Indonesien-Information Nr. 1 2001 (Politik)

Indonesien zerbricht - und was dann?

von Ingo Wandelt
When the world falls apart, some things stay in place
aus: "Leroy Stubbs' Tears" von Billy Bragg (1986)


Die Gräuel in Zentral-Kalimantan haben erneut das Gespenst des zerfallenden Indonesiens in der Weltpresse beschworen. Sich kriegerisch gebärdende Dayak, verstümmelte Leichen in Straßengräben, Tausende von Hals über Kopf fliehende Maduresen bieten vor dem Hintergrund einer sich angesichts der Ereignisse unbeteiligt gebenden Staatsführung eindrückliche Bilder eines zerfallenden Indonesiens. Wir Indonesien-Beobachter haben uns, bei aller Betroffenheit, schon an diese Bilder gewöhnt. Wir notieren die Ereignisse und lassen uns dabei von ihnen treiben. Das ist nicht nur unproduktiv, sondern auch unklug.

Auch jenseits aktueller Ereignisse ist es an der Zeit, sich ernsthaft Gedanken über ein zerfallendes Indonesien zu machen. Was wäre wenn? Nicht um damit ein solches Szenario wie ein böses Omen hervorzurufen oder gar herbeizuschreiben, sondern um vorbereitet zu sein. Die Phantasie anzuregen für den Fall, dass ... !

Die Diplomatie der internationalen Staatenwelt beschränkt sich zur Zeit auf Bekenntnisse der Sorge um die staatliche Einheit der Republik Indonesien. Das ist diplomatisch nicht unklug. Von außen her weiteres Öl in den Brandherd Indonesien zu schütten wäre fatal und unverantwortlich. Auch ist unklar, was angesichts der Lage zu tun wäre. Das über die Präsidentenjahre Suhartos verschriebene Allheilmittel Geld in allen seinen Formen verspricht nur noch wenig Hoffnung auf Heilung. Diese Medizin hat einen bitteren Nachgeschmack erhalten und verschwindet in den Därmen der indonesischen Staatsbürokratie nur allzu schnell. Verantwortung für Indonesien will und kann zur Zeit kein Außenstehender übernehmen. Den Zerfall wiederum will ernstlich keiner, brächte er doch viel Ungemach und einiges an Kosten mit sich.

Dennoch, wie sähe es aus, das vollständig desintegrierte Indonesien? Wäre es die Katastrophe, die sintflutgleiche Vernichtung einer Nation und Kultur? Politikwissenschaftliche Szenarien sollen an dieser Stelle nicht ausgebreitet werden. Fragen der Souveränität neuer staatlicher Gebilde, ihrer rechtlichen Ausstattung nach innen und außen sind wichtig, aber in diesem Rahmen zu umfangreich. Allemal ist jede Zukunftsschau spekulativ. Diese erst recht. Ob Indonesien zerfällt, ist ohnehin nur ein Zukunftsszenario von vielen. Zur Klarstellung vorweg, meine Meinung ist die, dass Indonesien es noch einmal schafft. Schleppen sich die Probleme jedoch noch weitere Jahre lösungslos hin, dann wird es wirklich ernst.

Ich möchte fragen, wie sähe die Landkarte aus, nachdem der Einheitsstaat der Republik Indonesien sein Zeitliches gesegnet hat. Welcher geografische Flickenteppich würde sich dem Betrachter bieten? Was wären die unterliegenden kulturellen Strukturen einer Vielfalt in der Vielfalt anstelle einer Einheit in der Vielfalt, dem Staatsmotto des Staates Indonesien? Und das alles im reinen Konjunktiv.

Nusantara und die Alam Melayu

Der Zerfall der Republik Indonesien brächte den Indonesischen Archipel (Nusantara) zurück in seinen historischen Urzustand des malaiischen Archipels, der kulturell in groben Strichen als die Malaiische Welt (Alam Melayu) skizziert werden kann. Aber schon ein Blick in die Wörterbücher der indonesischen und malaysischen Sprache zeigt, dass Kulturraum und Staatengebilde nicht voneinander zu trennen sind. Das "Große Wörterbuch der indonesischen Sprache" bezeichnet Nusantara als den "Namen für das gesamte Gebiet im indonesischen Archipel", wohingegen ein aktuelles Werk aus Malaysia die Definition "Malayischer Archipel" setzt. Beide Staatskulturen erheben also einen kulturhegemonialen Anspruch auf das Inselgebiet, womit die wesentlichen politischen Strukturen angesprochen wären: der Zerfall Indonesien würde die "indonesische (Staats-)Kultur zugunsten eines malaiischen Kulturbegriffes verändern, woraus nicht unbedingt, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf einen (staatlichen) malaysischen Kulturanspruch zu schließen ist. Im Klartext, vom zerfallenden Indonesien profitiert zuerst einmal Malaysia. Aber es wird seinen Preis zu bezahlen haben. Doch dazu gleich mehr.

