Indonesien Information Nr. 3/1999 (Militär)

ABRI nach den Wahlen Eine Analyse zur inneren Lage der indonesischen Streitkräfte

von Ingo Wandelt

Dwi Fungsi, die Doppelfunktion der indonesischen Streitkräfte, ist der selbst gestellte Auftrag, sowohl die äußere und innere Sicherheit (Pertahanan dan Keamanan, Hankam) des Staates Indonesien zu sichern, als auch über politische Repräsentanz auf allen Ebenen des Staates an der staatlichen Willensbildung mitzuwirken. Mit dem politischen Ziel der Stabilität korrespondiert die militärische Aufgabe der inneren Sicherheit, auf die sich angesichts des völligen Fehlens einer Verteidigungsnotwendigkeit nach außen die Organisation und Struktur der Streitkräfte konzentriert.

Die Unruhen vom Mai 1998 Die jüngste historische Phase der indonesischen Streitkräfte, ABRI (Angkatan Bersenjata Republik Indonesia), die im April 1999 zur alten Bezeichnung TNI (Tentara Nasional Indonesia, Indonesische Nationalarmee) zurückgefunden hat, setzte mit den Unruhen ab Mai 1998 in weiten Landesteilen, schwerpunktmäßig jedoch in Jakarta, ein. Obgleich wesentliche Einzelheiten und Hintergründe der Abläufe nicht vorliegen, kann spätestens seit dem Bericht der TGPF von einer aktiven Rolle von Einheiten der Streitkräfte am Schüren der Unruhen nicht nur in Jakarta ausgegangen werden. Eine hypothetische, anhand der vorhandenen Fakten jedoch schlüssige Deutung, sieht den Kommandeur des Strategischen Heereskommandos (Kostrad), Generalleutnant Prabowo Subianto, als Initiator der Unruhen, die mit Einheiten seines vorangegangenen Kommandos, des Sondertruppenkommandos des Heeres (Kopassus), begangen wurden, die Unterstützung vom Wehrbereich Großjakarta (Kodam Jaya) erhielten. Ob dazu eine Anweisung des Oberbefehlshabers, des damaligen Präsidenten Suhartos, der sich in jenen Tagen zu einem Auslandsaufenthalt in Kairo aufhielt, vorlag, oder ob Prabowo auf eigene Initiative oder mit anderen Offizieren handelte, ist völlig unklar. Unwahrscheinlich scheint eine aktive Teilhabe des Chefs des Streitkräfte-Führungsstabes (Mabes ABRI), dem Befehlshaber der Streitkräfte (Pangab) General Wiranto, zu sein. Es war Wiranto, der Truppen der Marine und Polizei in Jakarta gegen Prabowos Einheiten aufmarschieren ließ und ihn am 25. Mai 1998 Prabowo aus seinem Kommando enthob. Nach dem Mai 1998 erlebten die Streitkräfte einen nie dagewesenen Ansehens- und Autoritätsverlust. Die rasch um sich greifenden Gerüchte um die Rädelsführerschaft von Heereseinheiten bei den landesweiten Unruhen und der Entführung von Studentenaktivisten in Jakarta, die Aufdeckung von begangenen Massakern in Aceh, sowie die offenbare Unfähigkeit von Armee und Polizei, die öffentliche Ordnung und Sicherheit wiederherzustellen, führten unter anderem zu offenem Ungehorsam der Bevölkerung gegenüber den Ordnungskräften. ABRI war um eine interne Abwicklung bemüht, um nicht dem Eindruck äußerer Einflußnahme auf ihre inneren Angelegenheiten, und damit von Schwäche, aufkommen zu lassen. Dem Druck der öffentlichen Meinung wurde entgegnet mit öffentlichen Entschuldigungen seitens Wirantos, über militärinterne Versetzungen auf andere Dienstposten, und mittels militärstrafrechtlicher Verfahren gegen einzelne Offiziere, denen Handlungen außerhalb ihrer Befugnisse, jedoch keine kriminellen Vergehen, vorgeworfen wurden. Prabowo wurde zum alleinigen Sündenbock der Mai-Unruhen erklärt und ehrenhaft aus den Streitkräften entlassen. Er verließ das Land unbehelligt in Richtung Jordanien. Das Tim Mawar (Team Rose), eine schattenhafte, informelle Einheit der Kopassus, wurde als Verantwortliche für die Aktivistenentführungen ausgemacht und vor ein Militärgericht gestellt. Neben diesem Bauernopfer blieben Fragen der Mittäter und Kommandoverantwortlichkeiten innerhalb des Heeres ebenso im Dunkel wie die Rolle Suhartos.

