Indonesien Information Nr. 3/1999 (Ost-Timor)

Zuckerbrot und Peitsche im "Wilden Westen" von Ost-Timor

Über Milizenterror und Flüchtlingselend im Vorfeld der "Public Consultation"

von Jörg Meier

Integrationstag-Feier am 17 Juli (Jörg Meier) Am 17. Juli dieses Jahres fand sich in dem kleinen ost-timoresischen Städtchen Balibo eine illustere Gesellschaft zusammen. Dort, wo nahe der Grenze zu West-Timor vor 23 Jahren die Integration Ost-Timors als 27. indonesische Provinz in einer Farce besiegelt wurde, trafen sich unter Schirmherrschaft der Lokalregierung und Joao Tavares, dem Führer des Kampfes für die Integration, Vertreter sämtlicher staatlich organisierter Pro-Integrationsorganisationen sowie Milizengruppen. Die Mitglieder paramilitärischer Organisationen wie Aitarak (Dorn), Besi Merah Putih (Rot-Weißes Eisen), Halilintar (Donner), Laskaur Merah Putih (Rot-Weiße Milizen), Mahidi (Leben oder Tod für Integration) und Naga Merah (Roter Drachen), um nur einige zu nennen, ließen sich durch Folklore und Integrationspoetik belustigen, um diesen großen Tag gebührend zu begehen. IMPETTU Demo in Dili (Jörg Meier) Es machte allerdings nicht den Anschein, als ob die Mehrheit der etwa 3.000 mit rot-weißen Fähnlein und strahlend neuen Pro-Integrations T-Shirts oder aber auch traditionellen Gewändern geschmückten Ost-Timoresen, die zu diesem Anlaß mit Trucks und Bussen nach Balibo gebracht wurden, von ihren Darbietungen wirklich überzeugt waren. Vielmehr schien es, als führten sie ihre Tänze und Gesänge als einen reinen Akt des Selbstschutzes auf. Den ungeschriebenen, suggestiven Gesetzen von "Zuckerbrot und Peitsche" folgend. Diese Gesetze sind derzeit vor allem in den westlichen Distrikten Ost-Timors weit verbreitet. Wer eine indonesische Fahne vor seinem Haus hißt und an den Blutschwüren der Integrationsmilizen teilnimmt, hat nicht um sein Leben zu fürchten. Ganz im Gegenteil. Man erfährt im Rahmen des Program Sosialisasi Autonomi Luas (Autonomiesozialisationsprogramm) Vorteile bei der staatlichen Reisausgabe und es locken weitere materielle Annehmlichkeiten, wenn man sich von einer der Milizengruppen rekrutieren läßt. Mit vereinter Kraft arbeitet die am 23. Juni gegründete Front Bersama Pro-Otonomi (Vereinte Front für Ost-Timor Autonomie), die sich aus den Pro-Integrationsgruppen Barisan Rakyat Timor Timur (Ost-Timoresische Volksfront) und dem Forum Persatuan Demokrasi & Keadilan (Forum für Einheit, Demokratie und Gerechtigkeit) sowie Tavares' Pasukan Pro Integrasi (Kampftruppen für die Integration) zusammensetzt, daran, dem Volk die Option der Autonomie zu suggerieren. So ist es kein Wunder, daß nun ganze Landstriche, vor allem in den Gegenden von Liquisa, Maliana, Ainaro, Zaumalei, also dort wo die Milizen besonders aktiv sind, rot-weiß erstrahlen. Obwohl viele dieser Milizen vorbeifahrenden UNAMET (United Nations Mission in East Timor) Fahrzeugen und anderen Beobachtern hilflos zuwinken und indonesische Flaggen noch vor wenigen Monaten höchstens vor Regierungsgebäuden zu finden waren, nutzen die Vertreter der Integration diese Realität für ihre banale Rhetorik. "Sie sehen doch", so Joao Tavares, "daß all diese Menschen ihre Solidarität mit der Integration bekunden. Und wir sind ihr Sprachrohr, kämpfen für ihre Anliegen." "Logisch gesehen", fügt er hinzu, "ist die Autonomie der einzig richtige Weg, und es gibt auch eigentlich kaum Befürworter einer Unabhängigkeit Ost-Timors. Lediglich die FALINTIL (Teil der Befreiungsbewegung) vertritt eine solche Lösung, und arbeitet dabei mit allen erdenklichen Mitteln des Terrors. Und bevor ich mich von der FALINTIL und ihren Leuten umbringen