Die hier gedanklich durchgespielte staatliche Zerstückelung im "malaiischen Archipel" wird auf unterliegende kulturelle Identitäten zurückgreifen müssen. Wahrscheinlich werden, wie bei der zerfallenen Sowjetunion, alte und längst überkommen geglaubte Identitäten ihre Wiederkehr erleben. Sogenannte primordiale Kulturbindungen wie Religionen, Ethnizität und historische Konstruktionen der Zusammengehörigkeit könnten staatsbegründend sein. Es wird sich zeigen, ob die bestehenden indonesischen Provinzen (propinsi) auch die Kultur- und Identitätsgemeinschaften für eigenständige Staatengebilde sein können, oder ob auch sie sich nur als oberflächliche Konstrukte erweisen werden. Wahrscheinlich werden neben desintegrierenden auch integrierende Strukturen von staatlichen Kooperationen entstehen, die sich der diplomatischen wie sicherheitspolitischen Protektion bestehender Staaten, und zwar primär die Staaten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, vergewissern müssten. Unabhängigkeit, in welcher Form auch immer, ist dies ohne die Patronage der Mächtigen nicht möglich.

Anhand historischer kultureller Faktoren ließen sich spekulativ drei politische Großräume im post-indonesischen Archipel ausmachen.

1. Melayu Raya

Die besten Aussichten für einen friedlichen Übergang in eine Eigenstaatlichkeit bietet Sumatra. Der Großteil der Insel ist von den Spannungen Indonesiens weitestgehend verschont geblieben und die ausgebrochenen Fälle von Massengewalt sind importiert. Spannungen unter den ethnischen Gruppen Sumatras sind gering und das Friedenspotential der Region ist vergleichsweise groß.

Die politischen Gebilde auf Sumatra würden sich wahrscheinlich in einer Bündnisform dem Staat Malaysia anschließen, wobei ein staatlicher Anschluss unwahrscheinlich ist. Man würde sich der gemeinsamen Kulturbande mit Malaysia erinnern und damit die 1824 zwischen Britannien und den Niederlanden vollzogene politische Teilung des historischen Kernraumes der Alam Melayu, der malaiischen Welt von Sumatra und der malaiischen Halbinsel, aufheben. Die Straße von Malakka wäre wieder eine Straße der Verbindung, Riau läge wieder im Zentrum des regionalen Handels und die internationale Seefahrt in den Gewässern von Groß-Malaya (Melayu Raya) wäre gesicherter als unter der jetzigen Konstellation, in der sich kein Anrainerstaat für diesen Seeweg verantwortlich fühlt, womit eine internationale Billigung der politischen Existenz von Groß-Malaya (Melayu Raya) rasch erreichbar wäre.

Vorsicht bitte vor voreiligen Schlüssen, ich wolle Hegemonialansprüchen Malaysias Vorschub leisten! Aber Malaysia, genauer: die malaiische Halbinsel, ist Indonesiens kleines Geschwister, das Kind des gemeinsamen malaiischen Kulturerbes. Malaysia wird den Weg seines südlichen Nachbarn gehen, wenn es nicht aus dessen Fehlern lernt.

2. Nusantara Timur

Der Faktor der gemeinsamen Religion des Christentums sowie eine mögliche Protektion durch Australien würde den Ostteil des Archipels zu einem Bündnis der Vernunft machen. Obgleich Australien sich gegen eine stärkere Übernahme von Verantwortung in der, nach der Wortwahl des neuen Verteidigungskonzeptes, arc of instability vor seiner Nord- und Nordostgrenze wehrt, deutet die neue Verteidigungsausrichtung auf militärische Aufgaben für Frieden und Sicherheit im melanesischen Raum, der mit der baldigen Unabhängigkeit Ost-Timors auch politisch eben dort, also im Archipel, beginnt und sich ab dort nordöstlich um den australischen Kontinent zieht. An Indonesien zeigt der Kontinentalstaat kein sicherheitspolitisches Interesse. Mit dem Zerfall der Republik Indonesien und dem bereits unabhängigen Ost-Timor, würde Australien zur Protektion neuer unabhängiger Staaten der Südmolukken und West-Papua gedrängt werden. Die Region Ost-Nusantara (Nusantara Timur) würde sich kulturell über die gemeinsame Religion, den historischen Antagonismus zu Indonesien, und über das ideologische Konstrukt einer pan-melanesischen Kultur, die ihre Identität im Pazifikraum verortet, zusammenfinden.