Sichtbare Konsequenzen Zwischen August und Oktober 1998 versuchten sich die Streitkräfte an einer Neupositionierung ihrer Rolle in Staat und Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Die im September an der Stabs- und Kommandoschule in Bandung veröffentlichte Schrift "Vier Neue Paradigmen für das 21. Jahrhundert", präsentierte die großen politischen Rahmenrichtlinien für ABRI/TNI. Mit dem Rückzug aus der vorderen Linie in der öffentlichen Aufmerksamkeit wollte man eine weniger auffällige Position des Beinflussens der nicht-militärischen Partner aus dem politischen Hintergrund einnehmen. Diese sehr dem militärische Führungsprinzip tut wuri handayani, das lenkende Führen von hinten, ähnelnde Haltung erwies sich nach dem 53. Jahrestag der Streitkräfte im Oktober 98 als alter Wein in neuen Schläuchen, als eine breite Front von TNI-Vertretern unisono die altbekannten Warnungen vor einem erneuten Erstarken kommunistischer Kräfte im reformistischen Gewand verkündeten. Gegen Jahresende war klar, daß ABRI außer einem verbalen Bekenntnis zur reformasi an ihren ideologischen Grundlagen nicht zu rütteln gedachten: zentralistischer, säkularnationalistischer Einheitsstaat mit einer starken Militärpräsenz, die einen baldigen Abschied von der Dwi Fungsi nicht vorsah. Allein der politische Stil stand zur Disposition. Merkwürdig unscharf blieb die Umformung des Soziopolitischen Stabes (Staf Sosial Politik) im Stabsquartier der Streitkräfte zum Territorialstab (Staf Teritorial) mit seinem neuen Chef, dem Kaster (Kepala Staf Teritorial) im November 1998. Angekündigt als ein deutlicher Schritt aus der sozialpolitischen Führung der Gesellschaft, für welches das allgemein verhaßte Akronym Sospol (sosial politik) stand, blieb völlig unklar, welche Aufgaben und Funktionen dieser Stab und sein Chef haben sollten. Mit der angekündigten und tatsächlich eingeleiteten Abschaffung der karyawan ABRI, der Offiziere auf nicht-militärischen Dienstposten, über die der Sozialpolitische Stab die Aufsicht führte, ergab sich eine Aufgabenreduzierung für den neuen Territorialstab. Die primäre Intention dieser Maßnahme scheint ein scheinbares, jedoch nicht tatsächlich vollzogenes Nachgeben gegenüber der gesellschaftlichen Forderung nach völliger Aufgabe soziopolitischer Einflußnahme und damit die Aufgabe der Dwi Fungsi gewesen zu sein. Real hat sich jedoch wenig verändert. Die gesellschaftlichen Überwachungsstrukturen des Militärs blieben anscheinend ebenso unverändert wie die sospol-Dienststellen auf territorialer Militärebene.

