Indonesien-Information Nr. 3 1995 (Demokratie)
Ein für viele Beobachter überraschendes Urteil fällte am 3. Mai 1995 das Amtsgericht Jakarta. Die Klage des ehemaligen TEMPO-Herausgebers Goenawan Mohamad und einer Reihe seiner früheren Beschäftigten auf Wiederzulassung der im Juni 1994 verbotenen Zeitschrift wurde vom Gericht positiv beschieden. Bis zum Wiedererscheinen der Zeitschrift müssen sich die LeserInnen allerdings noch gedulden, denn Informationsminister Harmoko legte umgehend Berufung gegen das Urteil ein. Die kürzlich erfolgte Verurteilung dreier Journalisten machte deutlich, daß es nach wie vor schlecht die Pressefreiheit in Indonesien bestellt ist.
Glückwünsche aus aller Welt erreichten Goenawan Mohamad und die ehemaligen MitarbeiterInnen der Zeitschrift TEMPO Anfang Mai in Jakarta. Die Belegschaft feierte ihren unerwarteten Triumph vor Gericht. In einem aufsehenerregenden Urteil befand das Amtsgericht in Jakarta, das im Juni 1994 durch das Informationsministerium verhängte Verbot der Zeitschrift sei unrechtmäßig erfolgt. Der Entzug der Presselizenz SIUPP sei de facto gleichbedeutend mit einem Verbot. Überhaupt stehe die Vergabe - und damit der stetig drohende Entzug - der SIUPP-Lizenzen vom Informationsministerium in Widerspruch zum Pressegesetz, das keine Zensur und keine Verbote von Printmedien erlaube. Das Verbot von TEMPO verletze aber auch das vom Ministerium selbst geschaffene Dekret zur Lizenzierung der Medien, so Richter Benyamin Mangkudilaga, da vor Verhängung des Verbots nicht wie vorgeschrieben der Presserat (Dewan Pers) konsultiert worden sei /Suara Independen, No. 1, Juni 95/.
Somit sei der Erlaß des Informationsministeriums, mit dem die Lizenz von TEMPO entzogen wurde, zurückzuziehen und TEMPO eine neue Lizenz zu erteilen, hieß es in dem Urteil weiter. Goenawan Mohamad und seine MitarbeiterInnen erklärten, innerhalb der nächsten zwei Wochen TEMPO wieder in Umlauf bringen zu können /Jawa Pos News Network, 3.5.95/. Doch Informationsminister Harmoko, der eine Kommentierung des Urteilsspruchs verweigerte, machte von seinem Recht Gebrauch, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Damit ist das Urteil nicht rechtskräftig und ein Neuerscheinen von TEMPO in weite Ferne gerückt.
Präsident Suharto würdigte das Urteil des Gerichts, bekräftigte aber zugleich seine Unterstützung für Minister Harmokos Ankündigung, in Revision gehen zu wollen. Der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Basrief Arief, bestätigte, bereits am 4.5. den formellen Einspruch des Informationsministers erhalten zu haben /Merdeka, 11.5.95/.
Die Rechtshilfeorganisation YLBHI lobte in einer Presseerklärung den Mut des Gerichts, wies aber darauf hin, daß indonesische Gerichte in jüngster Zeit ähnlich überraschende Urteile gefällt haben, ohne daß die Betroffenen dadurch zu ihrem Recht gekommen waren. Als Beispiele nannte YLBHI das später zurückgezogene Urteil des Obersten Gerichts zur Entschädigung der Bauern, die dem Staudamm Kedung Ombo weichen mußten, und ein Urteil in einem jahrelang anhängigen Rechtsstreit um ein Stück Land in Irian Jaya, das später ausgesetzt wurde, da die Provinzregierung nicht in der Lage war, die vom Gericht festgesetzte Entschädigung zu zahlen /YLBHI, 3.5.95/.
