Die Zielvorgabe der Nationalen Reserve (Cadangan Nasional) unterscheidet
das indonesische Konzept der Nationalen Sicherheit entschieden von anderen,
meist westlichen Ansätzen einer umfassenden Sicherheit. Dieses spezifisch
indonesische Reservekonzept reicht weiter als ein konventionelles Reservistenwesen,
vermeidet jedoch eine allgemeine Wehrpflicht. Es erstrebt eine Form der
verpflichtenden zivil-militärischen Zusammenarbeit, bei der wehrfähige
Zivilisten einen erheblichen Teil ihrer Lebensarbeitszeit unter militärischem
Kommando für die Zwecke der Landesverteidigung verbringen werden.
Die einem Reservedienst vorausgehende Wehrerfassung wird alle männlichen
Staatsbürger betreffen und in heute noch nicht erkennbarer Weise die
zivil-militärischen Beziehungen zugunsten des indonesischen Militärs
verändern. Wobei einschränkend die bisher nur bruchstückhafte
Ausgestaltung des Reservesystems anzufügen ist, die einem Gesetz überlassen
bleibt.
Die Nationale Reserve (Cadangan Nasional, abgekürzt Kamnas, wie im weiteren verwendet) findet bereits im Gesetz der Nationalen Verteidigung vom Januar 2002 deutliche und zentrale Erwähnung. Die Umstände der Zeiten ließen Beobachter darüber hinweg lesen. Die zeitspezifischen Besorgnisse waren: würde die Armee, und in ihr die einflussreichen Landstreitkräfte, überhaupt einer Militärreform zustimmen, die ihre Position im Sicherheitssektor mittel- und langfristig erheblich verringern würde? Hauptsächlich, weil ihnen die zivile Führung (Suprematie) ihrer sorgsam gehegten militärischen Domäne mittel- und langfristig drohte? Zumal einer Armee, deren Offizierselite immer noch in die beiden großen Fraktionen der Säkularnationalisten und der zum Islam tendierenden Gruppe gespalten war. Vom heutigen Blickpunkt müssen die frühen Ausarbeitungen einer Nationalen Sicherheit und Reserve zeitgebundener betrachtet werden. Es ging dem kleinen Kreis der Konzeptoren einer langfristig angelegten Sicherheitsarchitektur primär um die Zustimmung der TNI-Führung zu einer Grundsatzentscheidung, die die konservative Grundhaltung der Militärelite mit den globalen Erfordernissen einer Sicherheitsmodernisierung auf geringstem Niveau versöhnen konnten. Dieser minimale Konsenspunkt war (und ist) das „System der totalen Volksverteidigung“ (Sishankamrata: Sistem Pertahanan dan Keamanan Raykat Semesta, Sishankamrata) als Konkretisierung des militärischen Anspruches auf Führung (eines Teils) des Volkes in Krisen- und Kriegszeiten. Es schadete diesem Konsens nicht, dass ab 2002 erst einmal keinerlei institutionelle Realisierungen dieses Kernaspektes der angestrebten Sicherheitsordnung angegangen wurden. Konnte sich doch das um Reformunterstützung bemühte Ausland in der falschen Sicherheit wiegen, es werde schon nicht so schlimm kommen und die Indonesier würden von ihren Spinnereien schon noch ablassen. Teilweise zu Recht, war (und ist) das Hankamrata-Prinzip keinesfalls unumstritten. Seine finanziellen Konsequenzen müssten das Verteidigungsbudget bei weitem sprengen.
Ein Blick zurück: Dem Gesetz zur Staatsverteidigung vom 8. Januar 2002 gingen zwei Vorstufen der Formulierung voraus, die begrenzte Einblicke in erhebliche Unterschiede der Konzeptionen erlauben. Im Oktober 2000 legten zwei Parteien, deren personelle Zusammensetzung unbekannt blieb und Spekulationen überlassen bleiben muss, zwei konträre Entwurftexte zu einem anzustrebenden künftigen Ordnungsrahmen staatlicher Sicherheit vor. Eine Partei, die ich dem damaligen Minister Juwono Sudarsono zuschreibe (er war ab Oktober 1999 der erste zivile Minister für Verteidigung im Kabinett von Präsident Abdurrahman Wahid), benannte diesen Gesamtrahmen „Nationale Sicherheit“ (Pertahanan Nasional) und konzeptionierte ein modernes, an Institutionen westlicher Verteidigung und Sicherheit orientiertes, einheitliches System der Verteidigung vor auf der Grundlage der territorialen Organisation des Heeres. Modern und konservativ lag der Schwerpunkt auf Systemhaftigkeit, Transparenz und der Führung durch eindeutig definierte staatliche Institutionen, die Eigenmächtigkeiten der Sicherheitsakteure unmöglich machen sollten. Hierfür sollte ein noch einzurichtender Nationaler Sicherheitsrat (Dewan Keamanan Nasional) sorgen. Die von den Streitkräften (TNI) zu leistende Verteidigung sah die territoriale Präsenz, soziale Hilfsdienste und Einsätze im neuen Bereich der nicht-kriegerischen Einsätze vor, zu denen Katastrophenhilfe und zivil-militärische Zusammenarbeit gehören. Zivilisten sollten der TNI weder zuarbeiten, noch untergeordnet werden. Eine Nationale Reserve war in diesem Entwurf nicht vorgesehen.
Hingegen sah der konträre Gegenentwurf ausdrücklich die Konkretisierung
des Hankamrata vor. Er ging vermutlich auf den damaligen Dreisterne-General
und Chef des Territorialstabes Susilo Bambang Yudhoyono und seine Mitarbeiter
sowie auf seinen Vorgänger in der Position, General Agus Widjojo,
zurück. Susilo, der heutige Staatspräsident, übernahm zwei
Monate vor der Gesetzesvorlage die einflussreiche (und heute abgeschaffte)
Leitung des Territorialstabes. Widjojo wurde Chef der (heute aufgelösten)
Fraktion der Streitkräfte im Parlament. Sie entwarfen ein Dreikomponentenmodell
als Kernstück der künftigen Verteidigungsstruktur, das in jenen
Tagen unrealisierbar erscheinen musste, sich aber der Zustimmung durch
die mehrheitlich konservative Generalität sicher sein konnte. Dieses
Modell ging im Februar 2001 in eine zweite Fassung ein, in welcher die
(vermutlichen) Konzeptionen des Verteidigungsministers nur geringe Erwähnung
fanden. Minister Juwono war bereits im August 2000, kurz nach der Veröffentlichung
beider Entwürfe, von seinem Amt zurückgetreten, aus gesundheitlichen
Gründen, wie es damals hieß. Nicht wenige Beobachter hegten
jedoch Zweifel an dieser Begründung. Sachliche Gründe können
in der Ablehnung seines Entwurfes gelegen haben. So ersetzte dieser zweite
Gesetzesentwurf beispielsweise den Titel „Staatliche Verteidigung“ zugunsten
der „Staatlichen Sicherheit“, und den Nationalen Sicherheitsrat gleich
mit. Letzterer fand zwar wieder Eingang in die Endfassung des Gesetzes
Nr. 3/2002, was aber nicht ursächlich mit Juwono in Verbindung gebracht
werden kann. Juwono wurde erst im Oktober 2004 im Kabinett Susilo Bambang
Yudhoyono erneut zum Verteidigungsminister ernannt, um in dieser Position
jene Reform voranzutreiben, die er im Jahre 2000 in wesentlichen Teilen
persönlich abgelehnt hatte.
Das Dreikomponentensystem
Das im Gesetz 3/2002 niedergelegte künftige staatliche System der militärischen Landesverteidigung (Sistem Pertahanan Negara) steht in einer historischen Kontinuität von jenem ersten (SBY-Widjojo?) Entwurf vom Oktober 2000 bis hin zum aktuellen Kamnas-Gesetzesentwurf. Sie alle sehen die Errichtung von drei grundlegenden Verteidigungskomponenten vor, unter denen die Armee (TNI) die Hauptkomponente (Komponen Utama) darstellen wird. Sie, die TNI, wird als Waffen führende Komponente der Verteidigung auf die Verteidigung von Räumen ausgelegt sein. Wobei das Heer sich auf seine Präsenz in landesweit eingerichteten Territorialkommandos stützt, und die Marine und Luftwaffe See- bzw. Lufträume vor feindlichen Übergriffen beschützen. Das Heer zeichnet sich aus durch die zusätzliche Aufgabe der Führung der Zivilbevölkerung bei der Teilhabe an der Landesverteidigung, Hankamrata.