Die Suhartoisierung der ABRI Die Form der Bewältigung ihrer jüngeren Vergangenheit konzentrieren die Streitkräfte auf das Phänomen ihrer Suhartoisierung. Sie sehen sich als von ihrem Oberbefehlshaber (Panglima Tertinggi) mißbrauchte und politisch entmachtete Armee. Damit leugnen sie zugleich die Verantwortung für die begangenen Greueltaten in der Suharto-Ära. In der Tat begann mit der Absetzung des ABRI-Befehlshabers Benny Murdani im Jahr 988 eine schleichende Umformung der ABRI hin zur Palastarmee. Die willkürliche Rotation der Offiziere von Dienstposten zu Dienstposten oft im Halbjahresrhythmus bis in die mittleren Ränge herunter folgten der erkennbaren Absicht Suhartos, interne Patronage- und Loyalitätnetze im Offizierkorps zu zerschlagen und die Loyalität zum Präsidenten anstelle von Professionalität mit Karriereprinzip zu erheben. Suharto war mit dieser Politik des Teile und Herrsche sehr erfolgreich. Die neu benannte TNI sieht dies als Einmischung einer externen Kraft in ihre inneren Angelegenheiten, die sich niemals wiederholen dürfe. Implizit verbindet sie damit die These, künftige Präsidenten nicht länger als ihre Befehlshaber anzuerkennen. Die Übertragung von Sicherungsaufgaben im Bereich des zivilen Industrieschutzes (pengamanan industri) mit dem Verteidigungsgesetz von 1988 unterstellte, wie z.B. im Fall der Freeport Bergbaugesellschaft in Irian Jaya, oft qualifizierte Einheiten dem zivilen Kommando von Firmen- und Privatinteressen mit engen Verbindungen zur Präsidentenfamilie. Diese fortschreitende Satpam (Wachmann-)-isierung der ABRI reduzierte sie auf Wach- und Schließgesellschaften und machte sie zu Miettruppen, die effektiv nicht mehr dem Militärkommando unterstanden. Das Prinzip der weitestgehenden Eigenfinanzierung des Heeres, das eine Unabhängigkeit von der Regierung gewährleistet, und das Fehlen eines klaren staatlichen Verteidigungsbugets wurde in den neunziger Jahren zur Belastung der Armee. Obgleich sich ABRI auf Ebene der Einheiten zum beträchtlichen Teil aus eigenen Quellen wie Firmen, Stiftungen Banken finanziert, benötigt sie den Staat für Rüstungsbeschaffungen aus dem Ausland, die mit Devisen beglichen werden müssen. Forderungen nach einem realistischen Haushalt für ABRI in den neunziger Jahren verhallten bei Suharto ungehört. Der Verteidigungsminister hält hierbei eine gewichtige Rolle als Mitglied im Regierungskabinett. Mit der Gründung der Rüstungskontrollbehörde BPIS 1989 gewann der Minister, Zivilist und Suharto-Vertraute Habibie entscheidende Befugnisse über die Streitkräfte. Er selbst löste diese Behörde im September 1998 auf.

