Indonesien Information Nr. 3/1999 (Ost-Timor)

Kommentar: Sonnenfinsternis in der deutschen Außenpolitik

Von Monika Schlicher

Bereits zweimal sah sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan gezwungen, die Volksbefragung in Ost-Timor zu verschieben, für die nun der 30. August 1999 als Termin vorgesehen ist. Noch immer ist die Sicherheitslage derart angespannt, daß eine freie und faire Abstimmung nicht möglich ist. Ungehindert überziehen pro-indonesische Milizen das kleine Land mit ihren Terror- und Einschüchterungskampagnen. Nach Schätzungen von Hilforganisationen sind ca. 50.000 bis 80.000 Menschen vor der Gewalt der Milizen aus ihren Dörfern geflohen. Indonesisches Militär und Polizei greifen nicht oder nur zögerlich ein. Dabei sind sie diejenigen, die laut UN-Abkommen zwischen Portugal und Indonesien für die Sicherheit verantwortlich sind und die Entwaffnung der Milizen vornehmen sollen. Während die Regierung in Jakarta die Zusammenarbeit zwischen Milizen und indonesischem Militär vehement leugnet, versorgt selbiges die Milizen ganz offen mit Waffen. Dies wurde sowohl aus kirchlichen Kreisen, wie auch von den internationalen NGO-Wahlprozeßbeobachtern mehrfach bestätigt. Auch Mitglieder der berüchtigten Spezialeinheit Kopassus nehmen aktiv an Einschüchterungskampagnen teil. In beispielloser Weise wird tagtäglich gegen das UN-Abkommen vom 5. Mai 1999 verstoßen. Das Komitee für eine freie und faire Wahl, ein Zusammenschluß von ost-timoresischen Menschenrechts- und Rechtshilfeorganisationen, hat all diese Verstöße sorgfältig recherchiert und dokumentiert. Entstanden ist ein umfangreicher Bericht über die vielfältigen Verflechtungen zwischen Milizen, ost-timoresischer Verwaltung und Militär (Report on the Monitoring of the Ballot, May-June 1999, Committee for a Free and Fair Ballot, Dili, East Timor, 12 S. zu beziehen über Watch Indonesia!).

Indonesiens sonst so beredter Präsident Habibie zieht es vor, dazu zu schweigen. Außenminister Ali Alatas spiegelt Verwunderung über die erneute Verschiebung der Abstimmung vor und der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Wiranto, beteuert, es werde alles erdenkliche getan, um die vertraglich festgeschriebene Garantie der Sicherheit zu erfüllen. Derweil lassen seine Truppen und Spezialeinheiten die UN-Mission zur Lösung des Ost-Timor Konfliktes ins Leere laufen und setzen alles daran, daß der Status Quo erhalten bleibt.

Das indonesische Militär und seine lokalen Verbündeten fürchten, so Friedensnobelpreisträger Bischof Belo, eine freie Abstimmung zu verlieren. Deshalb setzen sie alles daran, die Menschen zu terrorisieren, um so sicherzustellen, daß sie es aus Angst nicht wagen werden, für die Unabhängigkeit zu votieren. Obwohl die Komplizenschaft zwischen Milizen und Teilen des indonesischen Militärs hinreichlich bekannt ist, verfängt sich die vom Ausland daran geübte Kritik in den Fußangeln, die in dem UN-Abkommen selbst gelegt sind: In dem Vertragswerk wurde das indonesische Militär zu einer neutralen Kraft erhoben, die es aber definitiv nicht ist. Die Provokationen seitens der Militärs und der indonesischen Regierung zeigen, wie wenig Bedeutung der Vertrag für sie hat. Nur das Ausland scheint diesen Vertrag als verbindliches Papier zu interpretieren.

