Suara Nr. 2/2008 (Osttimor)

 

Reispolitik in Osttimor:

steigende Preise, Missmanagement und Korruption

von Monika Schlicher


Osttimor ist arm und die Armut hat in den letzten Jahren noch zugenommen. Die globale Ernährungs- und Agrarkrise treffen das Land daher empfindlich, denn Osttimor kann sich nicht selbst ernähren und ist abhängig von importiertem Reis. „Engpässe bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und explodierende Preise betreffen vor allem diejenigen, die sie sich am wenigsten leisten können – die Armen und jene, deren Versorgung sowieso schon instabil ist“, so Joachim von Braun, Direktor des International Food Policy Research Institute zur aktuellen Weltlage. In Osttimor leben rund 40% der Bevölkerung von nicht mehr als 55 Cent (US$) am Tag. Nach Analysen des Welternährungsfonds (WFP, www.wfp.org) sind in Osttimor rund 20% der Bevölkerung von chronischer Nahrungsmittelknappheit betroffen, weitere 23% gelten als höchst bedroht, insbesondere die Monate von Oktober/November bis Februar/März, bis zur nächsten Ernte, sind geprägt von Knappheit und Hunger. Rund 80% der Bevölkerung sind im ländlichen Bereich tätig, ihr Beitrag zum Bruttosozialprodukt des Landes beträgt aber lediglich 25%. Die Kleinbauern betreiben Landwirtschaft auf Subsistenzniveau mit geringen Hektarerträgen. Es fehlt ihnen an finanziellen Möglichkeiten und Innovationen, um die Produktion zu steigern und schlicht an Kaufkraft, um Nahrungsmittel hinzu zu kaufen. Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft sind rar. Klimatische Bedingungen, wie Trockenheit und intensiver Regen (El Niño-Phänomene) oder auch die Heuschreckenplage 2007 haben zu einer weiteren Verschärfung der Nahrungsmittelversorgung geführt. Hinzu kommt noch die hohe Geburtenrate. Nach Hochrechnungen wird sich die Bevölkerung in 17 Jahren verdoppelt haben. Gleichfalls blieb die politische Krise der letzten Jahre, die anhaltenden Unruhen und die Flüchtlingssituation nicht ohne Auswirkung.

Steigende Preise

In Osttimor sind über die letzten Jahre die Preise für Grundnahrungsmittel kontinuierlich gestiegen und jüngst explodiert. Im Februar kostete der 35kg-Sack Reis in Dili noch 13 US-$, inzwischen ist der Preis auf 20 US-$, in den ländlichen Gebiet sogar auf 27 US-$ gestiegen. Die Preise sind in ländlichen Gebieten höher als in Dili, weil Transportkosten hinzukommen. Außerdem schlagen fehlende Kaufkraft und mangelnder Marktzugang zu Buche. Die Kosten für Lebensmittel betragen bei Familien in Armut nach Angaben des WFP rund 75% ihrer Ausgaben. Jede weitere Preissteigerung hat dramatische Folgen. Als Folge von Armut und Knappheit reduzieren die Menschen ihre Nahrung. Betroffen hiervon sind in erster Linie Frauen, vor allem schwangere Frauen, und Kinder. 47% der Kinder unter 5 Jahren in Osttimor sind chronisch unterernährt, weitere 43 % sind untergewichtig. Das World Food Programme unterstützt Osttimors Bevölkerung durch vielfältige Projekte (Food for Education, Mother and Child Care) und verteilt Lebensmittel an die Bedürftigen. Auf der einen Seite ist die Lebensmittelverteilung eine Notwendigkeit, auf der anderen schafft sie Abhängigkeit und behindert Entwicklung; sie stellt keine Dauerlösung dar. Experten der Ernährungssicherung beurteilen die Situation in Osttimor weniger als eine plötzliche, sondern vielmehr als eine chronische Notlage. /Oxfam: Overview of the Rice Sector in Timor-Leste, April 2004, S.18/

Armutsbekämpfung und die Förderung der ländlichen Entwicklung sind in Osttimor ein dringendes Gebot und eine Vielzahl von Organisationen engagieren sich, darunter aus Deutschland die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz) und das kirchliche Hilfswerk Misereor. Doch wie begegnet die Regierung dem Problem der Abhängigkeit von Reisimporten und den gestiegenen Preisen, wo liegen strukturelle Fehlentwicklungen?