Die Zeitschrift GATRA, die sich mit der Übernahme eines Teils der früheren TEMPO-MitarbeiterInnen sowie der finanziellen und politischen Rückendeckung des Suharto-Freundes und Tropenwaldkönigs Bob Hasan die Lizenz als TEMPO-Nachfolger sicherte, machte wie andere Magazine das Urteil vom 3. Mai zur Titelgeschichte. Zur Vervollständigung der Berichterstattung bemühte sich GATRA um Interviews verschiedener an dem Fall Beteiligter. GATRA-Redakteur Aries Margono schrieb das Editorial, in dem er seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß selbst Minister Harmoko bereit war, GATRA ein Interview zu geben. Nur Ex-TEMPO-Macher Goenawan Mohamad, der neben Harmoko wohl wichtigste Beteiligte, wollte GATRA kein Interview geben. Scheinheilig rätselte Aries Margono, ob Goenawan Mohamad wohl einfach keine Zeit hatte oder ob er zu müde vom vielen Feiern war /GATRA, 13.5.95/. Bei scharfem Nachdenken fallen einem noch weitere mögliche Gründe ein. Vielleicht war Goenawan Mohamad ja das angebotene Honorar nicht hoch genug...
____________________ Berufsverbot ____________________
Um keine Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß die Presse weiterhin unter der strengen Reglementierung durch das Informationsministerium steht, hat der regierungstreue Journalistenverband PWI (Persatuan Wartawan Indonesia) alle regionalen Sektionen dazu aufgerufen, gegen Mitglieder vorzugehen, die die Rolle des PWI als einzig legale Journalisten-Organisation in Frage stellen. Diese Dissidenten sollten aus der PWI ausgeschlossen werden, erklärte Vorstandsmitglied Sofyan Lubis.
Die Anordnung richtete sich gegen die Existenz des unabhängigen Journalistenverbandes AJI (Aliansi Jurnalis Independen), der sich nach dem Verbot der Zeitschriften TEMPO, EDITOR und DETIK gegründet hatte. In Jakarta wurde die Mitgliedschaft von 13 Journalisten im PWI, die sich gegen das Verbot der drei Zeitschriften eingesetzt hatten, zwangsweise für beendet erklärt. Die ausgeschlossenen Journalisten hatten die sogenannte Sirnagalih-Erklärung mitunterzeichnet - die Gründungsurkunde von AJI. Unter ihnen befanden sich Goenawan Mohamad, der noch als Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins SWAsembada geführt war, der ehemalige Chefredakteur von TEMPO, Fikri Jufri, und Eros Djarot, ehemaliger Herausgeber von DETIK /Kompas, 18.3.95/.
Gleichzeitig wurden Zeitungen und Zeitschriften dazu aufgefordert, sich von MitarbeiterInnen zu trennen, die nicht Mitglied im PWI sind. Verschiedene Presseorgane beugten sich dem Druck und entließen "widerspenstige" Redakteure bzw. versetzten sie in die Anzeigenredaktion oder in die Verwaltung.
Die von AJI herausgegebene alternative Zeitschrift SUARA INDEPENDEN kommentierte, den Ausschluß der Journalisten aus dem PWI könne man akzeptieren. Die Tatsache jedoch, daß das Ende der Zwangsmitgliedschaft im PWI einem Berufsverbot gleichkomme, verletze die Menschenrechte. Der Zwang, zur Ausübung eines Berufes, einer Ständeorganisation angehören zu müssen, sei selbst in Indonesien einmalig, urteilt SUARA INDEPENDEN mit Verweis auf die Berufsverbände von Ärzten und Rechtsanwälten /Suara Independen, No. 1, Juni 1995/.
____________________ Feldzug gegen alternative Presse ____________________
Die neuerlichen Beschränkungen der Pressefreiheit folgten einer Erklärung von Informationsminister Harmoko, er wolle Schritte gegen Massenmedien einleiten, die AJI-Mitglieder beschäftigten. Mit Blick auf INDEPENDEN und das von der Gruppe Yayasan Pijar herausgegebene regierungskritische Bulletin KABAR DARI PIJAR bekräftigten sowohl Harmoko als auch Sofyan Lubis vom PWI-Vorstand dabei auch ihre Absicht, gegen regierungskritische Untergrundzeitungen vorzugehen, die seit dem Verbot von TEMPO, EDITOR und DETIK wie Pilze aus dem Boden geschossen waren /Jakarta Post, 23.3.95/.