Die nach Kräften bemühten Mitarbeiter von UNAMET (UN Mission in East Timor), stehen dem hilflos gegenüber. Die Milizen und ihre politischen Gruppierungen machen nicht nur Stimmung gegen sie, indem sie ihnen vorhalten, sie seien parteiisch und würden die Befürworter der Unabhängigkeit von Ost-Timor unterstützen; viel gravierender, sie schrecken auch vor Gewalt nicht zurück. UNAMET Mitarbeiter sind bereits mehrfach Ziel von Milizenübergriffen geworden. Statt die Kontingente zu erhöhen und damit Stärke und Durchsetzungsvermögen zu demonstrieren, wurden die UN-Beobachter bei Übergriffen aus den jeweiligen Regionen zunächst abgezogen. Denn die UN kann ihre eigenen Leute nicht schützen. Noch weniger kann sie der Bevölkerung Ost-Timors schützend zur Seite stehen. Dem Terror der Milizen hat sie nichts entgegenzusetzen. Die UN ist ohne Beschützer, sprich Friedenstruppen, nach Ost-Timor gekommen. Der UN droht daher ein Fiasko, doch die eigentlich Leidtragenden werden einmal mehr die Menschen in Ost-Timor sein. Es steht zu erwarten, daß der Termin der Volksabstimmung weiter verschoben werden muß, am Ende könnte gar ein Abbruch des Unternehmens stehen. Andernfalls läuft die UN Gefahr, durch eine Abstimmung in einem Klima, das nicht frei und fair genannt werden kann, Indonesiens Annexion von Ost-Timor nachträglich zu legitimieren. Die Verantwortlichen von UNAMET reisen unentwegt zwischen Dili und Jakarta hin und her und mahnen die vertraglichen Vereinbarungen an. Da die UN in Ost-Timor nicht für die Sicherheitslage verantwortlich ist, bleibt Kofi Annan und seinen Leuten bislang einzig und allein ein kontinuierlich aufgebauter politischer Druck auf die indonesische Regierung. An dessen Ende muß, sollte Indonesien seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen, die Entwaffnung der Milizen durchzuführen und für die Sicherheit aller Anwesenden zu sorgen, auch der Einsatz von Friedenstruppen in Erwägung gezogen werden. Dies wurde von vielen der ost-timoresischen Vertreter, darunter auch Xanana Gusmao und Bischof Belo, gefordert, die längst erkannt haben, welches falsche Spiel das indonesische Militär in Ost-Timor spielt.

Doch vor diesem Schritt schreckt man zurück, da er nur gegen den massiven Widerstand der indonesischen Regierung und des Militärs umsetzbar wäre. Um so wichtiger ist es, daß die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen ihre politischen Kanäle zur indonesischen Regierung nutzen und mit einer aktiven Politik auf einen friedlichen Konfliktlösungsprozeß in Ost-Timor drängen. Doch statt dessen werden vielerorts Interessen abgewogen und die Verantwortung zum Handeln auf die UN, Portugal - eben auf andere - abgewälzt. Einige der wichtigen Staaten fahren schon wieder einen sehr abwartenden und halbherzigen Kurs, der keinem schaden soll. Deutschland bildet dabei leider keine Ausnahme. Als der Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta Anfang August der Bundesregierung vorwarf, sie trage nichts zur Besserung der Lage in Ost-Timor bei, und meinte, er sei zutiefst enttäuscht von der Rolle der deutschen Diplomatie, zeigte sich das Auswärtige Amt verwundert. Horta habe schließlich bei seinem Besuch in Bonn Ende März diesen Jahres keinerlei Vorwürfe erhoben oder Kritik geübt. /AFP, 3.8.99/ In der Tat signalisierte die deutsche Politik beim Besuch von Ramos-Horta Bereitschaft beim Aufbau des Landes zu helfen. Man glaubte damals, es zeichne sich eine friedliche und schnelle Lösung des Ost-Timor Konfliktes ab. Präsident Habibie hatte die Tür für eine politische Lösung des Konfliktes geöffnet und alle waren gerne bereit den Weg durch diese offene Tür zu beschreiten. Durch die veränderte Lage in Ost-Timor und die deutliche Haltung der Militärs schließt sich die Tür nun langsam wieder und genauso bereitwillig nimmt man auch das hin.

