Indonesien Information Nr. 3/1999 (Demokratie)

Demokratie? Welche Demokratie?

von Petra Stockmann

Nach den Wahlen am 7. Juni 1999 waren ausländische Politiker schnell dabei, Indonesien im Club der Demokratien willkommen zu heißen. So sagte der australische Premier John Howard, die Wahl sei eine "Feier der Demokratie" gewesen, und Jimmy Carter, der ein Team von 100 Wahlbeobachtern leitete, erklärte, nun sei Demokratie nach Indonesien gekommen /World Socialist, 12.6.99/. Die Wahlen waren sicher die "freisten und fairsten" (wenn man so einen Superlativ hier benutzen will) der letzten Jahrzehnte, und gaben dem überwiegenden Teil der indonesischen Bevölkerung die lang erwartete Möglichkeit, ihrer politischen Präferenz Ausdruck zu verleihen. Eine positive Entwicklung, keine Frage - und dennoch... Daß obige Einschätzungen bestenfalls voreilig waren und mehr über die Agenda derjenigen aussagen, die diese äußerten, als über die Situation in Indonesien, darauf weist beispielsweise Pramoedya Ananta Toer in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau /12.7.99/ sehr pointiert hin: "Ich habe diese Wahlen von vornherein abgelehnt. Ich glaube nicht, daß sie fundamentale Veränderungen, die uns einer Demokratie näher bringen, anstoßen werden. Was ist davon zu halten, wenn der gleiche Apparat, der jahrzehntelang die Menschen unterdrückt hat, jetzt für die Organisation der Wahlen verantwortlich ist? Das ist untragbar. Im Rest der Welt sind die Wahlen in den Medien anders wahrgenommen worden. CNN zeigte den Wahlbeobachter Jimmy Carter, wie er sich vom ordnungsgemäßen Zustand der Vorhänge an den Kabinen überzeugte. Als ehemaliger US-Präsident war und ist Jimmy Carter auch ein Vertreter der Interessen der US-amerikanischen Wirtschaft. Das darf man nicht vergessen." Desweiteren berichtet Pramoedya Ananta Toer, daß sich Carter gern mit ihm vor den Kameras in Jakarta präsentiert hätte. Doch Toer lehnte dies ab "Ich wollte mich nicht händeschüttelnd mit Carter zeigen, um so zu signalisieren: Alles in Ordnung." /ibid./