Bereits wenige Tage zuvor lösten Polizeikräfte in Zivil eine Feierlichkeit von AJI im Hotel Wisata in Jakarta auf und nahmen mehrere Personen fest. Bis auf Danang, einen bei AJI angestellten 18-jährigen Bürogehilfen, wurden aber zunächst alle Verhafteten wieder auf freien Fuß gesetzt. In den folgenden Tagen führte die Polizei Razzien in den Büros von AJI und Pijar durch und beschlagnahmte Computer, Disketten, Adressverteiler und dergleichen mehr. Der Pijar-Mitarbeiter Tri Agus Santoso sowie Ahmad Taufik und Eko Maryadi von AJI wurden verhaftet (vgl. Indonesien-Information Nr. 2/95).
Mehrere hundert Personen fanden sich am 21. und 29. März in Jakarta und in Bandung zu Demonstrationen zusammen, auf denen sie ihre Forderungen nach einem Ende der SIUPP-Lizenzpflicht, nach Weiterbeschäftigung der AJI-Mitglieder und der sofortigen Freilassung der vier Gefangenen vortrugen /Voice of America, 21.3.95; tapol, 30.3.95/.
Am 5.4. demonstrierten in Yogyakarta ca. 400 Leute gegen das inzwischen verhängte offizielle Verbot der alternativen Medien KABAR DARI PIJAR, INDEPENDEN u.a.. Obwohl die Demonstration geordnet und friedlich ablief, schritt die Polizei mehrfach gewaltsam ein, verprügelte Demonstrationsteilnehmer und beschlagnahmte Transparente und Megaphone. Mindestens 45 Personen wurden vorläufig festgenommen, später aber wieder auf freien Fuß gesetzt /Solidaritas Rakyat untuk Demokrasi, 5.4.95/. Am 13.4.95 demonstrierten erneut etwa 100 StudentInnen von FAMI (Front Aksi Mahasiswa Indonesia) in Jakarta gegen die Verhaftung der Journalisten. Auch hier wurden drei Personen vorübergehend festgenommen /tapol, 13.4.95/.
____________________ Willkürliche Verurteilungen ____________________
In drei parallel geführten Verfahren wurde in den Sommermonaten den Angeklagten Ahmad Taufik, Eko Maryadi, Tri Agus Santoso und Danang der Prozeß gemacht. Im In- und Ausland stießen die Verfahren auf heftige Kritik, insbesondere weil die Anklage in allen vier Fällen willkürlich erschien. Danang, Eko Maryadi und Ahmad Taufik wurde vorgeworfen, die Zeitschrift INDEPENDEN illegal in Umlauf gebracht zu haben. Doch erwiesenermaßen waren die beiden AJI-Redakteure weder für den Inhalt noch für den Vertrieb von INDEPENDEN verantwortlich. Danang, der bei AJI als Bürogehilfe jobbte, um sich das Geld für sein geplantes Studium zu erarbeiten, beschwor vor Gericht, er habe niemals vorgehabt, etwas Verbotenes zu tun und verstehe nicht, warum und wofür er auf der Anklagebank säßen. Mehrere Zeugen bestätigten, daß Danang in keiner Weise mit den Aktivitäten von AJI zu tun hatte, geschweige denn dafür verantwortlich war. Dennoch entschied das Gericht, Danang wegen Beihilfe bei der Verbreitung regierungsfeindlicher Schriften zu 20 Monaten Haft zu verurteilen /Article 19, 1.9.95/.
