Bislang 187 Tote und Hunderte Verletzte sind die Bilanz des Terroranschlages
vom 12. Oktober 2002 im Touristenparadies Bali. Über die Täter
und deren Motive wird eifrig spekuliert.
Eine klammheimliche Freude hätten sie im ersten Moment verspürt, als am 11. September 2001 Flugzeuge die Türme des World Trade Centers zum Einsturz brachten und Teile des Pentagon zerstörten, geben viele Indonesier unumwunden zu. Erst als ihnen das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst wurde, das Tausende von Menschenleben gekostet hatte, wich die „klammheimliche Freude“ der Nachdenklichkeit und Bestürzung. Verschwörungstheorien, die die Täterschaft westlichen Geheimdiensten wie CIA und Mossad zuschrieben, machten es vielen leichter, den Gedanken an das Geschehene zu ertragen. Unmöglich, dass Muslime so etwas tun würden! Indonesien ist das Land mit der zahlenmäßig größten muslimischen Bevölkerung weltweit. Deren überwiegender Teil praktiziert einen toleranten und weltoffenen Islam, vielfach jedoch einhergehend mit dem unterbewussten Schuldgefühl, den Glauben nicht konsequent genug zu leben. Strenger Gläubigen zollt man Respekt, insbesondere wenn sie arabischer Abstammung sind. Eine Abgrenzung von extremistischen Gruppen, deren Lehren und Praktiken übersteigt den Mut und die Fähigkeit der meisten moderaten Muslime Indonesiens.
Wiederholt warnten die USA, Malaysia und Singapur vor der Existenz terroristischer Netzwerke in Indonesien. Indonesische Behörden nahmen sogar mutmaßliche Al-Qaida Mitglieder wie Omar al-Faruq fest, der an die USA ausgeliefert wurde, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. „Es kann nicht sein, was nicht sein darf,“ lautete die Devise – in Indonesien gibt es keine Terroristen. Die Warnungen des Auslandes wurden als Versuch gewertet, mit der Behauptung Indonesien sei ein „Terroristennest“ die Nation zu demütigen und den Staat in die weltweite „Koalition gegen den Terror“ unter Führung der USA zu zwingen. Demonstrativ traf sich der Vizepräsident und Parteichef der muslimischen Partei PPP, Hamzah Haz, mit Muslim-Extremisten wie Jafar Umar Thalib, dem Chef der Laskar Jihad-Milizen, und Abu Bakar Ba'asyir, der des Kontaktes zur Al-Qaida bezichtigt wird. „Hier gibt es keine Terroristen. Ich garantiere das. Wenn es sie gibt, dann sperren sie nicht muslimische Geistliche ein, sondern mich,“ erklärte Hamzah Haz anlässlich des Treffens mit Ba'asyirs Gefolgschaft.
Die Bomben auf Bali lösten bei niemandem eine klammheimliche Freude aus. Der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte Indonesiens traf die von schweren politischen und wirtschaftlichen Problemen gezeichnete Republik völlig unerwartet ins Mark. Niemand hatte damit gerechnet, auch nicht die ewigen Warner aus dem Westen. Die Botschaften der USA und Großbritanniens warnten in der Vergangenheit mehrfach vor Aufenthalten in Yogyakarta und Solo, die als Hochburgen islamistisch gesinnter Gruppen gelten, sowie natürlich vor Reisen in die Krisenregionen Aceh, Molukken und Papua. Bali dagegen galt immer als sicher, obgleich der Sydney Morning Herald am 17.10.02 berichtete, es habe Geheimdienstwarnungen gegeben, in denen Bali als mögliches Ziel eines Anschlages genannt wurde. Dennoch stand in den Reisehinweisen der australischen Behörden in Fettschrift zu lesen, dass touristische Einrichtungen in Bali „normal arbeiteten“.
Für viele Touristen, besonders für Australier, war Bali so etwas wie Mallorca für die Deutschen. Dass der Ballermann 6, der hier Legian Street heißt, zu der turbulenten Inselrepublik Indonesien gehörte, war manchen nur aufgrund des Einreisestempels in ihrem Reisepass bewusst. Die balinesischen Hindus zeigten sich der Devisen zuliebe tolerant gegenüber den Weißen, die bereits am frühen Nachmittag halbnackt mit offenen Bierdosen grölend durch die Straßen zogen. Waren es diese lockeren Sitten, die muslimischen Fanatikern Kuta als Ausgeburt „westlicher Dekadenz“ der Symbolkraft des World Trade Centers für die Vorherrschaft der amerikanischen Wirtschaft ebenbürtig erscheinen ließ? Besteht ein Zusammenhang mit den fast zeitgleich explodierten Sprengsätzen vor dem amerikanischen Konsulat in Denpasar und dem philippinischen Konsulat in Manado, die auf einen internationalen Zusammenhang schließen lassen? Oder richtete sich der Anschlag gezielt gegen Australien, das seit dem Einmarsch der internationalen Truppen in Osttimor 1999 zum Lieblingsfeind vieler nationalistischer Kräfte in Indonesien geworden ist?
