Indonesien-Information Nr. 3 1995 (Demokratie)

5 % mehr Demokratie

Die Reduzierung der dem Militär vorbehaltenen Anzahl von Parlamentssitzen hat eher symbolischen Wert. Die bestehenden Machtstrukturen werden nicht angetastet.

Unerwartet beauftragte Präsident Suharto im Februar dieses Jahres die Wissenschaftsbehörde LIPI, zu untersuchen, welches Wahlsystem für Indonesiens Zukunft am besten geeignet sei. Kritikern, die Indonesiens Demokratieverständnis oft mit "ungenügend" bewerten, sollte damit die Reformbereitschaft der Regierung bewiesen werden. Gleichzeitig konnte dem machthungrigen Militär damit ein symbolischer Dämpfer verpaßt werden.

Gemäß dem Auftrag des Präsidenten sollten die ExpertInnen von LIPI feststellen, ob und wie das Wahlverfahren geändert werden müßte, um die Demokratie zu stärken. Die Studie sollte darüberhinaus auch eine Empfehlung über die ideale Anzahl von Parlamentssitzen, die für die Streitkräfte reserviert sind, abgeben. Vielleicht funktioniert Demokratie ja auch mit einer geringeren Anzahl von handverlesenen Abgeordneten, mag Präsident Suharto gedacht haben. Daß es zum Funktionieren des Parlaments nicht unbedingt mehr Militärs als bisher braucht, scheint immerhin klar gewesen zu sein. Die Aufgabenstellung an LIPI schloß diese Möglichkeit von Anfang an aus, ebenso wie die grundsätzliche Infragestellung der Sitzvergabe an nichtgewählte Militärs.

Staatsminister Moerdiono vergaß nicht darauf hinzuweisen, daß die mit der Untersuchung beauftragten Wissenschaftler die akademische Freiheit genießen, uneingeschränkt ihre Ansichten zu äußern zu dürfen - ein nicht unwichtiger Hinweis bei einer so sensiblen Frage. Allerdings sollte die Äußerung dieser Ansichten auf "geschlossene Diskussionskreise" beschränkt bleiben. Keineswegs sollten private Meinungen in der Öffentlichkeit verbreitet werden, erklärte Moerdiono weiter. Eine Garantie dafür, daß die Regierung den Empfehlungen der Untersuchung Folge leisten würde, bestehe ohnehin nicht /Kompas, 22.2.95/.

Die zu erörternde Frage nach dem am besten geeigneten Wahlverfahren beinhaltete in erster Linie die Abwägung zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlverfahren. Derzeit wird in Indonesien nach dem Verhältniswahlverfahren gewählt, wobei allerdings garantiert ist, daß alle Wahlkreise im Parlament (DPR) vertreten sind. ABRI stellt 100 der 500 Abgeordneten (20%).

Der GOLKAR-Vorsitzende, Informationsminister Harmoko, beeilte sich zu sagen, daß GOLKAR schon seit langem darauf vorbereitet sei, das Mehrheitswahlsystem (Sistem Distrik) einzuführen, nur sei die Gesellschaft dazu bislang nicht genügend vorbereitet gewesen. Für ABRI erklärte Brigadegeneral Hamid, der Untersuchungsauftrag des Präsidenten stelle keinen Angriff auf die politische Rolle des Militärs dar /Kompas, 23.2.95/.

Vor- und Nachteile der beiden Wahlsysteme wurden bereits in der Vergangenheit viel diskutiert (vgl. Miriam Budiardjo: Auf der Suche nach einem geeigneten Parteiensystem; in: Traum der Freiheit, Köln, 1995). Solange aber die unter Suharto eingeführten Politik-Gesetze (undang-undang politik) nicht infragegestellt werden, wird jeder Versuch einer Reform im Ansatz stecken bleiben. Nach diesen Gesetzen sind nur drei Parteien (GOLKAR, PPP und PDI) zugelassen, deren politischem Handlungsspielraum enge Grenzen gesetzt sind. Nur der Regierungspartei GOLKAR ist es erlaubt, auch außerhalb der Großstädte Wahlkampf zu betreiben, PPP und PDI haben in den Dörfern nichts zu suchen. Angesichts dieser Voraussetzungen ist die Frage nach dem am besten geeigneten Stimmenauszählverfahren vergleichsweise irrelevant. Doch Minister Harmoko stellte klar: "Um den Willen des Volkes umzusetzen, braucht man nicht viele Parteien. Die drei existierenden politischen Organisationen sind vollständig in der Lage, den Willen des Volkes umzusetzen". Die früheren Erfahrungen mit einem Mehrparteiensystem haben Indonesien geschadet, meinte Harmoko weiter /Republika, 24.2.95/.

