Prof. Benedict Anderson, 1936 in Kunming (China) geboren, ist
Professor für Government and Asian Studies und Direktor des South-East
Asian Program an der Cornell University, New York.
Watch Indonesia!: Warum interessierst Du Dich ausgerechnet für Südostasien bzw. Indonesien - vor allem Java?
Benedict Anderson: Damals dachte ich nicht an Südostasien, Indochina, Burma etc. Warum Java? Na ja, während der Zeit waren die Bewegungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Im Januar 1962 kam ich in Jakarta an. In Aceh, West-Java und Sulawesi fanden Rebellionen statt. Deshalb war es schwer, Flüge zu den anderen Inseln zu bekommen. Fast alle Flüge wurden vom Militär benötigt. Während meines zweieinhalbjährigen Aufenthalts in Java konnte ich nur zweimal ausreisen. Einmal nach Medan und einmal nach Bali. Ich habe begonnen mich für Java zu interessieren, weil ich sonst nirgendwo hinfahren konnte.
WI: Wie würdest Du die indonesische Politik beschreiben?
BA: Es kommt darauf an, ob man die indonesische Politik kurz- oder langfristig betrachtet. Kurzfristig kann man sich aus der Zeitung, oder in Gesprächen mit unterschiedlichen Gruppen Informationen beschaffen. Im großen und ganzen geht es doch nur darum, wie lange Suharto noch an der Macht bleibt. Ob man ihn stürzt, wer ihn besiegt, wer sein Nachfolger wird. Langfristig muß man Suhartos Neue Ordnung als ein System betrachten. Dazu braucht man natürlich weitere Kenntnisse über den holländischen Kolonialismus, im Vergleich zu dem der Briten, Franzosen usw. Man muß auch über die indonesische Revolution von 1945 Bescheid wissen und die Rolle Sukarnos kennen. Das Privatleben von Suharto hat auch eine große Bedeutung. Die Position Indonesiens in der Weltwirtschaft und internationalen Politik ist ebenfalls wichtig, um indonesische Politik zu verstehen.
WI: Betrachten wir die Zeit von 1965 bis 1995, das heißt vom Putsch bis heute. Nicht alle Experten können die Lage wissenschaftlich beurteilen und gleichzeitig mit den Unterdrückten sympathisieren. Wie kannst Du als ausländischer Experte die politischen Ereignisse in Indonesien nicht nur verfolgen, sondern auch mit ihnen sympathisieren bzw. mitfühlen?
BA: Ich habe Glück gehabt, daß ich schon 1962 eingereist war, d. h. ich konnte sowohl die Orde Lama als auch die Orde Baru erleben. Die jüngeren Experten kennen dagegen nur Indonesien unter Suhartos Militärregime. Außerdem war ich zu der Zeit noch sehr jung. Während der Zeit lebten sehr wenig Ausländer in Indonesien. Ich konnte mit dem Oplet und LKW überall hinfahren, ja sogar trampen. Die Bevölkerung hat mich für einen Russen gehalten. So bekam ich zu allen Gesellschaftsschichten Kontakt, vom Straßenhändler bis zum Minister. Oft habe ich mit ihnen bis spät in die Nacht hinein Schach gespielt. Das hat mir unheimlich Spaß gemacht. Kurz, ich war verliebt in ein Land namens Indonesien. Ich hatte überhaupt keine politische Mission. Ich mag die Sprache, Literatur, Tradition und Kunst, einfach alles. Wenn ich mich mit den anderen Kollegen vergleiche, besteht ein großer Unterschied. Die anderen Kollegen interessieren und spezialisieren sich auf ein bestimmtes Gebiet, zum Beispiel Literatur, Ökonomie, Politik etc. Deshalb betrachten sie mich als einen Amateur, der kein Spezialisierungsgebiet hat. Dies ganz besonders, weil ich in meiner Dissertation über die Revolution in Indonesien schrieb und mich mit dem Wayangspiel, der Gamelanmusik und dem Kuda Kepang (Pferdetanz) beschäftigte. Sie waren entsetzt! Was hat denn die Revolution mit Kuda Kepang zu tun?
WI: Genau das wollte ich jetzt wissen. Was hat denn Gamelan, Wayang und Kuda Kepang überhaupt mit der indonesischen Revolution zu tun?
BA: Damals dachte ich natürlich nicht an so etwas. Ich war unheimlich verliebt und zwar in die indonesische Revolution, Gamelan, Wayang usw., einfach verliebt. Es ist schwer zu erklären. Das ist das typische Verhalten junger Menschen. Wie Liebe auf den ersten Blick.
WI: Warum hast Du Dich einerseits für die Revolution so begeistert und anderseits auch für die Tradition. Hast Gamelan gespielt und Wayang angeschaut und bist durch die Dörfer gewandert. Wozu?
BA: Damals war das Gamelanspiel keine feudalistische Betätigung. Die Paläste in Java waren schon zersört und leer. Ich ging ein und aus... ich sah, daß die Diener schon hoffnungslos waren, weil die Sultane schon lange nicht mehr da waren. Mit anderen Worten, die alte Kultur war schon lange tot, doch das Gebäude war noch da.
WI: Wir reden über die Revolution. Warum bist du in den javanischen Palästen ein- und ausgegangen, statt zum Beispiel die PKI zu beraten bzw. den Chefidelogen zu spielen. War das eine Art Arbeitsteilung unter Euch?
BA: Oh, Moment mal! Zuerst wollte ich folgendes klarstellen. Wir wissen ja, daß die Holländer in Indonesien vieles zerstörten. Gamelan gab es nicht nur in den Palästen, sondern auch auf den Dörfern. Ich wollte genauer wissen, was von der westlichen Zivilisation nicht zerfressen worden war. Zurück zur Frage, was man unter Revolution versteht, und wozu sie da ist. Ich unterstützte die Revolution, weil sie für mich persönlich etwas bedeutete. Ich bin ja in einer abgeschlossenen Gesellschaft, mit einer englischen Mutter und einem irischen Vater, aufgewachsen. Ich lebte wie ein Tapol (polit. Gefangener, d.red). Zu der Zeit war die irische Gesellschaft noch quasi feudalistisch geprägt. Ich hatte Probleme im Umgang mit den Menschen aus der Mittel- und Oberschicht und zur Unterschicht war das auch nicht leicht. Doch unter diesen Umständen waren die Lebensbedingungen in Indonesien für mich, als ein junger Bule (Weißer, d. red.), der sich zu keiner Gesellschaftsschicht zugehörig fühlte, ideal. In dem Sinne, daß ich mich frei bewegen konnte, sowohl mit den Ministern als auch mit den einfachen Leuten auf der Straße. Ich hatte zu jeder sozialen Klasse Kontakt. Das ist das, was ich in meiner Gesellschaft vorher nocht nicht erlebt hatte. Wahrhaftig!