Demokraten, wohin man schaut

Doch nicht nur ausländische Beobachter und Politiker reden viel über Demokratie - oder, die Vorsichtigeren, über den Weg dorthin, über Demokratisierung: auch unter den Politikern in Indonesien - wie fast überall auf der Welt - gibt es heute, so scheint's, nur noch Demokratinnen und Demokraten, denn kaum jemand, der auf der globalen politischen Bühne ernstgenommen werden will, kann es sich heute noch leisten, sich nicht als Jünger einer wie auch immer gearteten Demokratie auszugeben. So hören wir denn nicht nur von reformorientierten Kräften, sondern auch von Repräsentanten des alten Regimes viel zum Thema. Noch-Präsident Habibie etwa sieht sich natürlich als Demokrat und äußert sich dergestalt /Interview mit Straits Times, 14.07.99/. Und General Wirantos neuerliche Ergüsse über Demokratie in Indonesien sind wahrlich vielsagend. So läßt der Noch-Verteidigungsminister und Oberkommandierende der Streitkräfte, der wie so viele Vertreter der politischen Elite auf ein hohes, wenn nicht gar das höchste Amt im Staate schielt, während ihm unterstehende Truppen weiter morden und foltern, verlauten, das Militär würde Demokratisierungsprozesse in Indonesien vor inneren und äußeren Bedrohungen schützen: "Die Zukunft der Nation und der Kampf für Demokratie werden auf unseren Schultern ruhen. Wir tragen die Hauptverantwortung für den Erhalt der nationalen Einheit auf unserem Weg zu einem demokratischen, sicheren und wohlhabenden Neuen Indonesien" /Jakarta Post, 1.8.99/. Und Megawati Sukarnoputri, die vor dem Hintergrund des relativen Wahlsieges ihrer Partei in ihrer populistischen Rede - mit der sie am 29. Juli ihr langes Schweigen nach der Wahl brach - deutlich den Anspruch auf die Präsidentschaft erhoben hat, rekurriert immer wieder auf die Volkssouveränität, die Ausdruck in den Wahlen gefunden habe, und bezeichnet Indonesien als die drittgrößte Demokratie der Welt /englische Übersetung, Homepage der Jakarta Post/. Volkssouveränität, Demokratie - wohlklingende Schlagworte, die ihrer Bedeutung entleert zu sein scheinen, da sie so willkürlich interpretiert werden. Auch in der Politikwissenschaft wird viel über Demokratiedefinitionen gestritten, ja, es gibt keine allseits akzeptierte Definition der den politischen Diskurs des ausgehenden 20. Jahrhundert beherrschenden Staatsform. Zwischen der minimalistischen Definition in der eltitären Demokratietheorie und eher maximalistisch, normativ orientierten Vorstellung der kritischen, partizipatorischen Demokratietheorie liegen Welten. In ersterer wird dann auch häufig auf Joseph Schumpeters Demokratiedefinition rekurriert: "Die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institution zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben." (1) Ob - zugespitzt und zynisch formuliert - Jimmy Carter oder eher Pramoedya Ananta Toer Recht hat mit seiner Einschätzung; ob sich eher Habibie oder der noch immer inhaftierte Vorsitzende der aber zu den Wahlen zugelassenen PRD (Partai Rakyat Demokratik, People's Democratic Pary) Budiman Sudjatmiko "zu Recht" als Demokrat bezeichnet, dies sind also Fragen, deren Beantwortung letztlich immer davon abhängt, welcher Begriffsinhalt zugrundegelegt wird. Und der ist in der Politikwissenschaft - so scheint es - bald ebenso umstritten wie in der Politik.

Tausche Unterschrift gegen Parlamentssitz

Eine der wenigen guten Nachrichten, die dieser Tage aus Indonesien zu hören sind, ist, daß es nun endlich, endlich ein amtliches Endergebnis gibt. Auch wenn dies in nicht gerade demokratischer Manier vom Übergangspräsidenten höchst persönlich festgestellt werden mußte, da in der Allgemeinen Wahlkommission (Komisi Pemilihan Umum, KPU) aufgrund des Boykotts verschiedener kleiner Parteien, die keine Parlamentssitze erringen konnten, keine Zweidrittelmehrheit für die Bestätigung des Auszählungsergebnisses vom 26. Juli erzielt werden konnte. - Kleine Bemerkung am Rande: Einige Parteien hätten allerdings ihre Unterschrift gegeben, wenn sie dafür mit einem Sitz im Parlament belohnt worden wären /FR, 27.7.99/. - Habibies Erklärung hat somit nun einem langen Prozeß ein Ende gesetzt. Waren die Wahlen frei und fair? Die ausländischen Wahlbeobacher haben im allgemeinen recht schnell erklärt, daß dies der Fall gewesen sei. Todung Mulya Lubis, Leiter der 1997 gegründeten unabhängigen Wahlbeobachtungsorganisation KIPP und gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der staatlichen Wahlbeobachtungskommission (Panwaslu) äußerte diesbezüglich gegenüber dem Guardian: "Alle ausländischen und lokalen Wahlbeobachtungskommissionen haben der Wahl ihr OK gegeben. Es scheint, daß die meisten Vorkommnisse eher Fehler im Management waren als absichtliche Manipulation." /Guardian, 27.7.99/ Diese Einschätzung wird nicht von allen geteilt. Sri Bintang Pamungkas, Vorsitzender von PUDI (Partai Uni Demokrasi Indonesia, Indonesian Democratic Union Party), beispielsweise äußerte: "Zumindest sollten diese Wahlen als unfair bezeichnet werden" /Indonesian Observer, 22.7.99/. In verschiedenen Regionen wurden immer wieder Forderungen geäußert, die Wahlen zu wiederholen. Von Ost-Timor und Aceh ganz zu schweigen. Vorwürfe von Stimmenkauf und Einschüchterung wurden insbesondere gegen Golkar laut. Und von verschiedener Seite ist gefordert worden, Golkar wegen grober Wahlmanipulationen von den Wahlen zu disqualifizieren. Traurige Publizität erlangten diese Forderungen am 1. Juli dieses Jahres: Während einer Demonstration der PRD eröffnete die Polizei das Feuer, als Demonstranten versuchten, in das Büro der KPU zu gelangen, um ihren Forderungen nach einer Disqualifizierung von Golkar Nachdruck zu verleihen. Dutzende Demonstranten erlitten so schwere Verletzungen, daß sie ins Krankenhaus einliefert werden mußten, als Brimob und andere Polizeieinheiten wahllos mit Gummigeschossen in die Menge feuerten /Jakarta Post, PRD Presseerklärungen/. Dies zeige deutlich, so kommentierte George Aditjondro, daß die Polizei, obwohl sie formal seit April vom Militär getrennt ist, - und man könnte ergänzen: trotz neuem, liberaleren Demonstrationsgesetz - noch immer nicht wisse, wie mit friedlichen Demonstrationen in einer gewaltfreien Art und Weise umzugehen sei /George Aditjondro: The aftermath of the June 7th, 1999 Indonesian general election and its implications; tapol-mailinglist/. "A bloody anniversary" titelte die Jakarta Post, denn diese Ausschreitungen fanden am 53. Geburtstag der Nationalen Polizei statt /Jakarta Post, 5.7.99/. Tags drauf veranlaßte Habibie die Freilassung von Dita Indah Sari, führendes PRD-Mitglied und Vorsitzende der unabhängigen Gewerkschaft PPBI (Center for Indonesian Workers Struggle) - ein recht auffälliges timing für eine lange von Menschenrechtsorganisationen ebenso wie von der ILO geforderte Freilassung /ai-, PRD-Presseerklärungen/. - Ende Juli wurde mit Anom Astika ein weiteres führendes PRD Mitglied aus der Haft entlassen /Green Left Weekly, 4.8.99/.