Ernährungssicherung durch die Regierung

„Wo ist der Report über die Reisverteilungen?“ Mit dieser Frage traten die beiden neuen Minister João Gonçalves (Ministerium für Wirtschaft und Entwicklung) und Gil Alves (Ministerium für Tourismus, Handel und Industrie) letzten August ihre Ämter an. Sie übernahmen die Regierungsgeschäfte des Entwicklungsministeriums, dessen Aufgaben nun auf die zwei neuen Ministerien aufgeteilt wurden. Gerichtet war die Frage an den ausscheidenden Minister, Arcanjo da Silva. Die beiden Minister interessierten sich dringlichst für die Frage, ob denn bei den Reisinterventionen alles mit rechten Dingen zugegangen ist?

Als das Entwicklungsministerium noch die Verantwortung für den Ernährungssicherungsfonds hatte, ist es auch nicht so ganz mit rechten Dingen zugegangen. Zu Zeiten der Fretilin-Regierung gab es Klagen über Bereicherung und Seilschaften bei der Vergabe von Importaufträgen. /vgl. D. Kammen & S.W. Hayati: Crisis and Rice in East Timor/

Die Politik und Strategie für das für Osttimor so dringende Thema der Ernährung bestimmen aber nicht die beiden genannten Ministerien, sondern das Landwirtschaftsministerium. Deutlich war von Beginn an, dass es wohl kaum um eine ganzheitliche, als vielmehr um eine monetäre Strategie ging. Wer den Fonds verwaltet, darf nämlich über 7,5 Millionen US-Dollar frei verfügen, was bei einem Gesamthaushalt von rund 350 Millionen US-Dollar immerhin mehr als 5% ausmacht. Unter dem Aspekt der monetären Flexibilität des Ernährungssicherungsfonds erscheint die Frage nach den Berichten über die Reisverteilung des ehemaligen Ministers in einem ganz anderen Licht. Und so ganz unpolitisch wie die sachlich formulierte Frage sich anhörte, war sie nicht. Man muss berücksichtigen, dass João Gonçalves der politische Erzfeind von Arcanjo da Silva ist. Beide kommen aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Com und politischen Fehden trennen die Familien. Und das Interesse von Minister Gil Alves? Ihm sei es, wie mir aus interner Quelle berichtet wurde, darum gegangen, so schnell wie möglich zu erfahren, wie viel Geld und wie viel Ware bzw. Reis noch in den staatlichen Lagerhäusern lag. Doch bevor der Brei angerührt wird, muss man noch ein wenig in die Vergangenheit schauen, um zu verstehen, was sich hinter dem „timoresischen Reisbrei“ so alles verbirgt.

Importieren oder lokal anbauen?

Zu Anfang des letzten Jahres zog die Bevölkerung von Dili auf die Straßen, um gegenüber der Regierung die Versorgung mit Reis massiv einzufordern. Es flogen Steine, es brannten Autos und sogar ein staatliches Reislager ging in Flammen auf. Hintergrund waren die ausgebliebenen Importe in den Monaten Januar und Februar 2007. Osttimor benötigt pro Jahr insgesamt rund 100.000 Tonnen Reis. Im Land werden 60.000 Tonnen „paddy“ (ungeschälter Reis) produziert, von denen nur knapp 15.000 Tonnen auf den Markt gelangen. Mangels Analyse und einer integrierten ganzheitlichen Reispolitik setzt das unabhängige Osttimor auf die Empfehlung der Weltbank, wonach die Versorgung mit den günstigeren Angeboten aus Vietnam und Thailand besser gedeckt werden könne. „Ein folgenschwerer Fehler“, urteilt Joachim Metzner, ehemaliger Leiter der gtz in Osttimor und dem Land seit seines Forschungsaufenthaltes Anfang der 1970er Jahre in Baucau-Viqueque verbunden. „Zu portugiesischer Zeit“, so weiß er zu berichten, „wurde kaum Reis eingeführt. Das Land deckte seinen Bedarf durch lokale Produktion. Zu den Hauptzentren („celeiro de Timor“ - Kornkammer von Timor) zählte die Ebene von Uato Lari (Narequici und Fatun, Distrikt Viqueque). Chinesische Händler kamen mit LKWs aus Dili zu den zwei Erntezeiten pro Jahr regelmäßig in die Ebene, wo sie den Reis direkt von den Bauern aufkauften. Die Erschließung der Ebene für den bewässerten Reisanbau erfolgte nach dem 2.Weltkrieg im wesentlichen durch Leute aus den Bergen um Matebian, die diese Technik beherrschten und die sich aufgrund des Bevölkerungsdrucks in die südliche malaria-gefährdete Küstenzone begaben. Während der indonesischen Verwaltung war der Reisabsatz durch das Bulog System (mit Festpreisgarantie; Anm. Bulog ist die u.a. für den Reishandel zuständige indonesische Logistikbehörde) gesichert. Richtig problematisch wurde es nach 1999. Infolge des künstlich von der UN und der Weltbank niedrig gehaltenen Preises für Importreis aus Thailand, Indonesien und Vietnam verfielen die Preise für lokal in Timor angebauten Reis. Tausende von Bauernfamilien vor allem aus Uato Lari gaben auf und zogen in der Hoffnung auf Arbeit nach Dili. Dort bilden sie das städtische Proletariat.“