WI: Sukarno hat Dich doch als Dolmetscher benutzt. Wie ist es dazu gekommen?
BA: Genau gesagt, hat mich Sukarno nicht benutzt wie Du meinst. Jeder weiß, daß es damals nur wenig Bules in Indonesien gab. Sukarno selbst wußte natürlich nicht, wer ich war. Sein Sekretär suchte an der Universitas Indonesia einen Dolmetscher. Sie haben sich für mich entschieden. So ist es dazu gekommen, daß ich im Palast des Präsidenten ein- und ausgehen konnte. Ich hatte somit oft die Gelegenheit, die ganze Nacht dem Wayangspiel beizuwohnen. Wenn ich müde war, übernachtete ich einfach auf einer Matte mit vielen tinggis (Läuse), zwischen Babus (Kindermädchen) und Jongos (Diener). Im Palast war das Essen recht bescheiden (Tempe und Tahu). Außerdem war die Cakrabirawa (Palastgarde) sehr freundlich zu mir. Das war eine sehr schöne Zeit. Sukarno war ein offener Mensch. Wenn ich daran denke, das war einfach unbeschreiblich. Ich liebe Bung Karno. Es ist wichtig, das zu sagen. Noch nie habe ich einen so offenen Staatschef erlebt. Nicht in Washington, London, Jakarta (heute), Paris, Tokio oder Beijing. Na ja, wenn Du es genauer wissen willst: während der Wayangspiele konntest Du alle möglichen Leute treffen zum Beispiel pensionierte KKO Soldaten (Marineeinheit), Studenten, Köche oder Prokem (kleine Gauner). Kurz, es war einfach unglaublich. Heute ist so etwas unvorstellbar.
WI: Sukarno war sicherlich nicht nur ein guter und offener Mensch. Gab es auch Schwachstellen bei ihm?
BA: Oh,... selbstverständlich, viele sogar. Zunächst hat Sukarno seine eigene Kapazität, sein Charisma, seine Intelligenz und seine Strategien überschätzt, um über hundert Millionen Menschen zusammenzuhalten. Dazu kamen noch Intrigen, Attacken von außen etc., denen er noch recht gut ausweichen konnte. Er glaubte alles überwinden zu können. Das war so eine Art Arroganz bei ihm. Sukarno duldete keinen anderen Führer neben sich. Andere Politiker betrachtete er nicht als seinesgleichen oder als seine Freunde, sondern für ihn waren sie nur seine Pembantus (Gehilfen).
WI: Könntest Du bitte erklären, warum Du in Deinem Buch - „Die Erfindung der Nation“ im Vorwort zur deutschen Ausgabe 1983 - Sukarno mit Hitler vergleichst? (... Nach der ersten Hälfte seiner Rede begann Sukarno ausführlich über Adolf Hitler zu sprechen. Offenkundig nahm er - wahrscheinlich zu Recht - an, die wenigsten Studenten hätten je vom »Führer« gehört. Zudem sprach er über ihn mit jenem distanzierten »historischen« Interesse, das meine Lehrer an der High School Personen wie Dschingis Khan, Napoleon oder dem Propheten Mohammed entgegengebracht hatten. Der europäische Botschafter, für den ich übersetzte, wurde immer ungläubiger, zorniger und angewiderter. »Sind Sie sicher, daß er das wirklich sagt?« fragte er mich immer wieder. Ich mußte seine Frage bejahen: »So redet er oft über Abraham Lincoln, Kemal Atatürk, Ho Chi Minh, Gandhi, De Valera und Sun Yat-sen. Er spricht vom Nationalismus.« Der Botschafter kehrte zu seinem Amtssitz zurück, mehr denn je davon überzeugt, daß Sukarno ein verrückter und gefährlicher Scharlatan sei. Anderson, 1983: 9)
BA: Laß mich bitte erst folgendes klarstellen. Ich war entsetzt, daß Sukarno von Hitler so begeistert war. Die anwesenden westlichen Botschafter waren schockiert und sie glaubten nicht, daß Sukarno das ernst meinte. Sukarno hat Europa von weit weg mit einem Teleskop gesehen, so wie ein Europäer Indonesien sieht. Etwa wie ich Dschngis Khan oder andere grausame Figuren, die vor hundert oder tausend Jahren lebten, sehe.
WI: Was wollte eigentlich Sukarno von Hitler lernen?
BA: Sukarno wollte nur zeigen, daß Hitler ein Nationalist war, daß das deutsche Volk von ihm sehr begeistert war. Dennoch stimmten die Konzepte von Hitler nicht und das wußte Sukarno auch. Daß Hitler keblinger (wahnsinnig) war, war Sukarno auch bekannt. Kurz: er wollte nur zeigen, warum Hitler von den Deutschen große Unterstützung bekam. Das war Nationalismus!
WI: Was meinst Du mit Nationalismus? Suharto herrscht doch fast 30 Jahre. Er wird von der Armee, den Cukongs (von der Machtelite protegierte Unternehmer chines. Herkunft) und den 'religiösen Führern' unterstützt. Das klingt zwar nach dem Konzept eines agrarischen (javanischen) Staates, aber... Suharto ist doch nicht weniger nationalistischer als Sukarno oder Hitler?
BA: Wenn Sukarno Hitler lobte, stellte er Hitler neben Nehru, Chiang Kai-shek oder andere Nationalisten. Hitler ist nur einer unter diesen Nationalisten. Suharto ist ein anderes „Kaliber“. Sukarno kam während der starken nationalistischen Welle der 40iger Jahre an die Macht. Das indonesische Volk hat unter dem Kolonialismus gelitten, und es wollte einen Führer, eine nationalistisch gesinnte Persönlichkeit als Präsident haben. Mit anderen Worten, die Macht kam von unten. Im Gegensatz zu seinem Nachfolger. Ich garantiere, daß bis zu 99,5% des indonesischen Volkes den Namen Suharto bis zum 1. Okt. 1965 noch nicht kannte.
