Indonesien-Information Nr. 3 2002 (Politik)

 

Indonesien bewegt sich doch

von Mirko Herberg

 
Die Verfassungsänderungen der MPR-Jahressitzung 2002 signalisieren einen noch lebenden Reformprozess.

Wenn alljährlich das höchste indonesische Staatsorgan, die Beratende Volksversammlung, Majelis Permusyawarahan Rakyat (MPR), zu ihrer Jahressitzung zusammentritt, ist Hochkonjunktur für Kritiker der Parlamentarier und der politischen Klasse im allgemeinen. Von Geld- und Zeitverschwendung ist die Rede ebenso wie vom mangelnden Willen zur weiteren Demokratisierung bis hin zur eigenen Privilegiensicherung. Die Ergebnisse der Jahressitzung 2002 hingegen überraschten viele Beobachter im In- und Ausland. Die verabschiedeten Verfassungsänderungen kommen Forderungen nach einem klaren Verfassungsrahmen und einer Bereinigung von Überresten der 'Neuen Ordnung' nach und beweisen, dass der Reformprozess nicht gänzlich zum Stillstand gekommen ist.

Die wichtigsten Änderungen betreffen die zukünftige Wahl des Präsidenten sowie die Zusammensetzung der Parlamente:

1) Direktwahl des Präsidenten

Die Präsidentin wird in Zukunft direkt vom Volk gewählt. Es treten jeweils Kandidatenpaare (Präsident und Vizepräsident) zur Wahl an. Kann kein Kandidatenpaar die absolute Mehrheit (und mindestens 20% in 2/3 aller Provinzen) im ersten Wahlgang erreichen, muss ein zweiter Wahlgang mit einfacher Mehrheit entscheiden. Diese Bestimmung war bis zuletzt umstritten, verfolgten doch eine Reihe von MPR-Mitgliedern das Ziel, im zweiten Wahlgang den Souverän zu spielen und wie bisher selbst die Präsidentin zu wählen. Es ist leicht auszumalen, dass dies im wesentlichen nichts am bestehenden System geändert hätte.

Mit der Direktwahl des Präsidenten steht dem Übergang zu einem eindeutig präsidialen System nichts mehr im Wege. Dieser Klarstellung des Typs von Regierungssystem wird eine wichtige Rolle zur Förderung der politischen Stabilität beigemessen, da ein eindeutig präsidiales System kein politisch induziertes Absetzen eines direkt gewählten und damit mit hoher Legitimation versehenen Präsidenten zulässt. Possenspiele wie bei der Absetzung Wahids dürften sich damit nicht wiederholen.

Die Vor- und Nachteile von präsidialen gegenüber parlamentarischen Regierungssystemen wurden in der Politikwissenschaft intensiv diskutiert. Als problematisch werden für präsidiale Regierungssysteme deren mögliche Tendenz zum Autoritarismus gesehen, da im Falle einer schwachen Legislative und Judikative eine Verselbstständigung der exekutiven Macht, beispielsweise durch das Regieren per Präsidialdekreten drohe. Darüber hinaus besteht die Gefahr von Selbstblockaden zwischen Exekutive und Legislative, insbesondere bei unterschiedlichen politischen Mehrheiten. Um das politische System auch in Konfliktsituationen handlungsfähig zu erhalten, bedarf es daher einer klaren Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative, wobei schwächere Gesetzgebungsfunktionen auf Seiten des Präsidenten als vorteilhaft erachtet werden.

Eine derart klare Verteilung der Macht bietet gleichzeitig auch die Chance zu einer effektiveren Politikgestaltung und zur Besinnung der Parlamentarier auf Kernfunktionen wie die Artikulation gesellschaftlicher Interessen und die Gesetzgebung. Dass der parlamentarischen Kontrollfunktion zu viel Gewicht beigemessen worden ist, zeigt der Fall Wahid und die geringe Effektivität bei der Verabschiedung von (Reform-)Gesetzen.

