Die Verhaftung des ehemaligen indonesischen stellvertretenden Geheimdienstchefs
Muchdi Purwopranjono ist eine Sensation. Im September wurde der Generalmajor
a.D. als Drahtzieher des Mordes an dem Menschenrechtler Munir angeklagt.
Doch Schlüsselzeugen erscheinen nicht vor Gericht oder ziehen ihre
Aussagen zurück, eine Verurteilung Muchdis wird unwahrscheinlicher.
Menschenrechtler hoffen auf anhaltenden internationalen Druck, um ein unabhängiges
Verfahren und die Untersuchung weiterer Verantwortlicher zu erzielen.
Mit versteinertem Gesicht sitzt er auf dem Anklagestuhl im Bezirksgericht Südjakarta. Die Luft ist schwül und stickig, die Stimmung angespannt im überfüllten Gerichtssaal, doch Muchdi Purwoprandjono in seinem grauen Anorak scheint die Hitze nicht zu stören. Der Generalmajor a.D. verzieht keine Miene, während er der Verlesung der Anklage lauscht, die gegen ihn vorliegt. Als der bekannte Menschenrechtler Munir Said Thalib im September 2004 ermordet wurde, war Muchdi stellvertretender Direktor des zentralen Geheimdienstes BIN. Heute, am 21. September 2008, ist er der mächtigste und hochrangigste Geheimdienstoffizier, der je in der Geschichte Indonesiens vor Gericht gebracht wurde, in einem Land, in dem Straflosigkeit auch für schwerste Menschenrechtsverletzungen zum Alltag gehört.
Die Anklage
Es sind schwere Anschuldigungen, die Chefankläger Cyrus Sinaga
gegen Muchdi erhebt: „Der Angeklagte Muchdi Purwoprandjono wird beschuldigt,
dem Zeugen Pollycarpus Budihari Priyanto den vorsätzlichen Mord an
Munir angeordnet zu haben.“ Sollte Muchdi für schuldig befunden werden,
droht ihm die Todesstrafe. Die Anklage stützt sich auf neue Hinweise,
die aufkamen, nachdem nach monatelangem Stocken im Fall Munir das Verfahren
gegen Pollycarpus wieder eröffnet wurde (s. Suara 2 /2007). Er wurde
im April dieses Jahres für schuldig befunden, Munir die tödliche
Dosis Arsen verabreicht zu haben, die seinen tragischen Tod im Flugzeug
nach Amsterdam verursacht hat, und zu 20 Jahren Haft verurteilt (s. Suara
1/2008). Eine anschließende Polizeiermittlung brachte mit BIN-Agent
Budi Santoso einen Schlüsselzeugen ins Spiel, der eine direkte Verbindung
zwischen Muchdi und Pollycarpus herstellen konnte. Laut Santoso, der zur
Zeit um Munirs Tod unter Muchdi arbeitete, ging Pollycarpus in Muchdis
Büro ein und aus. Bei einem seiner Besuche habe Pollycarpus gegenüber
Santoso behauptet, dass er „von Muchdi Purwoprandjono beauftragt wurde,
Munir zu eliminieren“
/PDM-1421/JKSEL/Ep.1/08/2008/.
Auch habe er Santosos Hilfe beansprucht, um einen Brief an Garuda-Direktor
Indra Setiawan zu verfassen, mit dessen Hilfe er in Munirs Flieger gelangen
konnte. Am Tag nach Munirs Tod soll Pollycarpus dann mit Santoso telefoniert
und ihm mitgeteilt haben, er habe „einen großen Fisch gefangen in
Singapur“, womit wohl Munir gemeint war, der das tödliche Gift am
Flughafen von Singapur zu sich nahm. Pollycarpus habe dies auch Muchdi
berichtet. Zudem hat Santoso laut Anklage in den Tagen vor und nach Munirs
Mord auf Anweisung Muchdis insgesamt 17 Mio. Rupiah (zum damaligen Wechselkurs
ca. 1600 Euro) an Pollycarpus überwiesen. Ein Menschenleben scheint
wahrlich nicht viel wert zu sein in Indonesien.