Die Region beherbergt die wichtige Nord-Süd Seepassage, die Australien mit dem Pazifik und den Staaten Ostasiens verbindet und von Ost-Timor zwischen Buru und Ambon hindurch nordostwärts verläuft. Sie ist für die maritime Sicherheitsstrategie der USA essentiell, womit eine Präsenz der USA in diesem Raum wahrscheinlich würde. In Ost-Timor zeigen sie bereits Flagge.

Die offenen Seegrenzen nach Osten, die bestehenden Spannungen zu muslimischen Gruppen und Bevölkerungen im Restarchipel und steigende anti-westliche Emotionen würden Nusantara Timur zu einer Region dauerhafter Konflikte geringer Intensität, d.h. unterhalb der Schwelle von offenen Kriegen, werden lassen.

3. Trans-Malaya und Rest-Indonesien

Der eigentliche Spannungsraum läge im zentralen Großraum des Archipels, in den östlichen peripheren Räumen der Alam Melayu. In ihm sind die unterliegenden kulturellen Ordnungsmuster in hohem Maße vielfältig. Dieser überaus heterogene Raum lässt kaum Szenarien einer künftigen politischen Struktur zu. Wahrscheinlich wird die Art und Qualität des big bang entscheidend sein. Insbesondere, ob er friedlich oder gewaltsam erfolgt.

Werden in Trans-Malaya die Identitäten der alten malaiischen Sultanate eine Wiederauferstehung erleben? Würden sie die Staatengebilde auf Kalimantan/Borneo prägen? Würden sich christliche Dayak/Iban gegen islamische Küstenbewohner verbünden? Würden jene in einem seine Chance witternden Brunei Unterstützung finden, ja würde Brunei zu vergangener Größe zurückfinden und wollen? Würde es wieder ein Sultanat Sulu geben?

Wie sähen Staaten auf Sulawesi und ostwärts in den nördlichen Molukken aus? Würde es zu interkonfessionellen Auseinandersetzungen z.B. in Nordsulawesi (Minahasa, Indonesien) oder aber in Sabah (heutiges Malaysia) kommen, und würde sich die muslimische Bevölkerung Mindanaos (heutige Philippinen) im Süden neue Vorbilder suchen? Werden diese Formungsprozesse ohne äußere Einflussnahme ablaufen?

Wahrscheinlich nicht. Bereits jetzt zeichnen sich überregionale Konfliktmuster ab. Die bestehenden Gewaltkonflikte in diesem Raum beziehen bereits heute Malaysia als Transitland der Gewalt mit ein. Der Konflikt um die Molukken, besonders in seinem nördlichen Teil, ist ohne den Einbezug der südlichen Philippinen (Mindanao) nicht erklärbar. Von dort her gelangen große Bestände an Waffen und Munition in das nicht weit entfernte Krisengebiet und schüren die Konflikte. In den Seegebieten südlich von Mindanao wird mittels speed boats Krieg geführt, ohne dass die Marinestreitkräfte Indonesiens und der Philippinen etwas dagegen zu unternehmen scheinen. Im nördlichen Sulawesi ist die Lage seit zwei Jahren gespannt, und dass auch Sabah am Nordostzipfel Borneos zu dieser Krisenregion zählt, ist uns Deutschen seit den Entführungsfällen von der Sabah vorgelagerten Insel Sipadan bekannt.

Mit ein wenig Gabe zur Vorausschau darf angenommen werden, dass auch Malaysia und die Philippinen den Zerfall Indonesiens nicht territorial unversehrt überstünden. Die Region würde sich insgesamt neu ordnen. Ob das altersschwache Regime Mahathirs oder die Demokratie der Philippinen überleben mag, ist zweifelhaft. Sie stehen sowieso vor dem Kollaps. Aber an diesem hypothetischen Szenario wird erkennbar, dass das Problem Indonesien kein staatlich begrenztes, sondern ein regional-südostasiatisches ist. Der Virus des Zweifels, was denn alle diese Staaten und Gesellschaften Insel-Südostasiens zusammen halte, der die alten Überzeugungen und Gewissheiten bereits zersetzt hat, dieser Virus hat die Staatsgrenzen bereits jetzt übersprungen. Jeder Ansatz einer umfassenden Konfliktlösung muss zwingend regional angegangen werden. Wenn nicht gar global.

