbauern die Ölpalmen selbst anbauen, hat er einen schweren Stand gegen die Bupatis und andere Politiker. Zum Beispiel der ehemalige GAM-Sprecher Abu Tausi, der früher in zerrissenen Klamotten herumlief. Tausi will, dass Bauern die Plantagen selbst managen. Aber in unserem Gebiet bekommen Investoren aus Malaysia 2.500 Hektar Land für eine Palmölplantage, und noch schlimmer, das ist Wald.
Watch Indonesia!: Hat Gouverneur Irwandi sich nicht den Ruf erworben, den Wald mit allen Mitteln schützen zu wollen. Er beteiligte sich persönlich an Razzien gegen die illegalen Holzfäller, hat das Moratorium durchgesetzt und will den Wald retten. Schon vor der Weltklimakonferenz in Bali setzte er auf REDD, ein Weltbank-Modell der Reduzierung der Emissionen durch Vermeiden der Entwaldung. Viele Politiker betrachten REDD und Moratorium als wirkungsvolle Schritte zur Rettung des Waldes.
Ranto: Ja, Irwandi hat sich für Moratorium entschieden, aber wir haben den Eindruck, das Moratorium soll nur für die arme Bevölkerung gelten. Wir verstehen nicht, dass Irwandi das Moratorium ausspricht und gleichzeitig Palmölunternehmen einlädt. Das ist ein Widerspruch in sich. Wir befürchten, das Moratorium ist nichts wert, wenn für die Plantagen erstmal der Wald verschwinden muss. Das ist wirklich absurd.
Watch Indonesia!: Und der restliche Wald wird an Emissionshändler verkauft?
Ranto: So kann man es sehen. Kontakte sind geknüpft zum Milliardär Soros. Auch Umweltorganisationen sind dabei, z.B. FFI. Es ist bezeichnend, dass die sagen: Conservation is our business, our business is conservation. Mit REDD sind etliche Risiken verbunden. Erstens wird nur ein kleiner Teil des Waldes geschützt. Zweitens kann es dazu kommen, dass die Bevölkerung aus den geschützten Waldgebieten ausgegrenzt wird, ähnlich wie aus den Nationalparks. Es wird also neue soziale Probleme geben.
Watch Indonesia!: Es kommt zu Konflikten und sozialem Neid?
Ranto: Schon jetzt lodern horizontale Konflikte auf zwischen
denjenigen GAM-Leuten, die Erfolg haben und Geld bekommen, und denen, die
leer ausgehen. Statt sich um die Re-integration zu kümmern, reist
Irwandi in der Weltgeschichte herum, heißt es im ICG-Bericht (International
Crisis Group), und verkauft Aceh. Die Gefahr von neuen Konflikten ist akut.
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