Die Weltbank, wie auch andere Geber, votierten von Anbeginn gegen die Verwendung von Hilfsgeldern für den Wiederaufbau der Reisproduktion, gegen öffentliche Silos und Schlachthöfe. Sie setzten ganz auf eine radikale Marktliberalisierung. Staatliche Unterstützung wurde weitestgehend zurückgefahren. So gibt es keine staatlichen Landwirtschaftsberater in den Dörfern mehr, wie zur indonesischen Zeit (1975 – 1999). Nach Vorstellung der Weltbank sollten die landwirtschaftlichen Servicezentren nicht mehr staatlich sondern privatwirtschaftlich oder von NGOs geführt werden. Ein Privatsektor, gar ein dynamischer mit Exportorientierung und ausländischer Privatinvestition, hat sich in Osttimor noch nicht einmal ansatzweise gebildet. Auch im Distrikt Suai wird Reis nur begrenzt für den Eigenbedarf angebaut, eine Marktorientierung findet nicht statt. „Das lohnt sich für die Bauern nicht“, so Norbert Deipenbrock, Berater für ländliche Entwicklung für Misereor in Salele, „sie können den importierten Reis preislich nicht unterbieten.“

Fehlende Strategie

Projekte zur Förderung des lokalen Reisanbaus waren bislang geprägt von Interessenkollision, entsprechend wankelmütig und ohne klare Strategie. „Ein Problem, das nicht nur den Reis betrifft, sondern alle Sektoren“, wie mir ein internationaler Berater berichtet. Ursachen dafür seien die starke Geldgeberpräsenz, deren mangelnde Koordinierung und eine Regierung, die im Projekt-Modus operiere. Die Regierung tue überwiegend das, was die einzelnen Projektträger in ihren Programmen haben. Im Ergebnis gibt es keine einheitliche Strategie. Das Budget des Landwirtschaftsministeriums sei viel zu gering, um Nahrungsmittelsicherheit garantieren zu können, kritisierten Vertreter der Zivilgesellschaft jüngst bei einer Veranstaltung der NGO La’o Hamutuk zur Landwirtschaftspolitik der neuen Regierung. Das Geld hierfür liegt im Ministerium für Handel.

Osttimors Landwirtschaft krankt an geringer Produktivität, die weit unter derjenigen anderer asiatischer Länder liegt. Obgleich Indonesien damals viel in die Infrastruktur investiert und die ländliche Entwicklung unterstützt hat, ist es ihnen nicht gelungen, eine nachhaltige, auf größerer Marktorientierung ausgerichtete Landwirtschaft einzuleiten. Diese blieb mehrheitlich auf Subsistenzniveau und abhängig von Beratern, Know-How, Düngemittel, Saatgut aus Indonesien. Mit dem Abzug der Indonesier erhöhte sich daher die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten. Die geringe Kaufkraft der heute verstärkt in urbanen Gebieten lebenden Bevölkerung sowie die Verringerung staatlicher Unterstützung haben zu einer Zuspitzung der Nahrungsmittelversorgung geführt.

Die Regierung des neuen unabhängigen Staates hat es sträflich versäumt in den Aufbau der Infrastruktur (Straßen- und Brückenbau, regelmäßige Wartungsarbeiten, Elektrizität- und Wasserversorgung u.a.) zu investieren und damit auch Arbeitsplätze und letztlich Kaufkraft zu schaffen. Eine Abkehr von dieser Politik findet seit kurzem unter der neuen Regierung statt. Die eingeleiteten Korrekturen bedürfen enormer Kraftanstrengungen, von denen erst in Jahren konkrete Ergebnisse zu erwarten sind.

