Usman Hamid ist seit Mai 2003 Koordinator der Menschenrechtsorganisation
KontraS (Kommission für die Verschwundenen und Gewaltopfer). Zuvor
wurde die Organisation von dem vor vier Jahren ermordeten Menschenrechtler
Munir geleitet. Nach der Gründung 1998 konzentrierte sich KontraS
zunächst auf das Verschwindenlassen, einem zentralen Repressionsinstrument
des Suharto-Regimes. Heute ist das Ziel der Organisation die Aufklärung
und Bestrafung aller Formen von staatlicher Gewalt und Menschenrechtsverletzungen,
die als Folge von Machtmissbrauch begangen werden. Im Büro von KontraS
sprach Fabian Junge am 12. September mit Usman Hamid über den Bericht
der bilateralen Wahrheits- und Freundschaftskommission (CTF).
Watch Indonesia!: Der Bericht der Wahrheits- und Freundschaftskommission hat viele überrascht, denn angesichts des schwachen Mandates und der vermuteten Intention der Regierungen Indonesiens und Osttimors, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, ist er kritisch ausgefallen. Wie bewertest du den Bericht?
UH: Der Bericht ist tatsächlich besser als erwartet, auch wir haben die CTF anfangs abgelehnt, vor allem weil die Kommission die Kompetenz hatte, die Täter zu amnestieren. Positiv ist vor allem, dass der indonesische Staat mit dem Bericht erstmals offiziell anerkennt, dass 1999 in Osttimor Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. Diese Anerkennung ist sehr wichtig für die Opfer. Ausdrücklich begrüßen wir auch, dass die Kommission die Verschleppungen von osttimoresischen Kindern nach Indonesien, die in den 1970er Jahren begannen, erwähnt. Die Empfehlung, diese Fälle von Verschwindenlassen zu untersuchen, muss umgesetzt werden. Kritisch sehen wir vor allem, dass der Bericht nur Institutionen nennt, die für die Gewalt von 1999 verantwortlich sind.
WI!: Was genau ist daran problematisch?
UH: Es ist zwar gut, dass der Staat mit dem CTF-Bericht die Verantwortung des indonesischen Sicherheitssektors anerkennt. Mit dem Konzept der institutionellen Verantwortung will man jedoch vermeiden, verantwortliche Individuen zu benennen und zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei ist die individuelle Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen in Osttimor und anderswo die Pflicht des indonesischen Staates: Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht, das Verbot rückwirkender Rechtsprechung gilt für sie nicht, es kann keine Amnestie für sie geben.
WI!: Wie hat die indonesische Öffentlichkeit auf den Bericht reagiert?
UH: Mit einem Wort, die Reaktion auf den Bericht war schwach. Für Opfer und Menschenrechtler ist es zu wenig, zu spät. Es gab bereits so viele Untersuchungen zu der Gewalt von 1999 und Empfehlungen für Strafverfolgung und Wiedergutmachung, die bis heute nicht erfüllt wurden. Der Bericht sagt nichts Neues und tut nichts für die Opfer. Sie brauchen eine Bestrafung der Täter und die Garantie, dass solche Verbrechen nicht wiederholt werden können. Auch muss die Regierung konkrete Schritte zur Entschädigung der Opfer unternehmen. Damit ist nicht nur finanzielle Entschädigung gemeint, sondern auch Gesundheitsversorgung, psychologische Betreuung, Behausung, usw. Ein gutes Beispiel ist hier Argentinien. Dort hat die Regierung in Reaktion auf den Bericht der dortigen Wahrheitskommission Conadep (La Comision Nacional Sobre la Desaparicion de Personal - Nationale Kommission zur Untersuchung des Verschwindens von Personen) ein umfassendes Wiedergutmachungsprogramm aufgelegt.
WI!: Wie haben die Medien und die allgemeine Öffentlichkeit in Indonesien darauf reagiert?
UH: Es gab kaum eine nennenswerte Reaktion. Der Bericht wurde zwar in einer offiziellen Zeremonie von den Präsidenten Indonesiens und Osttimors vorgestellt. Er wurde bisher aber nicht veröffentlicht, sondern nur an ausgewählte Personen verteilt. Deshalb war das Medienecho schwach und eine öffentliche Debatte hat bislang nicht stattgefunden. Die öffentliche Meinung zu Osttimor bleibt somit unverändert: noch immer sehen die meisten Indonesier in Osttimor eine abtrünnige und verräterische Provinz, die undankbar ist für die angeblichen Verbesserungen, die Indonesien dort vollbracht hat. Im Parlament gab es unterschiedliche Reaktionen, einige Abgeordnete fordern eine weitergehende Aufarbeitung, der Mainstream will jedoch mit dem CTF-Bericht einen Schlussstrich unter das Kapitel Osttimor ziehen.
WI!: Hat die Regierung durch den Bericht ihre Einstellung zum Umgang mit Indonesiens belasteter Vergangenheit geändert?
