Der folgende Artikel wurde für die Hefte des iz3w geschrieben
und erschien in deren jüngster Ausgabe. LeserInnen der Hefte des iz3w
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wärmstens empfohlen. Kontaktadresse: Informationszentrum 3. Welt,
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Vom 3.-8. April 1995 findet die Hannovermesse statt, deren Partnerland dieses Jahr Indonesien ist. Zu diesem Anlaß werden neben zahlreichen Ausstellern aus Indonesien auch Prominente aus Politik und Wirtschaft des Landes erwartet, deren Anliegen es sein wird, ihr Land als zukünftigen potenten Wirtschaftspartner darzustellen. Indonesien mit seinen derzeit für ganz Südostasien typischen hohen Wirtschaftswachstumsraten soll als günstiger Industriestandort, leistungskräftiger Partner für Joint-Ventures sowie als vielversprechender Markt der Zukunft gepriesen werden.
Während die überwiegende Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung Indonesiens noch im landwirtschaftlichen Bereich tätig ist, ruhen alle Hoffnungen, Entwicklung und Fortschritt zu erzielen, auf dem Industriesektor, der in Hannover das Bild bestimmen wird.
Über viele Jahre hinweg hatte das OPEC-Land Indonesien von seinen
Ölexporten profitiert. Doch Indonesien verstand schnell die Lehren,
die aus dem Ölpreisschock der 80er Jahre und dem veränderten
Verhalten der Industrieländer gegenüber der OPEC zu ziehen waren.
Die Diversifizierung der Wirtschaft sollte helfen, unabhängiger vom
Öl zu werden. Heute stützt sich nur noch ein Viertel bis ein
Fünftel des Staatshaushaltes auf die Einnahmen aus dem Export von
Öl und Gas. Neben der wachsenden Rolle des Tourismus sorgt seit einigen
Jahren vor allem der Export von Sperrholz, Möbeln, Textilien, Schuhen
und anderen Konsumgütern für steigende Einnahmen.
Das Wirtschaftswunder der "Berkeley-Mafia"
Tatsächlich gelang es mit dem gezielten Ausbau der Konsumgüterindustrie, den die sogenannte "Berkeley-Mafia" - im Westen ausgebildete Wirtschaftsfachleute in der Regierung - mit Unterstützung der Kollegen von der Weltbank vorantrieb, einen Boom der indonesischen Wirtschaft zu begründen. Seit Jahren liegt Indonesien im Trend der asiatischen "Tiger" und erreicht durchschnittliche Wirtschaftswachstumsraten von stolzen 6-7 % jährlich.
Doch wo wird dieses Wachstum erwirtschaftet? Es gründet auf der
Ausbeutung von Indonesiens reichhaltigen Ressourcen sowohl den natürlichen
als auch den menschlichen. Ausgebeutet werden die Rohstoffvorkommen, die
Regenwälder und die menschliche Arbeitskraft. Die Struktur der Konsumgüterindustrie
ist geprägt von Manufakturen, die arbeitsintensiv und kapitalextensiv
sind - anders ausgedrückt: In Indonesien ist die menschliche Arbeitskraft
noch billiger als der Einsatz von Maschinen.
Habibienomics
Der schnelle Erfolg, der mit dem ressourcenausbeutenden Industrialisierungskonzept der "Berkeley-Mafia" erzielt werden konnte, wird aber auch innerhalb der indonesischen Regierung nicht unkritisch gesehen. Denn dieses Konzept des sogenannten "comparative advantage" birgt die Gefahr in sich, daß die Wirtschaft genau so schnell, wie sie sich entwickeln konnte, auch wieder abstürzt. Das könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn andere Länder günstigere Bedingungen für Investoren bieten, beispielsweise durch noch niedrigere Löhne als die derzeit in Indonesien üblichen. Indonesien ist sich dieser Gefahr sehr wohl bewußt, da das Land einst selbst von einem derartigen Lohngefälle gegenüber anderen Staaten profitierte. Als es die asiatischen "Tiger" geschafft hatten, vom Niveau der Manufakturindustrie und dem einfachen Abkopieren westlicher Produkte auf eine höhere Technologiestufe zu klettern, stiegen dort neben dem Lebensstandard auch die Lohnkosten. Die Folge war, daß beispielsweise die Textil- und die Schuhindustrie sich von Hongkong, Taiwan und Korea nach Indonesien verlagerte. Dasselbe Schicksal droht nun Indonesien durch die Billigkonkurrenz etwa aus China und Vietnam. Die Frage ist nur, ob Indonesien die Abwanderung dieser Industriezweige ebensogut verkraftet wie seinerzeit die "Tigerländer". Notwendige Voraussetzung dafür wäre, daß es auch Indonesien gelingt, ein höheres Technologieniveau zu erreichen und eigene Produkte zu kreieren, die höherwertig sind als Jeans und T-Shirts.
