Gelegentlich zeige ich Bekannten Bilder von meinem ersten Besuch in Padang. Als ich dort vor vielen Jahren ankam, um ein Praktikum zu absolvieren, war die ganze Stadt mit schwarz-rot-goldenen Farben geschmückt. Regelmäßig sind die Betrachter darüber verblüfft, welchen Aufwand diese Stadt in Westsumatra zu betreiben schien, um einen einfachen Praktikanten aus Deutschland zu empfangen. Ich fand das ganz lustig, aber besonders stolz war ich nicht beim Anblick der indonesischen Stadt in deutschen Farben. Denn für mich ist die Nationalflagge lediglich ein Symbol wie das große D als Autokennzeichen – es zeigt die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat, in meinem Fall Deutschland, nicht mehr und nicht weniger. Mein Leben würde sich nicht ändern, hätte die Flagge plötzlich andere Farben. Schwarz-Rot-Gold steht als Symbol für eine Eigenschaft, die ich mir nicht selbst aussuchen konnte, nämlich meine Nationalität. Sie unterscheidet sich insofern nur wenig von dem Männlein an der Klotür, das mir aufgrund einer ebenfalls nicht durch eigenes Zutun erworbenen Eigenschaft, nämlich meinem Geschlecht, anzeigt, dass ich mein Geschäft bitte hier und nicht hinter der Tür gegenüber verrichten soll. Warum sollte mich das Männlein mit Stolz erfüllen?
Doch mit dieser Einstellung gehöre ich ganz sicher zu einer Minderheit auf dieser Welt. Für viele Menschen sind Flaggen etwas ganz besonderes. Das Hissen von Flaggen erfüllt sie mit Stolz, die Flagge wird gegrüßt und auf das Schänden der Flagge stehen vielerorts höhere Strafen als auf Gewaltverbrechen. Das Verbrennen von Flaggen des politischen Gegners gehört zu einem mittlerweile unverzichtbaren Ritual vieler Protestaktionen in aller Welt. Offenbar kann man so die Gefühle des Gegners besonders effizient verletzen. Und in Indonesien ist der Kult um Flaggen ein Zeichen für die ideologische Nähe, die erbitterte Gegner und fanatische Anhänger des Einheitsstaates in Wahrheit verbindet.
Der Flaggenschmuck in Padang galt natürlich nicht meiner Person. Vielmehr feierte die Stadt zufällig gerade Geburtstag und ebenso zufällig sind halt die Landesfarben von Westsumatra ohne jeden Zusammenhang mit Deutschland ebenfalls Schwarz-Rot-Gold. Es ist allerdings bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit die Padanger diese Farben zeigen. Denn das Aufziehen von Flaggen als Ausdruck der kulturellen Identität ist in anderen Teilen Indonesiens ein Spiel mit dem Leben. Genauer: überall dort, wo das Bewusstsein der eigenen kulturellen oder ethnischen Identität geeignet ist, den Einheitsstaat in Frage zu stellen – besonders in Aceh, auf den Molukken und in Papua.
Das Sonderautonomiegesetz von 2001 gewährte den Papua das Recht, Symbole ihrer kulturellen Identität zu zeigen. Bereits zuvor hatte Präsident Abdurrahman Wahid das Hissen der bis dahin als Ausdruck des Separatismus verbotenen Morgensternflagge gebilligt, wenn diese ein wenig kleiner und niedriger neben der rot-weißen Staatsflagge Indonesiens aufgehängt wurde. Doch die Tage der Präsidentschaft Abdurrahman Wahids sind längst vorbei. Heute ist die Morgensternflagge in den Augen der Machthaber wieder wie in alten Tagen ein verbotenes Symbol, ein gefährliches Ungetüm, das mit allen Mitteln bekämpft werden muss.
Nicht minder fanatisiert als die Hüter des Einheitsstaates versuchen
Anhänger der Unabhängigkeit auf den Molukken und in Papua, bei
jeder sich bietenden Gelegenheit ihre jeweiligen Flaggen aufzuziehen und
riskieren dafür langjährige Haftstrafen, mitunter gar den Tod.
Eine Vielzahl zum Teil blutiger Zusammenstöße auf den Molukken
und in Papua drehten sich um nichts weiter als die reine Symbolik bunt
bedruckter Stoffstücke. Der Traum von einem besseren Leben in Unabhängigkeit
wird auf ein Stück Stoff projiziert.