WI: Trotzdem, kann er so lange an der Macht bleiben. Warum?
BA: Na, das stimmt! Wir haben es hier mit drei Dingen zu tun; erstens ist Suhartos Herrschaft eine Schreckensherrschaft. Sie begann mit einem Gemetzel, das bis heute traumatisch wirkt. Admiral Sudomo selbst hat damals gesagt, daß es 1965/1966 ca. 500.000 Tote gab. Wahrscheinlich war die Zahl der Opfer höher als eine Million.
WI: Und der zweite Faktor?
BA: Hier ist die Rolle Amerikas zu erwähnen. Die Amerikaner haben sich unheimlich gefreut. Ohne einen Tropfen Blut eines GI's hat Suharto die Kommunisten 'gesäubert'. Man darf nicht vergessen, daß dies zur Zeit des Vietnamkriegs geschah. Dies bedeutete, daß mit dem Fall Vietnams Indonesien als Gegengewicht diente. Deshalb haben die Amerikaner Suharto unterstützt und sich bedankt, da er aus eigener Initiative die PKI ausschaltete. Als Folge bekam Suharto eine ungeheuer große Hilfe aus dem Westen. Jedes Jahr erhielt Indonesien Milliarden Dollar sowohl aus Amerika als auch aus Westeuropa und aus Japan. Eine Dankbarkeit dieser Art hat kein einziges Land erfahren, außer Israel. Indonesien folgt unmittelbar danach.
WI: Hast Du genaue Daten?
BA: Ja! Die Wirtschaftshilfe wird in fast jedem Buch erwähnt. Genau so sieht es mit der militärischen Hilfe aus. Das ist doch kein Geheimnis. Der dritte Faktor ist die Person Suharto.
WI: Was ist mit Suharto?
BA: Bei einem Seminar habe ich einmal die Studenten gefragt, wer Suharto ist. Es ist merkwürdig, daß keiner genau Bescheid wußte. Im Gegensatz dazu kannten alle den Charakter von Sukarno. Sie konnten ihn sogar gut beschreiben. Sukarno sei so und so gewesen. Aber über Suharto? Tja!... Pak Harto - für die jungen Studenten ist er irgendwie eine mysteriöse Figur, dessen eigentlicher Charakter ihnen unbekannt ist. Besonderheiten oder sagen wir mal 'exotische' Merkmale kann man bei ihm nich ausmachen. Er ist ein Phantomherrscher. In diesen 30 Jahren konnte man beobachten, daß er alle seine Freunde ausgenutzt und bei Bedarf ausgebootet hat. Er ist ein Mensch ohne jegliche Loyalität, außer vielleicht für sich und seine Familie.
WI: Ist das einmalig in der indonesischen Geschichte?
BA: Im allgemeinen sind in der Geschichte große Menschen von drei Dingen besessen: Sex, Geld und Macht. Das harmloseste ist, wenn der Mensch sexbesessen ist. Die Geldbesessenheit ist schlimm, aber am schlimmsten ist ein Mensch, der unter Machtbesessenheit leidet. Nun, Suharto und Sex... hmmm,...ha,...ha, um es milde auszudrücken: Nichts! Doch Geld schätzt er außergewöhnlich hoch ein. Seine Machtgier ist noch größer. Bei Hitler spielte Sex wahrscheinlich keine sehr große Rolle, Geld ebenso. Doch Macht war es! Das ist am schlimmsten. Machthungrige Menschen sind Sadisten. Der Machthungrige ist oft erst dann befriedigt, wenn er den anderen vernichtet hat. Sieh dir Stalin, Hitler und andere an.
WI: Gibt es keinen Vergleich zu Suharto in der javanischen Geschichte?
BA: Genau weiß ich das nicht. Aber einen Menschen wie Suharto, der seine Freunde verrät, ermordet und verkauft, gab es vorher nicht. Er hat doch keinen einzigen wahren Freund. In seiner Biographie verleugnet und verrät er alle Personen, die ihm geholfen haben. Deshalb kam ich zu dem Ergebnis, und ich bin mir da ziemlich sicher, daß Diponegoro, Sultan Agung und andere keine so kaltblütigen Menschen wie Suharto waren. Er schrieb zum Beispiel, daß ihm kein Mensch geholfen hätte, und er alles selbst schaffe. Mit anderen Worten, er hat so eine Art Minderwertigkeitskomplex. Außerdem sagt er, daß Ali Moertopo ihn nicht dirigiert hat und daß Sudjono Humardani nicht sein 'Super-Dukun' gewesen sei usw. Mit anderen Worten, er will zeigen, daß nur er Regie führt und sonst niemand. Dieses Verhalten findet man im klassischen Java nicht. Das ist wahrscheinlich eine Version des modernen Javanismus. Zum Schluß noch ein paar Worte über Suhartos Charakter. Im alten Java, auch wenn die Herrscher nicht so exakt ist wie die Historiker beschreiben, ist eine Sache sicher, alle mußten ihre Abdi (Diener), die Bedoyos (traditioneller, höflicher Tanz) und Gamelan gut behandeln, kurz, die Tradition bewahren und pflegen. Das ist nicht Suhartos Stil. Ich bin ziemlich sicher, daß er in seinem Leben noch keine Novelle gelesen hat. Er hat bestimmt kein Wayangspiel angeschaut, nur wenn es sein mußte. Sein Interesse an Kultur ist gleich Null. Doch bei einem Treffen vor 15 Jahren hat er die KNPI über die javanische Panca Sila-Version belehrt. Die sog. hono-co-ro-ko Philosophie ist seine eigene Lebensphilosophie, die sich als flach, bedeutungslos und als billiges javanisches Klischee erwiesen hat. Dabei war er davon überzeugt, daß sie besonders wichtig wäre. Das war ein großer Skandal.
WI: Ist das nicht ein Art Vergeltung von Dir, weil Du von Suhartos Geheindienst aus Indonesien rausgeschmissen wurdest? Es ist doch unter zwei verfeindeten Akteuren üblich, daß der eine den anderen verspottet.