lasse, bringe ich besser selber um. Das verstehen sie doch, oder?" Entsprechend ist dann auch seiner Weisheit letzter Schluß, daß jede Aktion eine Reaktion hervorruft, und die jüngsten Greueltaten seiner Schützlinge lediglich erforderliche Reaktionen waren, um dem Terror der FALINTIL Einhalt zu gebieten. Wie seine Truppen organisiert sind, woher sie Waffen und Gelder beziehen, und inwieweit das indonesische Militär als Drahtzieher hinter dem Milizenterror steht, ist dem Mann im dunklen Anzug mit Cowboyhut dann schon schwerer zu entlocken. Dazu allerdings äußern sich Kirchenvertreter und Vertriebene. Geistliche sprechen vielerorts, vor allem in den Grenzgegenden zu West-Timor, von den Aktivitäten ziviler Militärs und machen keinen Hehl daraus, daß die Armee die Milizengruppen zu Terroraktionen nutzt, um sich selbst nicht die Hände zu beschmutzen. Ebenso berichten sie von der Ankunft von West-Timoresen mit gefälschten Papieren, die sich dann als Ost-Timoresen ausgeben und an der Abstimmung teilnehmen sollen. Flüchtlinge aus Ainaro, die schon seit Monaten in Dili Zuflucht suchen, trauen sich selbst dort nicht auf die Straße. Aus Angst um ihr eigenes Leben ebenso wie um das ihrer Kinder. Daß diese Angst berechtigt ist, zeigt beispielsweise das Schicksal eines Kleinkindes, welches 2 Monate in Händen der Mahidi Milizen war und mit brennenden Zigaretten gefoltert wurde, bevor seine Familie es durch einen Zufall bedingt von seinen Peinigern befreien konnte. Auf dem Kirchencompound in Suai antworteten die überwiegend männlichen Flüchtlinge auf die Frage nach ihren Frauen und Kindern mit resignierter Selbstverständlichkeit, daß diese noch in den Wäldern herumstreifen. Denn ihnen drohe dort nur Folter und Vergewaltigung, wohingegen sämtliche Männer der Region, die sich offen gegen die Autonomielösung aussprechen, mit sofortiger Exekution durch die Mahidi oder Laskaur Milizen zu rechnen haben. Noch erschreckender ist die Flüchtlingssituation in der Gegend von Sare, südlich von Maubara, wo sich etwa ein Zehntel der derzeit schätzungsweise 60.000 ost-timoresischen Flüchtlinge aufhält. Ebenso wie anderswo ist auch hier kein Flüchtlingslager im herkömmlichen Sinne zu finden. Die Flüchtlinge hausen in schon längst von Zuwanderern verlassenen Gebäuden und provisorischen, aus dem Boden gestampften Notunterkünften. Vor allem in der Folgezeit des Massakers von Liquisa wurden die Dörfer dieser Menschen geplündert und dem Erdboden gleichgemacht, was sie zur Flucht gezwungen hat. Sowohl in Liquisa wie hier leben die Menschen in einem völlig traumatisiertem Zustand. Malaria, Tuberkulose und Hunger sind hier allgegenwärtig und haben bisher zu insgesamt knapp 100 Todesfällen geführt, von denen vor allem kleine Kinder betroffen waren. Nachts, so berichteten die Menschen, kommt es manchmal noch immer zu Übergriffen durch die Milizen, obwohl sich die Situation mit dem Einzug UNAMET's verbessert hat. Auch Vergewaltigungen von Frauen in den denkbar grausamsten Variationen oder Entführungen seien zwar nicht mehr an der Tagesordnung, kämen aber durchaus noch vor. So z.B. am 16. Juli, dem ersten Tag der Registrierung für die "Public Consultation", als eine Gruppe von etwa 20 Menschen auf dem Weg zum Registrierungsposten von ca. zehn Milizen und drei Militärs entführt und wahrscheinlich nach Atabae gebracht wurde. Für die Betroffenen besonders frustrierend, da UNAMET-Mitarbeitern trotz sofortiger Meldung des Vorfalls aufgrund ihrer begrenzten Befugnisse die Hände gebunden waren. Selbst mit dem logistischen Prozeß der Registrierung war der "UNAMET Electoral Stuff" gerade in diesen Flüchtlingsgebieten oftmals