Zu den militärischen Hintergründen der Mai-Unruhen Die indonesischen Streitkräfte sind eine kleine, sich exklusiv verstehende militärische Organisation mit unklaren Eintritts- und Rekrutierungsbestimmungen. Das System der Totalen Volksverteidigung (Hankamrata) ist ein Euphemismus für die Aufgabe, mit etwas über einer halben Million Soldaten, von denen knapp die Hälfte dem Heer angehören, eine Bevölkerung von über 210 Millionen Menschen kontrollieren zu müssen. Die Streitkräftereform von 1982 bis 1985 sieht im Heer territoriale Präsenzkräfte, die über das System der Wehrgebiete (Kodam) mit vier untergeordneten Bereichen eine Militärpräsenz bis in die Dörfer hinein festschreiben. Dazu kommen die sich überlappende Strukturen verschiedener operativer Nachrichtendienste. Neben den Territorialkräften, die sich wegen ihrer Unfähigkeit zur Bekämpfung der landesweiten Unruhen als nicht einsatzfähig erwiesen haben, stehen relativ kleine Eliteverbände aller Teilstreitkräfte, die die eigentliche Kampfführung betreiben. Es sind die Kotama (Komando Utama) oder Hauptkommandotruppen und die eigentlichen Waffenträger, die dem Stabschef ihrer Streitkraft, und übergeordnet dem Befehlshaber der ABRI (Pangab), General Wiranto, unterstehen. Der Staatspräsident besitzt als Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Panglima Tertinggi) keine direkte Befehlsgewalt über die Kotama, sondern muß den Pangab beauftragen. Seit der Reform von 1985 sind die Kotama als schnelle Eingreiftruppen für landesweite Operationen von rapid action organisiert. Das Heer besitzt drei Kotama, und zwar die territorial gebundenen Brigaden der insgesamt neun Kodam, und die beweglichen Einheiten von Kostrad und Kopassus. Sie besitzen den höchsten Stand an Waffentechnik und Ausbildung und greifen ein, wenn die Polizei und die unteren territorialen Heereseinheiten aufkeimende Unruhen nicht länger bewältigen können. Die Heeres-Kotama, die zusammen nicht mehr als 50.000 bewaffnete Männer aufbieten können, bilden die eigentliche Basis der Macht des Militärs. Suhartos interne Militärpolitik hat die strukturelle Zweiteilung des Heeres in Kampf- und Territorialtruppen verstärkt. Er war bemüht, die Führungsoffiziere der Kotama durch persönliche Loyalität an sich und seine Familie zu binden. Generalleutnant Prabowo, durch Einheirat zum Schwiegersohn Suhartos geworden, ist ein prominentes Beispiel für diese Politik. Im Mai 98 wurde deutlich, daß die drei in Jakarta präsenten Kotama (Kodam Jaya, Kostrad und Kopassus) über Tage nicht dem Streitkräfteführungsstab (Mabes ABRI) und Wiranto unterstanden. Das Heer war de facto gespalten, und Wiranto lies Einheiten der Marineinfanterie (Marinir) und der Bereitschaftspolizei (Brimob) in Jakarta aufmarschieren. Unklar bleibt die Rolle der Brimob, die für die Schüsse an der Trisakti Universität verantwortlich ist. Eine abschließende Bewertung dieser Sachlage ist wegen der fehlenden Fakten insbesondere über die Rolle Suhartos noch nicht möglich. Die Kommandeure der drei Kotama wurden bis zum Juni 1998 von Wiranto ihrer Posten enthoben. Die Ernennung Habibies zum Präsidenten und dessen Unterstützung durch Wiranto, bei gleichzeitigem Außenvorlassen Suhartos, ermöglichte die notdürftige Reparatur der zerschlagenen Kommandostränge innerhalb der Streitkräfte. Unter dem schwachen Präsidenten Habibie konnte Wiranto die Führung des Mabes ABRI durchsetzen, die durch die Suhartoisierung verloren gegangen war.

Was ist Kopassus? Mit Beginn des Einmarsches sowjetischer Truppen in Afghanistan ist im Bereich der US Army, an der sich ABRI seit den frühen sechziger Jahren orientiert, die taktische Destabilisierung von Feindgebieten unterhalb der Ebene des Krieges auf niedrigem Niveau (low-level) eine Aufgabe von Kommandotruppen oder Kommandospezialeinheiten (KSK). Kopassus ist das indonesische Äquivalent der KSK. Ihre kleinen, in taktische Gruppen aufgeteilten Einheiten bewegen sich im zivil-militärischen Grenzbereich der unterschwelligen, verdeckten Kriegführung. Neben Aufklärung und Destabilisierung sorgen sie als rapid action force auch für Lagestabilisierung etwa durch die Beseitigung der führenden Köpfe von Protest- und Widerstandsbewegungen, wie geschehen mit der Entführung und Ermordung von Studentenaktivisten im ersten Halbjahr 1998. Einsatzraum der Kopassus ist das eigene Land. Ihr Auftrag basiert auf dem Konzept des counterinsurgency (CI) warfare, der Aufstandsbekämpfung gegen subversive Guerillakämpfer, wobei keine prinzipielle Unterscheidung zwischen zivilen und (para-)militärischen Kräften gemacht wird. CI warfare ist ein totaler Krieg, der den Feind verdeckt überall in der Bevölkerung vermutet. ABRI übernahm in den frühen sechziger Jahren Konzept, Strategie und Organisationsmuster von der US Army. Während diese jedoch nach dem Vietnam-Krieg langsam davon abrückte, blieb ABRI ihm treu verhaftet. Die blutigen Folgen werden täglich aus Aceh, Irian und Ost-Timor berichtet.