BA: Wie bitte? Vergeltung? Ach,... hmm, vielleicht kann man es so nennen. Aber mein dendam (Rachegefühl) gilt eigentlich eher Benny Moerdani und nicht an erster Stelle Suharto.
WI: Was hat Dir denn Benny Moerdani getan?
BA: Ich bin mir ziemlich sicher, daß mein Fall in den Händen von Benny Moerdani lag. Für Suharto selbst ist er wahrscheinlich uninteressant. Ich weiß genau, daß ich der persönliche Feind von Benny Moerdani bin.
WI: Oh, wollt ihr euch etwa schlagen?
BA: Gut, dies ist alles nur wegen 'Timtim' ausgelöst worden. Vielleicht übertreibe ich ein bißchen, wenn ich behaupte, daß ich der einzige westliche Experte war, der anfing, über Ost-Timor in der Öffentlichkeit zu reden. Seit 20 Jahren berichte ich dem amerikanischen Kongreß, 1976, 1978, 1980 usw. über die politische Lage in Ost-Timor. Die meisten westlichen Experten hielten still, in der Hoffnung, ein Visum für Indonesien erteilt zu bekommen.
WI: Wann hast Du das Einreiseverbot nach Indonesien erhalten? Seit der Veröffentlichung des weltberühmten 'Cornell Paper'?
BA: Nein! Seit 1972.
WI: Zur Timtim-Problematik kommen wir gleich. Zunächst will ich noch folgendes wissen. Wer könnte in der Lage sein, Suharto in Kürze zu stürzen?
BA: Das ist ein Problem. Einen frontalen Umsturz könnte nur Abri leisten. Doch Abri ist nicht so wie manche denken. Suharto ist ein Kakap (großer Fisch) und sein Vize ist ein Teri (kleiner, stinkender Fisch)...hee, ...hee. Symbolisch. Im allgemeinen ist das doch so in Indonesien; die Armeeführung wird von Menschen mit Teri-Mentalität besetzt. Trotzdem ist ein Umsturz vor Suhartos Tod nicht unvorstellbar. Wenn zum Beispiel in einem anderen Land irgend etwas passiert, sagen wir mal, eine politische Unruhe in China, so könnte dies von politischen Gruppierungen dazu benutzt werden, Suharto zu entmachten. Ich bin mir ziemlich sicher, daß Suhartos Herrschaft auf diese Weise beendet wird. Es ist möglich, daß sich eine Koalition aus Zivilen- und Abri-Teilen bildet. Nicht - wie mache glauben - daß das Suharto-Regime aufgrund eines Machtkampfes an der Spitze zu Grunde ginge.
WI: Zurück zu Ost-Timor. Ist Timtim eine nationale Schande für das indonesische Volk oder der Versuch den indonesischen Nationalismus neu zu definieren?
BA: Oh! Oh! Folgendes: ich habe viel über Nationalismus von Prof. Kahin gelernt. Prof. Kahin, den ich sehr verehre und liebe, unterstützte die indonesische Revolution sehr mutig, obwohl er viele Probleme mit den amerikanischen Behörden hatte. Das Resultat war, daß ihm sein Paß für vier Jahre entzogen wurde, weil ihn die U.S. Behörde als kurang ajar (unerzogen) hielt. Kahin denkt wie ein amerikanischer Patriot. Die US-Regierung sollte das kleine Indonesien bei der Befreiung vom Kolonialismus unterstützen. Das ist der echte amerikanische Nationalismus. Ein anderes Beispiel wäre der Vietnamkrieg. Ich glaube Prof. Kahin war der erste, der in der Öffentlichkeit gegen die amerikanische Administration (Kennedy, Johnson, usw.) protestierte. Doch er war ein Pazifist im Sinne des amerikanischen Patriotismus. Genau bedeutet dies; daß die Amerikaner doch kein kleines Land wie Vietnam in einen schmutzigen Krieg hineinziehen wollten. Deshalb muß ein guter Patriot die Brutalitäten seiner Regierung bekämpfen.
WI: Heißt das nun, daß 'Timtim' für das indonesische Volk eine nationale Schande ist?
BA: Ja genau! Dies bedeutet, daß ein 'echter' indonesischer Patriot gegen seine Regierung kämpfen muß, um das indonesische Volk von dieser Schande zu befreien. Und er darf nicht zulassen, daß 'sein' eigenes Volk andere Völker unterdrückt. In diesem Fall hätte Prof. Kahin viele Anhänger, unter anderem Dr. George Aditjondro. Und ich glaube es ist richtig, wenn zur Zeit ein 'echter' indonesischer Nationalist für die zivilen Rechte des ost-timoresischen Volkes kämpft.
WI: Besteht noch die Möglichkeit eines 'friedlichen' Lösungsweges für Ost-Timor?
BA: Ach, ich glaube nicht. Die indonesische Armee ist schon in die Sackgasse geraten. Und die Welt schaut zu. Die Unterstützung für die Befreiung des ost-timoresischen Volkes ist schon weltweit bekannt und nimmt ständig zu. Außerdem hat die indonesische Militärregierung keine Pläne für Ost-Timor, für die nächsten 20 oder 30 Jahre. Das war ebenso mit den Holländern in den 40iger Jahren. Sie hatten keine Pläne für die weitere Entwicklung Indonesiens. Doch! Indonesien ist unabhängig geworden.
WI: Zur Problemlösung. Bestehen Unterschiede zu Ost-Timor, Goa, Singapur und Eritrea?