Lebenslänglich wegen Zorn des Präsidenten
Ein kleines Häuflein christlicher Einwohner der Molukken sehnt sich noch immer zurück zu den Tagen der um 1950 kurzzeitig existierenden Republik Südmolukken (Republik Maluku Selatan; RMS). Aktivisten der FKM (Front Kedaulatan Maluku, Front für die Souveränität der Molukken) um den mittlerweile im US-Exil lebenden Alexander Manuputty feiern regelmäßig am 25. April den Jahrestag der RMS. Meist beschränken sich die Feiern auf gewaltlose Aktionen wie das Hissen der RMS-Flagge. Doch solche eher harmlosen Protestaktionen reichen aus, um die Staatsmacht bis aufs Blut zu provozieren und den brüchigen Frieden auf den Molukken in Frage zu stellen. Zum Jahrestag 2004 marschierte die FKM durch die Straßen der Stadt Ambon. Muslimische Bewohner und Sicherheitskräfte fühlten sich gleichermaßen provoziert. Es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen, an deren Ende 38 Menschen ihr Leben gelassen hatten. Nicht wenige befürchteten damals, die Zusammenstöße könnten den Bürgerkrieg wieder aufleben lassen, der auf den Molukken zwischen 1999 und 2002 mehr als 5.000 Menschenleben gekostet hatte.
Die FKM ist zu klein und zu wenig in der Bevölkerung verankert, um eine ernsthafte Gefahr für die staatliche Einheit Indonesiens darstellen zu können. Eine Abspaltung der Molukken und ein Wiederaufleben der RMS stehen in weiter Ferne. Die einzige tatsächlich von der FKM ausgehende Gefahr liegt in ihrem Potenzial, Unruhe zu schüren und die Molukken in ein neues Chaos der Gewalt abgleiten zu lassen. Dieses Potenzial kann sich allerdings nur dann entfalten, wenn sich Verfechter des Einheitsstaates und Muslime durch die symbolischen Handlungen der FKM provozieren lassen. Ein wenig mehr Gelassenheit, die diesen Handlungen keine große Aufmerksamkeit beschert, würde die FKM schnell zur Bedeutungslosigkeit verurteilen.
Doch von solcher Gelassenheit ist die Staatsmacht weit entfernt. Bei einer Festveranstaltung am 29. Juni 2007, an der auch Präsident Susilo Bambang Yudhoyono (SBY) teilnahm, gelang es einer Gruppe auf die Bühne zu gelangen und 15 Minuten lang ungehindert einen traditionellen Kriegstanz aufzuführen. Erst als am Ende eine RMS-Flagge entrollt werden sollte, griffen die Ordnungskräfte ein. Der Präsident zeigte sich ob dieses Vorfalls erzürnt. In den folgenden Tagen wurden massive Warnungen vor separatistischen Bestrebungen ausgesprochen. Forderungen wurden laut, hohe Strafen wegen „Aufruhr“ (makar: Aufruhr, Staatsstreich) über die Störer zu verhängen. 28 Personen wurden umgehend festgenommen. Weitere Ermittlungen im Umfeld der Tänzer ließen die Zahl der Festgenommenen schließlich auf 40 anwachsen.
Der Vorfall zog auch personelle Konsequenzen auf Seiten der Ordnungskräfte nach sich. Sowohl der Polizeichef als auch der Militärkommandant wurden ausgewechselt. Ihr Versagen war offenkundig, denn anstatt einer harmlosen Flagge hätten die Tänzer wohl ebenso unbemerkt auch eine Schusswaffe auf die Bühne zu schmuggeln können. Diese Sicherheitslücke ist allerdings auch schon alles, was den Vorfall nüchtern gesehen mit dem Strafvorwurf des „Aufruhrs“ in Verbindung bringt.
Gleichwohl konzentrierten sich der Sicherheits- und Justizapparat im Folgenden weniger auf die Schließung von Sicherheitslücken als vielmehr auf die Verfolgung der provokanten Tänzer und ihrer Hintermänner. Generalmajor Rasyid Qurnuen Aquary, Regionalkommandant auf den Molukken, forderte seine Truppen auf, hart gegen alle an separatistischen Aktivitäten Beteiligte vorzugehen und sie, falls nötig, auf der Stelle zu erschießen /AFP, 12.12.07/.