Interne Konsolidierung Wirantos Bemühen zur Demontierung der Kopassus, die sich als herrenlose Truppe (pasukan tak bertuhan) gezeigt hatte, zeigt sich langfristig an der Aufstellung der PPRM (Pasukan Penindak Rusuh Massal) im März 1999, die nominell zur Bekämpfung von Unruhen eingesetzt wird. Sie vereint Einheiten von Kostrad, Brimob (mobile Einsatzpolizei), Marineinfanterie und Paskhas (Sondertruppen der Luftwaffe) unter Polizeiführung und ersetzt abgezogene Kopassus-Einheiten aus Aceh und Ost-Timor. Die Polizeikräfte PPRM und Brimob erfüllen besonders in Aceh zur Zeit dieselben Kampfaufgaben, die zuvor der Kopassus anvertraut waren. Kopassus war regional immer auf die örtliche Territorialstruktur der Wehrbereiche (Kodam) angewiesen. Die im Mai 1999 begonnene Erhöhung der Zahl der Kodam von neun auf siebzehn, ohne gleichzeitige Erhöhung ihrer Personalstärke, ist als eine Entmachtung und Bestrafung zu werten.

Ballast abwerfen Die Streitkräftereform von 1982-1985 führte zu vielfältigen inneren Spannungen unter den Streitkräften (Heer, Marine, Luftwaffe) und der Polizei, die aus der de facto übergeordneten Position des Heeres in der Kommandostruktur und seiner Bevorzugung bei finanziellen Allokationen erwuchsen. Die Überlappung von Aufgaben der inneren Sicherheit zwischen Heer und Polizei führten zu Animositäten, die sich zuletzt im September in Pontianak in bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Einheiten des Heeres und der Bereitschaftspolizei entluden. Die Ausgliederung der nationalen Polizei (Polri) aus dem Mabes ABRI, und die angekündigte temporäre Unterstellung unter das Verteidigungsministerium am 1. April 1999 ist ein Akt des Abwerfens von organisatorischem Ballast und gibt der Polizei die Möglichkeit zur Konzentration auf ihre eigentliche Aufgabe, der Sicherung der Bürger vor Gewalt und Kriminalität. Die Umbenennung der ABRI zu TNI, der alten Sammelbezeichnung für Heer, Marine und Luftwaffe, ist jedoch eher ein Schritt der Imageverbesserung angesichts der unter dem Namen ABRI begangenen und aufgedeckten Greueltaten der letzten dreißig Jahre, als eine Reflexion einer neuen organisatorischen Wirklichkeit. Die Polizei untersteht weiterhin militärischem Befehl, zumal der TNI-Kommandierende und der Verteidigungsminister mit General Wiranto ein- und dieselbe Person sind. Das indonesische militärische Ausbildungssystem produziert seit Jahrzehnten einen Überschuß an Offizieren. Eine beträchtliche Zahl von Offizieren gelangt nie in militärische Führungspositionen, sondern wird als karyawan ABRI auf hohe zivile Dienstposten in der staatlichen Verwaltung und in Staatsbetrieben abkommandiert. Obgleich sie nominell Mitglieder der Armee bleiben, stehen sie doch außerhalb der militärischen Befehlsgewalt und unterliegen den vielfältigen Versuchungen der Korruption in ihren zivilen Positionen als Regierungs- und Verwaltungsschefs in den Ämtern und Betrieben. Sie schwächen die interne Kohäsion der Armee und machen sie anfällig für äußere Einflüsse. Die eingeleitete Abschaffung dieser Dienstposten wird die Notwendigkeit neuer Rekrutierungs- und Ausbildungskriterien für den Offiziersnachwuchs aufwerfen.