Es gilt hier hervorzuheben, dass in Indonesien die Verteidigung keine
dem Bürger auferlegte Pflicht darstellt, sondern ein in der ersten
Staatsverfassung von 1945 niedergeschriebenes Anrecht des Bürgers
an seinen Staat. Dieses Recht verlangt, dass sich jeder Bürger im
Bedrohungsfall aktiv in die nationalen Verteidigungsanstrengungen einbringen
kann und der Staat diesen Anspruch angemessen zu ermöglichen hat.
Dieses Verfassungsrecht hat der indonesische Staat aber niemals in die
Realität umgesetzt. Angesichts einer zahlenmäßig recht
kleinen staatlichen Berufsarmee, die ihren Anspruch auf exklusive Waffenführung
energisch verteidigt, muss diesem Rechtsanspruch auf andere Weise Rechnung
getragen werden als durch die formelle Einberufung in die Streitkräfte,
mit dem Resultat einer entsprechenden personellen Ausdehnung der Streitkräfte.
Ein reines Reservistensystem bietet keine Möglichkeit, um im Eventualfall
Millionen von Zivilisten der Verteidigung gemäß der Hankamrata
zu gewährleisten. Die Komponente der Nationalen Reserve (Komponen
Cadangan Nasional, KomCadnas) soll nun die Lösung sein.
Eine dritte Komponente, die so genannte Unterstützungskomponente
(Komponen Pendukung, ohne Abkürzung), soll den Streitkräften
(und der Reserve) im Krisen- und Verteidigungsfall den Zugriff auf die
„Potentiale“ (potensi) von Territorium, die Infrastruktur, staatliche Verwaltung,
aber auch auf die Ressourcen, Produkte und die Wirtschaft des Landes, sowie
–nicht unerheblich – auf die über TNI und Cadnas nicht erfassten Bevölkerungsteile
ermöglichen. Was es mit dieser dritten Komponente im Detail auf sich
hat, ist bisher noch nicht einmal anfänglich geklärt. Erkennbar
ist jedoch, dass diese Zurückhaltung in der Definition ursächlich
mit der Grenzziehung zwischen zweiter und dritter Komponente zu tun hat.
Eine Grenzüberschreitung zwischen zweiter und dritter Komponente stellt
die Ideologie dar, ohne die das Hankamrata-System nicht gedacht werden
kann. Die Ideologie ist verteidigungsrelevant, indem sie das notwendige
Bewusstsein schafft, mit dem die zivilen Staatsbürger den Sinn der
Cadangan Nasional für den Erhalt von Staat und Nation erkennen und
sich ihm fügen. Einmal aufgestellt wird die Reservekomponente wenig
mit Freiwilligkeit zu tun haben. Sie wird die wehrfähigen Bürger
einberufen, und zwar mit staatlichem Zwang. Dafür benötigt es
ein ideologisches Sinngebäude, das über die Wehrerziehung und
eine sicherheitsorientierte Staatsbürgerkunde vermittelt werden soll.
Die Cadnas wird seit ihrer ersten gesetzestextlichen Formulierung mit diesen
beiden Erziehungsmaßnahmen verbunden. Sie gehören zusammen
Die Erziehung der Reserve
Das Postulat einer Wehrerziehung (Pendidikan Bela Negara) und die staatsbürgerliche
Erziehung (Pendidikan Kewarganegaraan) finden sich bereits in den beiden
Vorentwürfen des Gesetzes 3/2002, nicht jedoch im Gegenentwurf des
Dephan (Minister Juwono) vom Oktober 2000, was ein nicht unbedeutendes
Detail auch für die Zukunft der Sicherheitssektorreform darstellt.
Im Klartext: Anno 2000 wollte Juwono keine Reserve und ihre Erziehungssysteme.
Heute hat er sie als integraler Bestandteil der künftigen staatlichen
Sicherheitsstruktur umzusetzen. Darüber hinaus, und nicht unwichtig,
ist die Erziehung in einer noch nicht spezifizierten Weise verbunden mit
einer Verpflichtung zur Teilnahme an einer militärischen Grundausbildung
(Pelatihan Dasar Kemiliteran), die sehr wahrscheinlich auch eine Ausbildung
an der Waffe einschließen wird. Der Text des Gesetzes 3/2002 legt
keine Bestimmungen zur Umsetzung der Vorgaben fest und beantwortet keine
Frage zur künftigen Ausgestaltung der Komponenten.
Institutionelle Grundlagen im Dephan
Die Ernsthaftigkeit der beiden Zusatzkomponenten zur TNI belegt die Aufstellung eines eigenen Generaldirektorates (Direktorat Jenderal, Ditjen) im Dephan ab Dezember 2000, mithin wenige Monate nach Erstellung der ersten Verteidigungskonzepte. Das Generaldirektorat für „Verteidigungspotentiale“ (Potensi Pertahanan, abgekürzt Pothan), geführt von einem Zweisternegeneral bzw. einem gleichrangigen Zivilisten, ist ausschließlich mit der Aufstellung der Reserve- und Unterstützungskomponenten und der Konzeptionierung und künftigen Durchführung der Wehr- und Staatsbürgererziehung beauftragt.
Die Reservekomponente läuft auf einem schmalen Grat zwischen Freiwilligkeit und Begeisterung der Teilnahme an Landesverteidigung (sprich Militär) und dem Zwang einer Dienstpflicht. Die unklare und niemals verwirklichte Form einer Volksverteidigung wird jenseits ihrer Idealisierung schwerwiegende Fragen nach ihrem Sinn und Nutzen für eine professionelle Staatsverteidigung aufwerfen: Was können Berufsmilitärs in Krieg und Frieden mit Massen von Zivilisten, die ihrem Recht auf Verteidigungsteilhabe nachkommen, sinnvoll anfangen? Die fragliche Demokratietauglichkeit einer Volksmassenarmee unter militärischem Kommando, die schädlichen Effekte des Entzugs produktiver Arbeitskraft auf die Wirtschaft und die einseitige Belastung des Staatshaushalts zur Aufrechterhaltung einer paramilitärischen Volksmilitärkomponente sind Fragen, die in einem anstehenden parlamentarischen Beschlussverfahren beantwortet werden müssen.
Das Weißbuch (Buku Putih) des Verteidigungsministeriums vom März
2003 bekräftigt die künftige Stellung der beiden Zusatzkomponenten
der Verteidigung, reduzierte jedoch ihre künftige Funktion. Die Reserve
sollte aus einer Reservistentruppe (Bala Cadangan) aufgestellt werden,
rekrutiert aus ehemaligen Soldaten und Angehörigen des Studentenregiments
(Resimen Mahasiswa, Menwa), das irgendwie seine Existenz aus den Zeiten
Suhartos herübergerettet hat und noch immer an manchen staatlichen
Universitäten zu finden ist. Die Gesamtstärke der Reservetruppe
sollte einmal zwischen 25.000 und 62.000 Angehörigen liegen. Sie sollte
in acht der zwölf Wehrbereichskommandos (Kodam) aufgestellt werden.