Die Regierung erklärte die Erhöhung der Produktivität in der Landwirtschaft und die Verbesserung des Lebensstandards der armen Bevölkerung in den ländlichen Regionen zur nationalen Priorität. Die Frage ist, wie sie diese Ziele angeht und ob es gelingen wird, die nötigen Maßnahmen auch ausreichend zu implementieren. Servicezentren sollen bis Ende Juni 2008 eingerichtet sein und die Bevölkerung mit Technologie und Know-How unterstützen, gleichfalls sollen vorhandene Bewässerungsanlagen für den Nassreisanbau, besonders in der Region Maliana (Projekt der Japan International Cooperation Agency), wieder hergerichtet werden.

In der „Reisfalle“

Indonesien hatte damals den Reisanbau in Osttimor forciert und auch gezielt Transmigranten aus Java und Bali hierzu angesiedelt. Die Bauern erhielten Saatgut und Dünger, sowie Schulung durch die dörflichen Berater. Sie hatten einfachen Zugang zu Krediten und erhielten regelmäßig Unterstützung bei der Wartung von Bewässerungskanälen. All dies hat auch eine Abhängigkeit geschaffen, in der die Bauern Osttimors weiterhin behaftet sind. Indonesiens Engagement war weniger ein Entwicklungshilfeprojekt für Osttimor, als vielmehr Teil der nationalen Strategie zur Intensivierung des Reisanbaus (BIMAS), wie sie in allen Provinzen durchgeführt wurde. Das System der starken staatlichen Unterstützung ist zudem 1997/98 im Zuge der Asienkrise zusammengebrochen. Doch diese Politik hatte zur Folge, dass Reis in Osttimor, wie allgemein in Ostindonesien, heute das bevorzugte Hauptnahrungsmittel ist und Mais, Bohnen, Knollengewächse wie Kassava und Süßkartoffeln dahinter zurück treten. „Die Essgewohnheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert“, so Joachim Metzner. „Reis war noch in den 70er Jahren eher ein Luxusgericht, das man zu besonderen Anlässen angeboten hat.“ Das mag möglicherweise mit Grund dafür sein, dass Reis heute bevorzugt wird. Gefördert wird Reis als Grundnahrungsmittel der Bevölkerung zudem über die Politik des Welternährungsfonds, welcher diese Essgewohnheit aufgreift und Reis verteilt. Gleichfalls über die Politik der Regierung und der Gebergemeinschaft, die auf eine kostenintensive Verbesserung (Düngemittel- und Pestizideinsatz sowie Mechanisierung durch den Einsatz von Traktoren und Handtraktoren) des Reisanbaus setzen. HASATIL, ein Dachverband von NGOs in Osttimor, die für eine nachhaltige ländliche Entwicklung eintreten, sehen im System for Rice Intensification (SRI) eine angepasste, billige Alternative. SRI ist eine „low-input“ Methode, die mit wenig Kunstdünger und mit lokalem Saatgut auskommt. Über eine besondere Anbautechnik werden höhere Hektarerträge erzielt. Die gtz in Bobonaro und Covalima unterstützt den Anbau nach diesem System und führt Trainings mit Bauern durch, wie ein Feld unter Einsatz von Rindern gepflügt werden kann.

Die klimatischen und natürlichen Gegebenheiten in Osttimor sind für künstlich bewässerten Reisanbau ungünstig. Osttimor hat kein immerfeuchtes Monsunklima wie Java oder Bali. Die Niederschlagsmenge variiert jährlich stark, ca. 90% der gesamten Regenmenge fallen in den Monaten Dezember bis Mai. Die Flüsse verwandeln sich dann in reißende Ströme, die viel Sedimente mit sich führen und ihren Flusslauf ändern, während der Trockenzeit findet sich vielerorts kaum ein Rinnsaal mehr. Die regelmäßige Wartung von Kanälen und Bewässerungsanlagen ist aufwendig. Kritisch bemerken Beobachter an, dass enorme Summen in den Wiederaufbau von Bewässerungsanlagen geflossen sind (1999 – 2006 rund 18 Mill. US $), es aber an Mitteln für die Wartungsarbeiten fehlt und sich die Produktivität nur marginal erhöht hat. Während sich viele Projekte auf den Reissektor konzentrieren, fließt vergleichsweise nur geringe Unterstützung in den Anbau anderer Kulturen. /Oxfam, S.11/

Da vor allem geschälter Reis über wenig Proteine verfügt, ist die Reisabhängigkeit für die tägliche Ernährung nicht ohne Folgen. Den vielen Kindern mit Mangel- und Unternährung in Osttimor und Ostindonesien wäre mit der Umstellung der Nahrung und der Erweiterung des Speiseplans geholfen. Vielerorts ist mehr Nahrung vorhanden als das Knappheitsempfinden suggeriert, aber sie wird nicht gut genutzt. Projekte im Bereich der Ernährungsberatung versuchen hierzu Veränderungen anzustoßen.