Das neue Milizsystem Die zahlenmäßig kleine, sich exklusiv definierende indonesische Armee kann gegenüber 210 Millionen Zivilisten vor allem aufgrund ihres Waffenmonopols bestehen, das seit 1951 per Gesetz besteht. Mit dem Verteidigungsgesetz von 1982 wurde ABRI die rechtliche Möglichkeit zur Ausweitung ihres Personalbestandes über trainierte Zivilisten (Rakyat Terlatih, Ratih) gegeben. Sie werden zumeist für polizeiliche Aufgaben rekrutiert. Neben den offiziellen Ratih wurden seit 1985, und in enger Verbindung mit der Restrukturierung der Kopassus in jenem Jahr, inoffizielle Milizen aufgestellt. In urbanen Gebieten bilden bestehende kriminelle Organisationen wie Pemuda Pancasila den Kern, die sich als Wach- und Schließgesellschaften, Geldeintreiber sowie über Prostitution und Straßenkriminalität selbst finanzieren. Sie werden im Einsatzfall von verdeckt arbeitenden Kopassus-Männern gesteuert. Die Studie der indonesischen Wissenschaftsbehörde LIPI zur soziopolitischen Rolle der ABRI von 1997 kategorisiert den Einsatz von Milizen als proxy war (Handlangerkrieg). Beobachter und Zeugen führen die Unruhen in Jakarta und anderen urbanen Gebieten auf diese verdeckt arbeitenden Milizen zurück. Das Militär bestreitet regelmäßig Beziehungen zu diesen Organisationen. In Kriegsgebieten, vor allem in Aceh und Ost-Timor, wurden paramilitärische Milizen vom Militär, namentlich von Kopassus, gegründet, trainiert, finanziert und bewaffnet. Sie werden fast ausschließlich für Kampfaufgaben eingesetzt und bedienen sich der Einrichtungen der örtlichen Heeresterritorialstruktur (Kodam). Rekrutierte Milizen sind eine gefährliche Waffe, die sich leicht gegen ihren Herren richten kann. Sie sind nicht in die militärische Disziplin eingebunden und arbeiten als Söldner für ihre eigenen Zwecke. Auch stellt sich die Frage, was nach dem Ende ihrer Nützlichkeit mit den Milizen geschehen soll. Die meisten werden ins kriminelle Milieu zurückkehren, einige als Wachmänner (Satpam) Arbeit finden. In den achtziger Jahren wurden organisierte Stadtkriminelle (gali-gali), die der militärischen Kontrolle entglitten waren, von Teams der Kopassandha, der Vorläuferorganisation der Kopassus, zu tausenden umgebracht. Die verdeckte Arbeit der Milizführung stellt ABRI vor das Dilemma, gezielte Destabilisierung qua proxy war sowohl zu initiieren, zu lenken und nach erfülltem Auftrag zu beenden, ohne den Mantel des Schweigens und der Abstreitbarkeit (deniability) der eigenen Handlungen zu durchbrechen.

Ost-Timor, Aceh und die Seepassagen Die nationale Sicherheitspolitik wurde im Verlauf dieses Jahres de facto von den Streitkräften übernommen. Militäroperationen in den Außenregionen Indonesiens jedoch dienen nicht allein dem Ideal der Verteidigung der staatlichen Einheit. Die Position der Streitkräfte in Indonesien ist an die geopolitische Lage des Landes im Schnittpunkt der zentralen See- und Schiffahrtspassagen in Südostasien gebunden. Die Spannungsgebiete, in denen ABRI/TNI operativ tätig ist, liegen an den zentralen See- und Schiffahrtspassagen. Aceh beherrscht die nördliche Einfahrt zur Malakkastraße, Ost-Timor und Ambon liegen an der wichtigen Nord-Süd-Passage zwischen Australien und Nordasien. Bereits der Verlust einer Seepassage durch den Wegfall einer angrenzenden Provinz macht Indonesien für regionale geostrategische Erwägungen entbehrlich. Indonesien könnte umgangen werden. In einem solchen Rest-Indonesien ließe sich die herausragende Stellung der Streitkräfte auch innenpolitisch nicht mehr halten. ABRI/TNI kämpft in Aceh, Ost-Timor und Irian um ihre eigene privilegierte Existenz.

Die politische Möglichkeiten der Streitkräfte Die politische Macht der Streitkräfte definiert sich über ihre Präsenz im Parlament (DPR) und im Volkskongreß. Ihre 38 Abgeordnetensitze - 7,6% aller Sitze - in der DPR sind gesetzlich vorgegeben. Die ABRI/TNI-Fraktion ist gewichtig genug, um bei allen Parlamentsentscheidungen mitbestimmen zu können. Die eigentliche Machtbasis der ABRI/TNI ist aber weiterhin die territoriale Präsenz, die landesweite Organisationsstruktur, die Kotama und die operativen Nachrichtendienste. Die Präsenz in den Parlamenten ist für die politische Einflußnahme nicht so wichtig, solange die Streitkräfte weiterhin losgelöst von staatlicher Einflußnahme eine halbwegs solide Organisation mit nationalem Waffen- und Gewaltmonopol bleiben, die ihre Interessen auch über weniger öffentliche Kanäle in den Regierungen und Verwaltungen aller Ebenen Indonesiens vorbringen und durchsetzen kann. Weiterhin kann keine Regierung und Staatsverwaltung an den Streitkräften als Staat im Staate Indonesien vorbei.