Genau darauf setzt Forschungs- und Technologieminister Habibie mit seinem Konzept des "competitive advantage". Habibie, der in Bandung Luft- und Raumfahrttechnik studiert und in Aachen promoviert hatte, war über mehrere Jahre in führender Stellung beim deutschen Rüstungskonzern MBB tätig, bis ihn Präsident Suharto 1974 nach Indonesien zurückrief, um ihn als Minister in sein Kabinett aufzunehmen. Er verfügt über beste persönliche Beziehungen zu Suharto, gilt heute als eine der mächtigsten Persönlichkeiten in Indonesien und wird sogar als möglicher Nachfolger Suhartos im Präsidentenamt gehandelt.
Habibies Philosophie des "competitive advantage" basiert darauf, mit einem Konglomerat von staatseigenen "strategischen Industrien", bei denen er ganz auf High-Tech setzt, die Grundlagen für Indonesiens Zukunft zu schaffen. Zu Habibies Firmenimperium gehören die Flugzeugfabrik IPTN sowie die Waffen und Munitionsfabrik PT Pindad in Bandung, die PT PAL-Werft in Surabaya, das Krakatau-Stahlwerk und sechs weitere Großbetriebe. Neben seinem Amt als Minister bekleidet Habibie in einigen dieser Betriebe auch die Position des Vorstandsvorsitzenden.
Habibies High-Tech-Industrie wird von vielen Seiten stark kritisiert. In- und ausländische Experten, darunter Angestellte der Weltbank, bewerten die Habibie-Unternehmen als unwirtschaftlich und als "Faß ohne Boden", denn Habibies Industrie kann derzeit nur überleben, wenn der Staat hohe Subventionen dafür lockermacht. Die Bilanzen von IPTN, PT PAL oder Krakatau Steel werden nicht öffentlich gemacht. Dennoch weiß man, daß allein das Flugzeugwerk IPTN mit seinen mehr als 15.000 Beschäftigten bis dato mindestens US$ 1,6 Milliarden an staatlichen Zuschüssen verschlungen hat. Zweifelsohne hat die Firma seit ihrer Gründung vor fast 20 Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. Wurden anfangs nur Militärflugzeuge technisch überholt, ging IPTN später dazu über, Hubschrauber, Flugzeuge und Flugzeugteile unter Lizenz der Firmen Bell (USA), CASA (Spanien) und MBB (Deutschland) herzustellen. Inzwischen wurde gar der Prototyp des ultramodernen Kleinflugzeuges N-250 für 70 Passagiere entwickelt, das in Kürze serienmäßig gebaut werden soll. Damit nicht genug, plant Habibie den großen Sprung mit dem Bau eines weiteren Flugzeugwerkes in den USA - der Heimat von Boeing und McDonnall Douglas.
Doch all diese Erfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es IPTN, ebensowenig wie PT PAL und den anderen strategischen Betrieben, bis heute nicht gelungen ist, Gewinn abzuwerfen. Wie berichtet wird, weigerte sich Finanzminister Mar'ie Muhammad 1993, weitere staatliche Zuschüsse in die Entwicklung des N-250-Projektes zu stecken. er bezweifelt, daß der angezielte Verkauf von 700 Maschinen dieses Typs erreicht werden kann.