Mit weniger Stimmen mehr Sitze? - Das indonesische Wahlsystem

Wie auch immer man die Wahlfälschungen einschätzen mag, Golkar hat trotz allem zumindest stimmenmäßig - mit einem Anteil von 23,7 Millionen Stimmen (22,5%) - die Wahl nicht gewonnen, und die Anwesenheit von Hundertausenden von Wahlbeobachtern in ganz Indonesien hat sichergestellt, daß Wahlfälschungen dokumentiert und zumindest im Land selbst breit publiziert wurden. Die PDI-P ist mit 35,7 Millionen Stimmen (33,7%) klare Gewinnerin der Wahl (Angaben nach Daten des Generalkonsulats in Hong Kong, die auf KPU- und JP-Homepages verweisen). Ob dies nun jedoch auch dazu führt, daß Megawati Sukarnoputri in das höchste Staatsamt gewählt wird, ist damit allerdings noch längst nicht entschieden. Wer die Präsidentschaft innehaben wird, darüber wird die erst im November zusammentretende Beratende Volksversammlung (MPR) entscheiden.

Vorläufige Sitzverteilung im Parlament:

Partai Demokrasi Indonesia-Perjuangan (PDI-P) - Indonesia Democracy Party-Struggle:
154
Golkar
120
Partai Kebangkitan Bangsa (PKB)-National Awakening Party
51
Partai Persatuan Pembangunan (PPP)--Unity Development Party
39
ABRI
38
Partai Amanat Nasional (PAN)-National Mandate Party
35
Partai Bulan Bintang (PBB)--Crescent Star Party
2
Partai Keadilan (PK)--Justice Party
1
Partai Keadilan dan Persatuan (PKP)-Justice and Unity Party
6
Partai Demokrasi Indonesia (PDI)-Indonesian Democracy Party
3
PDR Partai Daulat Rakyat (PDR)-People's Sovereignty Party
2
Partai Syarikat Islam Indonesia (PSII)--Indonesian Islamic Union Party
1
Partai Nasional Indonesia-Massa Marhaen (PNI-MM)--Indonesian National Party- Massa Marhaen
1
Partai Nasional Indonesia-Front Marhaenis (PNI-FM) --Indonesian Nationalist Party-Marhaenist Front
1
Pool 1: PUI, PKU, PPP, PSII-1905, PPIM, PBB, PK, PNU
40
Pool 2: PADI, PDKB, PBI
4
Quelle: Generalkonsulat Hong Kong, mit Verweis auf KPU- und Jakarta Post-Homepages/ (4)