BA: Goa ist Timtim am ähnlichsten. Während der Befreiung durch die indische Armee stand Goa noch unter dem faschistischen Regime von Salazar. Das indische Versprechen, daß Goa in ein demokratisches System eingegliedert werden soll, wurde realisiert. So konnten in Goa freie Wahlen - wie in den anderen Teilen Indiens - stattfinden. Zweitens; und das ist wichtig und ausdrücklich zu erwähnen, kam es damals zu keinem Blutvergießen. Mit anderen Worten, die indische Armee maschierte in Goa ein, ohne Vergewaltigung, Raub, Mord und Totschlag. Drittens, darf man nicht vergessen, daß Goa hunderte von Jahren in die indischen Handelsbeziehungen integriert war. Selbstverständlich spielt die Sprache auch eine Rolle. Kurz, Goa liegt im indischen Kulturkreis, während das bei Timtim nicht der Fall ist. Dies bedeutet, daß es (vor der Annektion) kaum Ost-Timoresen gab, die Bahasa Indonesia sprachen. Außerdem sind die Indonesier in Timtim sehr brutal mit dem einheimischen Volk umgegangen. Kein Versprechen wurde eingehalten, ihnen wurde höchstens die Demokratie von den Indonesiern gestohlen. Na, mit Eritrea gibt es einige Ähnlichkeiten. Eritrea war eine italienische Kolonie. Das Land wurde von äthiopischen Herrschern annektiert. Die UNO sah dieser Brutalität tatenlos zu. Allmählich entstand Widerstand unter der eritreischen Bevölkerung gegen den fremden Machthaber. Das Militärregime in Adis Abbeba konnte die Unruhen nicht unter Kontrolle bringen. Dies hatte für die Militärregierung - wohl oder übel - zur Folge, daß sie Eritreas Unabhängigkeit anerkennen mußte. Ich glaube, daß auch Suharto gezwungenermaßen auf diese Art und Weise die Unabhängigkeit von Ost- Timor anerkennen wird. Singapur dagegen ist ein anderer Fall. Die sog. Singapurianer sind im kulturpolitischen Sinne keine Nation. Singapur ist keine Nation sondern nur eine Stadt. Deshalb ist das kein guter Vergleich.
WI: Doch immerhin hat sich Singapur 1965 friedlich von Malaysia getrennt.
BA: Singapur wurde ja auch Malaysia - unter dem Druck der Briten - nur eingegliedert. Nicht in dem Sinne, daß Malaysia Singapur behalten wollte. Die Briten fürchteten, daß das Geld nach Indonesien fließt. Deshalb wurde Singapur dem politischen System Malaysias zugeordnet. Sogar die Eliten der Bangsa Melayu betonten, daß sie Singapur nur akzeptieren würden, wenn Sarawak und Brunei miteinbezogen wird. Warum? Weil in Singapur sehr viele Chinesen leben. Deshalb betrachteten die Malaysier Singapur nicht als ein Stück ihres eigenen Heimatlandes. Das war nur eine politische Taktik der Briten.
WI: Warum glauben viele Indonesier an einen Verlust ihrers Heimatlandes, wenn Timtim frei ist?
BA: Nehmen wir ein Beispiel: wenn in Amerika ein Sportler, der zufälligerweise ein Schwarzer ist, eine Goldmedallie erhält. Mike Tyson ist ein gutes Beispiel dafür. Viele weiße Amerikaner freuen sich und sind stolz darauf. Solche Situationen gibt es oft in Indonesien. Im allgemeinen mögen Indonesier keine Chinesen, aber wenn sie im Thomas Cup eine Goldmedaille gewinnen, oh... oh... sind plötzlich alle stolz auf die Chinesen, obwohl die Pribumis mit der Leistung des erfolgreichen Sportlers überhaupt nichts zu tun haben. Trotzdem tun sie das. Dies ist so eine Art geistige Krankheit vieler Menschen.
WI: Ist diese Krankheit ein wichtiges Element des Nationalismus?
BA: Ach was! Noch ein anderes Beispiel, damit das Problem klarer wird. Wenn ein chinesischer Junge (oder eine Frau) aus Surabaya im Badminton Weltmeister geworden ist, dann sind viele Indonesier stolz darauf. Denselben Chinesen haben sie gestern gehaßt, heute lieben sie ihn und morgen hassen sie ihn vielleicht wieder. Dieser Stolz hat mit dem Nationalismus nichts zu tun. Das ist eine Art Narretei. Bung Karno bezeichnete dieses Phänomen als 'Nasionalisme-Keblinger'.
WI: Themawechsel. Warum sind die Herrschenden (vor allem Suharto) zur Zeit sehr schnell beleidigt? Was sagst Du zu der 'Dresden-Affäre'?
BA: Das war für mich eine Pesta Demokrasi Dresden (Demokratiefest), ha...ha..ha!
WI: Leidet Suhartos Regierung unter einer Legitimationskrise? Handelt es sich hier um eine internationale Solidarität?
BA: Dies muß man so verstehen. Ein Mensch wie Suharto, der seit dreißig Jahren uneingeschränkt herrscht, will doch nur etwas gutes von seinen Untertanen zu hören bekommen. Nun geschah dies im Ausland. Er hat die politische Lage nicht nur falsch einkalkuliert, sondern er hat sie überhaupt nicht verstanden. Seine emotionale šberreaktion hat gezeigt, daß er wütend war und dabei die Demonstranten als Verrückte bezeichnete. Das war sehr merkwürdig. Eine solche Reaktion könnte man von Clinton, Li Peng oder anderen Präsidenten bestimmt nicht erwarten, denn sie würden statt 'verrückt' oder so etwas, 'unverschämt' oder vielleicht 'unerzogen' etc. sagen. Sie würden niemals die Demonstranten als geistig Kranke einstufen. Nochmals, die Reaktion von Suharto haben gezeigt, wie groß die Distanz zwischen ihm und der Realität ist, um es milde auszudrücken. Logischerweise schafft er sich immer mehr Feinde, je älter er wird. Man könnte sagen, bei den Leuten die gegen Suharto demontrierten, handelt es sich um, sagen wir mal, eine Art von 'Kollektiven' mit unterschiedlichen Interessen. Die Demonstranten kamen aus verschiedenen Ländern zum Beispiel aus Holland, Portugal, Deutschland und was weiß ich noch woher. Die Solidarität für Ost-Timor wächst ständig. Es gibt Philippinos, Japaner, Holländer etc., die Interesse zeigen, und dies mit steigender Tendenz.
WI: Ist das nicht wegen Deiner Propagandaarbeit für Ost-Timor seit 20 Jahren?
BA: Nein! Das ist doch nur wegen der Liebe zu Indonesien. Damals kümmerte sich kein Mensch um Ost-Timor. Doch jetzt gibt es schon in Australien, England, Deutschland und anderswo Organisationen, die den Kampf der Ost-Timoresen unterstützen. Dennoch sind alle meine konservativen und reaktionären Kollegen, wie ich schon erwähnt habe, auch in Indonesien verliebt, zeigen aber kaum Interesse für Ost-Timor. Ist das nicht merkwürdig?
WI: Würdest Du deren Name nennen?