Nachdem sich die Situation weiter verschlechtert hat, sollte nun vorrangig darauf gedrungen werden, den Weg hin zu einer friedlichen und politischen Lösung zu ebnen, anstatt sich auf Fragen des Aufbaus nach einem erfolgten Referendum zu versteifen. Da sich nun aber zeigt, daß hierbei mit Widerständen seitens der indonesischen Regierung bzw. des Militärs zu rechnen ist, wurden diesbezügliche keinerlei wirklichen Anstrengungen unternommen. Im Rahmen der deutschen EU Ratspräsidentschaft wurde in Resolutionen Stellung genommen zur Lage in Ost-Timor. Es wurden die Forderung nach Freilassung des timoresischen Widerstandsführers Xanana Gusmão sowie die Forderung nach Entwaffnung der Milizen erhoben. Dies ist zu begrüßen und wurde auch von Xanana Gusmão selbst in einem Brief an Außenminister Fischer entsprechend gewürdigt. Doch die Erfüllung der erhobenen Forderungen blieb bislang aus - weitere Maßnahmen seitens der Bundesregierung auch. Im Gegensatz zu anderen Staaten, allen voran den USA und Australien, hat Außenminister Fischer bislang nicht einmal öffentlich zu der eskalierenden Situation in Ost-Timor Stellung genommen. Finanziell beteiligt sich Deutschland im Rahmen der EU an der UN-Mission in Ost-Timor. Der Beitrag, der bilateral eingebracht wurde, dient bestenfalls der Kosmetik. Personell wollte man sich mit 5 Polizeibeamten an der Mission beteiligen - von der Zahl her ohnehin nicht mehr ein symbolischer Beitrag, wenn man bedenkt, daß sich beispielsweise das kleine Fidji immerhin mit 10 Polizisten beteiligt. Doch auch dieser Beitrag wurde in Deutschland nicht aktiv vorangetrieben. Zu einem Zeitpunkt, als andere Länder schon längst ihre Kontingente gemeldet hatten, scheiterte das Vorhaben schließlich, weil weder Innen- noch Außenministerium die Kosten übernehmen wollten. Ohnehin hätten die deutschen Beamten nur dann nach Ost-Timor reisen dürfen, wenn die dortige Sicherheitslage dies erlaubt hätte (sic!). Auf Betreiben von Portugal und Irland will die EU nun ein politisches Zeichen setzen und Wahlbeobachter zur Abstimmung nach Ost-Timor schicken. Da es darüber innerhalb der EU jedoch keinen Konsens gab, werden hierfür keine gemeinsamen Mittel bereitgestellt und die Beteiligung an der Beobachtung bleibt den Mitgliedsstaaten freigestellt. Die Bundesregierung wird sich an der Wahlbeobachtung nicht beteiligen. Zur Unterstützung der zivilen Bevölkerung sind Watch Indonesia! und kirchliche Hilfswerke eingesprungen, die 10 Beobachter nach Ost-Timor entsenden.