Ihre Aufstellung und administrative Betreuung erfolgt durch das Dephan
und die TNI, in Koordinierung mit den acht betreffenden Provinzen, in denen
sich die ausgewählten Kodam befinden. Diese wenigen Formulierungen
sind bis heute die einzigen belastbaren. Aus ihnen wird aber ebenso deutlich,
dass das Dephan, ebenso wie diejenigen Militärs, die (ein offenes
Geheimnis!) das Weißbuch in weiten Teilen für das Ministeriums
verfasst hatten, 2003 keine „Volkstruppe“ wollten. Diese Annahme bestätigt
die minimale Definition der Unterstützungskomponente, in die die Erziehungspläne
einflossen: für die Stärkung der nationalen Potentiale, so das
Weißbuch, sollen Wehr- und Staatsbürgererziehung durch staatliche
und private Bildungseinrichtungen erfolgen. In erster Linie sollen die
Angehörigen der Nationalen Reserve im Wehrbewusstsein und Staatsbürgerkunde
ausgebildet werden. Ihre militärische Grundausbildung werden sie an
den Ausbildungseinheiten der Kodam, den Rindam („Mutterregimentern“) abzuleisten
haben. Darüber hinaus soll diese Erziehung auch anderen Bürgern
zugute kommen. Weitere Klärungen fehlten. Ein weiteres kleines Detail
im Text des Weißbuches ist bemerkenswert. Dort ist die Rede von zwei
Arten von Reserveangehörigen: Soldaten (Angehörige mit soldatischer
Funktion) und solchen, die „die gemäß ihrer Profession (profesi)
dienen“. Damit wird erstmals ein berufs- und aufgabenspezifisches Einberufungskriterium
zur Reserve explizit benannt.
Das Gesetz zu den Streitkräften, im September 2004 vom Parlament
als Gesetz (UU) Nr. 34/2004 verabschiedet, bestimmte die TNI als Hauptkomponente
des Systems der Staatsverteidigung. Es bekräftigt erneut die Führungsposition
der Streitkräfte im Dreikomponentenmodell. Die letzte Sitzung des
ausgehenden Parlaments der Amtszeit von Präsidentin Megawati Sukarnoputri
übertrug im legislativen Aufgabenprogramm (Prolegnas) der neuen Regierung
Susilo Bambang Yudhoyono eine Reihe von Gesetzen zur Ausarbeitung und Verabschiedung
in der Legislaturperiode 2004-2009. Es sind dies die Gesetzesvorlagen:
Das Gesetz zur doppelten Reserve
Zeitgleich mit dem ersten Gesetzesentwurf zu Kamnas stellte das Dephan
im Februar 2005 den Entwurf eines Cadnas-Gesetzes vor. Das Ministerium
zeigte sich damals gewiss, die Kamnas-Gesetzgebung bereits 2006 dem Parlament
zur Abstimmung vorlegen zu können. Voreilig, wie sich erwies. Der
damalige Generaldirektor für Verteidigungspotentiale (Dirjen Pothan),
ein Marineadmiral, favorisierte ein Cadnas-Konzept, das auf eine Nationalgarde
nach US-amerikanischem Vorbild hinauslief und nicht die Bedingungen des
Hankamrata erfüllte. Sein Nachfolger, der im August 2005 ernannte
Zivilist Professor Budi Susilo Supandji, legte gleich zwei Entwürfe
vor. Einem als internen Diskussionsentwurf gekennzeichneten Text vom September
2006, dem eine auf den 31. Januar 2007 datierte Gesetzesvorlage folgte,
deren Text vom Dephan im Jahresverlauf 2007 an die Öffentlichkeit
gebracht wurde und heftige Reaktionen hervorrief. Es war im Besonderen
die Bestimmung, dass alle männlichen Indonesier im Alter von 18 bis
58 Lebensjahren zu einer fünfjährigen Dienstpflicht zur Reserve
herangezogen werden sollten - mithin, wie ein Experte errechnete, an die
80 Millionen Bürger! - die den Entwurf der öffentlichen Lächerlichkeit
preisgab und den Schwachpunkt der Reservepläne offen darlegte: wie
sollte ein geringer Verteidigungshaushalt ein solches Großvorhaben
finanzieren können? Eine andere Vermutung ist die, dass Minister Juwono
selbst seinen Pothan-Sekretär Supandji, der als ausgesprochener Hardliner
eine bevölkerungsgestützte Großreserve befürwortet,
mit einem unrealisierbaren Maximalentwurf bloß- und kaltzustellen
gedachte.
Eine Textexegese der Nationalen Reserve
Beide Gesetzesvorlagen von 2006 und 2007 sind bis auf einen Punkt im Wesentlichen identisch. Sie zeichnen sich durch nebulöse Formulierungen aus und weisen jegliche Verantwortung für eine finale Bestimmung künftigen gesetzgeberischen Verfahren zu. Eindeutig bestimmt wird alleinig, dass nur Männer der künftigen Cadnas angehören werden, dass sie Uniform tragen und den Status von Kombattanten aufweisen werden. Sie werden der Armee (TNI) und dem militärischen Recht unterstehen, nicht aber formelle Soldaten sein. Ihr Status ist der von militärischen Reserveangehörigen, die nicht die Vorzüge der Soldaten erster Klasse genießen. Sie haben nur wenig Rechtsansprüche und keine Laufbahnaussichten. Eingezogen werden sollen alle (!) männlichen Staatsbürger der Altersgruppe 18 bis 58 Jahre (Entwurf 2006), was im Entwurf 2007 auf 18 bis 48 Lebensjahre reduziert wurde. Ihr (Pflicht-)Dienst soll fünf Jahre betragen und kann um weitere fünf Jahre verlängert werden bis zu einem Höchstalter von 58 Jahren (Entwurf 2007). Weitere Bestimmungen fehlen. Die Gesetzestexte geben jedoch Hinweise, worum es den Konzeptoren am Dephan geht und welche Form von Reserve sie zaghaft vorgeben. Ihre Vorstellungen laufen auf zwei Reserven hinaus.
Unumstößlich ist die Vorgabe des Gesetzes 3/2002 an die Reservekomponente. Sie muss gewährleisten, dass der TNI in einem Ernstfall diejenigen Reservesoldaten bereit stehen, die sie sinnvoll einsetzen kann, die jedoch keine Berufssoldaten sein dürfen. Die Reserve darf deshalb nicht allein die Masse der wehrfähigen und wehrwilligen Bevölkerung aufnehmen. Ausdrücklich sagen beide Cadnas-Texte, dass die Reserve nicht allein die Menschen (Bürger) sind, sondern „alle nationalen Ressourcen, die … mobilisiert werden können zur Vergrößerung und Verstärkung der Fähigkeiten der Hauptkomponente (TNI)“. Die Angehörigen der Cadnas sind nach dieser Vorstellung diejenigen Staatsbürger, die „natürliche und künstliche Ressourcen, Mittel und Infrastruktur, die in der Cadangan Nasional zusammengefasst sind, „bemannen“ (mengawaki), d.h. als Bedienpersonal beistehen. Deutlicher: die Cadnas ist die Gesamtgesellschaft einschließlich ihrer Institutionen, in denen sie wirken, und die mit ihnen in die Cadnas eingezogen werden wird. Nicht nur der einzelne Bürger wird Teil der Reserve, sondern sein berufliches Wirkungsfeld mit ihm. Anders gesagt, es werden Institutionen der staatlichen Wehr zur Verfügung gestellt und der wehrrelevante Funktionsmensch in ihnen zum Reservesoldaten ernannt. Der Reservist verbleibt in seinem Wirkungskreis, erhält eine Uniform, wird der militärischen Aufsicht unterstellt, und fährt fort das zu tun, was er bereits zuvor als Zivilist getan hat. Über seine Dienstzeit von fünf oder zehn Jahren hinweg. Der Reservist indonesischer Prägung wird laut dieser Konzeption des Dephan nicht unbedingt, oder nur zeitweise kaserniert werden. Er dient der Reserve primär in seiner beruflichen Funktion, wegen der er überhaupt einberufen werden wird. Diese erstaunlich neoliberale Position lässt sich schlüssig aus weiteren Formulierungen herleiten.
Eine Einberufungskommission wird die Kandidaten einer Wehrtauglichkeitsfeststellung unterziehen und sie eventuell einberufen. Auch hier bleibt unklar, ob alle männlichen Staatsbürger zur Tauglichkeitsprüfung antreten werden. Die Selektion soll nach Qualität erfolgen und die genannten primären Rekrutierungsquellen sind begrenzt, und zwar auf
das Militär selbst: Reservisten (ehemalige Gediente), und aus dem
„familiären Umfeld“ des Militärs stammende Jugendliche mit paramilitärischem
Hintergrund wie Angehörige des Studentenregimentes oder ehemalige
Milizenangehörige.
