Indonesien-Information Nr. 1 2001 (Menschenrechte)

Nicht Zurückhaltung, sondern aktives Handeln wäre Ausdruck deutscher Realpolitik gegenüber Indonesien

von Alex Flor und Monika Schlicher

Am 8. März 2001 war Watch Indonesia! eingeladen an einem Gespräch des Forum Menschenrechte mit Außenminister Joschka Fischer teilzunehmen. Der folgende Beitrag ist ein in Vorbereitung dieses Gespräches erarbeitetes Positionspapier.

Mit dem Rücktritt von Präsident Suharto 1998 begann in Indonesien ein Prozess der Demokratisierung, der eine Reihe von nennenswerten Verbesserungen in bezug auf die Menschenrechtslage mit sich brachte. Politische Gefangene wurden entlassen, die Pressefreiheit, Versammlungs- und Organisationsfreiheit wurden wieder hergestellt und freie Wahlen abgehalten.

Diese Verbesserungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Menschenrechtslage insgesamt dramatisch verschlechtert hat. Alleine der vor zwei Jahren ausgebrochene Konflikt auf den Molukken kostete bisher ca. 5.000 Menschenleben. In der abtrünnigen Provinz Aceh kamen im vergangenen Jahr ca. 1.000 Menschen bei gewaltsamen Handlungen ums Leben, der überwiegende Teil davon Zivilisten. Die Zahl der Binnenflüchtlinge in verschiedenen Regionen Indonesiens beträgt nach amtlichen Schätzungen ca. 1 Million Menschen, um hier zunächst nur einige Zahlen zu nennen.

Der Zusammenbruch des politischen Systems der Suharto-Ära ging einher mit dem Zusammenbruch eines Wertesystems, das über mehr als eine Generation hinweg die Gesellschaft Indonesiens geprägt hat. Das somit entstandene Vakuum konnte weder von der Übergangsregierung Habibie noch von der demokratisch legitimierten Regierung Wahid gefüllt werden. Soziale Spannungen aufgrund der anhaltend desolaten Wirtschaftslage in Folge der Asienkrise sowie die von noch immer einflussreichen Kräften des alten Systems, namentlich des Militärs, betriebenen Machtkämpfe tragen zur Destabilisierung der Regierung bei. Das Land befindet sich in einer dauernden Zerreißprobe zwischen den alten Machteliten und den reformwilligen Kräften.

Das brüchig gewordene System des indonesischen Einheitsstaates resultiert in einer Reihe von Sezessionsbewegungen, insbesondere in Aceh und West-Papua (Irian Jaya), die aus dem - wenngleich teuer erkauften - erfolgreichen Referendum in Ost-Timor neue Motivation schöpften. Dem gegenüber stehen die Polizei und das Militär, die in der Verteidigung der nationalen Einheit eine ihrer wichtigsten Aufgaben sehen, zu deren Erfüllung sie jedes Mittel als gerechtfertigt ansehen. Willkürliche Erschießungen und andere gewaltsame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung in Aceh sind an der Tagesordnung. In West-Papua kam es dagegen bisher nur zu vereinzelten gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Unabhängigkeitsbefürwortern einerseits sowie den Unabhängigkeitsbefürwortern und zugewanderten Indonesiern andererseits, die Dutzende von Menschenleben kosteten. Die sich zusehends verhärtenden Fronten und die Aufstellung von Milizen nach dem in Ost-Timor erprobten Muster geben größten Anlass zur Sorge über eine bevorstehende Eskalation der Gewalt in West-Papua. Rasches Handeln im Sinne einer präventiven Konfliktbearbeitung erscheint dringend erforderlich.

Die seit Anfang des Jahres geltenden Regelungen zur regionalen Autonomie sowie die darüber hinaus gehend seitens der Regierung für Aceh und West-Papua erwogenen Sonderregelungen sind zwar prinzipiell zu begrüßen, geben aber mittelfristig keine Hoffnung auf eine Entspannung der Lage. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass die regionale Autonomie wegen zahlreicher technischer Mängel und einer Vielzahl von anderen Gründen zunächst zu einer Zunahme an Problemen in nahezu allen Regionen des Staates führen wird. Ein Schlüssel zur Lösung der regionalen Konflikte könnte in der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung sowie in der Stärkung zivilgesellschaftlicher Kräfte in den betroffenen Regionen liegen. Gerade diese Kräfte sind jedoch aufgrund der zunehmenden Polarisierung besonders gefährdet und somit in ihrem Handlungsspielraum beschnitten. Menschenrechtsaktivisten und sogar Mitarbeiter von internationalen humanitären Hilfsorganisationen wie OXFAM, UNHCR und ICRT (RATA) wurden in Aceh bzw. in West-Timor Opfer tätlicher Angriffe von Sicherheitskräften bzw. Milizen. Die ca. 80.000-100.000 ost-timoresischen Flüchtlinge in West-Timor sind seither völlig auf sich alleine gestellt, Aktivitäten von Hilfsorganisationen in Aceh und auf den Molukken kamen fast völlig zum Erliegen oder finden nur unter extrem erschwerten Bedingungen und ständiger Gefährdung der Mitarbeiter statt.