Ein Teil der Nachfrage wird aus Werbegründen und zur Schönung
der Bilanzen künstlich geschaffen. Indonesischen Fluggesellschaften
und Privatfirmen wird die Bestellung von IPTN-Produkten ebenso eindringlich
"nahegelegt" wie dem Militär. Doch gerade das Militär, wichtiger
Machtfaktor in Indonesien und seit längerem mit der Gruppe um den
Zivilisten Habibie im Clinch um die Präsidentennachfolge, zeigt sich
verärgert. Die Generäle sind nicht mehr willens, sich von Habibie
vorschreiben zu lassen, welche Waffensysteme sie zu welchem Preis zu erstehen
haben. Auf dem Weltmarkt ist zum Teil besseres und preisgünstigeres
militärisches Gerät im Angebot als das aus dem Hause Habibie.
Deutsche Kriegsschiffe beenden die "politische Öffnung"
Zum offenen Streit kam es im Frühsommer 1994 wegen des von Habibie eingefädelten Kaufs von 39 Kriegsschiffen aus Deutschland. Es handelte sich dabei um Altbestände der ehemaligen NVA-Flotte, die zum "Schrottpreis" in Höhe von insgesamt ca. US$ 20 mio abgegeben wurden. Offenkundig hatte Habibie vor Unterzeichnung des Kaufvertrages weder das Militär, noch den Finanzminister konsultiert. Als sich aber abzeichnete, daß aus dem scheinbaren Schnäppchen ein Geschäft in Milliardenhöhe wurde, kippte die Stimmung. Die Gesamtkosten des Waffengeschäfts inclusive Überführung, Reparatur, Umrüstung, Ausbildung der Besatzung und begleitenden Infrastrukturmaßnahmen, wie dem Ausbau von Marinebasen und dem Neubau zweier Tankschiffe, beliefen sich auf ca. US$ 1,1 Milliarden. Und selbstverständlich sollte ein Großteil dieser Summe in die Kassen von Habibies PT PAL-Werft fließen, die mit dem Umbau und der Ausrüstung der Schiffe beauftragt werden sollte.
Finanzminister Mar'ie Muhammad weigerte sich kategorisch, Gelder in
der gewünschten Höhe bereitzustellen und führende Militärs
lancierten Informationen an die indonesische Presse, die sich die Gelegenheit,
Frontalkritik an Habibie üben zu können, nicht entgehen ließen.
Habibie geriet stark in Bedrängnis und Präsident Suharto sah
sich gezwungen, in einer öffentlichen Rede die gesamte Verantwortung
für Habibies Handeln auf sich selbst zu nehmen. Eine Woche später
holten Suharto und Habibie zum Vergeltungsschlag aus und ließen durch
ihren engen Verbündeten, Informationsminister Harmoko, drei führende
Zeitschriften, die über den Fall berichtet hatten, verbieten - ein
schwerer Rückschlag für die Demokratie. Die erst wenige Monate
zuvor verkündete "politische Öffnung" war mit einem Schlag zu
Ende. Seither bläßt der Demokratiebewegung des Landes wie in
der Zeit vor der "Öffnung" wieder ein eisiger Wind ins Gesicht.
Flugzeuge statt Regenwald
Nach wie vor hat Habibie das Ohr des Präsidenten. Durch die Kabinettsumbildung nach den letzten Wahlen verloren viele Minister aus Reihen des Militärs und Minister, die der "Berkeley-Mafia" zugerechnet wurden, ihre Posten. Suharto ersetzte sie durch Mitglieder von ICMI, dem 1990 von Habibie ins Leben gerufenen Verband islamischer Intellektueller, in dem Habibie seit seiner Gründung den Vorsitz innehat. Habibies Position wurde damit gestärkt, was seine Gegenspieler im Kampf um die Macht - hauptsächlich Militärs - seither zu heftigen Angriffen auf seine Person herausfordert.