Mit dem Urteil gegen Danang wurde der Verurteilung der beiden Redakteure Eko Maryadi und Ahmad Taufik vorgegriffen. Juristisch betrachtet ist es mehr als zweifelhaft, jemanden wegen der Beihilfe zu einer Straftat zu verurteilen, bevor darüber entschieden ist, ob es sich überhaupt um eine Straftat handelte. Letztere Frage wurde aber ausschließlich im Prozeß gegen die beiden Redakteure untersucht. Nach Danangs Verurteilung wegen "Beihilfe" konnte das Gericht eine Woche später gar nicht anders, als Eko Maryadi und Ahmad Taufik wegen der Verbreitung regierungsfeindlicher Schriften zu verurteilen. Die beiden wurden zu 32 Monaten Haft verurteilt /YLBHI, 1.9.95/. Vier Tage vor dem Urteil wurde dem früheren TEMPO-Redakteur Ahmad Taufik, der letztes Jahr als Gast der Bundesregierung auch Deutschland besucht hatte, von dem US-amerikanischen Committee to Protect Journalists (CPJ) für sein Wirken der Internationale Preis für Pressefreiheit (International Press Freedom Award) verliehen /CPJ, 31.8.95/.
Auch der Prozeß gegen den vierten Angeklagten, den Pijar-Mitarbeiter Tri Agus Santoso Siswowihardjo, von seinen Freunden kurz TASS genannt, war von Willkür geprägt. TASS wurde vorgeworfen, mit der Überschrift eines Artikels im Bulletin KABAR DARI PIJAR den Präsidenten beleidigt zu haben. Doch erwiesenermaßen stammte die umstrittene Überschrift "Dieses Land wurde von einem Menschen namens Suharto ins Chaos gestürzt" nicht aus der Feder von TASS. Es handelte sich vielmehr um einen Ausspruch von Adnan Buyung Nasution, Direktor des Rechtshilfeinstituts LBH, den dieser anläßlich der Pressezensur 1994 von sich gab. Buyung selbst sagte sogar als Zeuge vor Gericht aus, wurde aber bislang von den Behörden nicht wegen seines Ausspruches behelligt.
Tri Agus meinte dazu in seiner Verteidigungsschrift: "Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, daß ich absichtlich Präsident Suharto beleidigt habe, indem ich Adnan Buyung Nasutions Äußerung 'Dieses Land wurde von einem Menschen namens Suharto ins Chaos gestürzt' abschrieb. Ich bekräftige hier, wenn ich tatsächlich vorgehabt hätte, Suharto zu beleidigen, warum dann nur mit einem Zitat wie diesem von Adnan Buyung Nasution? Ich habe jede Menge Beleidigungen für Suharto auf Lager, aber ich warte auf den richtigen Moment, um diese Worte zu benutzen ... Ich bin absolut fest davon überzeugt, daß ich nicht der letzte sein werde, der die Erfahrung macht, von der Neuen Ordnung ins Gefängnis geworfen zu werden, wie es mir jetzt passiert. Es wird noch viele weitere Kandidaten geben, die Soeharto beleidigen. Das wird passieren, weil Suharto im Grunde genommen einfach der Passende ist, um ihn zu beleidigen. Daher empfehle ich Ihnen, schon mal zu üben. Sie können Soeharto nach Lust und Laune beleidigen, indem Sie schreien: 'Wechselt Suharto aus!', 'Suharto, Idiot!' u. dgl. mehr ohne gegen den § 134 des Strafgesetzbuches zu verstoßen. Wie das geht? Schauen Sie sich einfach ein Fußballspiel von Medan Jaya gegen irgendeine andere Mannschaft an, einer der Spieler heißt Suharto. Es lohnt sich, wenn Sie sich eine Karte für's Fußballspiel kaufen..." /aus der Verteidigungsschrift von Tri Agus Susanto, 1.9.95/.
Offenbar waren Tri Agus Susantos Ausführungen nicht geeignet, das Gericht von seinem vorgefaßten Urteil abzubringen. Der Beleidigung des Präsidenten schuldig gesprochen wurde TASS zu zwei Jahren Haft verurteilt. <>
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