Abhängig von Importen

Die sozialen Unruhen im vergangenen Jahr hatten ihre Ursache sowohl in der Preissteigerung von Reis, als auch in der Tatsache, dass die Nachfrage nach Reis in Indonesien stieg. Geplante Importe wurden von den drei Hauptimporteuren Osttimors entweder bereits in Thailand und Vietnam oder auf dem Weg nach Osttimor umgeleitet. Die Regierung von Osttimor hatte zwar den 7,5 Millionen US-Dollar schweren Fonds eingerichtet, aber versäumt, frühzeitig Reisbestände aufzubauen. Dank der Hilfe des Welternährungsfonds gelang es aber trotz einiger Steinwürfe und brennender Autos die Versorgungslage durch gezielte Marktinterventionen wieder zu sichern. Um nicht erneut in Knappheit zu geraten, wurde beschlossen in direkten Verhandlungen mit Vietnam die „Reislücke“ durch den Aufbau einer soliden Reserve zu schließen. Bis zum Ende der Regierungszeit im Juni 2007 hatte das Entwicklungsministerium, dem nochmals 3,5 Millionen US-Dollar vom Parlament zugesprochen wurden, eine Reserve von rund 15.000 Tonnen aufgebaut. Hiermit sollten zukünftige Knappheiten überbrückt werden. Auch mit den traditionellen Importeuren wurde ein Abkommen geschlossen, das dem Privatsektor entsprechende Sicherheiten bot. Die Importe liefen wieder an und der „natürliche“ Markmechanismus funktionierte.

Korruption und Seilschaften

Er funktionierte jedoch nur solange, bis der neue verantwortliche Minister für Tourismus, Handel und Industrie meinte, in den Markt eingreifen zu müssen. „Ohne Rücksicht auf die privaten Händler wurden die Reserven über zwei von ihm bestimmte Firmen, Nabilan und Juxival, zu subventionierten Preisen auf den Markt geworfen. Die Subvention betrug rund 30% und machte natürlich jegliche private Konkurrenz zunichte“, erläutert ein internationaler Regierungsberater. Das unvermeidliche und bis heute anhaltende Resultat war, dass die traditionellen Importeure kaum mehr Reis importierten. Dies wiederum soll die Geschäftstüchtigkeit des Ministers Gil Alves nur noch mehr angeheizt haben. Noch mehr Reis konnte über die beiden befreundeten Firmen in den Markt gepumpt werden. Verschärfend für den Privatsektor kam hinzu, dass das Parlament beschloss, den öffentlichen Bediensteten, einschließlich Militär- und Polizeikräften eine monatliche Reisration von 35 kg gratis zukommen zu lassen. Böse Zungen behaupten, dass damit das Vertrauen der Funktionäre erkauft werden sollte. Für den Privatsektor bedeutete dies allerdings, dass über 20.000 potentielle Kunden und damit eine kalkulierbare Kaufkraft verloren gingen. Als unverantwortlich und inkompetent bezeichnet Loro Horta in seiner Analyse für das International Security Network die Reispolitik unter Premierminister Xanana. Er warnt vor sozialen Unruhen und fordert eine sofortige Abkehr von dieser Politik. Die kostenlose Reisausgabe an die staatlichen Bediensteten habe die lokalen Reisimporteure aus dem Geschäft gedrängt. Heftig kritisiert auch er die Vergabe von Reisimportaufträgen an „gute Bekannte“ / Loro Horta: Rice: Timor's next crisis/. Es mehren sich innerhalb der Bevölkerung die Stimmen, die in Frage stellen, wieso denjenigen, die eine feste Stelle mit Einkommen haben, Reis gegeben wird, währenddessen man selbst zu einem hohem Preis kaufen muss.