Muchdi schweigt, die Premans schreien, und die Zeugen brechen ein
Während Muchdi seine Anklage schweigend entgegennimmt, haben sich vor dem Gerichtsgebäude ca. fünfzig Menschen vom Schlag des Premans – des indonesischen Schlägers und Bandenkriminellen – versammelt, um gegen die Anklage Muchdis zu protestieren. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Bekämpft die ausländische Intervention“, nennen Munir einen „Verräter und Handlanger Amerikas“, sie grölen die indonesische Nationalhymne. Auf ihren Plakaten lässt sich lesen: „Regierung und Justizapparat, beugt euch nicht dem Druck der NGOs, der Handlanger ausländischer Interessen!“ Auch der Gerichtssaal wird an diesem Tag von den Unterstützern Muchdis beherrscht, die sich selbst „Brigade Merah Putih“ (Brigade Rot-Weiß) nennen. Sie besetzen die Bänke, stehen dicht an dicht in dem überfüllten Raum und ziehen grimmige Gesichter. „Es war vorherzusehen, dass diese Demonstranten organisiert werden würden, um den Angeklagten zu unterstützen und eine Atmosphäre der Angst während des Verfahrens zu schaffen“, so Usman Hamid, Leiter der von Munir gegründeten Menschenrechtsorganisation KontraS. „Die Polizei ist nun verpflichtet, den Anklägern, Zeugen und Richtern Schutz zu bieten.“ /Australian Broadcasting Corporation, 21. August 2008/
Dass dies nicht geschehen ist, lässt sich am Verhalten der Zeugen während der gegenwärtigen stattfindenden Beweisaufnahme ablesen: Bis auf Indra Setiawan, der aussagt, Pollycarpus auf schriftliche Bitte des ehemaligen BIN-Vizedirektors Muhammad As’sa als Garuda-Sicherheitsoffizier angestellt zu haben, entlasten alle Zeugen aus dem BIN-Umfeld den Angeklagten Muchdi: einige erscheinen erst gar nicht zum Gerichtstermin, wie zum Beispiel besagter Muhammad As’sa. Andere widerrufen oder ändern zuvor gemachte belastende Aussagen.
Schlüsselzeuge Budi Santoso, der gegenwärtig an der indonesischen
Botschaft in Pakistan tätig ist, wiederruft seine Aussage schriftlich
und schwächt damit die Position der Anklage maßgeblich. Die
eidesstattliche Erklärung, mit der Santoso seine Aussage zurückzieht,
wurde jedoch nicht vom Botschafter in Pakistan unterzeichnet, was laut
Usman Hamid einen Verstoß gegen die Regelungen für im Ausland
tätige BIN-Agenten darstellt. Er zweifelt deshalb die Echtheit der
Erklärung an.
Entlastende Aussagen wurden auch von den Zeugen Sonny und Aripin, zwei
ehemaligen Mitarbeitern Muchdis, gemacht, die im Bezug auf Muchdis Mobiltelefon
vernommen wurden. Die 41 Telefongespräche, die laut den Aufzeichnungen
einer Telefongesellschaft vor und nach dem Mord zwischen den Mobiltelefonen
Muchdis und Pollycarpus geführt wurden, gelten als zentraler Hinweis
auf Muchdis Beteiligung an dem Verbrechen. Während ihrer Vernehmung
im Gerichtssaal geben Sonny und Aripin jedoch an, dass Muchdis Mobiltelefon
oft offen in seinem Büro herumlag und deshalb theoretisch von jedem
benutzt werden konnte.
Einige Zeugen leiden nicht nur unter Angst, sondern augenscheinlich auch unter Amnesie. So zum Beispiel BIN-Agent Raden Mohammad Patma Anwar alias Ucok (s. Suara 2/2007). Hatte dieser im Verfahren gegen Pollycarpus noch ausgesagt, er habe im Auftrag seines Vorgesetzten vier alternative Pläne zur Ermordung Munirs entworfen, sagt er im Verfahren gegen Muchdi aus, er könne sich daran nicht erinnern. Selbst die Fragen, ob er zum Zeitpunkt der Ermordung BIN-Agent gewesen sei und ob er gegenwärtig noch für den Geheimdienst arbeite, beantwortete Ucok nur mit einem: „Das habe ich vergessen“, was den Zuschauern, die das Geschehen ansonsten ruhig und ernsthaft verfolgen, lautes Gelächter entlockt. Auch Muchdi hat seine eiserne Miene vom Prozessbeginn verloren und tauscht mit seinem Chefverteidiger Lutfhie Hakim lachend Scherze aus. Nur während Ucok redet, starrt er seinen ehemaligen Untergebenen mit furchteinflößenden Blicken an. Dass ein spontaner „Blackout“ im richtigen Moment dabei helfen kann, strafrechtlicher Verantwortung zu entfliehen, weiß man spätestens seit Helmut Kohl. Richter und Ankläger warnen Ucok zwar, dass eine Falschaussage vor Gericht eine Straftat darstellt, reagieren aber ansonsten eher lakonisch darauf, dass die Argumentation der Anklage mit dem Einbrechen von Schlüsselzeugen wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen droht.
Nach dem die Zeugenvernehmung sich dem Ende zuneigt, muss sich nun zeigen,
ob die Anklage das belastende Beweismaterial einbringen wird, das die Polizei
Medienberichten zufolge festgestellt hat. Es geht unter anderem um Aufzeichnungen
von Telefonaten zwischen Pollycarpus und Muchdi, um eine Liste mit Telefonkontakten
von Muchdis Computer, in der auch Pollycarpus Name auftaucht, sowie eine
gelöschte Kopie des oben genannten Briefes an Garuda-Direktor Indra
Setiawan, die Mittels forensischer Computertechnologie wiederhergestellt
werden konnte /Jakarta Post, 24. Juni 2004, Tempo Magazin 43/VIII/. Ob
den Richtern diese Dokumente als Beweis für Muchdis Schuldigkeit ausreichen
werden, bleibt abzuwarten.