BA: Ja. Bill Liddle zum Beispiel. Er hat zu mir gesagt, wenn er stirbt, sollte man ihn verbrennen und seine Asche im Tobasee verstreuen. Das ist wahr!
WI: Ist er reaktionär?
BA: Leute, die sich mit Indonesien sehr eng verbunden fühlen, glauben, daß sie etwas verlieren, wenn sie ein Einreiseverbot von Suhartos Regierung erhalten. Deshalb bleiben sie lieber reaktionär. Die meisten wollen kein Risiko eingehen. Du darfst nicht vergessen, daß Indonesien ein sehr attraktives Land ist.
WI: Von welcher Art 'Attraktivität' sprichst Du? Vom Essen, den Menschen, der Landschaft oder wovon?
BA: Das ist doch Geschmackssache. Es gibt Leute, die die mandeläugigen und sawo matang braunen indonesischen Mädchen sehr attraktiv finden, oder auch den Charme der jungen Indonesier, je nachdem. Natürlich gibt es auch Leute die indonesische Gerichte wie Soto Ayam oder Gado-Gado bevorzugen und danach eine Kretek rauchen. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daß sich viele Menschen für die indonesische Tragödie interessieren. Ach, alles ist so interessant in Indonesien.
WI: Könntest Du uns vielleicht Deinen persönlichen Geschmack verraten?
BA: Ja. Die Komplexität von Indonesien.
WI: Bitte genauer! Wenn möglich mit Beispielen.
BA: Wenn Indonesien so simpel wie Thailand wäre. Zehn Jahre lang studierte ich die thailändische Kultur und Politik. Ich hab schon viel über Thailand geschrieben, und kam zu folgendem Ergebnis. Die politische Entwicklung Thailands ist schon 'abgeschlossen'. Man braucht sich nicht mehr groß-artig darum bemühen oder darüber nachdenken, was Thailand ist. Doch obwohl ich seit dreißig Jahren die Ereignisse in Indonesien verfolge, bleibt mir dieses Land ein Rätsel.
WI: Gibt es ein Zeichen dafür, daß Indonesien wegen seiner Komplexität in bezug auf die Kultur, Geschichte und das politische Verhalten der Eliten in Kürze wie das ehemalige Jugoslawien auseinanderbrechen kann?
BA: Nein! Der indonesische Nationalismus ist stark genug, vergleicht man ihn mit dem, was Du eben erwähnt hast.
WI: Gibt es einen Grund dafür?
BA: Was für einen Grund? Der Grund dafür ist oder war die unbewußte 'gute' Absicht der Holländer.
WI: Genauer?
BA: Unter den ehemals kolonisierten Ländern, ist Indonesien das einzige, dessen Amtssprache nicht eine europäische ist, wie dies in den meisten Ländern der Fall ist, wo portugiesisch, englisch, spanisch, französisch etc. gesprochen wird, sondern Bahasa Melayu. Im 16. Jh existierte noch nicht das Bewußtsein unter den Holländern, ungewollt die Schaffung einer indonesischen Nationalsprache zu fördern. Im 17. Jh hatten sie sich schon daran gewöhnt, in ihrer Kolonie auf Bahasa Melayu mit den Einheimischen zu kommunizieren. In Wirklichkeit haben die Holländer über dreihundert Jahre lang die Bahasa Melayu in der Verwaltung, der Presse, usw. verbreitet. Die sog. Bahasa Melayu Pasar ist Bahasa Nasional geworden. Na ja, überwiegend die junge Generation in Indoensien glaubt an den Slogan: Eine Nation, ein Land, eine Sprache, aber das ist nicht wahr. Dies war die Erfindung der Holländer.
WI: Bedeutet das, daß es ohne Holländer kein Indonesien gäbe?
BA: Ja, in dem Sinne. Aber das gilt nicht nur für Indonesien. Man könnte dann vielleicht auch sagen: ohne England gäbe es kein Amerika, ohne Spanien kein Venezuela, ohne Frankreich kein Algerien usw.
WI: Das heißt, Deine Behauptung steht im Gegesatz zu Yamins 'Dritte Reich-Theorie' (Sriwijaya, Majapahit und Republik Indonesien).
BA: Bullshit!
WI: Ich wollte noch etwas über das Charisma von Sukarno wissen. Hast Du persönliche Erfahrungen?
BA: Ja, ich habe an vielen Sitzungen teilgenommen, auf denen Sukarno sprach und sah, daß er ein begabter Redner war. Seine Reden waren außergewöhnlich, ganz anders als bei Hitler. Seine Reden waren für die Zuhörer sehr interessant, mal ganz explosiv, und dann plötzlich humorvoll, selbstironisch und wieder seriös. Manchmal ein bißchen erotisch. Er konnte auch den französischen Philosophen Jean Joures (frz. Sozialistenführer 1859-1914) mit Ronggowarsito, einem Dichter aus dem feudalistischen 19. Jh Javas kombinieren. Wah! Seine Rede war genau so, als würde er zu seinen Freunden sprechen. Er benutzte immer das Wort kita (wir); Kita ini begini, kita akan begitu usw. Er war einfach sehr charmant. In seinen Gedanken gab es kein Foltern, Töten oder ähnliches. Klar ist, daß er der Boss sein wollte. Seinen politischen Gegnern bot er Kompromisse an, und manche Offiziere dachten sogar, daß Sukarno ein banci (Transvestit) sei, weil er kein Blut sehen konnte. Sukarno war kein Sadist, er war Politiker.
WI: Na gut. Er war ein schlauer Politiker. Welche Rolle spielte er 1965? Gen. Nasution behauptete erneut, daß es Sukarnos Werk gewesen sei.
BA: Unmöglich!
WI: Warum?
BA: Alle Fakten und Daten haben gezeigt, daß Sukarno damals über die Ereignisse sehr entsetzt war. Er bekam fast einen Nervenzusammenbruch. Wenn man dies mit klarem Kopf verfolgt, hat die G.30.S (Bewegung des 30.Sept.) seinen Ruhm ruiniert. Sukarno konnte Indonesien regieren, solange es noch kein Blutvergießen gab. Als es zu physischer Gewalt kam, verlor Sukarno seine Funktion als Vermittler. Deshalb ist es wichtig, dies nochmal zu sagen: Sukarno war nicht in die G.30.S Bewegung verwickelt.
