Indonesien-Information Nr. 2/1999 (Kultur)

Traum von der Menschlichkeit - zum 70. Geburtstag von YB Mangunwijaya

von Georgia Wimhöfer

Am 6. Mai diesen Jahres wäre der indonesische Schriftsteller Mangunwijaya 70 Jahre alt geworden. Es waren bereits zwei Publikationen zur Würdigung dieses Ereignisses angekündigt worden, die nun leider in memoriam veröffentlicht werden müssen, denn der katholische Priester Mangunwijaya, der vielen als Romo Mangun bekannt war, verstarb am 10. Februar 1999 an einem Herzleiden.

Mit Romo Mangun verliert Indonesien eine seiner führenden intellektuellen Persönlichkeiten, einen Mann, dessen Betätigungsfelder so vielfältig waren, daß man ihm in einem Artikel allein kaum gerecht werden kann. Mangunwijaya beschloß nach seinen Erfahrungen im indonesischen Befreiungskampf, Priester zu werden. Anschließend studierte er von 1960-1965 in Aachen Architektur (wo er auch den heutigen indonesischen Staatspräsidenten Habibie kennenlernte).

Nach seiner Rückkehr nach Indonesien begann sein vielfältiges Wirken als Architekt, Dozent an der Universität, als Priester sowie als Sozialarbeiter in den Slums von Yogyakarta und Umgebung. Außerdem betätigte er sich seit den siebziger Jahren als Kolumnist, unter anderem für die Tageszeitung Kompas und veröffentlichte Romane und Essays. Seine sozialen Aktivitäten setzten sich immer besonders für die Entrechteten ein, für die vom forcierten Wirtschaftskurs der Neuen Ordnung Vergessenen oder Vertriebenen. Bekannt wurde er schlagartig mit seinem Engagement für die nur ungenügend entschädigten Bauern des Staudammprojekts Kedung Ombo, aber auch durch einen Hungerstreik zum Schutz eines Slums in Yogyakarta, in dem er selbst jahrelang lebte. In den letzten Jahren war es das herausragende Ziel Romo Manguns, den Kindern der Armen ein Chance auf Ausbildung zu ermöglichen. Er initiierte Lesekurse in Slums, gründete eine Schule und schrieb viele Artikel, in denen er für eine fortschrittlichere Bildungspolitik plädierte. Als Kolumnist war Mangunwijaya einer der offensten Kritiker der Neuen Ordnung, und viele seiner Artikel führten zu ausgedehnten Diskussionen, so zum Beispiel sein Plädoyer an Habibie für die Entlassung Ost-Timors in die Unabhängigkeit im letzten Sommer.

Als Autor ist Mangunwijaya dem hiesigen Indonesienkenner weniger bekannt, obwohl er 25 Jahre lang regelmäßig Kurzgeschichten und vor allem insgesamt neun Romane veröffentlichte. Das liegt insbesondere daran, daß von Mangunwijaya nur der mit dem ASEAN-Buchpreis 1982 ausgezeichnete Roman "Die Webervögel" (Burung-Burung Manyar) in deutscher Übersetzung vorliegt 1). Auch dem indonesischen Leser ist außer diesem Roman zumeist nur die Trilogie "Roro Mendut" geläufig, womöglich weil der erste Band - die Adaption einer javanischen Legende - auch verfilmt wurde 2).

Aus diesem Grund möchte ich in diesem Artikel gerne einen der weniger beachteten Romane Mangunwijayas skizzenhaft vorstellen, um das Bild des NGO-Aktivisten und kritischen Kolumnisten um die Facette eines sehr lesenswerten Schriftstellers zu erweitern.

Der historische Roman Ikan-Ikan Hiu, Ido, Homa ("Haie, Ido- und Köderfische") spielt auf den Molukken an der Wende zum 17. Jahrhundert 3). Er beschreibt die Ereignisse im Archipel der Gewürzinseln, zur Zeit als der ständige Konflikt zwischen den benachbarten Königreichen Ternate und Tidore durch die Einmischung der Vereinigten Ostindischen Kompanie und der Portugiesen eskaliert.