Mit Sorge betrachten wir, dass mit Muhammad Nazar in Aceh und Mitgliedern des Papua-Präsidiums erstmals seit dem Rücktritt Suhartos wieder Personen wegen ihrer - gewaltfreien - politischen Betätigung festgenommen wurden. Gegen die Gefangenen sollen in Kürze die Prozesse eröffnet werden, in denen sie sich wegen "Volksverhetzung" zu verantworten haben. Zwei australische Prozessbeobachter wurden kürzlich von den Behörden zurückgewiesen. Vertreter der Presse haben nur noch eingeschränkten Zugang zu Indonesiens Konfliktregionen. Der Journalist Oswald Iten von der Neuen Zürcher Zeitung wurde wegen eines Visavergehens festgenommen und nach einigen Tagen Untersuchungshaft des Landes verwiesen. Iten berichtete danach über grausame Folter an Mitgefangenen und erschreckende Haftbedingungen.

Besondere Beachtung verdienen Militär und Polizei. Die angesehene Menschenrechtsorganisation Kontras, deren Gründer Munir im letzten Jahr mit dem alternativen Nobelpreis, Rights Livelihood Award, ausgezeichnet wurde, macht die Polizei für die Mehrzahl der im Jahre 2000 begangenen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Das Militär, das ebenfalls für eine große Zahl von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, verfügt darüber hinaus noch immer über ein hohes Maß an struktureller Gewalt. Eine von Präsident Wahid in Angriff genommene Militärreform geriet längst ins Stocken, das Militär konnte sich für die nächsten Jahre zahlreiche Privilegien sichern, darunter 38 Sitze in der Beratenden Volksversammlung (MPR) und den Erhalt der berüchtigten Territorialstruktur des Heeres.

In Zusammenhang mit den äußerst komplexen Ursachen des Konflikts auf den Molukken, wird von einseitiger Parteinahme durch Einheiten der Polizei und des Militärs berichtet, wenngleich z.T. auf unterschiedlicher Seite und in direkter Konfrontation zueinander. Wurde die Auseinandersetzung zwischen Moslems und Christen anfangs mit traditionellen und selbstgebastelten Waffen geführt, so kamen mit Ankunft der indonesischen Sicherheitskräfte zunehmend moderne Schusswaffen in Umlauf. Eine neue Eskalationsstufe des Konflikts wurde im Mai 2000 mit der Ankunft der sog. "Laskar Jihad" (islam. Gotteskrieger) von der Insel Java erreicht. Über das Ansinnen der Laskar Jihad, die nicht etwa auf einen Hilferuf der Moslems auf den Molukken, sondern aus eigenem Antrieb kamen, konnte von Anfang an kein Zweifel bestehen. Dennoch konnten sie unter den Augen der Öffentlichkeit und ungestört von den Sicherheitskräften über mehrere Wochen hinweg ein Trainingslager unweit von Jakarta unterhalten sowie später Truppen, Waffen und Munition von Surabaya aus mit Linienschiffen auf die Molukken übersetzen.

Präsident Wahids Verurteilung der willkürlichen Erschießungen von Teilnehmern einer Demonstration in Banda Aceh im November 2000 blieb ohne Konsequenzen. Wie dieser Fall blieben fast sämtliche von Polizei, Militär und in deren Auftrag handelnden Milizen begangenen Menschenrechtsverletzungen ungesühnt. Ein Prozess gegen Militärs, die sich in Aceh schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hatten, führte lediglich zur Verurteilung einiger rangniedriger Soldaten, während die höherrangige Schlüsselfigur dieses Falles untertauchen konnte.