überfordert. Viele Menschen haben nichts von ihrem Hab und Gut, und somit auch nicht die zur Registrierung notwendigen Identitätsnachweise in Sicherheit bringen können. Sich der Brisanz bewußt, die die Teilnahme der Flüchtlinge an der nun bereits zwei mal verschobenen und derzeit für den 30. August geplanten Volksabstimmung birgt, schien es den Pro-Integrationsleuten ein ganz besonderes Anliegen zu sein, hier zu intervenieren. Als Anfang Juli ein internationaler humanitärer Konvoi mit 15 Trucks in Begleitung eines UNAMET Fahrzeuges Hilfsgüter in die betroffene Region brachte, wurde eine zunächst zugesagte Polizeieskorte letztlich doch nicht bewilligt. Selbst als besagter Konvoi, nachdem er sich auf dem Rückweg nach Dili in Liquisa prozedurgemäß bei der Polizei hat registrieren lassen, von ca. 30 Besi Merah Putih Milizen attackiert wurde, schauten Polizei und Militär tatenlos zu, wie mehrere Menschen mitunter schwer verletzt wurden. Die Milizen, die Augenzeugenberichten zufolge "wie in einem schlechten Indianerfilm" agierten, standen offensichtlich unter Drogeneinfluß und schienen während des etwa 15 minütigen Überfalls gänzlich unorganisiert. Eine den Milizen entnommene Schußwaffe, die der lokalen Polizei in Liquisa durch einen der begleitenden UNAMET Mitarbeiter übergeben wurde, sorgte in den folgenden Tagen für große Kontroversen. In einem vom Komite untuk Perdamaian dan Stabilitas (Komitee für Frieden und Stabilität) und Pelaksanaan Penentuan Pendapat Timor Timur (Durchführung und Sicherung der Volksabstimmung), also den von indonesischer Seite gewissermaßen für eine Überwachung UNAMET's eingesetzten Kräften, vorgelegten Bericht zu dem Vorfall hieß es, UNAMET würde die Falintil unterstützen. Dies sei durch den Fund besagter Waffe sowie an der Ermordung eines Besi Merah Putih Milizen am Tag zuvor belegt. Deshalb warfen beide der oben genannten Organisationen, die eng mit dem indonesischen Militär zusammenarbeiten, UNAMET vor, in ihrer Mission nicht neutral zu sein. Aus diesem Grunde sei eine solche Attacke, ebenso wie die Angriffe gegen die UNAMET Zweigstellen in Maliana und Viqueque, ganz im Verständnis der "tavaresschen Logik", auch durchaus nachvollziehbar. Vor allem die Australier, so war von Seiten der Pro-Integrationsleute immer wieder zu hören, seien es, die nicht neutral auftreten, sondern gezielt auf eine Unabhängigkeit Ost-Timors hinarbeiteten, um es dann später ausbeuten zu können. Vorfälle wie die Attacke von Liquisa oder die Tatsache der humanitär verheerenden Flüchtlingssituation wurden rigoros heruntergespielt, als am 12. Juli eine hochgradige Delegation von vierzehn indonesischen Ministern Dili besuchte. Angeführt von Wiranto, Ali Alatas und Feisal Tanjung, sowie anderen Verantwortlichen, wie z.B. Polizeichef Roesmanhadi, erklärte die Delegation übereinstimmend, wie sehr sich die indonesische Seite für eine friedliche Lösung des Ost-Timorkonflikts einsetzte und die Zusammenarbeit UNAMET begrüße. Sicher scheint, daß die Regierung selbst und Teile des Militärs hier verschiedener Meinung sind. Wie auch immer dem sei, und die definitiv bestehenden Vor- und Nachteile von Autonomie oder Unabhängigkeit außer acht lassend, ist nicht von der Hand zu weisen, das die gegenwärtige Sicherheitslage in Ost-Timor eine faire Durchführung der "Public Consultation" noch nicht gewährleistet. Dazu müßten UNAMET weitaus größere Kompetenzen eingeräumt werden und kooperativ mit Indonesien dafür gesorgt werden, daß sowohl die Milizen wie die FALINTIL entwaffnet werden und das indonesische Militär aus Ost-Timor abgezogen wird. <>

 
 
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