2) Beseitigung der nicht-gewählten Vertreter sozialer Interessen aus der MPR

Die Fraktion der sozialen und funktionalen Interessenvertreter (utusan golongan), die immerhin 65 Mitglieder ausmachte, wird es ab 2004 nicht mehr geben. Auch hier setzt sich eine demokratische Kernforderung durch, die verlangt, dass keine nicht gewählten Vertreter Entscheidungsbefugnis besitzen. Diese demokratische 'Bereinigung' bricht mit der Tradition, alle wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen vertreten zu haben, wenngleich diese auf paternalistische Weise ausgesucht worden sind. Inwiefern dadurch Minderheitenrepräsentation ausgeschlossen wird, hängt von den Wahlgesetzen (dürfen regionale Parteien kandidieren?) und den Wahlen (öffnen sich Parteien für 'ethnische' Repräsentation?) ab.

3) Militär raus aus den Parlamenten

Das Militär und die Polizei werden ab 2004 ebenfalls nicht mehr in den Parlamenten (einschließlich den regionalen Versammlungen) vertreten sein. Diese Entscheidung überrascht am meisten, wurde doch 1999 noch beschlossen, dem Militär bis mindestens 2009 Sitze in der MPR zu garantieren. Auch wenn die Hintergründe und die politischen Auswirkungen dieser Entscheidung noch nicht ganz offensichtlich sind, bedeuten sie doch einen zumindest formal großen Reformschritt. Den Parlamenten werden also in Zukunft ausschließlich gewählte Vertreter angehören. Zudem wurde der Forderung nach Rückzug des Militärs aus der (Tages-) Politik stattgegeben. Dass dies weder die vollständige Verabschiedung des Militärs von seinem Selbstverständnis als politische Kraft noch die lang geforderte zivile Kontrolle des Militärs bedeutet, liegt auf der Hand. Die beschlossene Militärbudgeterhöhung um 1 Trillion Rp. auf 10 Trillionen Rp. (11 Mrd. US-Dollar) kann als „Ablösesumme“ für eine Entscheidung mit hohem symbolischen Gehalt betrachtet werden. Bei aller Skepsis über die effektiven Konsequenzen dieser Verfassungsänderung sind zumindest formal und nach außen hin Reformschritte erreicht worden, die noch vor kurzem nicht erwartet werden konnten.

Offene Fragen

Nun werden durch eine Verfassungsänderung gelegentlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. So ist die Frage nach der Zukunft der MPR offen. Einige ihrer früheren Aufgaben wie die Wahl des Präsidenten und die Abnahme des Rechenschaftsberichtes fallen nun weg. Die sozialen Gruppen werden in derselben Weise nicht mehr repräsentiert, die regionalen Vertreter sitzen in der Dewan Perwakilan Daerah (DPD), eine Art Senat nach amerikanischem Vorbild. Vorstellbar wäre, dass sich Parlament und DPD in gemeinsamen Sitzungen als MPR konstituieren, um weitere Verfassungsänderungen vorzunehmen. Vielleicht aber überrascht ja die einzusetzende Verfassungskommission die Öffentlichkeit im nächsten Jahr mit ganz neuen Vorschlägen zur Institutionenordnung.

Was die MPR in ihrer diesjährigen Jahressitzung zustande gebracht wird, ist nicht das Ende aller politischen Probleme der jungen Demokratie. Das optimale konstitutionelle Design gibt es nicht und Indonesiens Probleme liegen auch nicht alle auf Verfassungsebene. Aber klare Spielregeln für die Demokratie und deren Institutionenordnung sind elementare, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für das Gelingen demokratischer Regierungsweisen. Auf eben diesem Bereich haben Indonesiens viel gescholtene Parlamentarier einen wichtigen Beitrag geleistet. Dafür kann man sie ruhig einmal loben. Darüber hinaus haben sie mit der Rückweisung der von islamistischen Gruppen und Parteien geforderten Aufnahme des „Schariah-Passus“ in die Verfassung (welcher die obligatorische Befolgung islamischen Rechts durch Angehörige der islamischen Religion fordert) bewiesen, dass die politische Vernunft auch in Jakarta eine Zweigstelle unterhält. <>
 
 

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