Beyond Muchdi
Neben der Frage, ob die Richter angesichts der Beweislage und des Ausfalls verschiedener Schlüsselzeugen zu einem objektiven Urteil kommen können und die Verantwortlichkeit Muchdis restlos aufgeklärt werden kann, ist die Mittäterschaft anderer BIN-Mitarbeiter weiterhin zu klären. Die Unterschrift von Mohammad As’sa unter dem Brief an Garuda-Chef Indra Setiawan weist auf die Beteiligung des ehemaligen BIN-Vizedirektors hin. Im Zentrum der Forderungen indonesischer Menschenrechtler steht jedoch die Aufklärung der Rolle von Abdulla Makhmud Hendropriyono. Sie vermuten, dass der General a.D., der 2004 die Leitung von BIN innehatte, der führende Kopf der Verschwörung zum Mord an Munir war. Munir hatte Hendropriyonos Verantwortung für ein 1989 verübtes Massaker in Lampung, Sumatra, aufgedeckt. Jedoch fehlt es für Hendropriyonos Beteiligung an der Ermordung Munirs bisher an konkreten Beweisen. Einziger Hinweis ist eine Aussage von Usman Hamid, der 2004-2005 auch als Sekretär des nach Munirs Tod von Präsident Yudhoyono geschaffenen Untersuchungsteams für den Mord fungierte. Während seiner Vernehmung im Verfahren gegen Muchdi gab Usman an, dass das Team Dokumente erhalten habe, laut denen Hendropriyono an BIN-internen Diskussionen teilgenommen hat, auf denen die oben erwähnten vier Szenarien zur Ermordung Munirs besprochen wurden /Jakarta Post, 23.9.2008/.
Es scheint jedoch, als wolle die Anklage die Aufklärung des Falles auf Muchdi begrenzen. Sie nennt Rache als das zentrale Mordmotiv Muchdis, Rache für Munirs Rolle in der Beendigung von Muchdis Militärkarriere. Munir hatte 1998 eine Untersuchung über das Verschwindenlassen von 23 Demokratieaktivisten durchgeführt und Muchdis Verantwortung hierfür aufgedeckt (s. Suara 2/2007 und Indonesien-Information 1/1998). Muchdi wurde daraufhin nach nur 52-tägiger Amtszeit von seinem Posten als Kommandant der berüchtigten Eliteeinheit Kopassus abgesetzt. Das Motiv der persönlichen Rache impliziert, dass Muchdi der führende Kopf hinter dem Mord an Munir war und eine weitere Untersuchung der Mittäterschaft von Hendropriyono, As’sa und anderen Personen unnötig ist. Doch noch ist nicht aller Tage Abend. „Wir können von den vorhergegangenen Verfahren im Fall Munir lernen“, meint Usman Hamid gegenüber Watch Indonesia!. „Nach der Aufhebung des Mordurteils gegen Pollycarpus durch den Obersten Gerichtshof sah es lange so aus, als sei der Fall damit abgeschlossen. Doch die anhaltende internationale Aufmerksamkeit, die Nachfragen von UN-Sonderberichterstattern, der Brief des US-Kongresses, die Stellungnahmen des Europaparlaments usw. haben dazu beigetragen, dass der Fall neu aufgerollt und nach Pollycarpus nun auch Muchdi angeklagt wurde. Eine anhaltend hohe internationale Aufmerksamkeit kann sehr viel dazu beitragen, dass neben der Verantwortlichkeit Muchdis auch die Rolle anderer hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter aufgeklärt wird“, so Usman.
Die Verhaftung und Anklage von Muchdi sind wichtige Schritte in die
richtige Richtung. Die Durchführung des Verfahrens unter Einhaltung
rechtsstaatlicher Standards und eine auf objektiven Tatsachen beruhende
Verurteilung Muchdis wären ein wichtiges Signal für die Beendigung
der Straflosigkeit in Indonesien. Es ist von großer Bedeutung, dass
die internationale Zivilgesellschaft und ausländische Regierungen
die Verfahren beobachten und sich öffentlich, in internationalen Foren
oder bilateralen Gesprächen hierzu äußern und eine schonungslose
und unabhängige Aufklärung des Falles einfordern. Solange der
Mord an Munir nicht aufgeklärt wird, müssen auch andere Menschenrechtsverteidiger
in Indonesien weiterhin um ihr Leben fürchten. Oder, um es mit den
Worten von Munirs Witwe Suciwati auszudrücken: „Gerechtigkeit für
Munir bedeutet Gerechtigkeit für alle.“ <>
Quellen:
Surat Dakwaan terhadap H. Muchdi Purwopranjono (Anklageschrift gegen
H. Muchdi Purwopranjono), August 2008 (Nomor Reg. Perkara PDM-1421/JKSEL/Ep.1/08/2008).
„Indonesian spy fronts crout over activist’s murder“, Australian Broadcasting
Corporation, 21. August 2008
„Police Say Evidence Links Muchdi and Pollycarpus“, The Jakarta Post,
24. Juni 2008.
„Witness supports accusation against BIN in Munir murder“, The Jakarta
Post (website), 23. September 2008
„Django Goes to Jail“, Tempo 43/VIII, 24.-30. Juni 2008
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