Betrachten wir vor dem Hintergrund der Frage nach Demokratie/Demokratisierungsprozessen in Indonesien die Zusammensetzung von MPR und Parlament (DPR) etwas genauer. Die weitere Anwesenheit von Militärs im Parlament ist undemokratisch - da werden sich alle einig sein, auch Anhänger einer Minimaldefinition von Demokratie. Weitergehende Kritik an den Wahlgesetzen, die im Januar 1999 verabschiedet wurden, ist in unterschiedlichem Maße geäußert worden - deren Bewertung ist jedoch wieder vom jeweiligen Demokratiebegriff abhängig. Noch immer sitzen also 38 ernannte Vertreter des Militärs in der DPR - reduziert von vormals 75 -, das heißt, 8% der Sitze gehen auch in der nächsten Legislaturperiode an die Streitkräfte. In der MPR beläuft sich die Zahl der ernannten Vertreter sogar auf 34%, denn hier sitzen neben den 500 DPR-Repräsentanten 135 ernannte Repräsentanten der Provinzen (2) und 65 von der KPU ernannte Vertreter sog. funktionaler Gruppen (3). Das für politische Beobachter zunächst recht verwirrende Wahlsystem basiert auf einem Verhältniswahlrecht auf der Ebene der Provinzen, das heißt, jeder Provinz ist eine bestimmte Anzahl von Stimmen zugeordnet, wobei die Zuordnung zugunsten der Äußeren Inseln angelegt ist: So hat zum Beispiel Jakarta, dessen Bevölkerung zwar fast fünfmal so groß ist wie die Irian Jayas, mit seinen 18 Sitzen aber nur 5 mehr als als letztere Provinz. Daraus erklärt sich, daß Golkar, die knapp 24 Mio. Stimmen - aber eher auf den Äußeren Inseln - gewann, mit 120 Repräsentanten in der DPR vertreten sein wird, während die PDI-P mit fast 50% mehr Stimmen als Golkar (35,7 Mio.) nur 34 Sitze (also etwa 28%) mehr erhalten wird als ihre Hauptrivalin. Auf ein weiteres Problem weist George Aditjondro in dem oben zitierten Artikel hin: Parteien dürfen nicht friedlich für eine Loslösung von Indonesien eintreten, und eine regionale Agenda wird darüber hinaus durch die Vorgabe erschwert - und in den meisten Fällen verhindert -, daß eine Partei, um an der Wahl teilnehmen zu können, in mindestens neun der 27 Provinzen vertreten sein muß. Dies, so Aditjondro, hindere Bürgerinnen und Bürger der Äußeren Inseln, deren jeweilige Anzahl an Provinzen immer kleiner als neun ist, daran, für eine größere Kontrolle über ihre Ressourcen einzutreten. Desweiteren verhindert eine 2% Sperrklausel nicht nur, daß kleine Parteien den Einzug ins Parlament schaffen, sondern auch, daß diese bei den nächsten Wahlen überhaupt wieder antreten können. Die Möglichkeit für kleine Parteien, Stimmen zu poolen, ist gegeben, mußte aber vor der Wahl angemeldet werden. Die KPU hat zwei solche Pool-Arrangements (Stembus akoords) akzeptiert /Jakarta Post und Detik Homepage/.