UH: Allgemein sperrt sich die Regierung gegen eine Aufarbeitung vergangener Menschenrechtsverletzungen. Neben Osttimor ist die Untersuchung der nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM) zu den Verbrechen in Talangsari, Lampung, ein aktuelles Beispiel. In Talangsari griff das Militär unter Führung des späteren Geheimdienstchefs Hendropriyono 1989 Mitglieder einer religiösen Bewegung an, die angeblich einen islamischen Staat errichten wollte, und tötete über 200 Menschen. Die Regierung hat die laufende Komnas HAM-Untersuchung hierzu kaum unterstützt. Der Verteidigungsminister hat sogar Mitglieder des Militärs dazu aufgerufen, Vorladungen der Kommission zu ignorieren und Aussagen zu diesem Fall zu verweigern. Das zeigt, dass die grundlegende Einstellung der Regierung zu vergangenen Menschenrechtsverletzungen sich nach dem CTF-Bericht nicht geändert hat.
WI!: Der Bericht empfiehlt unter anderem eine Reform des Sicherheitssektors, um Verbrechen wie die in Osttimor zukünftig zu vermeiden. Hat sich das auf das Verhalten des Sicherheitssektors ausgewirkt?
UH: Der Sicherheitssektor könnte viel von dem CTF-Bericht lernen, hat aber bisher weder Verhalten noch Einstellung geändert. Die Gesetze zur Sicherheitssektorreform sind ja bereits da, allerdings werden sie nicht konsequent umgesetzt. Neben der institutionellen Reform des Sicherheitssektors müssen individuelle Akteure, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, vor Gericht gebracht werden. Der Sicherheitssektor muss lernen, dass dies in seinem Interesse ist. Denn durch die Bestrafung individueller Verantwortlicher kann die TNI (Tentara Nasional Indonesia – Nationales Militär Indonesiens) vermeiden, dass die Öffentlichkeit das Militär kollektiv, als Organisation, für Menschenrechtsverletzungen einzelner Offiziere verantwortlich macht. Würde man verantwortliche Individuen im Sicherheitssektor zur Rechenschaft ziehen, könnten also Akzeptanz und öffentliches Vertrauen in diesen Sektor gestärkt werden.
WI!: Was sind die Forderungen von KontraS in Bezug auf den CTF-Bericht?
UH: Wir haben drei konkrete Forderungen. Erstens fordern wir die Regierungen Indonesiens und Osttimors auf, den Bericht sofort zu veröffentlich und eine breite Debatte darüber zu führen. Alternativ werden wir mit anderen NGOs versuchen, den Bericht zu verbreiten um die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf das Thema Osttimor zu lenken. Die zweite Forderung lautet: Findet die Verschwundenen! Wir fordern eine weitere, eingehende staatliche Untersuchung, um die entführten osttimoresischen Kinder zu finden, die nach Indonesien verschleppt wurden. Vielleicht ist zu viel Zeit vergangen, um die Familien permanent zusammenzuführen, aber es sollte Begegnungen zwischen ihnen geben sowie eine offizielle Aufklärung dieser Fälle. Die dritte Forderung bleibt weiterhin, die Verantwortlichen für die Menschenrechtverletzungen in Osttimor individuell zur Rechenschaft zu ziehen. Individuelle Verantwortung ist weiterhin unsere Priorität, auch wenn das politische Klima momentan ungünstig ist: Der indonesischen und osttimoresischen Regierung fehlt der politische Wille, auch der UN-Sicherheitsrat hat das Interesse an Osttimor verloren, obwohl die UN-Expertenkommission eine erneute Strafverfolgung der Verbrechen von 1999 empfohlen hat. Aber auch zukünftige Regierungen tragen die Verantwortung, Individuen zu bestrafen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht! Immerhin hat die indonesische Regierung mit dem CTF-Bericht erstmals zugegeben, dass überhaupt Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschehen sind. Auf dieser Basis verlangen wir erneut die Strafverfolgung der Verantwortlichen.
WI!: Was können internationale NGOs und die Staatengemeinschaft tun, um dieses Anliegen zu unterstützen?
UH: Das Thema muss in internationalen Foren wieder auf die Agenda gebracht werden, etwa im UN-Menschenrechtsrat. Wie der Fall Munir zeigt, ist Strafverfolgung für Menschenrechtsverletzungen in Indonesien nur dann möglich, wenn der internationale Druck groß genug ist. Deshalb müssen internationale Akteure wie die EU, Deutschland, Frankreich, Portugal oder die USA der indonesischen Regierung zeigen, dass sie die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen in Osttimor wünschen, sei es im bilateralen Dialog, sei es in internationalen Gremien.
Internationale NGOs können dabei helfen, indem sie ihre Regierungen
und internationale Organisationen und Gremien in Kampagnen und Lobbyarbeit
dazu auffordern, Druck auf die indonesische und osttimoresische Regierung
auszuüben. Die Gewalt in Osttimor ist alles andere als aufgearbeitet,
den Opfern ist keineswegs Gerechtigkeit widerfahren, und die wenigsten
Täter wurden bestraft. Wir sollten den CTF-Bericht nutzen, dagegen
anzukämpfen, dass die Verbrechen in Osttimor und die Betroffenen in
Vergessenheit geraten! <>
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