Durch die Reisverteilung schmolz die im Juli vergangenen Jahres übernommene Reserve so schnell, dass man sich entschloss, die für den Ernährungssicherungsfonds bereitgestellten Gelder schleunigst wieder in Reis umzusetzen. Ausschreibungen wurden getätigt und plötzlich tauchten Importeure auf, die nie zuvor auch nur ein Gramm Reis importiert hatten. So findet sich das Unternehmen People Food als Importeur von 3.500 Tonnen Reis neben dem Unternehmen Tropic Food mit 3.000 Tonnen wieder. Ersteres wird von Kathleen Goncalves, der Ehefrau von Minister João Gonçalves geführt, letzteres von einem Herrn Germano, der ein enger Vertrauter von Premierminister Xanana Gusmão sein soll. Dieses enge Verhältnis wird auch dem Besitzer des Neu-Importeurs Starking nachgesagt. Letztlich hat aber auch ein traditioneller Importeur ein Stück von dem Kuchen abbekommen. Das Unternehmen Nabilan durfte ebenfalls noch einmal 3.000 Tonnen auf Kosten der Regierung importieren.

Wer ist Gil Alves?

Wohlgemerkt, die neue Regierung ist angetreten mit dem Versprechen des Kampfes gegen die Korruption und der Senkung von Preisen. Nun scheint beides nicht so richtig zu gelingen. An den Häuserwänden finden wir immer wieder den Spruch „Gil Alves – Opportunist“ und seine eigenen Parteikollegen zweifeln öffentlich an der Redlichkeit ihres so prominenten Ministers. Doch wer ist dieser Gil Alves, dessen Ziel es zu sein scheint, das Reisgeschäft in Osttimor aus seinem Ministerium heraus zu steuern oder nach indonesischem Vorbild eine staatliche, von Korruption durchsetzte, Institution nach dem Vorbild von BULOG zu schaffen?

Vor seiner vermeintlich sozialdemokratischen Zeit als Generalsekretär der Sozial-Demokratischen Vereinigung (ASDT) war Gil Alves nicht nur durch Familienbande mit dem indonesischen Unterdrückungssystem unter Suharto verbunden. Mit der Heirat der Tochter des von Jakarta eingesetzten Gouverneurs von Osttimor, José Abilio Osório-Soares, hat er sich damit auch gleich in dessen Familiengeschäfte eingekauft. Zusammen mit Ari Haryo Wibowo, dem Neffen von Suharto, besaß Gil Alves das Monopol für das „Labelling“ von Alkoholimporten, mit entsprechender Besteuerungsautorität. Als Mitglied des Aufsichtsrates der Yayasan Hati, einer „philantropischen“ Organisation pro-indonesischer „Partisanen“ aus der Zeit der Integrationsoperation 1975-76, war Gil Alves auch an der Wasserfabrik Aquamor und der Textilmanufaktur PT Dilitex beteiligt. Heute verweist Minister Gil Alves gern auf seine Verluste, die er durch die Zerstörungen während des Abzugs der Indonesier erlitten hat. So sei seine Salzfabrik in Manatuto völlig niedergebrannt worden. Er vergisst allerdings zu erwähnen, dass er nur durch seine enge Beziehung zum Gouverneur und zur Suharto-Familie zu dem Reichtum gelangt ist, den er nach der Unabhängigkeit in Fehlinvestitionen verprasste. Die einst florierende Wasserfabrik diente lediglich zur Beschaffung von Bankkrediten, die Textilproduktion wurde eingestellt und das „Labelling“ war mit dem Abzug der Indonesier obsolet geworden. Gil Alves vergisst auch, dass er zu den führenden Kräften der pro-indonesischen Integration gehörte. Dies musste er wohl auch vergessen, nachdem seine Partei eine Koalition mit der PSD (Sozial-Demokratische Partei) geschlossen hatte und plötzlich als Partner zur Regierungsbildung gerufen wurde. Dabei ist es wohl nur der vorab geschlossenen Koalition zwischen ADSP und PSD zu verdanken, dass der pro-indonesische Gil Alves einen Ministerposten erhielt.