Das Ministerium der Verteidigung und sein Umfeld. Hier insbesondere
die fachlich qualifizierten jungen Zivilisten im Ministerium und seinem
technisch akademischen Umfeld der staatlichen Universitäten und privater
Institute: Wissenschaftler, Lehrer, Techniker, Ärzte und medizinisches
Fachpersonal sowie andere intellektuell und fachlich qualifizierte Fachkräfte.
Staatliche Einrichtungen und Betriebe wie Universitäten, Hochschulen,
Behörden und öffentliche Verwaltung und der militärisch-industrielle
Komplex der Strategischen Industrien. Ausdrücklich finden private
und privatwirtschaftliche Institutionen Erwähnung, die Reserveangehörige
aufnehmen sollen und die ihrerseits zu einem Bestandteil der Nationalen
Reserve ernannt werden. Was einer faktischen Eingliederung von Rüstungsbetrieben
und verteidigungsstrategisch wichtigen Einrichtungen in die Streitkräfte
gleich käme.
Sollte sich dieses Bild der technologischen Fach-Reserve durchsetzen,
dürfen wir uns eine qualifizierte Schicht von Leistungsträgern
vorstellen, die aus der Ausbildung und dem Berufsleben heraus einberufen
werden, um der TNI technisch-fachlich auf ihrem vormals zivilen Arbeitsplatz
zuzuarbeiten. Es ist dann denkbar, dass ein qualifizierter Ingenieur eines
Rüstungsbetriebes, ein Facharzt eines Krankenhauses oder ein Dozent
einer Universität einberufen wird, um an seiner Wirkungsstätte
fürderhin als Reservesoldat, in Uniform und mit geringem Wehrsold
neben seinen zivilen, weil nicht eingezogenen Kollegen genau jene Arbeit
zu leisten hat, die er zuvor als Zivilist geleistet hatte. Über fünf
Jahre, und, wenn der Dienst am Vaterland es verlangt, noch weitere fünf
Jahre länger. Was für ältere Arbeitnehmer dem Ende ihrer
Lebensarbeitszeit gleichkäme. Für den Staat, private Organisationen
und Unternehmen ein zweifellos lohnendes Geschäft. Die Einberufung
ihrer Mitarbeiter in die Reserve entlastet den Betrieb, die Provinz oder
den Staat von allen Lohn- und Sozialkosten ihrer einberufenen qualifizierten
Arbeitnehmers, die dennoch ihre Leistung dem Arbeitgeber zur Verfügung
stellen. Gerade für die maroden und finanziell schwach ausgestatteten
Staatsbetriebe und die öffentliche Verwaltung wäre dies ein lohnenswertes
Geschäft. Bleibt abzuwarten, ob das Dephan sich in Parlament und Gesellschaft
mit diesen erstaunlich neoliberalen Vorstellungen durchzusetzen vermag.
Zur Klarstellung: offen genannt werden diese Vorstellungen in der Gesetzesvorlage
nicht. Sie sind jedoch schlüssig nachvollziehbar.
Die Wehrerfassung
Die nicht spezifizierte Einberufungskommission wird zentral (landesweit, d.h. Jakarta) und regional (auf Provinz- bzw. Kodam-Ebene) eingerichtet werden, was auf eine primär regionale Erfassung und Verwendung der Reservisten deutet. D.h. eine Cadnas kommt auf jede Provinz bzw. jedes Kodam. Sie wird die Musterungen vornehmen und die geeigneten Kandidaten einberufen. Wobei Musterung und Einziehung nicht dasselbe sein werden. Wird die Kommission zugleich die Wehraufsicht führen, und wer wird ihr angehören? Das Dephan selbst wird dazu nicht imstande sein, ebenso wenig ein ziviles Ministerium. Keiner Zivilinstanz außer dem Präsidenten ist gesetzlich ein Hineinwirken in die Truppe gestattet. Gesetz 34/2004 legt fest, dass die TNI sich selbst verwaltet und auch das Dephan keine Weisungsbefugnisse besitzt. Bleibt nur die Option, dass, wie im Weißbuch von 2003 vorgegeben, die Armee selbst die Wehraufsicht über die Reserve führen wird.
Alle (!) künftig Erfassten (Gemusterten) werden regelmäßigen
Wehrübungen und Schulungen der ideologischen Festigkeit unterzogen,
die zentral organisiert und dezentral (nach Provinzen und Kodam) vollzogen
werden. Darüber hinaus ist keine kasernenbezogene Massenunterbringung
der Erfassten und der Cadnas-Angehörigen vorgesehen. Dennoch ist dieser
Punkt relevant. Alle Gemusterten und Wehrerfassten verbleiben unter der
Wehraufsicht (was einer de facto Wehrpflicht gleich kommt) und müssen
die Wehr- und Ideologie-Ausbildungsmaßnahmen regelmäßig
ableisten. Dies wird den Einfluss der Streitkräfte auf den männlichen
Teil der Bevölkerung erheblich ausweiten und Vorwürfe der Militarisierung
der Zivilgesellschaft nach sich ziehen. Ob es soweit kommt, bleibt dem
letztlich eingebrachten Gesetzesentwurf vorbehalten.
Die Massenoption
Einschränkend muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die vorgenannte Konzeption zwar die Texte der beiden Gesetzesvorlagen beherrscht, nicht jedoch andere Stimmen aus der TNI und dem Dephan selbst. Der Direktor der für den Entwurf des Cadnas-Gesetzes federführenden Abteilung für Verteidigungspotentiale, Professor Supandji, äußerte sich mehrfach und explizit zugunsten einer Reserve, die als paramilitärische Masse in den Außenprovinzen die Nachbarstaaten von einem militärischen Einmarsch in indonesisches Hoheitsgebiet abzuschrecken vermag. Namentlich nannte er Malaysia, das von Nordborneo aus militärische Vorstöße nach Kalimantan unternehmen könnte. Auch in separatismusgefährdeten Provinzen sollte die Cadnas den Streitkräften eine paramilitärische Kraft zur Seite stellen. Überlegungen, dass in Friedenszeiten diese Reservistentruppe bei Entwicklungs- und Aufbaumaßnahmen, der Katastrophenfolgebekämpfung (bspw. als Löschtruppe bei Waldbränden) zum Einsatz käme, stehen weltanschaulich in der Tradition des Hankamrata, in dem das Militär (künftig gemeinsam mit der Reserve) der Zivilbevölkerung helfend zur Seite steht.
Das Massenmodell würde jedoch ausschließlich aus dem Verteidigungshaushalt bzw. dem Budget eines Wehrbereichskommandos zu finanzieren sein. Dadurch ist der projektierten Größe der Reserve eine haushaltstechnische Obergrenze gesetzt. Wie viele Reservisten wird sich ein Kodam leisten können? Benötigt es dafür zusätzliche Haushaltsmittel der Provinz? Oder sind privatwirtschaftliche Finanzierungsmodelle denkbar und akzeptabel? Beispielsweise ein Rüstungsbetrieb oder Rohstoffunternehmen, das als Gegenleistung für die Arbeitsleistung oder den Werkschutz, den ihr Reservisten gewähren, für deren Unterhalt sorgt?
Entscheidend wird die Formulierung der Aufgaben der Reserve sein, über
die beide Gesetzesvorlagen keine Angaben machen. Ihre Angehörigen
werden Kombattantenstatus besitzen, aber sind sie auch zur Führung
einer Waffe berechtigt? Wer vollzieht ihre Aufsicht im Feld, und wer kommandiert
sie? Wird jeder Soldat erster Klasse einem Reservesoldaten zweiter Klasse
Befehle erteilen dürfen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für
das Wehrrecht und die Wehrgerechtigkeit? Wie steht es mit dem fachqualifizierten
Heimat-Reservisten, der neben seinem militärischen Kommandeur auch
seinen zivilen Vorgesetzten hat? Wer von beiden hat die höhere Verfügungsgewalt
über seine Arbeitskraft?
Pendidikan Bela Negara: die Wehrerziehung
Während die Aufstellung der Nationale Reserve noch mit einigen Fragezeichen versehen werden muss, ist die Wehrerziehung in kleinen regionalen Maßstab bereits angelaufen. Sie hat das Potential über die Reserve hinaus auf die zivil-militärische Verteidigungselite und in die breite Gesellschaft hinein zu wirken. Ihre weit reichende Zielsetzung der Schaffung eines neuen Nationalismus bedarf der Beobachtung.