Erzählt wird die Geschichte eines Tobelo-Dorfes auf der Insel Halmahera, das Ternate tributpflichtig ist. Weil das Dorfoberhaupt sich weigert, Tribut in Form von Booten für einen Kriegszug gegen Tidore zu leisten, fällt das ganze Dorf einer Strafexpedition zum Opfer. Nur zwei Menschen überleben, ein junger Mann, Mioti, und eine junge Frau. Gemeinsam gründen sie ein neues Dorf, in dem sie, beschützt von den Geistern der Toten, ein neues Leben beginnen. Bald erlangt ihr Dorf über die Region hinaus Berühmtheit, weil Mioti - der Hauptprotagonist dieses Romans - sich als begnadeter Schiffsbauer einen Namen macht. Seine Boote eignen sich allerdings nicht für die in der Gegend üblichen Raubzüge von Piraten, denn er ist so von dem Prinzip der Gewaltlosigkeit überzeugt, daß seine Überzeugung wie eine magische Kraft auf die Boote übergeht. Das Dorf prosperiert, als das Paar aus einem weit entfernten Dorf am Ursprungsort der Tobelo einige junge Leute als Ehepartner für ihre eigenen Kinder wirbt. Schließlich jedoch scheitern alle Versuche Miotis, sich und sein Dorf aus den Sphären der Politik herauszuhalten. Als ein junger Prinz aus Ternate eines der Mädchen aus der Obhut des Bootsbauers zur Ehefrau nimmt, muß dieser sich schließlich zwischen seinen Loyalitäten und seinen Prinzipien entscheiden.

Parallel entwickelt Mangunwijaya in einigen Kapiteln den historischen Verlauf der zunehmenden Einflußnahme der Niederländer auf Ternate. Hier finden sich lange Szenen, in denen der Sultan von Ternate mit seinen Adligen und Ratgebern tagt, um zu einer Entscheidung über den Umgang mit der neuen Macht im eigenen Territorium zu gelangen. Die Ratgeber des Sultans erörtern ausführlich philosophische Fragen, zum Beispiel, welche Rolle Gottes Gesetz in der politischen Entscheidungsfindung spielen kann oder ob der wahre Feind im Äußeren und Fremden oder im Innern zu suchen sei.

So wird der Roman vordergründig von Kontrasten beherrscht: Auf der einen Seite findet der Leser eine sehr eindrückliche Annäherung an die Tobelo, an ihren "animistischen" Glauben und ihre Gebräuche. Diese illustriert Mangunwijaya teilweise durch Interviews mit heute lebenden Tobelo oder durch Gesänge und Gedichte in der Tobelosprache, die erst anschließend ins Indonesische übersetzt werden. Auf der anderen Seite schildert er das Leben am islamischen Hofe Ternates, das politische Kalkül im Zentrum der Macht und philosophische Erörterungen zu Fragen der Moral und des Glaubens. Und schließlich begegnet der Leser den zukünftigen Kolonialherren, mal in Zitaten aus zeitgenössischen Briefen der Gesandten der Vereinigten Ostindischen Kompanie an die Zentrale in den Niederlanden, mal aus der Sicht der Einheimischen geschildert. Auch wenn der Leser zunächst Sympathie für die friedliebenden Tobelo ergreift, so wird schnell deutlich, daß es auch auf der Seite der Mächtigen in Ternate Menschen gibt, deren Handeln von hohen moralischen Überlegungen und Altruismus geprägt ist. Indem Mangunwijaya seine Figuren in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit schildert, werden sie um so menschlicher und nachvollziehbarer. Diese Fähigkeit, Figuren in ihrer Menschlichkeit darzustellen und ihnen damit Leben einzuhauchen, ist ein Phänomen, das nicht nur dieses Werk Romo Manguns meines Erachtens besonders lesenswert macht. Allerdings bleiben die niederländischen Imperialisten blasse und von unmenschlichen Motiven getriebene Charaktere - die Gier nach Macht und Geld entfremdet sie für Mangunwijaya vom wahren Menschsein.

Interessant ist auch, wie sich Manguwijaya in diesem Roman dem Thema Religion widmet. Während die christlichen Niederländer als nahezu gottlose Figuren erscheinen, spielt die Religion sowohl in Ternate als auch auf Halmahera eine wichtige Rolle. Auf sehr einfühlsame und vorurteilsfreie Weise nähert er sich der Religion der Tobelo - was unter anderem als ein Plädoyer für absolute Religionsfreiheit verstanden werden kann in einem Land, in dem die Verfassung sogenannte animistische Glaubensformen als Konfession ablehnt. Im Roman spiegelt sich die religiöse Toleranz, die Mangunwijaya auch im wahren Leben nachdrücklich einforderte, wider.