Die schlimmsten Aussichten auf eine Existenz jenseits der Haltbarkeitsdauer der Republik Indonesien besitzt Java oder Rest-Indonesien. Java würde den Preis für seine historische Hegemonie im Archipel zu entrichten haben, und entsprechend gewalttätig würde es reagieren. Ohne natürliche Ressourcen und mit geringem Potential an human resources wird es in tiefe kollektive Depression verfallen und unberechenbar werden. Vom dicht besiedelten Java würden wahre Tsunamis von Auswanderungswellen ausgehen und an den benachbarten Küsten anbranden.

Oder Java könnte sozial wie politisch vollständig implodieren. Ethnisch und soziokulturell ist Java in drei Teile gegliedert, in denen örtliche Hegemonialherrschaften und despotische warlords die Macht an sich reißen. Und, übrigens, mit dem Zerfall Indonesiens wäre auch das indonesische Militär verschwunden. Die TNI würde in regionale Militärorganisationen über- und aufgehen und/oder in der Kriminalität versinken. Aber dort befindet sie sich jetzt schon.

Java hat am meisten mit dem Zerfall Indonesiens zu verlieren, woraus auf stärksten Widerstand gegen ihn zu schließen ist: Indonesien wird von Java aus zerfallen oder von Java aus erhalten bleiben.

Java und Trans-Malaya hätten die finstere Aussicht, durch Abriegelung und containment in Ruhe gelassen zu werden. Unfriedlich ruhend in sich selbst. Wären die westlichen und östlichen Grenzräume Nusantaras gesichert, so dass regionaler Handel und Verkehr ungestört verliefen, könnte Trans-Malaya umgangen, also in der Mitte liegen gelassen werden, so dass die Konflikte im eigenen Saft schmorten, aber die Welt nicht störten.

Der von Jetztzeit-Propheten der "Balkanisierung Indonesien beschworene Beelzebub der an die Küsten der Anrainerstaaten brandenden Wellen von Flüchtlingen des Chaos, den Schockwellen der Gewalt aus dem black hole, das einstmals Indonesien hieß, all das würde geografisch wohl dort zu verorten und zu erwarten sein.

Aber, bitte mal ehrlich, wird mit dem Schlagwort Balkanisierung nicht etwas beschworen, was bereits hic et nunc und bereits täglich geschieht? Beobachten wir nicht alle schon heute jene Fluchtwellen, die trotz (oder gar wegen) des Einheitsstaates geschehen? Was wäre also wirklich neu an jenen Phänomenen, wenn Indonesien zerbräche? Wohl nicht die Phänomene an sich, sondern vielleicht ihr Umfang und Ausmaß. Das alles schreibe ich nicht, um einer Relativierung des Unrelativierbaren das Wort zu reden, sondern um unsere Augen zu öffnen für etwas sehr Menschliches. Für das, was geschieht, wenn auseinandergeht, was nicht zusammen gehört.

Die Folgen des Zerfalls

Während das nicht-asiatische Ausland wahrscheinlich bis zum allerletzten Moment an der Hoffnung, dass Indonesien als Staat überlebt, fest hielte, würde das entstehende politische Vakuum bereits in seinen Frühstadien von den Nachbarstaaten ausgefüllt werden. Kaum beachtet wird bereits heute die Tatsache, dass Thailand und die Philippinen militärisch beträchtliche Präsenz innerhalb der Truppen der UNTAET auf Ost-Timor zeigen. Auch Süd-Korea ist mit Truppen präsent, Singapur mit einem kleinen Polizeikontingent, und Malaysia engagiert sich waffenlos in der Wirtschafts- und Verwaltungskooperation, hat aber auch der ost-timoresischen Streitkraft ETDF ihre aktive Unterstützung angeboten. Diese Staaten wissen, dass der schwache Riese von seinen Flanken her zu greifen ist. Natürlich hat das für sie alles nichts mit einem Zerfall Indonesiens zu tun, bewahre nein! Aber vor Ort sind sie halt trotzdem.