Die Tatsache, daß Megawatis PDI-P mit ihren 154 Sitzen weit - um genau zu sein 197 Stimmen - von einer absolten Mehrheit in der MPR entfernt ist, hat zu einem Koalitionsgerangel sondergleichen in der Nachwahlzeit geführt, während dessen Megawati sich allerdings in Schweigen hüllte - absichtlich, wie sie ihre Anhänger nun wissen ließ, denn: "Mein Schweigen war beabsichtigt, eine strategische Entscheidung, um unsere sumpfige politische Umgebung zu konfrontieren, die in Intrigen ertrinkt, welche gesponnen werden, um uns alle bezüglich der wahren Ziele der Reformbewegung zu verwirren." /Rede, Jakarta Post-Homepage/

Elitäre Machtspielchen

Es würde zu weit führen, hier nachzeichnen zu wollen, was in den letzten zwei Monaten durch die Presse ging, wer mit wem und mit wem lieber doch nicht eine Koalition bilden will. Kaum eine der führenden Persönlichkeiten, die oder der sich nicht zur Kandidatin bzw. zum Kandidaten für das höchste oder wenigstens ein hohes Amt im Staate hätte küren lassen - oder sich zumindest nobel als Kompromisskandidat angeboten hätte. Neben den Hauptrivalen Megawati und Habibie sind Gus Dur (Abdurrahman Wahid), Amien Rais, General Wiranto und Sultan Hamengkubuwono X Prominente im Spiel um die Macht. Einige Punkte des Koalitionsgerangels sind jedoch erwähnenswert: Da ist zunächst einmal das Thema Instrumentalisierung der Religion. Das ist ja nichts Neues, auch Suharto hat schon versucht, daraus politisch Kapital zu schlagen - vergeblich, wie sich nun ja gezeigt hat. In diesem Zusammenhang ist das Manöver allerdings nur gar zu leicht zu durchschauen, und das islamische/islamistische Lager ist gespalten in der Frage, ob eine Frau das höchste Staatsamt bekleiden sollte bzw. darf. Wenn jedoch, wie in der Jakarta Post am 27.6.99 berichtet, nicht nur Führer dezidiert islamischer Parteien, sondern auch Abdurrahman Wahid, der bisher immer scharfe Warnungen gegen eine Instrumentalisierung von Religion und gegen eine Konfessionalisierung von Politik ausgesprochen hat, nun auch verlauten läßt, daß das Land nicht bereit sei für eine Präsidentin, daß er seine ulema nicht geschlossen hinter seiner eigenen Position der Unterstützung Megawatis wüßte, dann ist das m.E. eine bedenkliche Entwicklung. Besonders vor dem Hintergrund, daß andernorts in Indonesien Konflikte entlang religiöser Identitäten ausgetragen werden, und es deshalb besonders wichtig wäre, einer (weitergehenden) Instrumentalisierung von Religion in diesen Konflikten und generell entgegenzuwirken. Ein anderer interessanter Aspekt ist die von Gus Dur mehrfach ins Spiel gebrachte Teilung der Macht - und sei's nur drum, um für die führenden Köpfe der Elite Posten und Pöstchen zu schaffen: "Meiner Ansicht nach sollte, wenn dies akzeptiert wird, Mega Präsidentin werden, ich werde der Sprecher der Beratenden Volksversammlung und Amien der Sprecher der DPR" /Jakarta Post, 7.7.99/. Zuvor war darüber hinaus schon berichtet worden, daß Gus Dur gegenüber Vertretern des Internationalen Währungsfonds (IWF) den Vorschlag geäußert habe, den Posten des Premierministers wieder einzuführen, den die 1945er Verfassung nicht vorsieht /Business Times, 21.7.99/. Dies würde also eine Verfassungsänderung bedeuten. Damit ist ein Thema angesprochen, das Amien Rais mit Blick auf seinen Ruf als Reformer mehrfach als Vorbedingung für eine Koalition mit Megawati, die Verfassungsänderungen bisher abgeleht hat, gemacht hat. Aber selbst Habibie hat kürzlich Avancen in diese Richtung gemacht, als er vorschlug, die Macht der Präsidentin/des Präsidenten zu beschneiden /AP, 12.7.99/. War das möglicherweise einer der (Hinter-) Gründe für Gus Durs neuerliche Bemerkung, Habibie sei weniger konservativ, als viele Leute dächten, und hätte die Fähigkeit, sich zu ändern /Jakarta Post, 22.7.99/?

Demokratie à la Sukarno zum zweiten?