Der Roman kann darüber hinaus als eine Allegorie dafür verstanden werden, wie schwierig es ist, sich dem Vordringen von ungewollten Mächten und dem Wandel von Kultur und Gesellschaft zu entziehen. Die Situation der relativ abgeschie denen Tobelo im Roman entspricht der vieler Gesellschaften im heutigen Indonesien. Auch wenn der Wandel, der von außen an sie herangeführt wird, oft nicht gewünscht ist, so können sie sich ihm doch nicht entziehen. Die Ablehnung der "Segnungen der Zivilisation" darf allerdings nicht einfach auf "Rückständigkeit" zurückgeführt werden, wie es im offiziellen Diskurs des Regimes Soehartos oft geschehen ist.

Vielmehr stehen die philosophischen Überlegungen des Protagonisten in Ikan-Ikan Hiu, Ido, Homa zur Ablehnung von Macht und Gewalt stellvertretend für durchaus begründete Ängste und Ablehnung des Fortschrittdenkens bei den sogenannten "vormodernen" Gesellschaften im Vielvölkerstaat Indonesien.

Wie auch ein Großteil der anderen Romane Romo Manguns ist Ikan-Ikan Hiu, Ido, Homa ein historischer Roman. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte war für Mangunwijaya zum einen ein wichtiges Mittel zur indirekten Kritik an gegenwärtigen Mißständen 4). Zum anderen offenbart sich hierin die Bedeutung, die er den Lehren aus der Geschichte zuschrieb, worin er mit dem Autor Pramoedya Ananta Toer übereinstimmt. Daß diese Geschichte des Widerstands gegen den Imperialismus auf den Molukken spielt, kommt nicht von ungefähr. Oft wies Manguwijaya darauf hin, daß der Aufenthalt von Hatta und Sjahrir in ihrem von den Niederländern verordneten Exil auf den Molukken in den 1930ern der Beginn des Aufbruchs Indonesiens in ein neues Zeitalter war.

Es ließen sich noch viele weitere Beobachtungen zu diesem Roman machen, der in seinen vielschichtigen Möglichkeiten der Interpretation typisch ist für den Autor Mangunwijaya. Sicher wird anhand dieses einen Beispiels schon deutlich, daß seine Werte und Ziele - das Streben nach einer offenen toleranten Gesellschaft in Indonesien und die Wertschätzung der Menschlichkeit und des Individuums - auch sein Schaffen als Schriftsteller bestimmten. Das Besondere an seinen Romanen bleibt für mich aber die Lebendigkeit seiner Charaktere, die durch die Tiefe seiner Botschaften nie verloren geht. Sie machen seine Bücher wirklich lesenswert.

Nach Romo Manguns Tod fanden sich in den Zeitungen und den Mailverteilern im Internet zahllose Beileidsbekundungen und Worte des Abschieds. Es wurde deutlich, wie vielen Menschen er Vorbild und Inspirationsquelle war. Seiner Stimme wird man sich noch lange erinnern.<>

   
1) YB. Mangunwijaya: "Die Webervögel". Unkel/Rhein (u.a.): Horlemann, 1993.
2) Allerdings lehnte Mangunwijaya diese Verfilmung ab, weil sie eine andere Lesart der Legende propagierte als er selbst. Während im Film die Protagonistin Roro Mendut Selbstmord begeht, stirbt sie in Mangunwijayas Roman in einem letzten mutigen Aufbegehren gegen ihren Unterdrücker, als sie sich schützend vor ihren Geliebten wirft.
3) Dieser Roman ist auf Deutsch leider nicht erhältlich, allerdings wurde er ins Niederländische übersetzt: "Tussen admirals en sultans". Baarn: Ambo, 1991.
4) Diese Technik setzte er mit Vorliebe auch in seinen Kurzessays ein, wenn er beispielsweise Reflexionen zur Machtergreifung Hitlers benutzte, um dadurch indirekt die Machtergreifung Soehartos und dessen Regieren per Präsidialdekret anzuprangern. Vgl.: YB. Manunwijaya: "Suatu Peristiwa Konstitusional". Kompas, 5.5.1997 (http://www.kompas.com/ 9705/05/OPINI/suat.htm).
 
 
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