Die wenigen bislang bekannt gewordenen Indizien erlauben keine Antwort auf diese Fragen. Von verschiedenen Seiten erhobene Schuldzuweisungen an Jemaah Islamiyah und/oder Al Qaida sind nur dann zu rechtfertigen, wenn sie sich auf Informationen stützen, die der Öffentlichkeit bisher nicht vorliegen. Nach derzeitigem Kenntnisstand darf lediglich davon ausgegangen werden, dass bei dem Anschlag eine professionell organisierte Gruppe aus dem In- oder Ausland mit einheimischen Kräften zusammengearbeitet hat. Indonesiern wird es wohl überlassen worden sein, möglichst unauffällig die mit Sprengsätzen präparierten Autos mitten in Kuta abzustellen. Über die notwendige Logistik, um größere Mengen C4-Sprengstoffs an Ort und Stelle zu bringen und zum gewünschten Zeitpunkt detonieren zu lassen, verfügten sie aber sicher nicht. Al Qaida ist sicherlich eine der hierfür in Frage kommenden Organisationen, wenn man von einer internationalen Tätergruppe ausgeht. In Indonesien selbst dürfte lediglich das Militär über entsprechende Fähigkeiten verfügen – für einige Beobachter zumindest Anlass genug über dessen Tatbeteiligung zu spekulieren.
In der Vergangenheit hatte sich das Militär des öfteren extremistischer Organisationen bedient, wenn diese geeignet erschienen, den eigenen Interessen nützlich zu sein. Ein Beispiel waren die Kämpfer der Laskar Jihad, die in dem seit drei Jahren andauernden blutigen Konflikt auf den Molukken eine maßgebliche Rolle spielten. Sie durften sich zumindest der Duldung, wenn nicht gar der aktiven Unterstützung durch das Militär sicher sein. Der Krieg auf den Molukken diente dem Militär nicht nur als Existenzberechtigung, sondern wurde auch dazu benutzt, die zivile Regierung zu unterminieren und nebenbei viel Geld zu verdienen. Sicherheit wurde von lokalen Kommandeuren gegen Bargeld verkauft.
Obwohl die Laskar Jihad bislang nicht in Verbindung mit dem Attentat auf Bali gebracht wurden, verkündeten sie nur drei Tage darauf überraschend ihre Selbstauflösung. Offenbar hielten es gewisse Kreise für angebracht, angesichts des zu erwartenden Drucks auf die Regierung, die islamistischen Bewegungen nun genauer unter die Lupe zu nehmen, die Laskar Jihad einstweilen aus dem Verkehr zu ziehen. Aber auch das ist letztlich Spekulation.
Als sicher gilt dagegen, dass der Anschlag verheerende Folgen für Indonesiens Wirtschaft – und damit für seine politische Stabilität – haben wird. Zu erwartende Einnahmeausfälle aus dem Tourismussektor führten bereits am Montag, zwei Tage nach dem Anschlag, zu einem drastischen Kursverfall der indonesischen Rupiah. An der Börse in Jakarta erwog man, den Handel auszusetzen, um sich vor weiteren Panikverkäufen zu schützen, und die offizielle Zielvorgabe für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr wurde umgehend von 4% auf nur noch 3,3% korrigiert.
Manche Stimmen halten noch immer an den alten Losungen fest. „Die Möglichkeit, dass die Explosion Bestandteil der Aktivitäten ausländischer Geheimdienste war, die den Beweis für ihre Anschuldigungen liefern wollten, ist nicht ausgeschlossen,“ schrieb die muslimische Tageszeitung Republika. Und auch Vizepräsident Haz vermutete „Konspiration“, ohne näher zu erläutern durch wen. Für viele andere bedeutete der Anschlag jedoch einen heilsamen Schock. Mehrere Minister und andere prominente Persönlichkeiten erklärten, es sei sinnlos noch länger abzuleugnen, dass es auch in Indonesien Terrorismus gäbe. Besonders Sicherheitsminister Bambang Yudhoyono und das Militär fordern nun, nicht länger mit der Verabschiedung eines Anti-Terrorgesetzes zu warten. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt seit längerem vor. Menschenrechtsgruppen kritisierten, die unklare Definition wer oder was ein Terrorist sei, gebe den Sicherheitskräften freie Hand, nach eigenem Gusto von diesem Gesetz Gebrauch zu machen, um beispielsweise gegen Unabhängigkeitskämpfer in Aceh oder Papua vorzugehen. Der Gesetzentwurf erlaubt die Festnahme von Verdächtigen allein aufgrund bestimmter Verdachtsmomente und die nahezu beliebige Verlängerung der Untersuchungshaft. Es wird befürchtet, dass somit das berüchtigte Anti-Subversionsgesetz der Suharto-Diktatur, dessen Abschaffung einer der Erfolge der Reformbewegung war, unter anderem Namen wiederbelebt wird. Wer dagegen erwartete, dass eine erste Konsequenz die deutliche Erhöhung von Sicherheitsmaßnahmen sein würde, sah sich getäuscht. In Jakartas Bars und Amüsiervierteln war am Tag nach dem Anschlag keinerlei Polizeipräsenz festzustellen und auch auf den Flughäfen gab es keine über das normale Mindestmaß hinaus gehende Kontrollen.
Präsidentin Megawati, die wenige Stunden nach dem Anschlag den Tatort besuchte, versucht in der ihr eigenen wortkargen Art und Weise zwischen den verschiedenen Interessen auszugleichen. Ihren Ministern gab sie Anweisung, den Entwurf für das Anti-Terrorgesetz nachzubessern, ohne jedoch zu erklären in welchen Punkten. Bezüglich der Existenz des Terrorismus in Indonesien erklärte sie: „Die Bombenanschläge sind einmal mehr eine Warnung an uns alle, dass Terrorismus eine reale Gefahr und eine potenzielle Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellt.“ Wie mag wohl der Ernstfall aussehen, wenn dies erst die Warnung war? <>
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