Nach Habibies Zerwürfnis mit dem Finanzminister half Suharto persönlich
seinem Freund bei dessen Suche nach neuen Geldquellen. Im Herbst 1994 gewährte
Suharto einen neuen Kredit für die Flugzeugfabrik IPTN in Höhe
von US$ 185 mio. Die Gelder werden einem Fond des Forstministeriums entnommen,
der per Gesetz ausschließlich für Wiederaufforstungsmaßnahmen
in Indonesiens geschundenen Regenwäldern genutzt werden sollte. Doch
das Wiederaufforstungsprogramm, für das die Holzkonzerne von Suhartos
persönlichen Freunden Prayogo Pangestu (Barito Pacific Company), "Tropenholzkönig"
Bob Hasan (Kalimanis Group) und Liem Soei Liong (Salim Group) maßgeblich
verantwortlich sind, kommt nicht voran. Der gut gefüllte Fond bleibt
somit ungenutzt und Präsident Suharto beschloß daher, das Geld
einstweilen anderweitig zu verwenden. 17 Nichtregierungsorganisationen
erhoben daraufhin Klage gegen Präsident Suharto persönlich wegen
gesetzeswidriger Zweckentfremdung der Mittel - ein in Indonesien noch nie
dagewesener Affront gegen das Staatsoberhaupt. Doch die Gerichte wiesen
die Klage ab, da die Kläger keine persönliche Schädigung
aufgrund der Umwidmung der Mittel geltend machen konnten.
Langfristige Perspektive zweifelhaft
Habibie fühlt sich bestenfalls falsch verstanden, wenn die mangelnde Wirtschaftlichkeit seiner Unternehmen kritisiert wird, denn er sieht die benötigten Subventionen als Investition in die Zukunft. Seine Strategie setzt darauf, Indonesien langfristig zu einer modernen Industriegesellschaft zu entwickeln. Durch die gezielte Förderung von High-Tech-Betrieben soll ein "trickle down-effect" entstehen, d.h. es soll beispielsweise durch das Entstehen von Zulieferbetrieben eine mittelständische Wirtschaft heranwachsen, die die derzeit bestehende Lücke zwischen "home industries" und Großbetrieben füllt. Darüberhinaus soll das hohe Qualifikationsniveau der in den High-Tech-Betrieben Beschäftigten längerfristig auch die Professionalität der mittelständischen Industrie steigern. Dazu allerdings wäre ein Austausch von Arbeitskräften notwendig, während der Trend zur Zeit eher dahingeht, daß immer mehr hochqualifizierte Kräfte von Habibies Unternehmen absorbiert werden. IPTN beispielsweise will seine Belegschaft zum Ende des Jahrzehnts von derzeit etwa 15.000 Beschäftigten auf 60.000 steigern.
Bezweifelt werden darf aber auch der Erfolg des "trickle down-effects". Zum einen stellt sich die Frage, ob das Konzept, High- Tech in erster Linie als Rüstungstechnologie zu verstehen, entwicklungspolitisch sinnvoll ist. Viele Produkte wie Motorräder, Fernsehgeräte u.a., nach denen eine große Nachfrage besteht, müssen weiterhin importiert werden, während Indonesien inzwischen moderne Flugzeuge und sogar Weltraumsatelliten baut. Und von mittelständischen Zulieferbetrieben ist 20 Jahre nach Gründung von IPTN nicht viel zu sehen, da derartige Großbetriebe dazu neigen, Einzelteile bis hin zur einfachen Schraube selbst zu produzieren oder notfalls zu importieren.
Von alledem läßt sich Habibie nicht beirren. Während
der weltweite Trend nach Privatisierung von Staatsbetrieben, um die Firmen
beweglicher und damit konkurrenzfähiger zu machen, auch an Indonesien
nicht spurlos vorbeigeht, hält Habibie an seinem ungewöhnlichen
Konzept fest, ausgerechnet durch solche staatseigene Betriebe den Innovationsprung
zum modernen Industrieland schaffen zu wollen. Dabei ist Habibie, der seinen
Konzern weniger als Unternehmen, sondern als eine Art staatliche Forschungs-
und Entwicklungsabteilung sieht, auf die finanziellen Mittel angewiesen,
die der Staat anderweitig erwirtschaftet. Es sind die von Habibie eher
ungeliebte Konsumgüterindustrie und die Rohstoffexporte, die dem Land
zu der finanziellen Basis verhelfen, aufgrund derer es sich die kostspieligen
Experimente Habibies erst leisten kann.