„Was wir erkennen können“, so eine interne Quelle, „ist seine unermüdliche Kraft, Wege zu finden, um sich durch die Position als Minister für Tourismus, Handel und Industrie und Verwalter des Ernährungssicherungsfonds selbst zu bereichern. Nicht nur „böse Zungen“, sondern auch seine neuen geschäftlichen Verbündeten im timoresischen Reisbrei verstecken nicht ihren Ärger darüber, dass sie von der Preisspanne zwischen Ankaufpreis des Regierungsreises und dessen Verkaufspreis 50% an den so erfahrenen Geschäftmann abgeben müssen.“ Mittlerweile sind über 8.000 Tonnen Regierungsreis verkauft worden. Die Gewinnspanne pro 35 Kilosack beträgt rund 1,50 US-Dollar und der „Reinverdienst“ des so geschäftstüchtigen Ministers beträgt, wie von Insidern geschätzt, um die US$ 200.000, was in etwa seinen Schulden bei der portugiesischen Bank BNU entsprechen soll. Damit allerdings auch noch nach dem Schuldenabgleich etwas in der Kasse beleibt, plant Gil Alves den nächsten Coup. Zusammen mit seinen neuen Freunden von Nabilan et. Co. bereiste er Vietnam, um mittels eines Memorandums of Understanding mit der vietnamesischen Regierung den Reishandel vollständig kontrollieren zu können. Wer demnächst Reis nach Osttimor importieren will, muss bei Minister Gil Alves nach einer Importgenehmigung vorsprechen. Dies erinnert ein wenig an das „Labelling“ gegen Gebühr von alkoholischen Getränken.

Dunkle Wolken über der Regierungskoalition

Die politische Frage nach Transparenz und Anti-Korruption muss sich nun aber auch der amtierende Ministerpräsident Xanana Gusmão stellen. Wie lange kann ein Minister Gil Alves noch seinen Brei kochen? Und sind nicht auch die vermeintlichen Freunde kräftig am Rühren? Nun, seine Parteifreunde von der ASDT haben inzwischen genug von ihm. Vor einigen Wochen stimmten die Parteimitglieder für den Ausschluss von Gil Alves und Abilio Lima, dem Staatssekretär für Umwelt. Die Partei wirft den Männern Korruption und allzu große Nähe zu Militär und Geschäftsleuten aus Indonesien vor. Der Vorsitzende Francisco Xavier do Amaral wandte sich darauf hin an Premierminister Xanana und forderte ihn auf, die beiden Regierungsmitglieder zu entlassen. Neue Namen wurden angeboten, aber Xanana reagierte nicht. Damit brachte er die ASDT in eine missliche Lage. Um ihr Gesicht zu wahren und den Druck zu erhöhen schloss sie Anfang Mai ein Bündnis mit der Fretilin für die kommende Wahl. Beide Parteien fordern vorgezogene Neuwahlen im Frühjahr 2009. Die ASDT verbleibt aber weiterhin in der Regierungskoalition. Der Probleme und Krisen nicht genug, ziehen dunkle Wolken über der Koalition auf. Daraus könnte schon bald ein Unwetter werden. Obgleich die Regierung eine dauerhaft stabile Reisversorgung und ein „Food Security Monitoring“ als Prioritäten identifiziert hat, zeigt sie sich den absehbaren Preissteigerungen gegenüber unvorbereitet. Eine gefährliche Situation. Eine hungrige Bevölkerung wird nicht verstehen, dass ihre Regierung sich für die Preissteigerungen von Nahrungsmitteln und Benzin nicht verantwortlich sieht. Auf ganze 3.000 Tonnen, so Loro Horta, sei die nationale Reisreserve inzwischen geschrumpft, weit entfernt von den als Minimum der Sicherheit angesetzten 8.000 Tonnen. Ob des denn tatsächlich noch 3.000 t sind, die in etwa ausreichend für einen Monat wären, wird von Mitarbeitern des Ministeriums unter dem Hinweis auf Korruption bezweifelt.