Das Vakuum, das ein desintegrierendes Indonesien schüfe, würde von den Nachbarstaaten aufgefüllt werden, und zwar mit Billigung der USA und EU als das geringere Übel. Der großflächige Einsatz internationaler Friedenstruppen verböte sich nach den Erfahrungen von Ost-Timor von selbst, weil zu teuer, zu ineffizient und für Großräume nicht ausführbar. Ob die Volksrepublik China, oder gar Indien einen Angelpunkt fänden, ja finden wollten, ist, wie alles in diesem Beitrag, Spekulation. Mir erscheint wahrscheinlicher, dass der malaiische Archipel auch weiterhin im Einflussbereich der Vereinigten Staaten verbliebe.

Wie zerfällt Indonesien?

Wenn überhaupt, wird Indonesien nur aus sich selbst heraus zerfallen. Kein anderes Szenario besitzt irgend eine Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit. Am Pulverfass Indonesien wird von außen keiner freiwillig rühren. Die Verantwortung für Erhalt oder Zerfall Indonesiens liegt dort selbst. Indonesien wird zerfallen, weil es Teile der Indonesier, Gruppen oder Individuen es so wollen oder es in ihrer egoistischen Ignoranz dazu kommen lassen. Das größte Potential dazu besitzt die TNI. Indonesien zerfällt nur mit Teilhabe der TNI. Sie arbeitet kräftig daran, und mit jedem Misshandelten, Ermordeten stirbt ein Teil des Generationen übergreifenden Projekts Indonesien. Bedauerlich, dass die TNI das nicht so sieht.

Der Zerfall wird dann Unterstützung finden, wenn der Preis für den Erhalt höher wird als der des Zerfalls. Wenn er nicht mehr aufzuhalten ist. Erst wenn eine erkennbar bessere Alternative zu einem vereinten, aber zur Einheit unfähigen Indonesien am Horizont erscheint, dann, und nur dann!, sind auch halbwegs friedliche Szenarien der Desintegration denkbar. Falls nicht, müssen wir Gewalt im höchsten Crescendo erwarten.

Die Variante eines friedlichen Zerfalls, die keine ist und mit der Bezeichnung Föderalismus belegt ist, ist in Kreisen der Elite Indonesiens nicht erwünscht. Otdah (otonomi daerah), die neu eingeführte ungeordnete Form regionaler Autonomie, ist ein Wiederaufleben des historischen Mandala-Prinzips, dem cycle of kings der frühen Reiche im Archipel, und es folgt der Kausalität von Zuckerbrot und Peitsche: Solange die regionalen Fürstentümer und ihre Herrscher ihre Loyalität zum Zentrum der Macht schwören und durch Tributzahlungen bekunden, dürfen ihre Eliten in ihrem mandala (Herrschaftsraum) treiben was sie wollen. Werden sie untreu, schlagen die Truppen des überragenden mandala, der Zentralgewalt, ihnen die Köpfe ab.

Indonesiens Herrscher, so scheint es, sehen im Vorwärts in die Vergangenheit, in der Heilserwartung aus dem Gestern, den Schimmer ihres künftigen Heils. Ihnen ist völlig die Gabe abhanden gekommen, die den Gründervätern der Republik, deren verkommene Sachverwalter sie sind, noch gegeben war: über den Horizont ihrer Archipelmentalität hinauszuschauen und sich in der Welt von anderen Ideen stimulieren zu lassen.

Zerfällt´s denn nun?

Spätestens hier wäre zu überlegen, was denn Indonesien im eigentlichen zusammenhält, um im Vergleich der Kräfte der Integration und der Desintegration den möglichen Sieger zu ermitteln. Das ist viel schwieriger und soll in einem späteren Beitrag angegangen werden. Bis dahin an dieser Stelle nur ein allgemeiner Hinweis:

Welche Lösung auch immer die anstehende Geschichte erweisen wird, die Menschen des Archipels müssen sie finden und gehen. Es ist ihre Geschichte und Zukunft. Nur ihre eigene Lösung werden sie für sich akzeptieren können. Und, mit Blick auf die stolzen Menschen in Nusantara, letzen Endes ist es - besonders für sie! - alles eine Frage der Ehre.

Wir stehen dabei und schauen zu. Mehr können wir nicht leisten. Aber vielleicht ist gerade das unser persönlicher Beitrag zum Erhalt Indonesiens. <>

 
 

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