Sozialdumping: Billige Löhne als Wettbewerbsvorteil
Das schnelle Geld, das durch den Export von Konsumgütern und Rohstoffen verdient wird, macht Indonesien zum Wirtschaftswunderland. Westliche Politiker begründen dies gerne mit der besonderen "Dynamik", die die Länder Südostasiens aufweisen. Doch die Dynamik des indonesischen Wirtschaftswunders begründet sich in erster Linie darauf, daß Indonesien ein Billiglohnland ist. Die Löhne gehören zu den niedrigsten Asiens. Ein Arbeiter in Medan, Nord-Sumatra, verdient umgerechnet DM 2,60 pro Tag, falls seine Firma sich an den gesetzlichen Mindestlohn hält. Viele Firmen zahlen noch weniger. Diese extrem niedrigen Löhne liegen deutlich unter dem Existenzminimum, von dem sie nur ca. 60-70 % abdecken. Hinzu kommen die miserablen Arbeitsbedingungen in Indonesiens Betrieben. Die Arbeitszeiten liegen bei 10-14 Stunden pro Tag, an 6 Tagen pro Woche bei nur 5-7 Tagen Jahresurlaub. Zwar beinhaltet das indonesische Arbeitsrecht auch einige fortschrittliche Aspekte wie etwa bezahlten Menstruations- und Schwangerschaftsurlaub für Frauen, aber nur von wenigen Firmen werden diese Rechte tatsächlich gewährt. Ein Sozialversicherungswesen ist praktisch nicht vorhanden; Arbeitssicherheitsvorschriften, Kündigungsschutz und Mitbestimmungsrecht sind weitgehend Fremdworte. Kinderarbeit ist gesetzlich verboten, wird aber dessenungeachtet in zahlreichen Betrieben praktiziert.
Aufgrund des enormen Potentials an (ungelernten) Arbeitskräften des 190-mio-Volkes besteht keine Hoffnung auf eine marktbedingte Anhebung der Löhne. Und jedes Jahr beschert das Bevölkerungswachstum (1,7 % pro Jahr) dem Land ca. 2 mio neu auf den Arbeitsmarkt drängende Menschen. Der steigende Konkurrenzdruck von seiten Chinas, Indiens, Vietnams und anderer führte im Juni vergangenen Jahres zu weitreichenden Investitionserleichterungen für ausländische Unternehmen, die die Verhandlungsposition der Arbeiter weiter schwächen dürfte. Trotz des Wirtschaftswachstums ist die reale Kaufkraft der Arbeiter in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Denn alles wird teurer. Nahrungsmittelpreise, Benzin-, Strom-, Zementpreise u.a. sind in den letzten Monaten gestiegen bzw. werden noch steigen - nur die Löhne stagnieren. Und die Inflation steigt weiter - sie erreichte zum Jahreswechsel 94/95 die 10%-Marke.
Immer häufiger kommt es daher zu Streiks und Demonstrationen von Arbeitern, obwohl Streik- und Organisationsfreiheit strengen Restriktionen unterliegen. Die Regierung erkennt nur die Einheitsgewerkschaft SPSI (Serikat Pekerja Seluruh Indonesia - All Indonesia Workers Union) an, eine völlig gleichgeschaltete Organisation, deren Charakter weniger von Arbeitern als von Unternehmern und pensionierten Militärs bestimmt wird. Als Sprachrohr für Arbeiterinteressen ist die SPSI keinesfalls geeignet und niemals würde die SPSI zum Streik aufrufen. So wurden freie Gewerkschaften gegründet, die nichts mit der gleichgeschalteten SPSI zu tun haben wollen.