Subventionspolitik und Erhöhung der Produktion

Hingegen bemühen sich die Vertreter der UN, FAO und des Welternährungsfonds ein beruhigendes Bild zu zeichnen /UNMIT Press Conference Transcipt on global food crisis impact, 14. May 2008/. Es gäbe keinen Anlass zur Sorge, die Preise seien im Vergleich zu anderen Ländern auf der Welt nicht so stark gestiegen und vor allem stabilisiere die Regierung den Reispreis durch Importe. Die Lieferung der von Vietnam georderten 16.000 t Reis sei angelaufen. Auch Verhandlungen mit Indonesien seien im Gange Der von der Regierung subventionierte Reis wird für 50 Cent das Kilo verkauft, lokal angebauter Reis und der von privaten Importeuren eingeführte findet sich zu Preisen zwischen 70 Cent und 1 US $ auf dem Markt. Als langfristige Lösung möchte Osttimor sich von Importen weniger abhängig machen. Die FAO berät die Regierung nun heute dahingehend, den Bauern Unterstützung und Anreize zu bieten, um die Produktion zu erhöhen. Ziel ist es, den lokalen Reis stärker in den Handel zu bekommen. Dazu soll den Bauern von der Regierung ein Festpreis geboten werden. Damit allein wird es allerdings nicht getan sein, denn es braucht auch ausreichend gute Reismühlen für die bessere Verarbeitung sowie Vermarktungsstrategien. Um aus der Reisfalle, der Importabhängigkeit bei niedriger Kaufkraft und steigenden Preisen, herauszukommen, sollte auch der Anbau anderer Kulturen gefördert werden. Und ohne eine koordinierte Lösung zwischen den beteiligten Ministerien, den UN und internationalen Hilfsagenturen wird es zu keiner Verbesserung kommen.

Es gibt seitens der Regierung Überlegungen, auf Mittel aus dem Ölfonds zuzugreifen, um die Nahrungsmittelversorgung sicher zu stellen und die Preissteigerungen für Nahrung und Benzin für die Bevölkerung abzumindern. Welche Maßnahmen dies beinhalten würde, ist noch recht unausgegoren. Bisher war der Fonds so eingerichtet, dass nur die Zinseinnahmen für Entwicklungszwecke genutzt werden dürfen. Damit folgt Osttimors Regierung einer Politik der besten Praxis, als ob das Land in einer normalen Entwicklungssituation sei. „Doch der wirtschaftliche Aufbau nach Konflikten erfordert Notstandspolitiken“, so Graciana del Castillo von dem Beratungsunternehmen Centennial Group. Ihrer Meinung nach würde die Regierung der Bevölkerung besser dienen, wenn sie den Rat der Institutionen von Bretton Woods ignorieren und mit den Einnahmen aus dem Erdöl- und Gasgeschäft den wirtschaftlichen Wiederaufbau beschleunigen würden. Mit einer solchen Politik hätte sich die Rückkehr zur Gewaltanwendung 2006 vermeiden lassen. „Die bisherige Politik hat dem politischen Ziel der Konsolidierung von Frieden nicht gedient“, kritisiert Graciana. „Der Wiederaufbau der Grundinfrastruktur und Dienstleistungen, die Schaffung von Arbeitsplätzen für die Arbeitslosen (...) und die Entwicklung des Agrarsektors (...) sollten Priorität haben.“ Das ist für sich richtig gedacht, aber es fehlt in Osttimor nicht an Mitteln, sondern an einem ausreichend fähigen Verwaltungsapparat in den Ministerien, die Maßnahmen entsprechend zu implementieren.

Für das Gros der Menschen in Osttimor ist jeder Tag ein Notfall. Ihnen ist mit einer abwartenden Haltung der Regierung, politischen Ränkespielen und einem sich selbst bereichernden Minister nicht geholfen. <>
 

Verwendete und weiterführende Literatur:

Guteriano Nicolau S. Neves: The Paradox of Aid in Timor-Leste, La’o Hamutuk, Timor-Leste Institute for Reconstruction Monitoring and Analysis, 28 July 2006, http://www.laohamutuk.org/reports/06ParadoxOfAid.htm
Douglas Kammen, S.W. Hayati: Crisis and Rice in East Timor, 2007, http://www.etan.org/news/2007/03food.htm
Loro Horta: Rice: Timor's next crisis, International Security Network, Zürich, 8. Mai 2008, http://www.isn.ethz.ch/news/sw/details.cfm?ID=18933
Graciana des Castillo: Auferstehen aus Ruinen, die besonderen Bedingungen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach Konflikten, in: Der Überblick, Nr. 4/2006
George J. Aditjondro: Suharto and his family: The looting of East Timor, in: Green Left Weekly, 3 September 1997
IRIN News: Timor-Leste: A nation faces chronic, widespread food insecurity, UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, 7 May 2008
World Food Programme: Food Insecurity and Vulnerability Analyses Timor Leste, April 2005
Oxfam: Overview of the Rice Sector in Timor-Leste, April 2004
Government of Timor-Leste: Working Together, 2008 National Priorities, 28. March 2008
UNMIT Press Conference on global food crisis impact, 14 May 2008, Near Verbatim Transcript
 
 

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