Indonesien Information Nr. 3/1999 (Soziales)
Artikel des Sekretariat Bersama Perempuan Yogyakarta, Klarenda Nanninga in Zusammenarbeit mit Sih Handayani. Übersetzung aus dem Englischen.
Ein Jahr ist vergangen, seit die Wirtschaftskrise in Indonesien begann und es sieht so aus, als würde sie noch lange andauern. Für Millionen von Indonesiern ist das Leben nie einfach gewesen, aber jetzt wird es für einen Großteil der Bevölkerung noch härter. Viele Unternehmen sind bankrott gegangen oder mußten die Zahl Ihrer Mitarbeiter reduzieren. Als Konsequenz haben viele Menschen ihre Arbeit verloren. Ersparnisse sind bald erschöpft, so daß viele Indonesier nun um das Überleben kämpfen müssen. In den Städten ist es noch schlimmer als in den ländlichen Gegenden, wo das Gotong-royong (gegenseitige Hilfe)-Prinzip immer noch praktiziert wird. Der Einfluß der Krise ist immens, besonders für die Kinder aus armen oder Unterklasse-Familien. Die Kinder beginnen an Unterernährung zu leiden, besonders in Java, mit seiner hohen Bevölkerungsdichte, und in den Großstädten wie Jakarta. Die Preise für Nahrungsmittel haben sich verdoppelt oder sogar verdreifacht.
Mit einem reduzierten oder nichtexistenten Einkommen ist es für einen Großteil der Eltern unmöglich geworden, ihren Kindern eine ausgewogene und ausreichende Ernährung sicherzustellen. Der Milchpreis ist beispielsweise so hoch geworden, daß Babys und kleine Kinder keine ausreichende Menge an Milch bekommen, die lebenswichtig für ihr Wachstum und ihre Gesundheit ist. Innerhalb nur eines Jahres ist das Ergebnis sichtbar geworden. Die Kinder sind nicht genügend gewachsen und folglich sehr klein für ihr Alter. Als Ergebnis der unausgewogenen und nicht ausreichenden Ernährung, leiden die Kinder an einem Mangel an Vitaminen und anderer wichtiger Zusätze. Diese Unterernährung verursacht Gesundheitsprobleme. Das Dilemma wird noch größer, wenn ein Kind krank wird und Medikamente braucht oder sogar ins Krankenhaus muß. Für viele Menschen sind die Kosten für eine medizinische Behandlung viel zu hoch, was bedeutet, daß die Kinder keine richtige Behandlung ihrer Krankheiten bekommen. Die Eltern behelfen sich vielleicht mit traditionellen Heilern, aber das ist vielleicht nicht immer die adäquate medizinische Betreuung. Da sie keine richtige Ernährung bekommen, wird ihre Genesung erschwert. Es ist ein zerstörerischer Teufelskreis.
Ein weiteres Resultat der Wirtschaftskrise ist die Tatsache, daß viele Kinder aus den Schulen herausgenommen werden. Die Armen brauchen das gesamte Geld für Lebensmittel und andere Grundbedürfnisse. In der Folge bleibt wenig oder gar kein Geld für die Ausbildung ihrer Kinder mehr übrig. Schulgebühren, Schulutensilien und Bekleidung sind zu teuer geworden und viele Familien haben damit begonnen, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen, insbesondere Mädchen.
Typisch für ein patriarchalisches System, priorisieren die meisten Eltern in Indonesien die Schulausbildung ihrer Söhne gegenüber ihren Töchtern; ohne Rücksicht auf das Potential des jeweiligen Kindes. Mit Beginn der Rezession ist diese lebenslange Diskriminierung schlimmer geworden. Eltern versuchen, die Ausbildung ihrer Söhne so lange wie möglich fortzusetzen. Die Ausbildung der Töchter wird gerne aufgegeben, um finanzielle Probleme der Familie zu kompensieren. In zunehmendem Maße erreicht die Armut jedoch ein Ausmaß, daß die armen Familien gezwungen sind alle Kinder aus der Schule zu nehmen, egal welchen Geschlechts sie sind.
Wenn die Kinder nicht länger in die Schule gehen, beginnen viele damit, auf der Straße zu "leben", in der Hoffnung, etwas Geld zu verdienen, um ihre Familien zu unterstützen. Aber der Wettbewerb ist immens aufgrund der steigenden Zahl von Straßenkindern und das 'Einkommen' ist oft mager. An jeder Straßenecke und Kreuzung gibt es einige 'ngamen' (Kinder die singen, Instrumente spielen und betteln), Zeitungsjungen oder Kinder, die Autos und Motorräder an einer roten Ampel putzen. Das Einkommen ist nicht nur wegen der Konkurrenz niedrig, sondern die Leute sind auch nicht länger bereit, Geld auszugeben. Sie fühlen sich gestört, wenn sie ständig um Geld angebettelt werden und beunruhigt durch die gelegentlich aggressiven Annäherungen dieser Kinder, die Geld wollen.