Krieg ist in Indonesien historisch positiv belegt, weil er mit dem nationalen Befreiungskampf assoziiert wird. Indonesien hat weder die verheerenden Folgen moderner Massenvernichtungskriege noch der Guerillabekämpfungskriege eines Vietnam erleiden müssen. Die Leiden der kolonialen Unterdrückung haben die heute mehrheitlich jungen Indonesier nicht am eigenen Leib erfahren müssen. Indonesier erfahren Krieg vor allem aus medialer Präsentation als eine Kette heroischer Akte und in einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem eine positive Grundorientierung an der Landesverteidigung vorherrscht: ein unkritischer Spaß an militärischem Zeremonial und soldatischer Kultur, verbunden mit einer Begeisterung für (ausschließlich konventionelle) Waffensysteme und pfadfinderhaften Aktivitäten in freier Natur an Wochenenden. Der Sinn des Krieg erscheint vielen als höchste Form der Selbstaufopferung für die Verteidigung des Gemeingutes und unverzichtbare Option nationalen Überlebens. Indonesien ist nach wie vor eine heroische Gesellschaft, die denjenigen Bürgern Respekt entgegenbringt, die ihr Leben der Verteidigung des Gemeingutes widmen. Was nicht bedeutet, dass man selber in den Krieg zu ziehen gedenkt. Der Krieg ist fern, an den Landesgrenzen oder anderswo, und Krieg ist Theorie, mediale Präsentation und Wochenendvergnügen. Und, es sei wiederholt, Krieg ist nicht Pflicht und Zwang, Leid und Not, sondern Quelle der heroischen Inspiration, für deren Praxis man den Soldaten der TNI besitzt, als den Beschützer des Vaterlandes in seiner schicken Uniform und lokalisierbar in seiner barracks community. Ihm Zuspruch zu gewähren und im Notfall beispringen zu wollen, gehört in der breiten Bevölkerung zum guten Ton, die bewaffnete Konflikte nicht am eigenen Leibe erfahren musste. Den Drang und Zwang, es den Soldaten gleichzutun, hat es für die Mehrheit der Indonesier mangels Gelegenheit nie gegeben. Mithin sind Krieg und Verteidigung zu etwas Externem geworden, was den Einzelnen nicht wirklich betrifft. Die Reserve wird diese Haltung entscheidend zu verändern haben. Sie wird den soldatischen Dienst zum Zwang erheben und ihm den Spaßfaktor nehmen.
In direkter Folge des Verteidigungsgesetzes 3/2002 begann das Dephan unter der Regierung Megawati erste Konzeptionen einer „Erziehung in der Landesverteidigung“ (Pendidikan Bela Negara) auszuarbeiten, die ab 2003 zu einer „Erziehung zum Aufbau von Bewusstsein zur Landesverteidigung über gesellschaftliche Organisationen“, abgekürzt PKBN-POM, wurden. Hinter dem bürokratischen Kürzel verbarg sich der Ansatz, eine Erziehung im Wehrbewusstsein bereits einer vormilitärischen Ausbildung im Arbeits- und Lebensumfeld verteidigungsnaher Kreise anzusetzen und dort Multiplikatoren für eine Verbreitung in der breiten Gesellschaft auszubilden. Eine eigene Abteilung des Direktorats für Verteidigungspotentiale am Dephan, das Direktorat für den Aufbau von Wehrbewusstsein (Direktorat Pembinaan Kesadaran Bela Negara), geführt von einem Brigadegeneral, begann 2003 mit ersten Ausbildungsmaßnahmen für ausgewählte Angehörige des Verkehrs- und Sozialministeriums. Das Programm „Vormilitärische Ausbildung“ (Pendidikan Pendahuluan Bela Negara, PPBN) sah zeitbegrenzte Seminarveranstaltungen ohne Ausbildung an der Waffe vor. Als Schulungskräfte sollten Mitarbeiter des Dephan von der Führungsebene III abwärts (Brigadegeneräle und niedriger), einschließlich Dephan-nahen Einrichtungen und Organisationen, künftige Kader der Landesverteidigung (Kader Bela Negara) im Wehrbewusstsein ausbilden. Parallel wurden Vorträge an militärisch-polizeilichen Einrichtungen, Hochschulen und staatlichen Regierungseinrichtungen angeboten, in Zusammenarbeit mit der Akademie des Dephan, Lemhannas, und dem Nationalen Erziehungsministerium (Depdiknas). Aus den gewonnenen Erfahrungen heraus sollte in kurzer Zeit das landesweite Pflichtschulfach der Staatsbürgerlichen Erziehung (Pendidikan Kewarganegaraan, PK), nach den Vorgaben des Gesetzes 3/2002 aufgebaut werden. Wehr- und staatsbürgerliche Bewusstseinsschulung sollten sich dieselben Kader teilen, die in einer ersten Welle als „vertrauenswürdige Aufbaukader“ (Kader Pembangunan Terpercaya) in einigen ausgewählten Landkreisen (Kecamatan) qualifiziert wurden. Ihre Zahl erreichte wohl nie mehr als wenige Hundert. Die Kooperation mit den regionalen Militärkommandos war bereits gesichert. In einem Gespräch im August 2004 kündigte mir Brigadegeneral Hotmangaraja Panjaitan, ein Offizier der Heeresspezialkräfte Kopassus, an, dass auch das Kopassus Schulungspersonal für diese Schulungen bereitstellen werde. Dazu kam es jedoch (noch) nicht. Die Programme waren zu jener Zeit bereits Makulatur. Die Planungsbehörde Bappenas hatte ab 2002 Teile des Programms an sich gezogen und bis 2004 Lehrgänge in 24 Regierungsbezirken (Kabupaten) und zwölf Provinzen abgehalten, musste jedoch ihren geringen Erfolg konstatieren. Letztlich scheiterte das Programm an geringen Finanzmitteln und Engagement des Dephan selbst. Zu den fortbestehenden Maßnahmen gehörte auch ein wöchentliches Fernsehquiz „Kuis Belanbe“ im staatlichen TV-Sender TVRI, das erstmalig am 21. April 2002 ausgestrahlt wurde, und die Website eines „Studienzentrums für Informationen der Landesverteidigung“ (http://belanegara.dephan.go.id), die bis heute nur Überschriften und keinerlei Inhalte aufweist. Dieses im Dephan angesiedelte „Zentrum“ propagiert die Wehrerziehung als Akt der Humanressourcenentwicklung für die Landesverteidigung.
Juwono Sudarsono, ab Oktober 2004 der neue Minister der Verteidigung, verankerte die PKBN mit dem neu definierten Aufgabenbereich der nichtmilitärischen Verteidigung (pertahanan nir-militer) und definierte den Nationalismus als verteidigungswirksame Humanressource der Nationalen Sicherheit. Die regionalen Erziehungsprogramme wurden lustlos fortgeführt und bildeten regionale Kleinkadergruppen über einige Tage in Hotels und Verwaltungseinrichtungen aus. Ein erster Anlauf zur Formulierung eines Gesetzes der Staatsbürgerkunde wurde 2005 erstellt. Erst zwei Jahre später gewann die Wehrerziehung über die Planungen zur Nationalen Reserve an Fahrt. Am 5. März verkündete die Abteilung für Ausbildung und Qualifizierung des Dephan den Abschluss ihrer Vorbereitungen für die Ausbildung der Cadnas-Angehörigen. Ihr Leiter, der Zweisternegeneral Anton Biantoro, ließ die Katze aus dem Sack: es werde zwei Reservekomponenten geben, und zwar die eigentliche Reserve, und zusätzlich die Unterstützungskomponente. Erstere werde aus Bürgern mit beruflichen Fachqualifikationen wie „Piloten, IT-Experten und Journalisten“ bestehen, und die Unterstützungskomponente aus zivilgesellschaftlichen Kreisen, die im Ernstfall die Streitkräfte und ihre Reserve ohne bestimmte Qualifikationen, z.B. im Bereich der Logistik (schönfärberisch für Kulidienste), unterstützen werde. Das Modell einer Kernelite als Reserve und einer breiten Unterstützungsmasse steht seither im Raum.