WI: Heißt das, daß die Rolle Sukarnos von 1965 klar wird, wenn Suharto stirbt?
BA: Ja, das glaube ich auch. Und endlich kann die Rolle Suhartos von 1965 entschlüsselt werden. Mit Sicherheit!
WI: Du meinst, Sukarno wird somit rehabilitiert?
BA: Nein nicht so, sondern die Leute werden von den endlich zugänglichen Fakten schockiert sein.
WI: Wie denn?
BA: Es gibt bis jetzt keinen einizigen Experten in Indonesien, der Sukarno für den Coup von 1965 verantwortlich macht. Im Ausland glauben jetzt viele, daß Suharto möglicherweise in der Nacht vom 30. September der Drahtzieher war. Zumindest wußte er davon, verhinderte es aber nicht. Die pensionierten CIA Agenten würden erzählen, was in Wirklichkeit damals geschah. Merk Dir gut, vor dem 1. Oktober war Suharto ein 'Niemand', aber nur innerhalb von drei Monaten war er der siegreiche 'Held'.
WI: Laut Agatha Chrsitie muß der Mörder ein Motiv haben. Das hat doch auch schon Prof. Wertheim damals behauptet. Wer profitierte von dem Gemetzel?
BA: Agatha Christie ist gar nicht schlecht. Man darf nicht vergessen, daß die Putschisten die anak buah von Suharto waren. In den Medien wurde nie erwähnt, daß Latief, Untung und Subardjo Suhartos anak buah (Untertan) waren. Ist das nicht ein bißchen merkwürdig? Um so merkwürdiger ist, daß der Kostrad-Kommandeur (Suharto) nicht entführt wurde.
WI: Außer dem Machthaber Suharto gibt es noch andere Gruppierungen, die sehr schnell beleidigt sind. Bei Arswendo, Permadi oder Bintang ging es um Blasphemie, Verleumdung oder Beleidigung. Sind Argumente nicht mehr gefragt? Gibt es heute keine 'politische' Öffentlichkeit mehr in Indonesien? Ist das ein 'normales' politisches Symptom?
BA: Zunächst müssen wir die Reaktion der Massen beobachten, denn wenn zum Beispiel ein Mann in Ost-Java oder Lombok in der Zeitung einen Artikel über Bintang liest, ist er vielleicht verärgert, wütend oder böse, aus Wut tritt er vielleicht höchstens eine vorbeigehende unschuldige Katze. Ende! Aber, wenn eine Gruppe von hunderten von jungen Leuten aus welchem Anlaß auch immer, wie damals das Büro von Arswendo zerstörten, handelt es sich um eine organisierte Bande. Die Sicherheitsbehörde verhinderte das nicht bzw. kam zu spät. Hier ist doch klar, wer dahinter steckt.
WI: Permadi ist doch kein potentieller Dissident, oder? Er ist doch bloß ein harmloser 'Entertainer'. Warum reagierten die Machthaber so?
BA: Das ist am schwierigsten zu erklären.
WI: Warum?
BA: Da geht es um die 'andere' Seite von Suhartos Manöver. Man könnte sagen, daß er zu 95% den machiavellistischen Weg eingeschlagen hat, d.h. er geht sehr rational und schlau vor. Trotzdem gibt es einen anderen Aspekt von Suhartos Denkweise, die von dem javanischen Mystizismus (kebatinan) stark geprägt wird. Permadi ist der Chef der Vereinigung der Mystiker. Da ist die Schwachstelle von Suharto. Wenn ein Professor der Universitas Indonesia gesagt hätte, daß suksesi (Machtwechsel) Ende 1995 stattfinden werde, hätte dies keinerlei Bedeutung für Suharto, aber Permadi, das ist eine andere Sache. Das wäre ein 'spiritueller' Krieg zwischen den Permadis und Suhartos Dukuns. Für Suharto wäre dies eine große Katastrophe.
WI: Bedeutet das nicht, daß Suharto den Universitätsprofessoren - auch Ben Anderson - nicht glaubt? Seinen Dukuns schenkt er doch mehr Vertrauen.
BA: Ja, so ist es! He..he...he.
WI: Sind für Suharto diese Professoren nur Klugscheißer?
BA: Ja, ja... Du sagst es. He...he... aber Permadi ist für ihn wichtig!
WI: Suharto hat doch Recht. Für ihn sind Professoren, vor allem Sozialwissenschaftler, machtlos und lassen ihn sogar dreißig Jahre lang 'problemlos' herrschen.
BA: Mag sein. Aber wenn Suharto stirbt, wer schreibt dann über ihn oder seine Rolle in der indonesische Geschichte? Das sind doch Professoren, oder? Menschen wie Suharto müssen sich anschließend doch dem Urteil von Professoren (d.h. der Wissenschaft) beugen.
WI: Wozu braucht er ICMI (islam. Intellektuellenorganisation)? oder ist die ICMI - außer Angkatan Darat (Streitkräfte)- sein 'bodyguard' ?
BA: Das muß man von zwei Seiten betrachten. Erstens, ICMI ist nicht so wichtig, sie hat keine Wurzel in der Gesellschaft. ICMI ist keine Massenorganisation, die bis zu den kleinsten Dörfern reicht. Ich bin ziemlich sicher, daß es sich hier um frustrierte Leute handelt, die später eine wichtige Rolle spielen wollen. Diese Leute kenne ich fast alle persönlich. Wenn man sagt, daß sie Pahlawan Islam (islamische Helden) sind, kann ich dies leider nicht akzeptieren. Hier handelt es sich nur um einen Versuch von Suharto, Untertützung zu bekommen. Damit will er einen Ausgleich zu den, sagen wir mal 'christlichen' Offizieren schaffen. Mit anderen Worten, das ist bloß eine Kleinigkeit. Wenn es um die Rolle des Islams in der Geschichte geht, ist das eine andere Sache. Betrachten wir mal die Geschichte der Religionen. Das Christentum hat zwei- bis dreimal mehr Opfer gefordert als andere Religionen zusammen. Wenn Du es genau wissen willst. Die grausamste Religion während der letzten zweitausend Jahre der Geschichte war nicht der Islam, sondern das Christentum.
WI: Warum nicht der Islam?
BA: Auf gar kein Fall!