Die größte dieser Gewerkschaften, die SBSI (Serikat Buruh Sejahtera Indonesia - Indonesian Prosperous Workers Union), wurde im Juni 1992 gegründet. Inzwischen verfügt die SBSI über ca. 250.000 Mitglieder in 97 über ganz Indonesien verteilten Bezirken. Von seiten der Regierung wurde SBSI nie anerkannt, konnte aber fast zwei Jahre lang nahezu unbehelligt agieren. Erst am 25. April 1994, nachdem es in Medan, Nordsumatra, zu Massendemonstrationen gekommen war, die in blutigen Auseinandersetzungen endeten, bei denen ein Geschäftsmann chinesischer Abstammung ums Leben kam, wurde die SBSI durch den Innenminister verboten - obwohl sie vorher nie erlaubt war. Berichten von Beobachtern zufolge waren die gewalttätigen Ausschreitungen von Provokateuren des Militärs absichtlich ausgelöst worden, um dem Militär einen Vorwand zum Eingreifen gegen die Demonstranten zu liefern.
Seither greift der Staat wieder mit harter Hand gegen jegliche gewerkschaftlichen Aktivitäten durch. Streikführer, Gewerkschafter und sogar deren Anwälte landen im Gefängnis. Erst im November wurde der Generalsekretär der SBSI, Muchtar Pakpahan, wegen "Aufwiegelung" zu drei Jahren Haft verurteilt. Er wurde für die Vorkommnisse in Medan verantwortlich gemacht, obwohl er sich zum fraglichen Zeitpunkt nachweislich im 1.500 km entfernten Jakarta aufgehalten hatte. Aufgrund des auch von internationalen Beobachtern als "skandalös" bezeichneten Prozeßverlaufs, ging Pakpahan in Revision. Mit wenig Erfolg: Ende Januar wurde das Strafmaß in zweiter Instanz sogar um ein Jahr auf nun vier Jahre erhöht.
Über die Grenzen Indonesiens bekannt wurde auch das Schicksal der
Streikführerin Marsinah aus Ost-Java, die im Mai 1993 unter zum Teil
noch ungeklärten Umständen verschleppt, vergewaltigt und schließlich
ermordet wurde. Ein 1994 zu Ende gegangener Strafprozeß diente mehr
der Vernebelung von Verwicklungen des Militärs in den Fall als dessen
Aufklärung. Einige der Tat Beschuldigte waren vom Militär entführt
worden, um ihnen unter Folter Geständnisse abzuringen, damit man sie
der Öffentlichkeit als Schuldige präsentieren konnte.
Die externen Kosten: Umweltzerstörung
Ebenso wie die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft eine Grundlage des indonesischen Wirtschaftswunders darstellt, ist auch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen unabdingbare Voraussetzung für den Erfolgskurs der Industrie. Die Vernichtung des Regenwaldes durch die Holz- und Papierindustrie ist das wohl bekannteste Beispiel. Aber auch Rohstoffe wie Erdöl, Gas und Kohle werden in solchen Mengen exportiert, daß schon befürchtet wird, die Lagerstätten könnten bereits in wenigen Jahren erschöpft sein und Indonesien zum Netto-Importland für Erdöl werden lassen. Technokraten sehen nun den Ausweg in der Kernenergie. Ungeachtet der damit im Land der Vulkane und Erdbeben verbundenen Gefahren und ungeachtet der drohenden wachsenden Abhängigkeit von Technologiekonzernen aus dem Ausland, will Indonesien innerhalb der nächsten 20 Jahre 12 Atomkraftwerke bauen.
Bedingt durch den politischen und wirtschaftlichen Zentralismus siedeln sich immer mehr Industriebetriebe in den Speckgürteln der großen Städte, insbesondere auf der Insel Java, an. Ungünstigerweise verfügt Java aber auch über fruchtbare Böden vulkanischen Ursprungs, die die höchsten landwirtschaftlichen Erträge in ganz Indonesien garantieren. Doch die Industrie verdrängt immer mehr Bauern von ihren Feldern und könnte somit auf längere Sicht die ausreichende Versorgung des Landes mit Nahrungsmitteln gefährden.