Von Mai bis Juli 2008 begann das Dephan eine Reihe von kleinen Seminaren,
die die Akzeptanz der Nationalen Sicherheit und Hankamrata unter Meinungsmultiplikatoren
und jungen, künftigen Führungskräften fördern sollte.
Politischen Anlass bot das einhundertjährige Jubiläum des Nationalen
Erwachens, der institutionellen Begründung des indonesischen Nationalismus.
Die Seminare sind für sich kaum bedeutsam, weisen jedoch die Richtung
auf eine über die Reserve hinausgehende Zielgruppe. Die seither „Pendidikan
Bela Negara“, PBN (Erziehung in der Landesverteidigung, Wehrerziehung)
benannte Schulungsmaßnahme versammelt ausgewählte Meinungsführer
und künftige Multiplikatoren der Volksverteidigungskonzeption im Dephan
und in öffentlichen Gebäuden regionaler Verwaltungen. Sie erhalten
in Seminaren eine Unterweisung in der Nationalen Sicherheit. Am 11. Mai
eröffnete Minister Juwono eine Auftaktveranstaltung mit einhundert
ausgewählten Jugendlichen aus zivilen Jugendorganisationen, die über
zwölf Tage zur „Ersten Generation“ (Angkatan Pertama) einer nationalen
Kaderelite der Verteidigung qualifiziert werden sollten. Ihre Ausbilder
bzw. Referenten waren hochkarätig ausgewählt und kamen u.a. aus
der Nationalen Kommission für Korruptionsbekämpfung (KPK), dem
Verfassungsgerichtshof (MK), dem Amt für Investitionslenkung (BKPM)
und aus freien Berufen (Rechtsanwälte). Auch die Spezialkräfte
Kopassus entsandten einen Ausbildungsoffizier. Am 28. Mai begann im Dephan
eine Ausbildungsreihe „technischer Unterweisungen in der BPN“, die Führungspersonen
aus parteipolitischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen ansprechen
und weiterbilden will. Das Lehrpersonal wurde aus den Universitäten
UI (Jakarta) und Gajah Mada (Yogyakarta) rekrutiert. Am 8. Juli begann
eine „technische Unterweisung“ (bimbingan teknis) für Künstler
und Kunstschaffende. Am 17. Juli organisierte das Lemhannas ein Seminar
für Ausbildungsmultiplikatoren der Wehrkunde (Penataran Tenaga Inti,
Tarpati), deren Absolventen (alumni) zu einer nationalen Kraft in Verantwortung
tragenden Positionen werden sollen. In allen Veranstaltungen war der geladene
Personenkreis relativ überschaubar und weit von einer Massenerziehung
entfernt. Die gemeinsame Zielsetzung dieser Veranstaltungen liegt erkennbar
in der Schaffung einer Akzeptanz der Keamanan Nasional in Kreisen politischer
und sozialer Meinungsführer. Besondere Bedeutung kommt der Einflussnahme
auf junge Eliten zu, die den Nukleus einer nationalistischen Kaderstruktur
der Nationalen Sicherheit bilden sollen.
Die Inhalte der Erziehung: Wehrkunde
Obwohl die Inhalte der wehrkundlichen Veranstaltungen nur über
ihre Presseverlautbarungen erschließbar sind, sollte man sie nicht
voreilig als Propaganda abqualifizieren. Dagegen spricht die gezielte Auswahl
des Zielpublikums und der Ausbilder. Die als Wehrkunde einzuschätzenden
Veranstaltungen sollen Meinungsmultiplikatoren die Notwendigkeit der totalen
Volksverteidigung angesichts mannigfacher Bedrohungen nahe bringen und
die Notwendigkeit der Rekrutierung aller Kräfte und „Potentiale“ der
Gesellschaft. Die Vermittlung des Verfassungsauftrages der Volksverteidigung
und des Verfassungsstaates der Pancasila verbinden argumentativ Staatserhalt
und Verteidigung. Bedrohungen kommen von innen und außen, und nur
die zielgerichtete und konzertierte Entwicklung aller Potentiale garantiert
den Staatserhalt. Konkrete Feindbildbenennung wird, soweit nachvollziehbar,
in diesen elitären Veranstaltungen vermieden. Die Teilnehmer werden
ermuntert, ihre Qualifikationen für das gemeinsame Gut einzusetzen,
national zu empfinden und zu handeln und die Kunde der Verteidigungsbereitschaft
zu verbreiten.
Die Staatsbürgerliche Erziehung
Der Gesetzentwurf zur Staatsbürgererziehung (PK) von 2005 folgt
einigen Vorgaben der Wehrbewusstseinserziehung: Die Notwendigkeit der Landesverteidigung
wird an den Staat und die Nation geknüpft, und eine nationale Moral
und Nationalempfinden (Nationalismus) als unverzichtbar für die Sicherheit
Indonesiens postuliert. Während der Staat die künftigen Regelungen
und Inhalte der PK vorgeben wird, werden die Bildungsträger staatlich
und privat(-wirtschaftlich) sein. Paragraph 7 nennt die Inhalte: Vaterlandsliebe,
Nationalbewusstsein, die Pancasila als einziger Staatsideologie, Werte
der Demokratie, Menschenrechte und des Umweltschutzes, Opferbereitschaft
für Gesellschaft, Staat und Nation, sowie anfängliche Fähigkeiten
der Landesverteidigung, sprich die Ausbildung an der Waffe. Die Erziehung
wird berufs- und qualifikationsbezogen vermittelt, zentral und regional
vollzogen werden. Das privatwirtschaftliche Anbietersegment (Privathochschulen)
wird ausdrücklich benannt und auch Nichtregierungsorganisationen sollen,
staatlich beaufsichtigt, einbezogen werden.
National Resilience
Die erschließbaren Inhalte beider Schulungen insbesondere in Bezug zur staatlichen Sicherheit sind nicht wirklich neu. Das indonesische höhere Schulwesen hatte bereits seit den späten 1970er Jahren ein geostrategisches Erklärungssystem indonesischer Sicherheit vermittelt, das die Nationale Wehrhaftigkeit (National Resilience) oder Ketahanan Nasional (Tannas) zum Lehrgegenstand der Hochschulen erhoben hatte. Die Akademie des Verteidigungsministeriums, Lemhannas (Lembaga Ketahanan Nasional oder „National Resilience Institute) formulierte seinerzeit das Konzept, das es seither in seinem Namen führt.
Ketahanan Nasional / Tannas versteht sich als geopolitische Wissenschaft des indonesischen Archipels (Wawasan Nusantara) und befasst sich mit den geostrategisch-sicherheitspolitischen Gegebenheiten Indonesiens. Tannas gibt sich politisch neutral und vermochte sich von der politisch-weltanschaulichen Ideologie der Suharto-Zeit emanzipieren. Als akademische Veranstaltung kamen nur wenig Indonesier mit ihr in Berührung, obgleich es eine heruntergebrochene Variante in Form des Lehrfaches Kewiraan („Heldenhaftigkeit“) weiterhin gibt, die militärische Werte propagiert. Das Dozentennetzwerk der Kewiraan, das traditionell eng mit regionalen Kodam / Rindam kooperiert, wird derzeit vom Dephan Cadnas-tauglich restrukturiert. Die Universitas Indonesia (UI) bietet gemeinsam mit dem Lemhannas den Magisterstudiengang „Nationale Sicherheitsstudien“ (Pengkajian Ketahanan Nasional) über vier Semester an.