Glaubwürdigkeit und Friedensfähigkeit

Für die Zukunft wird eine entscheidende Frage sein, welche Glaubwürdigkeit die Streitkräfte besitzen, und was sie eigentlich wollen. Ein kohärentes Politikprogramm der Streitkräfte ist noch nicht bekannt geworden. Können sie ein verläßlicher politischer Partner sein, der nicht auf sein Gewaltmonopol zurückgreift, wenn es ihm notwendig erscheint? ABRI/TNI ist eine militärische, und keine politische Organisation. Seit ihren Anfängen als Guerillaarmee ist TNI-ABRI eine militärische Organisation mit einer eigenartigen Doppelordnung geblieben. Persönliche Beziehungen von Loyalität und Patronage, von bapak, dem väterlichem Kommandeur und seinen anak buah, seine sohnesgleichen Untergebenen, bilden eine Organisationsbasis, denen universale militärische Prinzipien von Führung, Befehlsketten und Kommandoverantwortlichkeiten merkwürdig übergestülpt erscheinen. Im Zweifel entscheiden immer noch Führungspersonen, und nicht Institutionen und Prinzipien. Auch die historisch gewachsene Tradition der Handlungsmuster der ABRI/TNI, auch und besonders die Weise ihrer Kommunikation, sind der Guerillakampfführung treu geblieben. Der unerwartete Angriff aus dem Hinterhalt, taktisch-strategische Rückzüge, Geduld und langer Atem bei der Verfolgung der gesetzten Ziele, und besonders der Einsatz des militärischen Prinzips der Täuschung, die keine moralische Konnotation besitzt sondern rein strategischen Gesichtspunkten folgt, sind regelmäßige Muster der militärischen Seite in der Kommunikation mit der Gesellschaft und der Welt als Ganzes. Die Beurteilung der Handlungen und kommunikativen Akte der ABRI aus militärischer Sicht ist ebenso sinnvoll, wie das politische Wirken der Streitkräfte als Kriegführung zu begreifen. Die Unregelmäßigkeiten und Willkürlichkeiten der Maßnahmen der ABRI sind aus militärischer Perspektive besser nachvollziehbar. Denn in einem umgekehrten clausewitzschen Sinne war und ist für ABRI/TNI die Politik die Fortsetzung der Kriegführung mit anderen Mitteln. Gute Absichten von vermuteter oder tatsächlicher Täuschung seitens der ABRI zu unterscheiden erfordert Verifikationsmaßnahmen, die den jeweiligen Grad ihrer Glaubwürdigkeit offenlegen. Dafür muß sich ABRI/TNI öffnen und Transparenz schaffen, was die Armee bislang immer abgelehnt hat. Die Wahlen vom 7. Juni und die UNAMET Mission der UN kommen hierbei einem Dammbruch gleich. Erstmalig wurden innere Angelegenheiten Indonesiens der Öffentlichkeit national und international zugänglich gemacht. ABRI/TNI wird sich langfristig darauf einstellen müssen, über ihre Handlungen der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen.

Politische Rolle in der Zukunft

Die Zukunft wird den Streitkräften unausweichlich einen neuen Auftrag stellen. Mit wachsendem Antagonismus in weiten Teilen der Gesellschaft zu ihrem selbstgestellten Auftrag der Doppelfunktion und der fehlenden regionalen und globalen militärstrategischen Notwendigkeit einer Dwi Fungsi, bleibt allein die profesionalisasi, die Beschränkung auf den Auftrag zur äußeren Landesverteidigung, als realistische Option für die Zukunft der ABRI/TNI. <>

 
 
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