Neben der Verknappung landwirtschaftlicher Nutzflächen stellt auch die Bewässerung der Felder ein zunehmend besorgniserregendes Problem dar, ebenso wie die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser. In der Wasserversorgung der Hauptstadt Jakarta treten bereits jetzt erhebliche Engpässe auf. Die Ressourcen aus Oberflächengewässern - Stauseen in der angrenzenden Provinz West-Java - und Grundwasser reichen längst nicht mehr aus, um den ständig steigenden Bedarf zu decken. Der Wasserhaushalt ist infolge der Abholzung von Wäldern und der Intensivierung der Landwirtschaft vielerorts gestört.
Viele Bewohner in den Slums und einfachen Wohnbezirken Jakartas verfügen nicht über einen Trinkwasseranschluß. Sie konnten sich bislang aus eigenen Brunnen versorgen. Doch zum einen wird die Wasserqualität der Brunnen durch zunehmende Gewässerverschmutzung immer schlechter, zum anderen fallen viele Brunnen trocken oder versalzen durch das von der Küste her in die leergepumpten Grundwasserleiter einsickernde Meerwasser. Industriebetriebe begegnen dem Problem durch das Graben immer tieferer Brunnen zur Eigenversorgung und verschlimmern die Situation dadurch noch mehr. Inzwischen ist das Salzwasser bereits bis ins Grundwasser im Zentrum Jakartas, 12 km von der Küste entfernt, vorgedrungen. Viele Bewohner müssen ihr Wasser nun kanisterweise von Kleinhändlern kaufen. Die Grundwasserentnahme verursacht darüberhinaus Landabsenkungen, die z.T. bereits mehrere Meter betragen.
Einige Industriebetriebe verfügen über Kläranlagen, doch die wenigsten davon funktionieren so, daß auch nur die in Indonesien gültigen Vorschriften und Grenzwerte für Abwasser eingehalten werden. Auch die zahlreichen in und um Jakarta konzentrierten, zu deutschen Konzernen gehörenden Fabriken erfüllen nicht immer die geltenden Normen. Und Abwässer aus Haushalten gelangen sowieso größtenteils ungereinigt in den nächsten Fluß. Jedes Programm zur Entschärfung dieser Situation - etwa durch den Bau von Kanalisation und Kläranlagen - ist zum Scheitern verurteilt, solange der Zustrom der verarmten Landbevölkerung auf die Städte nicht gestoppt werden kann.
Solange sich aber die Ansiedlung neuer Fabriken - und damit der Reichtum - auf die wenigen großen Städte Javas konzentriert, werden die Menschen weiter ebendort ihr Glück suchen - viele von ihnen vergeblich. Diese gescheiterten Existenzen leben schon heute zu tausenden in behelfsmäßigen Hütten entlang von offenen Abwasserkanälen und Bahnlinien. Die stinkende Brühe der Kanäle dient ihnen zum Wäschewaschen, Geschirrspülen und zur Körperpflege - ein scharfer Kontrast zum Fortschrittsland Indonesien, als das es sich auf der Hannovermesse zeigen wird.
Nach Berechnungen des "World Resources Institute" in den USA verringert
sich das anhand des Bruttosozialproduktes gemessene Wirtschaftswachstum
Indonesiens allein durch Einbeziehung des Verlustes an Erdöl, Edelhölzern
und Humus um satte 3 Prozentpunkte. Bei Berücksichtigung aller anderen
Umweltschäden dürfte die Bilanz noch weit verheerender ausfallen.