Tannas ist die Lehre von der Untrennbarkeit indonesischer Sicherheitspolitik
von den geostrategischen Gegebenheiten Indonesiens und gehört seit
mehr als dreißig Jahren zur weltanschaulichen Grundausstattung eines
jeden Soldaten und der staatlichen Sicherheitspolitik insgesamt. Ihre Kernaussagen
sind: als Archipelstaat wird Indonesiens Sicherheit von zwei Polen her
dominiert, zwischen denen die aktuelle Sicherheitspolitik natürlicherweise
oszilliert. Einerseits hat das dauerhaft gefährdete Indonesien den
Schutz der Außengrenzen zu Land und See zu gewährleisten, idealisiert
in einer Mauer um den Archipel: niemand gelangt hinein, niemand kommt heraus
ohne die Genehmigung des stets um Souveränität über sein
Staatsgebiet ringenden Staates, was niemals vollständig zu realisieren
sein wird. Das andere Extrem stellt die geostrategische Lage des Archipels
zwischen zwei Ozeanen (West-Ost) und zwischen zwei Kontinenten (Nord-Süd)
dar, die Indonesien zu einem regional unverzichtbaren Drehkreuz für
Handel und Kommunikation machen, aber zugleich den Staat in seinem Souveränitätsanspruch
zu schwächen vermögen. Das Schreckbild des verdeckt agierenden
Feindes im Herzen des Vaterland ist jedem Indonesier vertraut. Die von
jeder Regierung zu suchende Sicherheitsbalance muss zwischen beiden Polen
den zeit- und umständegemäßen Mittelweg finden. Die Nationale
Wehrhaftigkeit (National Resilience, Ketahanan Nasional) stellt dafür
die permanente Wehrhaftigkeit bereit, mit der allein Indonesien die Balance
zwischen Offenheit und Isolation wagen und bestehen kann.
Die Wehrerziehung
Die künftige Wehrerziehung für die Angehörigen der Reserve wird sich vom Seminarcharakter erheblich zu unterscheiden haben. Die Wehrqualifizierung wird von territorialen Heereskräften geleistet werden, die paramilitärische Ausbildungen für Zivilisten bereits seit der ABRI der Neuen Ordnung ausüben und sie bis heute fortsetzen. Zuständig sind die Ausbildungsabteilungen der Wehrbereiche (Kodam), die „Mutterregimenter“ (Resimen Induk, Rindam) in den Garnisonsstädten, und ihre „Ausbildungsdepots“ (Depot Pendidikan, Dodik) in den Landkreisen (Kecamatan). Zielgruppen waren und sind die vorgenannten Studentenregimenter (Resimen Mahasiswa, Menwa), die mit ihrem Korpsgeist und Kameradschaftsverbänden das wenig beachtete paramilitärische Rückgrat der zivilen Einbindung der Armee in die Zivilelite bildet. Menwa-Absolventen sind keineswegs ungebildete Militärfans, was ihre rege Webpräsenz belegt. Neben ihnen werden auch die jungen Pfadfinder (Pramuka) von solchen „Depots“ zeitweilig unterwiesen. Ab diesem Jahr haben einige Rindam die Pendidikan Bela Negara (PBN) für Zivilisten begonnen. Militärs bilden hier Zivilisten außerhalb der üblichen Teilnehmerkreise aus, als Vorläuferangebote für die Cadnas-Ausbildung und eine landesweite PBN resp. PK. Es ist nicht bekannt, ob diese militärische PBN auch Waffenausbildung umfassen.
Die Landstreitkräfte bereiten sich seit 2006 über zwei Ansätze
der Pembinaan (Führung, Management) auf die Keamanan Nasional vor.
Die Pembinaan Teritorial (Binter: Territorialführung) betreibt die
vorbereitende Unterstellung der Gegebenheiten in einer Provinz für
den Ernstfall, wozu die Nutzung der Infrastruktur, zivil-militärische
Schnittstellen zur Provinzregierung und die Erfassung der wehrfähigen
Bevölkerung (Reserve und Unterstützungskomponente) für die
Verteidigungszwecke fallen. Die PBN fällt in dieses Aufgabengebiet.
Die Pembinaan Mental (Bintal: geistig-moralische Führung) geht aus
dem militärseelsorgerischen Feld hervor und kümmert sich in erster
Linie um die Abwehr militärisch zersetzender Ideologien und Religionen
(Feindbilder sind bspw. ein nicht-nationalistischer Islam und separatismusförderliches
Christentum in den Außen- und Grenzregionen) von der Truppe. Sie
übernimmt die Werteführung der Truppe und ist derzeit mit der
Immunisierung der Truppe vor parteipolitischen Einflüssen im Vorfeld
des Wahljahres 2009 befasst. Ihr künftiger Einfluss auf die Zivilbevölkerung
und die Reserve ist noch nicht vorhersehbar.
Ein neuer Staatsnationalismus?
Der indonesische soziopolitische Diskurs vermeidet die offene Benennung
der tiefen und fundamentalen Spaltungen und Gegensätze in der Gesellschaft,
zu denen heute die staatliche und soziale Identität von Staat und
Gesellschaft gehört. Ist Indonesien aufgrund seiner Mehrheitsbevölkerung
ideal und real ein islamisches Land, oder sollte der Staat beharrlicher
als bislang auf sein Gründungsprinzip des Konsenses und der religiös-ethnischen
Toleranz und Vielfalt einsetzen, wofür das Staatsprinzip der Pancasila
(„Die Fünf Prinzipien“) historisch einsteht? Der in Planungsansätzen
erkennbare Verteidigungs- und Sicherheitsnationalismus des Dephan, welcher
der Mobilisierung- und Rechtfertigungsideologie der Keamanan Nasional zugrunde
liegen wird, deuten auf Letzteres. Es wird weiter zu beobachten sein, inwieweit
sich der nationalstaatliche Schulungsdiskurs der Wehr- und Reserveerziehungen
glaubhaft für Toleranz und Ausgleich, Demokratie und Menschenrechte
einsetzen wird. Oder ob es sich um rein historische Reminiszenzen handelt,
die mangels anderer Ideen aus alten Schubladen hervorgeholt werden. Das
von Außen nicht einzuschätzenden Milieu der militärisch-sicherheitspolitischen
Gemeinschaften im sich reformierenden Sicherheitssektor wird entscheidende
Impulse auch für die demokratische Gestaltung der staatlichen Sicherheit
geben. Die Möglichkeiten und Gefahren einer eventuellen erzieherischen
Erfassung von Millionen junger Indonesier durch Sicherheitskreise dürfen
nicht unterschätzt werden.
Die Nationale Reserve und die künftige Defence Community
Die Aufstellung der Reserve hat bereits begonnen mit noch unkoordinierten Maßnahmen der Qualifizierung künftiger Kreise einer jungen Führungs- und Funktionselite des Verteidigungssektors. Woran auch, wenn auch peripher, die Außenpolitik der Bundesrepublik beteiligt ist.
Der Ansatz und Ausgangspunkt eines elite-building im indonesischen Sicherheitssektor
ist die auch vom Militär eingeräumte strukturelle Schwäche
des Militärs in ihren intellektuellen Fähigkeiten und im strategisch-planerischen
Denken. Die isolierte Geisteswelt des Suharto-Militärs (ABRI) war
mit dem Ende des Kalten Krieges überkommen. Die vertraute Perspektivbeschränkung
auf innere Gefahren und Angelegenheiten, eingezäunt in das ideologische
Korsett der Orde Baru, musste erweitert werden. Neue Institutionen der
Qualifizierung und des ideologiefreien Denkens und Planens mussten erstellt
werden, die mit der alten Generalität und ihrer Mentalität nicht
zu realisieren sind. Das Militär selbst war in 1999-2000 unfähig,
die vom Dephan angedachten Reformen vollends zu begreifen, zu akzeptieren
und voranzutreiben. Die fühlbare Notwendigkeit von Reform und Säuberungen
im Offizierkorps bis 2002 (u.a. durch die Beseitigung der islamnahen und
der demokratisch gesinnten Reformfraktionen) gestatteten es der Militärführung,
die Reformkonzeptionen begrenzt an Zivilisten auszulagern. Die Handvoll
der militärnahen Politikwissenschaftler, die seither die Theoriebasis
der Sicherheitssektorreform erstellen, sind personeller Ausdruck dieses
Prozesses.
Im Verborgenen hat die Qualifizierung junger Offiziere und der Reformierung
von militärischen Institutionen Fortschritte gezeitigt. Der intellektuelle
Rückstand des Sicherheitssektors hinter den globalen Entwicklungen
ist erkannt und ein wenig verringert worden. Das Dephan ist immer noch
gezwungen die erforderlichen Denkkapazitäten auf ziviler Seite anzumieten,
und Hoffnungen auf die junge Generation der Offiziere zu setzen. Auch ausländische
Hilfe wurde und wird gesucht.