Die Reaktionen auf Suhartos Vorstoß waren eher verhalten. Megawati Soekarnoputri, Vorsitzende der PDI und charismatische Tochter des ersten Präsidenten Soekarno, begrüßte die Vergabe des Untersuchungsauftrages an LIPI. Gleichzeitig wies Megawati aber darauf hin, daß die Bedingungen einer fairen Wahl, nämlich direkt, allgemein, frei und geheim zu sein, bislang nicht erfüllt seien /Kompas, 27.2.95/. Wissenschaftler George Aditjondro kommentiert diesen Sachverhalt gerne mit einem Vergleich: in anderen Ländern gebe es "general elections", in Indonesien dagegen nur die "election of generals".

Auch die beiden Wissenschaftler Priyatmoko und Hariadi kritisieren den Machtmißbrauch durch die existierenden Parteien. GOLKAR und PPP zeigten durch die Abberufung der Abgeordneten Bambang Warih Koesoemo und Sri Bintang Pamungkas, was sie in Wahrheit von Demokratie halten, so die beiden Wissenschaftler von der Airlangga-Universität in Surabaya. Den abberufenen Parlamentariern sei nicht einmal Gelegenheit gegeben worden, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen, die gegen sie erhoben wurden. Die Einstellung, die sich hinter solchem Verhalten verberge, lasse Überlegungen bezüglich eines demokratischeren Wahlsystems absurd erscheinen /Jakarta Post, 1.3.95/.

Die mit der Studie beauftragte Wissenschaftsbehörde LIPI gab sich Mühe, ihre Unabhängigkeit und ihre Offenheit für alle Vorschläge und Überlegungen zu betonen. Doch in Wahrheit ist LIPI eine Regierungsinstitution, der es schwerfallen dürfte, der Regierung unliebsame Meinungen zu vertreten. Die LIPI gestellte Aufgabe war daher nicht besonders schwer, ließen doch Suhartos Worte kaum Zweifel daran aufkommen, welches Ergebnis er sich von der Studie erhoffte. Gesucht wurde der wissenschaftliche "Beweis", daß die politische Verantwortung des Militärs zurückgestutzt werden kann. Genau 75 ABRI-Abgeordnete, 25 weniger als bisher, könnten wohl in Zukunft ausreichen, die Verantwortung des Militärs für die Politik des Landes wahrzunehmen, so das von Suharto vorgegebene Wunschergebnis. Vor kurzem beschloß das Parlament - wie üblich ohne Gegenstimmen - die Reduzierung der ABRI-Sitze für zukünftige Legislaturperioden auf 75.

Der Dämpfer, den Suharto dem Militär erteilte, schmerzt ABRI nicht besonders. Afan Gaffar von der Universitas Gadjah Mada hält die Reduzierung von 100 ABRI-Sitzen auf nun 75 für bedeutungslos. Afan Gaffar meint, Politik werde sowieso nicht im Parlament gemacht, sondern in der Bürokratie. Da aber sei ABRI noch sehr gut vertreten /Forum Keadilan, 25.5.95/. Mehr als durch die Reduzierung der Parlamentssitze zeigte sich ABRI durch die Tatsache getroffen, daß nur die Zivilbehörde LIPI um ein Gutachten gefragt wurde, während die think-tanks des Militärs außen vor blieben.

Wenn es Suharto mit diesem Schritt auch nicht gelungen ist, Kritiker von seinem Willen zur Demokratie zu überzeugen, so konnte er doch immerhin den Streitkräften ein Signal setzen, welche Rolle von ihnen in Zukunft erwartet wird. Die eher symbolische Beschneidung der Machtfülle des Militärs soll die Position der zivilen Politiker - insbesondere um Minister Habibie - stärken. Ein zu starkes Militär könnte für die Zeit nach Suharto nicht nur die gesamte Macht für sich alleine beanspruchen, sondern auch den Reichtum von Suhartos Kindern und Enkeln gefährden. Aufgrund des seit längerem schwelenden Konflikts zwischen ABRI und Zivilpolitikern ist auch nicht ausgeschlossen, daß ABRI seine Unterstützung für GOLKAR aufkündigt und sich stattdessen der PDI zuwendet, die sich ihrerseits womöglich mit der islamischen Massenorganisation Nadhlatul Ulama (NU) verbinden wird. Eine solche Koalition könnte für die Regierungspartei GOLKAR zu einer ernsten Gefahr werden. <>

 
 
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