Anfang April diesen Jahres wurde Johan Teterisa als „Anführer der separatistischen Gruppe“, deren Tanzvorführung den Präsidenten so erzürnt hatte, zu lebenslanger Haft verurteilt. 19 weitere Angeklagte wurden zu langjährigen Haftstrafen zwischen 10 und 20 Jahren verurteilt. Gegenüber Al Jazeera beklagte sich Johan Teterisa über Folter: „Ich wurde heftig geschlagen, sie steckten mir sogar eine Granate in den Mund. Sie behandelten mich wie einen Mörder.“ /Al Jazeera, 27.5.08/
Offenbar wirkte der Zorn des Staatspräsidenten strafverschärfend, obgleich sich die Justiz freilich zur Findung des Strafmaßes alleine an der Schwere einer Straftat zu orientieren hat. Keinesfalls darf ein Urteil nur deswegen härter ausfallen, weil sich ein hoher Politiker besonders über die Tat aufgeregt hat. Das Urteil über Johan Teterisa erinnert an Fälle aus der Ära Suharto, wie beispielsweise die Verurteilung von Sri-Bintang Pamungkas wegen einer Demonstration in Deutschland, die mit rechtsstaatlichem Handeln Null und nichts zu tun hatten.
Auch muss man sich fragen, welche Steigerungsfähigkeit noch möglich
ist, wenn jemand bereits wegen einer gewaltlosen Aktion wie dem Zeigen
einer Flagge zu lebenslänglich verurteilt werden kann. Für die
gesamte Spanne von schwerer wiegenden Taten, die ebenfalls unter den „Aufruhr“-Paragraphen
des Strafgesetzbuches fallen, also vom Mitführen eines Messers, über
den Versuch der Anwendung von Waffengewalt, bis hin zum vollendeten tödlichen
Anschlag auf Verfassungsorgane oder deren Repräsentanten, bleibt unterschiedslos
nur noch ein einziges Strafmaß übrig, das über lebenslänglich
hinausgeht: die Todesstrafe.
Erschossen wegen Morgensternflagge
Mit nicht minderer Heftigkeit wird der Flaggenstreit in Papua ausgetragen. Wegen einer Flaggenhissung am 1. Dezember 2004 wurden Filip Karma und Yusak Pakage zu 15 bzw. 10 Jahren Haft verurteilt. Als sich 40 Abgeordnete des US-Kongresses im Juli diesen Jahres an den Präsidenten Indonesiens wandten, um für die Freilassung der beiden zu plädieren, sorgte dies in Indonesien für einen massenhaften Aufschrei seitens nationalistischer und islamischer Politiker. Parlamentspräsident Nurwahid wertete das Freilassungsgesuch als „eine Form von Eingriff in die Souveränität der Nation.“
Papuas zeigen sich erbost über eine im letzten Jahr erlassene Regierungsverordnung (77/2007), die klar stellt, dass die Morgensternflagge nicht zu den laut Sonderautonomiegesetz erlaubten „kulturellen Symbolen“ zählt, sondern ebenso wie die Flagge der RMS und die Halbmond-Flagge der ehemaligen Unabhängigkeitsorganisation GAM in Aceh als illegal betrachtet wird.
Das Verbot provozierte freilich nur neuerliche Flaggenaktionen. Alleine dieses Jahr wurden mindestens zwölf Vorfälle gezählt, unter anderem in Fak Fak, Nabire, Timika, und in Wamena. Dutzende Personen wurden festgenommen und auf Grundlage des Aufruhrparagraphen angeklagt.
Zum schwersten Zwischenfall kam es am 9. August in Wamena, als die Polizei das Feuer eröffnete, nachdem zur Feier des Tages der indigenen Völker neben den Flaggen der UN, der Republik Indonesien und einer SOS-Flagge auch die Morgensternflagge gehisst worden war. Die Polizei in Papua machte somit wahr, was Generalmajor Aquary auf den Molukken bislang nur angedroht hatte: auf der Stelle schießen!. Otuni Tabinus, der der Flaggenzeremonie beiwohnte, wurde tödlich getroffen. Zwar behauptete die Polizei, lediglich Warnschüsse in die Luft abgegeben zu haben, wobei Otuni Tabinus wohl bedauerlicherweise von einem Querschläger getroffen worden sei (wie können bei Schüssen in die Luft Querschläger entstehen???), aber ein Autopsiebericht belegt, dass Otuni Tabinus auf direktem Wege getroffen wurde.
Man kann nur mit Unverständnis und Entsetzen zu Kenntnis nehmen,
dass indonesische Sicherheitskräfte nach 10 Jahren (Sicherheitssektor-)Reform
noch immer nicht gelernt haben, wie man eine Menschenmenge auch mit anderen
Mitteln als durch scharfe Schüsse auflösen kann. In Indonesien
wie überall sonst muss der Schusswaffengebrauch das letzte Mittel
der Wahl sein, das nur in Fällen von Notwehr oder Nothilfe angewendet
werden darf, bei denen akute Gefahr für Leib und Leben besteht. Eine
gewaltfreie Aktion wie das Hissen eines bunten Stückes Stoff zählt
gewiss nicht in diese Kategorie. <>
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