Eine Änderung der Verfassung ist für all diejenigen, die in Demokratie mehr sehen als eine Herrschaftsbestellung durch Wahlen, eine conditio sine qua non. Aber Megawati ist die Tochter ihres Vaters. Und Sukarno führte Indonesien nicht nur in die Unabhängigkeit und etablierte anschließend die erste (1945er) Verfassung, sondern er war es auch, der 1959 die Debatten in der Konstituante (Verfassungsgebende Versammlung) durch die Auflösung derselben per Präsidialdekret beendete und gleichzeitig die Provisorische Verfassung von 1950 - die, wie Todung Mulya Lubis schreibt, von vielen als eine "Menschenrechtsverfassung" angesehen wurde - durch die viel stärker autoritäre 1945er Verfassung ersetzte (5). Und es war auch Sukarno, der die "Alte Ordnung" der "Gelenkten Demokratie" etablierte. So sind dann Megawatis Ausführungen zum Thema Verfassungsänderung aufschlußreich und wert, genauer betrachtet zu werden. Sie beginnt in ihrer Rede ihre Rechtfertigung vor Angriffen, sie sei gegen Verfassungsänderungen, damit, daß sie feststellt, in der Tat sei für sie die Prämbel der Verfassung nicht verhandelbar. - In der Präambel wird die Staatsphilosophie Pancasila dargelegt. - Abgesehen davon könne aber jeder seine Ansichten und Forderungen vorbringen. Nichts sei perfekt. Trotzdem wolle sie daran erinnern, daß es genauso wichtig sei, alle Gesetze und politischen Maßnahmen zu überprüfen, um "festzustellen, ob die Gesetze, die nun in Kraft sind, wirklich mit dem Geist und dem Buchstaben der Verfassung in Einklang stehen" (sic!). Ob sie für oder gegen eine Verfassungsänderung sei, hinge vom jeweiligen Vorschlag und dessen Begründung ab. Es könnte aber sein, daß der jeweiligen Forderung auch durch Gesetzesänderung - also unterhalb der Ebene einer Verfassungsänderung - entsprochen werden könnte. Für sie als Demokratin sei es natürlich undenkbar, daß sie nicht jeden Standpunkt anhöre und respektiere, der Indonesien zu einem besseren Land machen würde. In Megawatis Ausführungen zeigt sich m.E. deutlich, besonders in dem oben zitierten Rekurs auf den Geist und den Buchstaben der Verfassung, der ja für sie schlußendlich doch Maßstab aller Dinge zu sein scheint, daß sie im Prinzip nach wie vor gegen eine Verfassungsänderung ist. In der Tat können eine Reihe von Veränderungen über Gesetze eingeleitet werden, denn die Verfassung ist ein so kurzes Dokument und verweist vielfach auf präzisierende Gesetze. Aber die Machtfülle des Präsidenten, der neben exekutiven auch legislative Befugnisse hat, ist durch einfache Gesetzesänderungen nicht einzuschränken. Auch was die Festschreibung von Menschenrechten und Grundfreiheiten angeht, ist die 1945er Verfassung sehr sparsam. Megawatis Ausführungen zu diesem Thema lassen also nicht gerade hoffen, daß eine weitgehende Reformagenda angedacht ist, und ihre Äußerungen werden viele enttäuschen. Sie wendet sich in ihrer Rede allerdings scharf gegen den von der jetzigen Regierung ins Parlament eingebrachten Gesetzentwurf über ein Integriertes Nationales Verteidigungssystem, daß von Reformkräften heftigst kritisiert worden ist. Nach Angaben der Jakarta Post, die darauf aufmerksam macht, daß nur wenige Details bisher darüber bekannt wurden, würde dieses Gesetz dem Präsidenten und dem Militär die Befugnis geben zu definieren, was eine nationale Bedrohung ausmacht, aufgrund dessen dann der Präsident bzw. die Präsidentin den Ausnahmezustand erklären kann /Jakarta Post, 23.7.99/. Megawatis scharfer Angriff auf diesen Gesetzentwurf - "Ich möchte darauf dringen, daß dieses Gesetz verschoben wird, bis das neue Parlament zusammengetreten ist. Wir sind darüber besorgt, daß, wenn dieses neue Sicherheitsgestz durchgepaukt wird, es von der jetzigen Regierung als legitimierendes Instrumentarium für weitere gewaltsame Akte des Staates gegen sein eigenes Volk benutzt werden wird." - relativiert sich meines Erachtens jedoch, wenn man ihre sehr zögerlichen Ausführungen zu Verfassungsänderungen liest. Denn in der Verfassung ist festgehalten, daß der Präsident Kriegsrecht erklären kann. Weiter wird dort ausgeführt, daß jedoch Gesetze festlegen, welche Fälle hierfür die Bedingung schaffen (Verfassung Artikel 12). Das neue Gesetz wäre also im Rahmen der Verfassung. Es würde eben Gesetze schaffen, die dem Präsidenten auch noch die Definitionsmacht einräumen. Wer also derartige Gesetze in Zukunft verhindern will, wird um eine Verfassungsänderung nicht herumkommen.