Konglomerate bestimmen die Richtung
Auf das eigentliche Problem der indonesischen Wirtschaft weist die geringe Rolle der mittelständischen Industrie hin. Denn noch immer wird die Industrie beherrscht von wenigen Reichen, darunter viele mit der Präsidentenfamilie eng vertraute Unternehmer bzw. Angehörige der Familie selbst. "Kolusi" ist der indonesische Ausdruck, der die allgegenwärtige Verknüpfung von Unternehmen, Bürokratie und Militär beschreibt. Wie selbstverständlich greift das Militär in Arbeitskämpfe ein und ebenso selbstverständlich entscheiden Behörden und Justiz zugunsten von Unternehmern und gegen die Interessen der einfachen Leute. Diese Struktur, einhergehend mit der allgegenwärtigen Korruption, verwehrt kleinen und mittleren Unternehmen jegliche Chance, sich behaupten zu können. Das gilt für indonesische Betriebe ebenso wie für ausländische Investoren. Es ist kein Zufall, daß von den deutschen Unternehmen hauptsächlich Industrieriesen wie Siemens, Bayer oder Hoechst in Indonesien Fuß fassen konnten, denn die anderen haben wenig Chancen, ihren Weg durch die Bürokratie zu finden.
In einem Bericht vom August 1994, den das Bundesland Baden-Württemberg hat anfertigen lassen, findet sich ein wichtiger Hinweis für Betriebe, die in Indonesien ins Geschäft kommen wollen: "enger Kontakt zu mächtiger Ministerialbürokratie ist notwendig," heißt es da sehr vorsichtig formuliert. Doch welches kleinere Unternehmen verfügt über solche Kontakte oder hat die Möglichkeit, sie aufzubauen? Die Großindustrie hat dieses Problem nicht. Für sie stellt sich allerdings die Frage, wie sicher die Investitionen in Indonesien auf Dauer angelegt sind. Denn die heute notwendige Kumpanei mit der korrupten Machtelite in Jakarta könnte zum Bumerang werden, wenn diese Machtelite eines Tages abgelöst werden sollte.
Wirtschaftsexperten im In- und Ausland sind sich darüber einig, daß Deregulation die vordringlichste Aufgabe der indonesischen Wirtschaft ist. Doch kaum einer hat den Mut, auszusprechen, was das in letzter Konsequenz bedeutet: die Auflösung der Konglomerate und ihrer Verfilzung mit Bürokratie und Militär kann nur durch einen politischen Machtwechsel erreicht werden. Einige der größten Konglomerate des Landes gehören Suhartos Söhnen und Töchtern, unter anderem Humpuss (Sohn Tommy), Bimantara (Sohn Bambang) und Citra Lamtorogung (Tochter Tutut). Wo es etwas zu verdienen gibt, sind sie mit dabei. Sie profitieren wie selbstverständlich von allen größeren staatlichen Aufträgen und es kommt kaum ein Geschäft mit ausländischen Partnern zustande, an dem nicht die Firmen der Suharto-Kinder beteiligt sind. Die Unternehmen der Familie Suharto bauen mit staatlichen Aufträgen Autobahnen und kassieren von den Benutzern die Maut-Gebühren, anläßlich großer Konferenzen dürfen sie steuerfrei Luxuslimousinen für Staatsgäste importieren, die nach einmaliger Benutzung weiterverkauft werden. Die Söhne und Töchter Suhartos besitzen private Fernsehstationen und Monopole auf Agrarprodukte wie Nelken und Orangen, deren Ankaufspreis sie zum Schaden der Erzeuger nach eigenem Gusto festlegen. Suharto wäre daher ein schlechter Vater, würde er sich ernsthaft für Deregulation einsetzen.
Die auf der Hannovermesse geplante Selbstdarstellung der indonesischen
Wirtschaft wird all diese Probleme gezielt ausklammern. Erst recht auf
der Strecke bleiben wird die Frage nach den Bedürfnissen und Rechten
großer Teile der Bevölkerung, die keinerlei Nutzen aus dem wirtschaftlichen
Erfolg der Elite ziehen. Sie sind es im Gegenteil, die durch Landenteignungen,
Umweltzerstörung, steigende Preise und extreme Niedriglöhne für
die Industrialisierung des Landes bezahlen. Nur 1 % der Unternehmen erwirtschaftet
80 % der Einnahmen. Dem gegenüber stehen 120 mio Menschen, die weniger
als 1.000 Rupiah pro Tag zum Leben haben. (Zahl von 1993; 1.000 Rp - 90
Pfennig) <>
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