Prozesse gegen mutmaßliche Täter im Fall Ost-Timor lassen auf sich warten. Ein neues Menschenrechtsgesetz, das diese Prozesse ermöglichen soll, ist mit einiger Sicherheit als verfassungswidrig anzusehen und wird daher wohl nie zur Anwendung kommen, nachdem die Beratende Volksversammlung (MPR) kurz vor Verabschiedung des Gesetzes die Verfassung entsprechend geändert hat. Lediglich ein glaubhaftes und energisches Eintreten der Staatengemeinschaft für die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes könnte in dieser Sache für neue Bewegung sorgen. Auch die von der Regierung im Abkommen vom April 2000 erneut eingegangene vertragliche Verpflichtung zur Auflösung und Entwaffnung der Milizen in West-Timor wurde nur äußerst unzureichend angegangen. Nach wie vor üben die Milizen Druck und Terror auf die Bewohner der Flüchtlingslager aus.

Die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Regierung macht sich nicht nur in den genannten Konfliktregionen, sondern auch in anderen Landesteilen bemerkbar. Das Vertrauen in Polizei und Justiz ist nach 32 Jahren Diktatur massiv gestört. Die Straflosigkeit für Verbrechen gegen die Menschenrechte, die Einstellung des Verfahrens gegen den früheren Diktator Suharto und das Unvermögen der Behörden, seines Sohnes Tommy habhaft zu werden, der zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, sind massive Hindernisse auf dem Weg, ein allgemeines Rechtsbewusstsein zu schaffen. Folge davon ist, dass die Bevölkerung immer häufiger selbst zur Tat schreitet und Lynchjustiz übt. Dutzende mutmaßlicher Kleinkrimineller wurden im vergangenen Jahr alleine in der Hauptstadt Jakarta von einer Menschenmenge gejagt und umgebracht, oftmals durch Verbrennung auf offener Straße.

Unzählige Fälle lokaler Konflikte münden in kommunalistischer Gewalt, oftmals angeschürt von Hintermännern und Provokateuren. Die soziale Notlage vieler Menschen lässt sich mühelos instrumentalisieren oder entlädt sich von selbst in spontaner Gewalt. Die Bombenanschläge auf die Börse in Jakarta sowie auf mehrere Kirchen an Heiligabend sind einzig unter dem Motiv zu verstehen, Chaos zu schaffen, um Politik und Wirtschaft des Landes zu destabilisieren. Die wirtschaftliche Aktivität beschränkt sich zur Zeit fast ausschließlich auf Handel und den neuerdings wieder gestiegenen Binnenkonsum. Notwendige Direktinvestitionen bleiben jedoch aus, da in- und ausländische Unternehmen kein Vertrauen in allgemeine Sicherheit und politische Stabilität haben sowie zudem mangelnde Rechtssicherheit beklagen.

Die abwartende Haltung der Wirtschaft findet ihr Spiegelbild in der Indonesienpolitik des Auslands. Zwar wird Präsident Abdurrahman Wahid als liberaler Geist und Mann des Ausgleichs allgemein geschätzt, gleichzeitig beobachtet man jedoch mit Sorge den wachsenden Druck, dem er innenpolitisch ausgesetzt ist. Es ist weder erkennbar, dass dem Präsidenten gegenüber seinen Widersachern der Rücken gestärkt wird, noch wird ein Konzept deutlich, mit dem das Ausland - einschließlich der Bundesrepublik bzw. der EU - die mühsamen Reformbemühungen Indonesiens über den Tag der nächsten Präsidentschaftswahl hinaus abzusichern gedenkt.

Zusammenfassung

Die Sorge um einen Zerfall der nationalen Integrität Indonesiens ist legitim. Dies darf aber nicht bedeuten, vor Menschenrechtsverletzungen und sozialen Disparitäten die Augen zu verschließen. Um den Zerfall zu verhindern bedarf es vielmehr einer aktiven Indonesienpolitik, die sich offensiv mit diesen Problemen auseinandersetzt und kritisch darauf einwirkt. Menschenrechtspolitik darf nicht allein als Instrument gegen unliebsame Diktaturen zur Anwendung kommen, sondern ist auch ein notweniger Bestandteil der Außenpolitik gegenüber postdikatorischen Systemen (Transitionssystemen).