Volkssouveränität?

Wir haben den Faktor äußere Einflüsse bisher noch nicht thematisiert (wie so vieles andere, aber dieser Beitrag erhebt auch keinen Anspruch darauf, eine umfassende Analyse zu präsentieren). Die von Megawati in ihrer Rede so häufig beschworene Volkssouveränität mag nun nicht nur durch interne Faktoren - durch dwi fungsi etwa - beeinträchtigt werden. In der Ära der Globalisierung wird staatliche Souveränität - und damit einhergehend dementspechend Volkssouveränität - durch verschiedene andere externe Akteure stark eingeschränkt. So ist weltweit eine etwas paradoxe Entwicklung zu beobachten, nämlich, daß in einer Zeit, in der die Fähigkeit von Staaten bzw. Regierenden, souverän zu handeln, immer stärker abnimmt, gleichzeitg immer mehr Staaten entstehen, immer mehr Völker versuchen, ihrer Souveränität im Rahmen staatlicher Souveränität Ausdruck zu verleihen. Während alle Staaten diesen Souveränitätsverlust erfahren, ist dieser natürlich nicht für alle gleichermaßen stark. Diesbezüglich äußerte sich beispielsweise die prominente Beraterin Habibies, Dewi Fortuna Anwar, als sie auf einer Konferenz in Surabaya feststellte, in der heutigen Ära der Globalisierung gebe es so gut wie keinen innenpolitischen Bereich, der frei von internationalem Einfluß sei /Indonesian Observer, 21.7.99/. Entwicklungsländer haben ja von jeher vergleichsweise mehr Einschränkungen ihrer Souveränität hinnehmen müssen. Eine sehr deutliche Begrenzung staatlicher Souveränität, wenn auch nicht die einzige, wird der indonesischen Regierung durch ihre Abkommen mit Mitgliedern der Consultative Group on Indonesia (CGI) gesetzt. In dieser Gruppe sind, unter Vorsitz der Weltbank, Geberstaaten und -institutionen versammelt, von denen die größten Geberinstitutionen neben der Weltbank der IWF und die Asian Development Bank, die größten Geberstaaten Japan, die USA und die Bundesrepublik sind. Als kürzlich einer der wirtschaftspolitischen Berater Megawatis, Kwik Kian Gie, den Vorschlag äußerte, einen festen Wechselkurs für die Rupiah einzuführen, hat er sehr deutlich zu spüren bekommen, wie es um die wirtschafts- bzw. finanzpolitische Souveränität Indonesiens bestellt ist. Denn keinesfalls ist, wie Hubert Neiss, Asia and Pacific Director des IWF, gegenüber der Jakarta Post sagte, "die indonesische Regierung frei, den Vorschlägen des IWFs zuzustimmen oder nicht" /Jakarta Post, 20.6.99/. Wie das Asian Wall Street Journal berichtete, hat Stanley Fisher, Deputy Managing Director des IWF, Megawati umgehend wissen lassen, daß jede Abweichung von IWF-Vorgaben mit einer Verzögerung der Auszahlung der Gelder bestraft würde /Asian Wall Street Journal, 20.6.99/. Und Indonesien ist auf die Gelder, bei denen es sich ja bekanntlich nicht gerade um peanuts handelt, angewiesen. Ein anderer Bereich, wo deutlich Druck ausgeübt wurde - Druck, den Menschenrechtsorganisationen sich früher und umfassender gewünscht hätten (und nicht erst jetzt, wo Angriffe auch auf UNAMET-Mitglieder stattfanden) -, war in Bezug auf Ost-Timor. Hier drohten sowohl Vertreter der Weltbank als auch der Vereinigten Staaten der indonesischen Regierung, den Geldhahn zuzudrehen, wenn die Vorbereitungen für das Referendum in Ost-Timor weiter von den vom indonesischen Militär unterstützten Milizen obstruiert würden /World Socialist, 23.7.99/.