WI: Die 'indonesischen' Moslems schon gar nicht?
BA: Ja genau, die indonesischen Moslems! Aber wenn Du nach den brutalsten Handlungen der Moslems in der Geschichte fragst, gibt es kein anderes als das Ereignis von 1965.
WI: Waren das nicht nur einige Moslems von Ansor (Jugendorg. d. Vereinigung d. Islamgelehrten NU) die mit der Armee zusammengearbeitet haben, um die 'gemeinsamen' Feinde zu liquidieren?
BA: Ja, so war es!
WI: Kann man nicht sagen, daß die Moslems die Kommunisten töteten?
BA: Natürlich kann man das auch so sagen, aber sie waren nur Werkzeuge der Armeeoffiziere.
WI: Themawechsel! Du hast so viele Aufsätze und Bücher geschrieben. Welches ist Dein, sagen wir mal, 'Meisterwerk'? 'Imagined Communities' vielleicht? Und welches Deine besonderen Interessen?
BA: Ach... wie ich schon erwähnt habe. Das Land Indonesien hat mich fasziniert und fasziniert mich immer noch. Ich bin 1962 nach Indonesien gekommen, zunächst nicht um die politischen Ereignisse zu analysieren, wie die meisten Sozialwissenschaftler, sondern mich hat die javanische Kultur verzaubert, mich hat die balinesische Volkskunst verzaubert, mich verzauberten so viele Dinge in Indonesien. Im Gegensatz zu meinen Kollegen, die Experten in ihren Fächern sind. Der eine ist ein Experte für Ökonmie, der andere für Politik, oder Literatur. Aber ich wurde als 'Amateur' verspottet. Ein Mensch, der von jedem ein bißchen kennt, aber nicht tief genug in die Materie eindringt, um sich 'Experte' nennen zu dürfen. Ich habe viel von meiner Lehrerin Claire Holt (Cornell University) gelernt. Sie hatte keinen akademischen Titel wie die anderen. Sie hat vor dem Zweiten Weltkrieg zwölf Jahre lang (mit dem holländischen Archäologen Stuterheim) in Indonesien gelebt. Ihr Hauptinteresse galt der Archäologie. Einmal sagte sie zu mir, wenn man über Indonesien schreiben will, muß man verschiedene Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung untersuchen. Deshalb kam ich zu dem Ergebnis: will man Professor werden, muß man nicht sehr 'professionell' sein.
WI: Indonesien ist so komplex, man kann es nur mit Hilfe des 'Andersonismus'* beschreiben. Ist diese Behauptung falsch? (*Andersonismus wäre also eine wissenschaftliche Methode, die die indonesische Gesellschaft unter Berücksichtigung verschiedener einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse und Interpretationsverfahren analysiert).
BA: Ja, ich glaube das ist falsch. Man bewundert meist nicht die Sonnenblumen, die Sternennacht oder die Kirche von Auvers von van Gogh, sondern van Gogh selbst. Was ich sagen will ist folgendes: Ich hoffe daß nach meinem Tod die Leute darüber sprechen, nicht weil ich ein van Gogh bin, sondern... weil ich einige Aspekte zeigen konnte, die die anderen vielleicht übersehen haben, um die indonesische Politik besser zu verstehen.
WI: Was hältst Du von Liebe, Tod und Freundschaft im Zusammenhang mit Deiner Profession und der indonesischen Gesellschaft.
BA: Ich kann mich noch daran erinnern. Ich war zwölf. Mein Schullehrer in England sagte zu meiner Mutter, daß ich ein 'romantischer' und 'anarchistischer' Junge gewesen sei. Wenn ich sage, daß ich Indonesien liebe, klingt das vielleicht abstrakt. Man muß eins wissen, daß ich oft auf Bahasa Indonesia träume. Diese Sprache ist keine Fremdsprache für mich. Im Gegenteil. Obwohl ich inzwischen schon alt geworden bin, mag sein, daß es ein bißchen arrogant klingt, daß ich noch keinen Ausländer gesehen habe, der wie ich, oder sogar besser als ich, die indonesische Sprache beherrscht. Diese Sprache ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Bahasa Indonesia ist keine Fremdsprache für mich, sondern sie ist meine eigene Sprache geworden.
WI: Was bedeutet Freundschaft für Dich in bezug auf die Bahasa Indonesia?
BA: Ach, ... Freundschaft. Mit meinen indonesischen 'Freunden' kann ich über alles mögliche reden, es gibt keine Mauer zwischen uns. Doch im allgemeinen muß ich ein bißchen aufpassen mit wem ich spreche, weil ich nun mal ein Bule bin. Und ein Bule bleibt ein Bule. Wie Benny Moerdani einmal sagte: Wah.... Ben Anderson ini, selalu mau ikut campur urusan orang lain. („Er mischt sich gern in die Angelegenheiten anderer Leute ein“). Als wäre Indonesien ein Land, das ich überhaupt nicht kennen würde, wie etwa Tibet oder Korea. Es ist schwer zu beschreiben, was ich mache und denke - meine Solidarität gilt Indonesien.
WI: Über den Tod?
BA: Ja...ja..! Zunächst sollte mir der liebe Gott erlauben, daß ich Indonesien nach Suharto noch einmal sehen kann, denn... schau mal den Holländer Multatuli an. Dem Holländer mit vielen Schanden, wird trotzdem Aufmerksamkeit geschenkt. Er wird von vielen Indonesiern wegen seiner Werke so verehrt. Nun, meine Ambition wäre dieselbe. Ich wollte, daß ein oder zwei meiner Bücher in die indonesische Geschichte eingehen. Sagen wir mal, wie eine kleine Quelle oben in den Bergen, die gemeinsam mit den anderen zusammen einen Fluß bildet und schließlich in den indischen Ozean mündet.
WI: Welches kann man als 'Meisterwerk' bezeichnen?
BA: Das Kapitel über Doktor Soetomo in meinem Buch Language and Power glaube ich. Damals hatte ich das Gefühl, daß jemand für mich schreibt. Ich meine außerirdische Kräfte. Es gab so eine Art mystische Kraft, die mich dazu bewegte. Für mich ist das das Beste in meinem bisherigen Leben.
WI: Ich danke Dir für dieses Gespräch. <>
Zurück zur Hauptseite | Watch Indonesia! e.V. | Back to Mainpage |