Für die 'ursprünglichen' Straßenkinder, die nicht nur aus ökonomischen Gründen auf der Straße leben, ist das Leben besonders hart geworden. Vor der Krise konnten sie von dem Geld, das sie durch ihre Aktivitäten und Jobs auf der Straße verdienten, leben. Jetzt, wo viel mehr auf der Straße leben, sind ihre Einkünfte erheblich gesunken. Vor allem für die Straßenmädchen ist es besonders hart, hatten sie doch immer schon weniger Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Die Rolle der 'ngamen' war mehr oder weniger immer das Terrain von Jungen. Die Mädchen, die davon lebten, kleine, selbstgemachte Kunsthandwerk-Gegenstände zu verkaufen, sind nun gezwungen, andere Wege zu finden, um Geld zu verdienen, da das Material für Produkte zu teuer geworden ist. Die Optionen, die ihnen offenstehen, sind begrenzt, insbesondere, da sie nichts können, was sie auf dem Arbeitsmarkt anbieten könnten.
Als Konsequenz prostituieren sich immer mehr Mädchen. Das Leben auf der Straße bietet den Kindern eine schwierige Existenz; es ist gefährlicher geworden, vor allem in der Nacht für die Straßenmädchen. Es gibt mehr körperliche und sexuelle Gefahren. Straßenmädchen könnten Opfer von Männern werden, die ihren Frust über die augenblickliche ökonomische Krise an ihnen auslassen.
Die wirtschaftliche Situation hat auch Auswirkungen auf den Heimarbeitssektor. Die Arbeitsbedingungen für Kinder, die zu Hause arbeiten, waren nie gut und fair. Die Arbeitsbedingungen sind schlimmer geworden aufgrund der Wirtschaftskrise. Diese Kinder sind gezwungen, bei den Jobs zu bleiben, egal, wie schlimm ihre Situation und ihr Arbeitsplatz ist. Der Effekt der Rezession ist im ganzen Land spürbar, auch für die Arbeitgeber. Die Löhne der Heimarbeiter werden gekürzt und einen Bonus bezahlt zu bekommen, ist unwahrscheinlich. Der Frust über die Rezession kann dazu führen, daß die Arbeitgeber besonders ausbeuterisch zu ihren Heimarbeitern sind und sie mißhandeln.
Vor der Krise, gab es Heimarbeiter, die extra Geld für Kleidung, Transport nach Hause, Süßigkeiten während Idul Fitri (ein Fest, um das Ende der Fastenzeit zu feiern) bekamen. Es war eine willkommene Ergänzung für ihre gewöhnlich geringen Löhne. Nicht nur, daß sie dieses Geld nicht mehr bekommen, hat die Inflation auch dazu geführt, daß ihre Löhne viel weniger wert sind als früher. Hinzu kommt, daß die Abhängigkeit der Familie in den meisten Familien zugenommen hat. Die meisten Heimarbeiter sind die einzigen Geldverdiener in ihrer Familie. Andere geldverdienende Familienmitglieder stehen dem gleichen Risiko gegenüber, ihre Jobs zu verlieren, oder Gehaltskürzungen hinnehmen zu müssen. Die finanzielle Belastung junger Heimarbeiter nimmt so zu.
Da die wirtschaftlichen Probleme in Asien weitergehen, verzweifeln die Menschen und sind bereit, Dinge zu tun, die sie unter andern Umständen nie getan hätten. Beispielsweise hat eine Mutter die Jungfräulichkeit ihrer 13-jährigen Tochter für einen sehr geringen Preis verkauft, um ihre Schulden zu bezahlen. Nachdem der Mann die Jungfräulichkeit der Tochter genommen hatte, wollte er den vollen Preis nicht bezahlen. Die Mutter ging zur Polizei, um den Vorfall zu melden, der Tatsache nicht bewußt, daß sie auch ein Verbrechen begangen hatte - gegen ihre Tochter.
Sowohl der Mann als auch die Mutter des Mädchens wurden verhaftet. Unglücklicherweise sind die obengenannten Fälle nicht unüblich. Es gibt Eltern, die in ihrer Verzweiflung ihre Kinder verkauft haben, besonders junge jungfräuliche Töchter. Manchmal betrügen die Mädchenhändler die Eltern und wer weiß, wohin ihr Kind verkauft wird. Aber in anderen Fällen sind sich die Eltern wohl bewußt, daß ihr Kind in die Prostitution verkauft wird. Als Ergebnis der Wirtschaftskrise, die Indonesien getroffen hat, ist dies leider eine traurige Praxis geworden.
Das Trauma für die Kinder, von ihren Eltern verkauft zu werden, ist unvorstellbar; es zerstört ihre Leben und ihre Zukunft. Es heißt 'Kinder sind die Zukunft'. Doch was für eine Zukunft hat diese Generation der indonesischen Kinder? Sie werden ihrer Rechte als Kinder beraubt. Sie leiden an Unterernährung und haben keine Zugang zu Ausbildung. Viele werden gezwungen zu arbeiten und werden ausgebeutet und mißbraucht. Die Institution der Familie wird untergraben, wenn Eltern ihre Kinder verkaufen, um Schulden zu bezahlen oder zu überleben.
Der Einfluß der Wirtschaftskrise in Indonesien ist zerstörerisch und es gibt kein Zeichen der Verbesserung. Es droht den sozialen Sinn für Moral irreparabel zu zerstören, während die Menschen inmitten der wirtschaftlichen Turbulenzen, die über sie hereingebrochen sind, zu überleben versuchen. <>
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