Ein "Megawati-Militär-Muslim Trio"?

Um auch mit Blick auf ausländisches Engagement und ausländische Interessen noch einmal George Aditjondro zu zitieren, der in seinem Artikel sehr pointiert die wichtigen Aspekte der Entwicklungen nach den Wahlen in Indonesien analysiert hat : "Die US Administration als Hauptverteidiger des globalen kapitalistischen Systems würden einen glatten Übergang zu einer Nach-Suharto Ära bevorzugen. So scheint es, daß sowohl die US-Administration als auch das Militär versuchen werden, ein Megawati-Militär-Muslim Trio zu formen, um die Bedürfnisse sowohl der Anhänger von Megawati als auch der muslimischen Massen, die Bedürfnisse des Militärs ebenso wie die der ausländischen Investoren zu befriedigen". Es wurde über Gerüchte bezüglich eines Deals zwischen Megawati und General Wiranto berichtet, wobei letzterer dafür das OK von Suharto haben soll /Reuters, 15.7.99, Business Week, 26.7.99/, was jedoch vom Sprecher der Streitkräfte gegenüber der Straits Times dementiert wurde: "Es ist falsch, irreführend, ohne Grundlage. Aber heute morgen beim Kaffee haben die Leute gut darüber gelacht." /Straits Times, 20.7.99/. Und die Ernennung des Oberkommandierenden der Seestreitkräfte, Admiral Widono, zum stellvertretenden Oberkommandierenden der Streitkräfte - ein Posten, der 12 Jahre lang nicht besetzt gewesen ist - ist weidlich so interpretiert worden, daß Wiranto ein hohes politisches Amt übernehmen wird /Reuters, 15.7.99, Jakarta Post, 17.7.99/. Reuters zitiert Quellen im Militär, die feststellen, Megawatis politische Vorstellungen seien mit denen des Militärs durchaus in Übereinstimmung /ibid./. Betrachten wir vor diesem Hintergrund noch einmal Megawatis Rede. Zur Beendigung der dwi fungsi, der Doppelfunktion des Militärs, sagt sie, sie stehe zur Ciganjur-Erklärung, jener Erklärung, die am 10. November 1998 als Ergebnis der Zusammenkunft von Megawati, Amien Rais, Gus Dur und Sultan Hamengkubuwono X auf Druck der Studenten zustande kam. Hierin erklärten die Unterzeichnenden u.a. - zur Enttäuschung der vor der MPR demonstrierenden Studenten - daß sie für einen allmählichen Rückzug des Militärs aus der Politik innerhalb von 6 Jahren eintreten. Obwohl Megawati bei der Thematisierung von Aceh in Tränen ausbrach, finden Menschenrechtsverbrechen des Militärs in ihrem Kapitel über die Streitkräfte keinerlei Erwähnung. Sie stellt in diesem Teil vielmehr hauptsächlich darauf ab, daß sie das schlechte Image der Streifkräfte verbessern will. Eine Vorstellung, mit der das Militär sicher gut leben kann. Desweiteren verlautbart sie: "Die Zeit ist gekommen, daß die Führer des Militärs sich auf ihre eigenen Anstrengungen konzentrieren, die Qualität ihrer sozialen Rolle zu verbessern (sic!), daß sie die Tatsache überdenken, daß ein zu starkes Engagement der Streitkräfte in der Politik nur dazu führt, daß sie ihre eigene Identität verlieren. Schlechte Entscheidungen haben in der Vergangenheit unser Militär gezwungen, zu akzeptieren, daß es als ein Instrument der Mächtigen und für deren weitere Ermächtigung benutzt wird." Hiermit und mit ihrer unnachgiebigen Haltung bezüglich.

   
 

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