Die Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft in Indonesien ist ohne eine klare und deutliche Benennung und Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen null und nichtig. Jegliches passives oder abwartendes Verhalten der Bundesregierung - auch im Kontext multilateraler Beziehungen zu Indonesien - stärkt nicht etwa die Demokratie, sondern spielt im Gegenteil den falschen Kräften zu, die sich in ihrer repressiven Politik weithin ungehindert sehen. Indonesien lässt sich nicht mehr mit Gewalt und Repression zusammenhalten. Die Menschen verlieren zunehmend das Vertrauen in Staat und Regierung. Maßnahmen zur friedlichen, politischen Beilegung von Konflikten werden von militärischen und politischen Machteliten zum Erhalt des Status Quo und der Diskreditierung der Regierung untergraben.

Die notwendige Stabilisierung Indonesiens - und damit der gesamten Region Südostasien - kann nicht über eine Politik der Bekenntnisse zum Erhalt der staatlichen Integrität der Republik Indonesien erreicht werden, die stillschweigend schwerste Menschenrechtsverletzungen in Kauf nimmt und damit der Entstehung eines demokratischen Staatswesens den Boden entzieht. Vielmehr lässt sich der drohende Zerfall Indonesiens nur dadurch vermeiden, indem ein funktionierendes auf demokratischen Prinzipien beruhendes Staatswesen und eine allen Bevölkerungsschichten zugute kommende prosperierende Wirtschaft gefördert wird, die Abspaltungstendenzen und sozialen Konflikten entgegenwirkt. Unverzichtbare Bestandteile einer an diesen Leitlinien ausgerichteten Außenpolitik sind ein Maßnahmenkatalog zur Eindämmung der nach wie vor enormen Machtfülle des jederzeit interventionsbereiten Militärs und die gleichzeitige engagierte Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Kräfte Indonesiens. Der Schutz von Menschenrechtsaktivisten und Mitarbeitern humanitärer Organisationen hat in diesem Zusammenhang essentielle Bedeutung.

Die internationale Staatengemeinschaft hat 30 Jahre lang zu den Menschenrechtsverletzungen des indonesischen Militärs im Namen von Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung geschwiegen. Deutschland hat wie kein anderer Staat bis zuletzt an Suharto festgehalten. Ein friedliches, stabiles und außenpolitisch berechenbares Indonesien braucht einen neuen Ansatz von Politik. Andernfalls werden die Destabilisierung des Landes sowie die sozialen und politischen Unruhen noch weiter zunehmen. Ein ausreichender Druck von innen heraus, der zur Lösung der Konflikte und zum Abbau von Spannungen führen könnte, steht nicht zu erwarten.

Und dennoch gilt es genau dort anzusetzen:

Die Verantwortung, ob Indonesien zerfällt, sich über Jahre hinweg zu einem Hort der Instabilität mit einem hohen Maß an Gewalt entwickelt oder aber das Land seinen Weg in die Demokratie finden wird, liegt in den Händen der Politiker in Jakarta. Rolle des Auslands muss es sein, sie unmissverständlich und eindringlich daran zu erinnern, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die Lage ist mehr als kritisch. Mit Kosmetik ist es nicht mehr getan, Indonesien braucht ein internationales Krisenmanagement

Die internationale Staatengemeinschaft sollte dem riesigen Inselreich alle nur mögliche Aufmerksamkeit schenken und in konstruktiver Weise, aber unmissverständlich, auf die Umsetzung der folgenden Kernprobleme drängen:

Die Bundesregierung und ihre Partner in der EU sind aufgefordert, in bilateralen und multilateralen Beziehungen zu Indonesien verstärkt auf die Achtung der Menschenrechte zu drängen und jegliche Art von Menschenrechtsverletzungen deutlich und entschieden zu verurteilen. Beobachtungsmissionen wie die im Herbst erfolgte Reise einiger EU-Botschafter auf die Molukken sind zu begrüßen und sollten in angemessenen Abständen wiederholt auch in anderen Krisengebieten durchgeführt werden. Darüber hinaus sollte auch auf die Entsendung von UN-Berichterstattern gedrängt werden.

Maßnahmen zur Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Kräfte Indonesiens sowie zur Stärkung demokratischer Institutionen des Staates müssen durch geeignete Mittel, bspw. durch Politikberatung, intensiver als bisher gefördert werden. Für den Fall fortgesetzter Missachtung der Menschenrechte muss aber andererseits auch ein abgestuftes und zielorientiertes Instrumentarium von Sanktionsmaßnahmen erarbeitet werden, das von der potenziellen Tätergruppe als glaubhafte Bedrohung wahrgenommen wird.

Die bevorstehende Sitzung der UN-Menschenrechtskommission in Genf bietet eine erste gute Gelegenheit in diesem Sinne tätig zu werden. <>

      
 

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