Minister Juwono Sudarsono baute ab dem Jahr 2000 enge Beziehungen zu britischen Sicherheitseinrichtungen auf, insbesondere zum Royal Military College of Sciences. Von dort erhoffte er sich den grundlegenden sicherheitspolitischen Input für einen modernen und dem Westen offenen indonesischen Sicherheitssektor. Seine persönlichen Reformvorstellungen sind im Kern britisch. Als 2002 die Royal Academy zur Defence Academy of the United Kingdom transformierte, und das Defence College of Management & Technology (DCMT) der Cranfield University Ausbildungen in Strategie, Führung, Management und Verteidigungstechnologie für künftige zivil-militärische Führungseliten weltweit anbot, war Indonesien mit dabei. Die „Cranfield“ eröffnete 2005 einen externen zweijährigen Studiengang in Defence Management am Institut Teknologi Bandung (ITB), abgehalten in englischer Sprache. Ein kleiner Kreis von Politikwissenschaftlern der Universität Gießen, die sich daraufhin „Indonesia Research Unit“ benannten, vermochte die Absolventen dieser ersten Kohorte, unterstützt vom Auswärtigen Amt und der deutschen Industrie, zu Summer Courses in Bandung und Deutschland (Gießen und Berlin) zu holen und im Windschatten der Cranfield erste Strukturen eines deutschen Beziehungs- und Einflussnetzwerkes in der Dephan Community aufzubauen. Diese Absolventen britisch-deutscher Gemeinschaftserziehung werden in zehn bis fünfzehn Jahren eine Schicht künftiger Führungs- und Funktionseliten im Dephan, den sicherheitspolitischen staatlichen und privaten Einrichtungen und der Rüstungsindustrie bilden. Sie werden dann die Schlüsselpositionen der sicherheitspolitischen Kontakte und Beziehungen zum Ausland besetzen und in einem zivil-militärischen indonesischen Arbeitsumfeld wirken, das bislang noch rein militärisch geprägt ist. Die heute zaghaft entstehende zivil-militärische Mischkultur wird die internationalen Beziehungen des indonesischen Militärs beeinflussen und auf die Streitkräfte selbst einwirken. Diese Zukunftselite wird im besten Fall das Beste zweier Welten in sich tragen, die (guten) Konzepte westlicher gemeinsamer Sicherheit und die tragfähigen Grundsätze indonesischer Sicherheitstraditionen. Sie wird demokratisch sein, oder auch nicht.
Die junge Dephan-Elite wird nicht nur von Europa unterstützt. Im
März 2008 unterzeichneten australische Regierungsstellen ein Kooperationsabkommen
mit dem Dephan zur Errichtung einer National Defence University (NDU).
In 2007 hatte Juwono bereits begonnen einige führende Universitäten
Indonesiens über ein Kooperationsnetzwerk an das Dephan zu binden.
Politik- und sozialwissenschaftliche sowie technische Einrichtungen sollen
ihr Wissens- und Fähigkeitspotential in die entstehende Defence Community
einbringen, zu deren Bestandteil sie bereits geworden sind. Unterhalb der
künftigen NDU, die eng mit Australien, USAid, der Cranfield und über
diese Schiene wohl auch mit der IRU Gießen kooperieren wird, soll
ein zivil-militärisches Qualifizierungsnetzwerk aus zivilen und militärischen
Hochschulen (eine neu aufzustellende Führungsakademie) entstehen,
das eine fähigen militärischen Sektor der Defence Community hervorbringen
soll. Aus dieser Perspektive betrachtet ergeben die Bemühungen um
eine Cadnas-Elite über die Nationale Reserve hinaus einen institutionellen
Sinn. Das Nationalismusprojekt hinter der Wehr- und Staatsbürgererziehung
soll der neuen zivil-militärischen Sicherheits- und Verteidigungselite
jene ideologische Standfestigkeit beigeben, die sie auch unter Bedingungen
der engen Zusammenarbeit mit dem Ausland fest und dauerhaft indonesisch
sein lässt. Um Keamanan Nasional nicht zu einem Abziehbild westlichen
institution-building zu machen, sondern um Hankamrata in einem Set westlicher
Sicherheitstemplate fest zu implantieren. Ob sich diese Langzeitvorstellungen
realisieren lassen, ist heute nur hypothetisch zu erfassen. Noch immer
sind die Fundamente der SSR schwach. Die hier aufgezeigten Entwicklungen
und Planungen sind labil und vom Fortbestand der Regierung Yudhoyono abhängig.
Ein Regierungswechsel in 2009 kann diese Reformpläne zur Makulatur
machen. Ein Zurück von der Reform des Sicherheitssektors kann und
wird es nicht geben können.
Einige persönliche Schlussbemerkungen
Die kurz skizzierte künftige Führungselite einer entstehenden
Defence Community wird in einem folgenden Beitrag eine umfassendere Darstellung
finden. Das Segment der in bzw. über Großbritannien und Deutschland
ausgebildeten Schicht der Defence Management-Absolventen hat mit der Elite
der Nationalen Reserve und der Wehrerziehung nichts zu tun. Nichtsdestoweniger
gehen sie auf einer fachlich-technischen Entwicklungsschiene der Community
voraus und werden ihr integraler Bestandteil werden.
Die neue Sicherheits- und Verteidigungselite muss nicht erst aufgebaut
werden, sie ist bereits entstanden. Niemand hat sie beachtet, obwohl sie
nicht unsichtbar war. Ihre Zugehörigen erreichen heute bereits ein
Alter von Mitte dreißig Jahren und sind im Internet in Blogs und
personal websites offen vertreten. Man erkennt sie jedoch nicht als staatsverteidigungsnah,
noch bekennen sie sich allzu offen zu einer solchen Einstellung. Das hat
nichts mit kollektiver Verschleierung, aber umso mehr mit der neuen zivil-militärischen
Militär- und Sicherheitskultur und ihrem Fun- und Pop-Charakter zu
tun. Man sollte die „neue“ Generation der militärnahen Jugend nicht
voreilig als uniformverzückte Betonköpfe, dumpfe Schmalspurnationalisten
und engstirnige Vergangenheitsbewunderer abqualifizieren, denn das sind
sie nicht. Sie sind jedoch Kinder ihrer Väter, die die Orde Baru eines
Suharto als gut und richtig empfunden und zumeist ihre positiven Seiten
erfahren haben. Sie sind, ohne voreilige Bewertungen vornehmen zu wollen,
die Kinder Suhartos. Die uns, wenn wir auf sie treffen, als freundlich,
aufgeschlossen und gut qualifiziert begegnen, bei näherem Kennenlernen
jedoch befremdlich erscheinen müssen. Das Erstaunlichste an ihnen
ist, dass niemand sie jemals beachtet hat. Tausende von Spezialisten beobachten
den indonesischen Islam, die Parteienlandschaft und die Nichtregierungsorganisationen.
An Geld fehlt es dafür nicht. Nur dieses besondere Segment der indonesischen
Zukunft steht auf niemandes Radarschirm. Grund genug, ihnen einen eigenen
Beitrag zu widmen.
Wer diese Elite in Augenschein nehmen möchte, dem seien die Website
der Indonesia Research Unit anempfohlen (www.eu-iru.org) und die Site des
neu gegründeten Instituts IODAS (Institute of Defence and Security
Studies), einem künftigen Gravitationszentrum der militärnahen
Sicherheitsanalyse (http://iodasindonesia.com). Auf beiden Sites sind insbesondere
die umfangreichen Bilddokumentationen und für das IODAS die Sites
der Conny Rahakundini Bakrie (http://rahakundini.multiply.com/) aufschlussreich.
Conny Bakrie ist eine nicht mehr ganz so jugendliche Führungspersönlichkeit,
die mir aber als Vorzeigebild der indonesischen Fun and Pop-Militärkultur
aufgefallen ist. Die Defence Community entsteht nicht erst, sie ist bereits
bild- und einflussmächtig vorhanden. <>
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