Die humanitäre Lage in Ost-Timor hat sich in den vergangenen Monaten drastisch verschlechtert. Besonders groß ist die Not in den Flüchtlingslagern. Viele sind durch den Milizenterror von jeglicher Versorgung abgeschnitten. Ihre Häuser wurden niedergerissen, ihr Vieh abgeschlachtet, die Ernte vernichtet. Traumatisiert haben sie sich in die Wälder oder an vermeintlich sichere Orte geflüchtet. Menschen sterben an mangelnder medizinischer Versorgung und auch an Hunger. Betroffen sind insbesondere die Kinder. Es werden dringend Ärzte benötigt. Die akute Not durch die Entsendung deutscher Ärzte zu mildern wäre nicht nur ein dringendes humanitäres Gebot der Stunde, sondern darüber hinaus auch ein wichtiges politisches Signal. Obwohl Ramos-Horta bei seinem Treffen mit Entwicklungsministerin Heide Wieczorek-Zeul im März humanitäre Hilfe für sein gepeinigtes Land zugesichert wurde, lassen konkrete Maßnahmen bislang auf sich warten. Abgeordnete des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben im April Ost-Timor besucht und sind mit politischem Handlungsbedarf im Koffer wieder zurückgekommen. Die dem Auswärtigen Amt vorgelegten Handlungsempfehlungen sind weder umgesetzt worden, noch haben die Abgeordneten bislang durch einen überfraktionellen Entschließungantrag oder andere wirkungsvollen Maßnahmen eine Umsetzung angemahnt. In Presseerklärungen forderten einzelne, wie z.B. die Grünen-Abgeordnete Angelika Köster-Loßack und der PDS-Abgeordneten Carsten Hübner die Bundesregierung auf, die internationalen Bemühungen um eine friedliche Konfliktlösung in Ost-Timor intensiv zu unterstützen. In den USA dagegen verabschiedete der Senat mit 98 zu 0 Stimmen eine Vorlage, in der die Regierung aufgefordert wurde, auf allen Ebenen auf die indonesische Regierung dahingehend Einfluß zu nehmen, daß dem Milizenterror Einhalt geboten wird und eine Abstimmung frei von Gewalt und Einschüchterung abgehalten werden kann. Des weiteren wurde die Regierung aufgefordert, innerhalb von 21 Tagen darüber Bericht zu geben. Eine weitere Verschiebung oder gar ein Abbruch der Volksbefragung ist für Ost-Timor genausowenig eine Lösung wie eine Abstimmung in einem Klima der Angst. Der Schlüssel zur Lösung liegt darin, die indonesische Regierung in die Pflicht zu nehmen.

Das passive Verhalten der deutschen Regierung spielt den falschen Kräften in Indonesien zu. Ein Gelingen der UN-Mission in Ost-Timor wird maßgeblich sein für die Demokratisierung und den Umgang und die Lösung weiterer Konflikte nicht nur in Ost-Timor, sondern insbesondere auch in Indonesien. Wenn sich die dunklen Kräfte durchsetzen und es nicht gelingt, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen und zu zivilen Konfiktlösungsmechanismen zurückzukehren, dann droht Indonesien ein Flächenbrand, der das Land auf Jahre hinweg zu einem enormen Unsicherheitsfaktor in dieser Welt werden läßt. Am Ende könnte ein Zerfall des riesigen Landes stehen mit schwer kalkulierbaren Folgen. Die Anfänge hierzu sind gemacht: in Ost-Timor sabotiert das indonesische Militär über die Milizen die UN-Mission, in Aceh führt das Militär Krieg gegen die Bevölkerung. Die politische und wirtschaftliche Stabilität, die lange Zeit der Suharto-Regierung zugeschrieben wurde, war ein Schimäre. Eine Rückkehr zu autoritären Strukturen ist keine Lösung und kein Garant für ein friedliches Indonesien.

Die Zukunft des Landes liegt im Aufbau von demokratischen Strukturen, Rechtstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit. Des weiteren wäre dem Land durch Anstrengungen in Richtung Dezentralisierung oder gar Föderalisierung die explosive Sprengkraft zu nehmen. In diesen Demokratisierungsprozeß sind die indonesischen Streitkräfte mit einzubinden, sie sind ihrer selbsternannten politischen Aufgabe zu entheben und über die Exekutive und Legislative wirkungsvoll zu kontrollieren.

In diesem Sinn wäre die deutsche Regierung gut beraten, alle nur erdenkbaren politischen Maßnahmen zu ergreifen, die der zivilen Konfliktlösung in Ost-Timordienlich sind.

 
 
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